Am Anfang glaubt jeder noch, er könne da durch, er müsse nur den Kopf einziehen, die Wahrheit werde siegen und alle an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfe würden sich in Luft auflösen. Christian Wulff hat so gedacht. Brigitte Schavan dachte so. Guttenberg glaubte es. Die Band Freiwild. Und der Versandkonzern Amazon.
Doch im Shitstorm, der aus dem Internet kommt, wo einige tausend anstrengungslos abgesetzte Klicks das Meinungsbild eines ganzen Volkes imitieren können, geht am Ende noch jeder unter, oder doch fast jeder. Rainer Brüderle, der anderthalb Wochen führende Sexist der Republik, überstand den nach einem Schulaufsatz einer Stern-Reporterin gegen ihn losgebrochenen Orkan schweigen. In der Hoffnung, ein neues Thema werde den Druck von ihm nehmen.
Das Thema kam, so wie diese Themen immer kommen. Pferdefleisch und Online-Handel, was für eine Aufregung! Und gegen den Auftritt der italienischen Band Freiwild auf einem Rockfestival musste auch noch protestiert werden – deutsch singende Ausländer auf unseren deutschen Open-Airs? Weg mit ihnen. "Dann wollen wir mal festhalten, was ab sofort alles nicht mehr gemacht wird, weil wir ja schließlich ordentlich konsequente Menschen sind", heißt es im Cicero), "keine Äußerungen mehr über Dirndl. Kein Billigfleisch mehr essen. Konto bei Amazon kündigen und dort nicht mehr einkaufen." Keine Apple-Produkte mehr und diverse Textilherstellern meiden. Und so weiter. Das sei "eine ganz beachtliche Liste, wenn man bedenkt, dass diese Zahl löblicher Vorhaben alleine in den ersten sechs Wochen des Jahres zustande gekommen ist". Rechne man die Aufreger-Quote hoch, komme man Ende 2013 auf ein rundes Dutzend allerbester Vorsätze. "Und am Neujahrstag 2014 ist die Welt eine bessere, Brüderle im Ruhestand, Amazon pleite und die Lasagne pferdelos lecker."
So wird es nicht kommen, denn keiner der Scheißestürme, die als Erregungsstampede über Land fegen, bewirkt mehr als eine zunehmende Verengung des Spektrum dessen, was erlaubterweise gedacht, gesagt und getan werden darf. In dieser Logik liegt, dass sich inzwischen schon entschuldigen mjuss, wer sein Gegenüber in der politischen Auseinandersetzung "Clown" nennt. "So funktioniert das inzwischen in diesem rasanten Wechselspiel zwischen Netz, analoger Öffentlichkeit und routiniertem Abwiegeln", analysiert "Cicero", "irgendwo bei Twitter geht´s los, erreicht das gemeine Fußvolk bei Facebook oder womöglich sogar „Spiegel Online“, das Donnergrollen wird lauter, führt zu routiniert-zerknirschten Reaktionen oder auch einfach nur Aussitzen, Amazon feuert den Sicherheitsdienst, Kubicki will nie wieder mit Journalistinnen schäkern, der Schlingel, und Brüderle sagt praktischerweise gar nix mehr."
Ein intellektuelles Rauchverbot, das nach Allgemeingültigkeit stinkt. Die Macht der Masse ist beängstigend. Bringt eine zur Not auch in ihr Gegenteil verdrehte Parole die Schwungmasse all der Facebooker, Twitterer und Petitionsunterzeichner erst einmal in Gang, hält niemand mehr die Stampede auf. Ein Toben und Brüllen im Virtuellen, vielmals gespiegelt von der ehemals vierten Gewalt, die den Aufregungsstürmen die Richtung vorgibt, um aus ihren Rückkopplungen anschließend richtungsweisende Fortsetzungen zu stricken. Die Empörung Kreis um sich selbst, der entschiedenste Widerstand ist nur einen Mausklick weit entfernt. Wie ein verstärker funktionieren die ums Überleben kämpfenden Zeitungen und Magazine, die in jeder Aufwallung einen "Protest" sehen, der sich in Aufmerksamkeit umsetzen lässt. Dabei versprechen "spektakuläre Netzzusammenrottungen mehr Klicks und Aufmerksamkeit als die Probleme eines Notrufs in der Oberpfalz", wie es in der FAZ heißt.
