Freitag, 1. März 2013

Silvester für Mot-Schützen

Am ersten März ist das Jahr rum. Wolfgang Grenzebach, der letzte Befehlshaber der emeritierten Reste der DDR-Volksarmee, beglückwünschte die Seinen dann jahrzehntelang mit einem Formschreiben zum "1. März". Die Anzeige war stets nach NVA-Marine-Codebuch verschlüsselt. Text exakt nach Schlüsselbuch, Seite wie Datum: heute, Infanterie, Titel, "So bremst der Hase". Dringlichkeit-Blitz, Dreifachschlüssel im X. Für den Klassenfeind unlesbar.

Decodiert heißt "1. März" Friedensarmee, Waffenbrüder, Hosenträger und Kalaschnikow, erzählt also eine ganze Lebensgeschichte und nicht nur die eines Einzelnen und diese dann alle Jahre wieder. Seit 1990, als die Nationale Volksarmee im Felde unbesiegt aufgelöst wurde, schaltete Wolfgang Grenzebach seinen Gedenkstein aus Papier: Der letzte noch aktive Oberstleutnant der Nationalen Volksarmee der DDR, ein Mot.-Schütze im Friedensdienst, der seine Schulterstücke noch immer fühlen kann.

Grenzebach, der nach dem Zusammenbruch der DDR als Wachmann arbeitete, steht für Zeitenbrüche, die ganze Generationen aus der Bahn warfen. So sehr sie das Feldgrau aus volkseigenem Filz früher einengte, so sehr sind sie heute stolz darauf, es getragen und ertragen zu haben.

Ost und West, früher und damals, längst sind diese Themen untergegangen im steten Strom von banalen Skandalen, aufgesogen von den Themen der Mehrheit, den Fragen der Neuzeit. Wolfgang Grenzebach und seine Generation haben mit dem Gewinn der Freiheit alles verloren: die Schulterstücke, das Gefühl, wichtig und nützlich zu sein, den Glauben, Weltgeschichte zu gestalten, das Wissen, die Avantgarde zu verkörpern, und die Sehnsucht, eines Tages als der von Lenin geträumte neue Mensch zu sterben.

Sie sind 23 Jahre nach dem Ende ihres Staates nicht nur eine Minderheit im eigenen Land, sondern auch die einzige Minderheit, über die nie gesprochen wird, die keinen Zentralrat für sich reden lässt, die Diskriminierungen gegen sich nicht mit zornigem Protestgeschrei quittiert und keinen Anspruch erhebt, ihre rituellen Feiertage zu Feiertagen für das ganze Volk erklären zu lassen.

Sie feiern still, unbeobachtet, unerwähnt und in der sicheren Gewissheit, dass die Bevölkerungsmehrheit aus NVA-Ungedienten, Westgeborenen und denen mit der Gnade der späten Geburt 2.0 sich stillschweigend wünscht, sie würden eines Tages durch eine biologische Lösung gleich der verschwinden, die sie sich selbst in ihren guten Tagen für ihre greisen Führer wünschten.

Mit ihnen wäre die Sorte Erinnerung entsorgt, die keine Knopp-Geschichtsfilm einfängt. Klassenkampf und Politschulung, 8. März und kurze Röcke, f6, Blauer Würger, Konsum und HO, was haben wir gelacht. 250 große Brüder in der Straßenbahn, voll aufmunitioniert unterwegs zum Manöver am Stadtrand! Glaubt kein Mensch.

Wolfgang Grenzebach wusste es noch. Er war der allerletzte seiner Art. Ein Zeitzeuge, der sich nicht mehr erinnern konnte. In diesem Jahr ist Wolfgang Grenzebach erstmals seit 22 Jahren verstummt. Keine Anzeige. Kein Glückwunsch an die Genossen. Eine Ära ist beendet.

9 Kommentare:

  1. Habe nun ach vielerlei studiert, mit heißem Bemühn ... und habe auch einige (EX-)NVA-Offiziere kennengelernt.

    Meine Erfahrungen sind, daß diese a) "politisch wacher" sind und "taktischer" denken als ihre Altersgenossen im Westen aber b) ihre Haltung ebenso vom eigenen Fortkommen bestimmt wird.

    Anders formuliert: Hätte "Oberst der Grenztruppen" spätestens nach der Jahrtausendwende einen passabel dotierten Posten erhalten, z.B. "Regierungsamtmann beim Wehrwissenschaftlichen Institut", dann hätte sie sich - allem ideologischen Fanatismus zum Trotz - auch mit den Verhältnissen arrangiert.

    Aber das müßte man aus dem ML-Unterricht mitgenommen haben: Sein schafft Bewußtsein. ;-)

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  2. so sieht es aus. lass mich berichtigen: Mot-Schütze. sowas habt ihr nie gehabt. die taugen deshalb auch nicht für die neuen verhältnisse

    wir machen uns jedenfalls große sorgen um ihn

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  3. “Wolfgang Grenzebach und seine Generation haben mit dem Gewinn der Freiheit alles verloren“

    Grenzebach vielleicht. Aber die ganze Generation?
    Für Leute wie Sven Hüber war die Wiedervereinigung ein Geschenk des Himmels.

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  4. Joo richtig, "Modd-Schüddzen" hammo nie jehaabd.

    Denn die Dää-Dää-Ea hadde anna Grändze jädä Mänge "Modd-Schüddzen" bossdiat.

    Blööös, Modd wudde das halt nie jenannd, so die Schüddzen eenen am Volasssn des Paradieses hindaddn.

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  5. Hättet dann wenigstens auf dem Bild auch die Schulterstücke eines Oberstleutnants nehmen können statt eines Majors...

    Es grüßt Stfw a.d.

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  6. http://tinyurl.com/ahvwvgz

    MotSchütze war aus.

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  7. medien nehmen heutzutage immer, was gerade da ist. da sind wir total solidarisch

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  8. "Denn die Dää-Dää-Ea hadde anna Grändze jädä Mänge "Modd-Schüddzen" bossdiat."

    Nein.
    An der Grenze waren die Grenztruppen.

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  9. Aha, dann hiess die "Modd-Gommissiöön" im Ooobaida-ünd-Bauan- Schdood wohl "Gränz-Gommissiöön"

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