Freitag, 15. März 2013

Verliebt in Blut und Boden


In Hamburg geboren. In brandenburgischen Templin aufgewachsen. Nach Berlin gezogen. Wochenendhäuschen im Brandenburgischen. Verheiratet. CDU-Politikerin. Bundeskanzlerin. Angela Merkel hat eine Biografie, die kein bisschen nach Migrationshintergrund riecht, für Zweifel an der Verankerung und Verwurzelung der 59-Jährigen in ihrer Heimat Deutschland gibt es überhaupt keinen Grund.

Und doch gibt es Medien, die auch hier die Blut-und-Boden-Karte spielen müssen, um uralte Ressentiments zu bedienen. Böse Polen-Gerüchte über Angela Merkel! Die Kanzlerin, so schreibt es die "Frankfurter Rundschau", habe "polnische Wurzeln", und die seien "viel stärker ausgeprägt, als bisher bekannt war".

Was folgt, ist - unter Berufung auf eine vermeintliche "Biografie" der eisernen Kanzlerin unbd missverständliche Äußerungen der Betroffenen selbst - ein Exkurs in eine Parallelwelt aus völkischen Stereotypen, kruden Thesen über Verbindungen durch Blutlinien und Verweisen auf Episoden einer Familiengeschichte, die fast 100 Jahre zurückliegen. Danach sei Merkels Großvater Ludwig Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts "aus der gerade wieder Polen zugefallenen Provinz Posen" nach Berlin gekommen und habe hier seinen Namen Kazmiercak in "Kasner" geändert - in Mittel- und Ostdeutschland in leicht veränderter Schreibweise heute ein beliebter Restaurantname.

Eine Eindeutschung, wie sie bei Fußballern von Paulo Rink bis Sean Dundee große Tradition hat, musste hier offensichtlich nicht stattfinden, da Kazmiercak ja schon Deutscher ist. Am 30. Januar 1793 bereits waren preußische Truppen aufgrund eines Abkommens mit Rußland einmarschiert und hatten das Gebiet als "Südpreußen" für das deutsche Reich besetzt, Reichsprovinz blieb es bis 1918. Nach dem 1. Weltkrieg wurde die Provinz dann aber wieder dem polnischen Staat angegliedert - zwischen 1919 bis 1923 verließen daraufhin 50.000 der etwa 60.000 Deutschen die Stadt.

Darunter ist auch Ludwig Kazmiercak, ein Deutscher, der als deutscher Staatsbürger in Südpreußen geboren wurde und seine Heimat nun verlassen muss. In Berlin ändert er seinen Namen, wie es das deutsche Recht seit 2007 wieder gestattet. Seine Staatsbürgerschaft aber muss er nicht ändern: Er war Deutscher, er ist Deutscher, er wird Deutscher bleiben. Und doch wittert die "FR", die nie auf den Gedanken käme, die Fußballer Kevin Kurányi oder Patrick Owomoyela keine Deutschen zu nennen, nur weil sie in Brasilien oder als Sohn nigerianischer Eltern in Hamburg geboren wurden, "polnische Wurzeln" der Kanzlerin.

Polnische Wurzeln zumal, die ihrer Politik angeblich einen Stempel aufdrücken: Bei Merkel sei "durchaus eine besondere Sympathie für das Nachbarland" zu erkennen, analysiert das Blatt, und deutet dies tiefenpsychologisch als Geben und Nehmen, quasi unter Polen. "Die Polen wählen Merkel regelmäßig zur wichtigsten ausländischen Politikerin, sie genießt größte Sympathien", heißt es in einem unverhohlenen Rekurs auf rassische Theorien vom Gedächtnis des Blutes und einem Diktat der Abstammung: "Schließlich ist sie ja auch zu einem Viertel eine von ihnen".

Die Anmerkung zum Polenblut

10 Kommentare:

  1. Da konnte Gwido Westerwełłski vielleicht garnichts dafür, dass er seinen ersten Auslandsbesuch als Außenminiter bei den Polen machte. Die Viertelpolin hat ihn auf die Idee gebracht.

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  2. Die "polnischen" Wurzeln sind schon irgendwie lustig. Ebenso lustig, wie die angeblich im Kaiserreich in das Ruhrgebiet "eingewanderten" resp. umgezogenen "Polen".