Es geht heute gegen die und morgen gegen das, es geht gegen Bahnhofsbau und GEZ, aber für die Bewahrung der ineffizienten und für den Verbraucher teuren Wasserversorgung in Deutschland, es geht gegen verlogene Politiker und gegen ausbeuterische Unternehmen, gegen Sexismus, Überwachung, Fleischverzehr und Fernsehmetereologen. Und vor allem geht es nie um irgendetwas von Belang. Kein Shitstorm bricht los, wenn Billionen verbraten werden, kein Klickfinger regt sich, wenn Grundsatzverträge gebrochen, Vermögen entwertet und Arbeitseinkommen enteignet werden.
Zu kompliziert die Umstände, zu widersprüchlich sind die Rollen besetzt. Ein Theaterstück braucht, soll es ankommen, einen klaren Plot: Hier Böse, dort Gut, hier dunkel, dort hell, hier nett, dort hässlich. Alle diese Rollenbesetzungen finden sich in den Empörungswellen der letzten Wochen und Monate, in denen die gruppenspezifische Diskriminierung fröhliche Urständ feiert. Was im Fall von Alten, Frauen, Ungebildeten, Linken, Farbigen, Behinderten, Migranten oder Andersliebenden als Todsünde gilt und von allen selbsternannten "zivilgesellschaftlichen Akteuren" (dpa) Tag und Nacht engagiert bekämpft wird, ersteht im Fall von Managern, Liberalen, Konservativen, Reichen, Bankern, Weißen und Gebildeten als Bürgertugend wieder auf: Steck sie alle in einen Sack und dann mit dem Gesetzesknüppel drauf.
Die Intoleranz der Toleranten nimmt Ausmaße an, die Angst machen. Getrieben versucht die Politik, den Sturmwind aus Anmaßung, Unkenntnis und verweigertem Wissen in den Rücken zu bekommen. Die Medien folgen blutgeil, immer bereit, den "kruden Thesen" (Der Spiegel) des Täters eine Plattform zu geben und ihn hernach im selbsterteilten Auftrag der Menge zu hängen.
Die Masse aber ist nie zufrieden, immer unterwegs, einen neuen Orkan aus Klicks zu entfesseln, einen neuen #Aufschrei zu imaginieren, nach neuen Reizen zu gieren und neue Opfer zu stellen. Rainer Brüderle ist, soweit so weit darüber schon abschließend geurteilt werden kann, der einzige lebende Mensch, der einen Shitstorm wortlos überlebt hat.
Deutschland sucht den Supermoralisten
Doch im Shitstorm, der aus dem Internet kommt, wo einige tausend anstrengungslos abgesetzte Klicks das Meinungsbild eines ganzen Volkes imitieren können, geht am Ende noch jeder unter, oder doch fast jeder. Rainer Brüderle, der anderthalb Wochen führende Sexist der Republik, überstand den nach einem Schulaufsatz einer Stern-Reporterin gegen ihn losgebrochenen Orkan schweigen. In der Hoffnung, ein neues Thema werde den Druck von ihm nehmen.
Das Thema kam, so wie diese Themen immer kommen. Pferdefleisch und Online-Handel, was für eine Aufregung! Und gegen den Auftritt der italienischen Band Freiwild auf einem Rockfestival musste auch noch protestiert werden – deutsch singende Ausländer auf unseren deutschen Open-Airs? Weg mit ihnen. "Dann wollen wir mal festhalten, was ab sofort alles nicht mehr gemacht wird, weil wir ja schließlich ordentlich konsequente Menschen sind", heißt es im Cicero), "keine Äußerungen mehr über Dirndl. Kein Billigfleisch mehr essen. Konto bei Amazon kündigen und dort nicht mehr einkaufen." Keine Apple-Produkte mehr und diverse Textilherstellern meiden. Und so weiter. Das sei "eine ganz beachtliche Liste, wenn man bedenkt, dass diese Zahl löblicher Vorhaben alleine in den ersten sechs Wochen des Jahres zustande gekommen ist". Rechne man die Aufreger-Quote hoch, komme man Ende 2013 auf ein rundes Dutzend allerbester Vorsätze. "Und am Neujahrstag 2014 ist die Welt eine bessere, Brüderle im Ruhestand, Amazon pleite und die Lasagne pferdelos lecker."
So wird es nicht kommen, denn keiner der Scheißestürme, die als Erregungsstampede über Land fegen, bewirkt mehr als eine zunehmende Verengung des Spektrum dessen, was erlaubterweise gedacht, gesagt und getan werden darf. In dieser Logik liegt, dass sich inzwischen schon entschuldigen mjuss, wer sein Gegenüber in der politischen Auseinandersetzung "Clown" nennt. "So funktioniert das inzwischen in diesem rasanten Wechselspiel zwischen Netz, analoger Öffentlichkeit und routiniertem Abwiegeln", analysiert "Cicero", "irgendwo bei Twitter geht´s los, erreicht das gemeine Fußvolk bei Facebook oder womöglich sogar „Spiegel Online“, das Donnergrollen wird lauter, führt zu routiniert-zerknirschten Reaktionen oder auch einfach nur Aussitzen, Amazon feuert den Sicherheitsdienst, Kubicki will nie wieder mit Journalistinnen schäkern, der Schlingel, und Brüderle sagt praktischerweise gar nix mehr."
Ein intellektuelles Rauchverbot, das nach Allgemeingültigkeit stinkt. Die Macht der Masse ist beängstigend. Bringt eine zur Not auch in ihr Gegenteil verdrehte Parole die Schwungmasse all der Facebooker, Twitterer und Petitionsunterzeichner erst einmal in Gang, hält niemand mehr die Stampede auf. Ein Toben und Brüllen im Virtuellen, vielmals gespiegelt von der ehemals vierten Gewalt, die den Aufregungsstürmen die Richtung vorgibt, um aus ihren Rückkopplungen anschließend richtungsweisende Fortsetzungen zu stricken. Die Empörung Kreis um sich selbst, der entschiedenste Widerstand ist nur einen Mausklick weit entfernt. Wie ein verstärker funktionieren die ums Überleben kämpfenden Zeitungen und Magazine, die in jeder Aufwallung einen "Protest" sehen, der sich in Aufmerksamkeit umsetzen lässt. Dabei versprechen "spektakuläre Netzzusammenrottungen mehr Klicks und Aufmerksamkeit als die Probleme eines Notrufs in der Oberpfalz", wie es in der FAZ heißt.
Es geht heute gegen die und morgen gegen das, es geht gegen Bahnhofsbau und GEZ, aber für die Bewahrung der ineffizienten und für den Verbraucher teuren Wasserversorgung in Deutschland, es geht gegen verlogene Politiker und gegen ausbeuterische Unternehmen, gegen Sexismus, Überwachung, Fleischverzehr und Fernsehmetereologen. Und vor allem geht es nie um irgendetwas von Belang. Kein Shitstorm bricht los, wenn Billionen verbraten werden, kein Klickfinger regt sich, wenn Grundsatzverträge gebrochen, Vermögen entwertet und Arbeitseinkommen enteignet werden.