    Dieses Geschwätz dient ausschließlich dazu, die Jahrhunderte Preußens jenseits der Oder im Volk vergessen zu machen.

    Jedermann, der irgendwie slavisch klingende Namen hat, muß demnach Pole sein. Auf den Gedanken, irgendwie mit den Pruzzen Herkommen zu teilen, scheint absurd. Und die waren alles andere als Polen. Es waren die Ureinwohner Preußens und vom Deutschen Orden christianisiert. Und sie kämpften GEGEN die Polen.

    Ich selbst gehöre einem der bedeutendsten Clans der masurischen Pruzzen an. Von F.II. 1740 (ohne Prädikat!!) in den pr. Adel aufgenommen; in Befreiung der Zwangsmitgliedschaft der poln. Schlachta.

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  3. Jo genau, SH war lange dänisch und MV ca. 300 Jahre schwedisch, bevor unser König in Lützen/Sachsen heimtückisch und nicht im ritterlichen Zweikampf mit einem Vorderlader ermordert wurde. Deshalb sind noch heute unsere Mädels alle blond und die Jungs saufen wie die Wikinger.

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  4. dafür war schweden lange (200 jahre) dänisch und mv slawisch (1000 jahre).

    letztlich sind wir aber alle gute europäer geworden - nur der FR gefällt das nicht, die versucht, keile zwischen die menschen zu treiben mit ihrer rassenbeschwörung.

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  5. Ach, wie gut, daß niemand weiß, daß meine Mutter Waniczek geheißen hat und von Ösiland rüberjemacht hat! Sonst wüßte ja jeder, daß meine Symapthien zu 50% den Österreichichen, Ungarischen, Böhmischen etc etc etc gehören. Daher kommt's, daß ich gäufig nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Die Frau Merkel hat's da ja noch einfach!

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  6. Der Setzer hat in seiner Sorge um den Arbeitsplatz den Smiley hinter dem letzten Punkt vergessen.
    Genau wie ich, wenn ich jetzt phantasiere, daß die Deutschen mit ihrer gutmütigen Einwanderungspolitik schon einmal Schiffbruch erlitten haben: Als der Pole Hindenburg (recte: Chyniedinbor aus Poznań) den Staatenlosen Hitler (recte: Hidlárček aus Böhmen) ernannte. Und jetzt schon wieder ein Pole. Hach ...

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  7. @thomas: aber man weiß ja noch nicht, wo die übrigen 3/4 des blutes herkommen!

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  8. @PPQ: Da hilft wohl wirklich nur noch die moderne Wissenschaft: Phrenologie! War immerhin mal ein echter Renner, dem alle Welt (ich sag' nur: Amerikaner!) angehangen hat, so eine Art Globale Erwärmung des frühen 20. Jahrhunderts. War wahrscheinlich auch so ein Konsens...

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  9. Interessant immer wieder, wie das schwankt.
    Nazi ist man ja heutzutage schon, wenn man einen Türken Türken nennt. Wie kann man nur, wo der doch einen Deutschen Pass besitzt!

    In die entgegengesetzte Richtung ist der SPARGEL mit Rösler gefahren.
    Rösler kann zehmal sagen, dass er kein Wort vietnamesisch spricht und sich als Deutscher fühlt.
    Er ist und bleibt ein Ausländer, was anderes lässt das Sturmgeschütz gegen die Demokratie nicht zu.

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  10. Entschuldigung, ich will hier keine Haare spalten oder Erbsen zählen, aber wenn Frau Merkels Opa schon Anfang der 20er Jahre nach Berlin gezogen ist, spricht viel dafür, dass er vor 1913 geboren ist.
    Ich bin kein Experte, aber ich habe es immer so verstanden, dass es bis 1913 gar keine Deutsche Staatsangehörigkeit gegeben hat. Herr Kazmiercak wird also wahrscheinlich als Preuße geboren sein. Und aus allen Preußen wurden 1913 dann wohl Deutsche.
    Das ist ja der große Vorteil von multinationalen Monarchien, wie Preußen es damals war; der Staat braucht sich um Nationalitäten nicht groß scheren, er kennt nur Untertanen seiner Majestät ;-)

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