Zu kompliziert die Umstände, zu widersprüchlich sind die Rollen besetzt. Ein Theaterstück braucht, soll es ankommen, einen klaren Plot: Hier Böse, dort Gut, hier dunkel, dort hell, hier nett, dort hässlich. Alle diese Rollenbesetzungen finden sich in den Empörungswellen der letzten Wochen und Monate, in denen die gruppenspezifische Diskriminierung fröhliche Urständ feiert. Was im Fall von Alten, Frauen, Ungebildeten, Linken, Farbigen, Behinderten, Migranten oder Andersliebenden als Todsünde gilt und von allen selbsternannten "zivilgesellschaftlichen Akteuren" (dpa) Tag und Nacht engagiert bekämpft wird, ersteht im Fall von Managern, Liberalen, Konservativen, Reichen, Bankern, Weißen und Gebildeten als Bürgertugend wieder auf: Steck sie alle in einen Sack und dann mit dem Gesetzesknüppel drauf.
Die Intoleranz der Toleranten nimmt Ausmaße an, die Angst machen. Getrieben versucht die Politik, den Sturmwind aus Anmaßung, Unkenntnis und verweigertem Wissen in den Rücken zu bekommen. Die Medien folgen blutgeil, immer bereit, den "kruden Thesen" (Der Spiegel) des Täters eine Plattform zu geben und ihn hernach im selbsterteilten Auftrag der Menge zu hängen.
Die Masse aber ist nie zufrieden, immer unterwegs, einen neuen Orkan aus Klicks zu entfesseln, einen neuen #Aufschrei zu imaginieren, nach neuen Reizen zu gieren und neue Opfer zu stellen. Rainer Brüderle ist, soweit so weit darüber schon abschließend geurteilt werden kann, der einzige lebende Mensch, der einen Shitstorm wortlos überlebt hat.
Deutschland sucht den Supermoralisten
Daß die Masse / der Pöbel im Internet immer lauter wird, hat m. E. damit zu tun, daß dieses stärker und stärker von der Unterhaltungsindustrie geprägt wird, welche ihre Kundschaft mitzieht.
AntwortenLöschenSeit vor fast 70 Jahren die braunen Dämonen, das Ultimitavissimum an Pöhsem, aus Deutschland exorziert wurden, hat hierzulande eine Erleuchtung nie gekannten Ausmasses stattgefunden.. – Der neue geschaffene BRD-ler_In avancierte nämlich zum grössten Durchblicker-In aller Länder und Zeiten. Durch die Entlarvung seiner diabolischen Väter und Grossväter und der daraus gewonnen Einblicke und Erkenntnisse von geradezu schwindelerregender Tiefgründigkeit , war er fürderhin für allezeit gegen jedwede Täuschung, Verführung, ja sogar gegen jeglichen Irrtum und Fehler immunisiert. –
AntwortenLöschenAus der mit nie versiegender Verve betriebenen Verdammung all dessen, was vor ihm (in der inkriminierten Epoche) ja ausschliesslich schlecht, falsch und dumm war, kann ergo nur das genaue Gegenteil als leuchtender Pfad in die lichte Zukunft des Antifaschismus/Ökologismus/Feminismus/MuKu-ismus/Sozialismus gelten.
Triviale Störfaktoren, wie die Realität, werden angesichts solcher Erleuchtetheit manchmal noch mit mildem Lächeln ignoriert, immer öfter aber unter tobsüchtigem Hyperventilieren bekämpft.
Unter der stinkverlogenen Prämisse die“ genetisch bedingte Faschismus-Affinität“ des Bundes-Hornviehs mit Stumpf und Stiel auszumerzen, hat sich eine selbsternannte linke Hohepriester- und Dompteurs-Kaste zu einer arroganten Zensur-Instanz aufgeschwungen, die in ihrer Verblendung und Verblödung, ihre permanenten penetranten Apelle und Zurechtweisungen für toleranzfördernd hält, obwohl sie das genau Gegenteil sind, nämlich Intoleranz, Pharisäertum reinsten Wassers.
Solche Korinthenkacker merken nicht, dass ihr gestrenger, strafender Blick auf die „immer noch bräunlich getönten Massen“ eigentlich ein Blick in den Spiegel ist. Die faschistische Bestie, die sie immer noch sehen, sind sie selbst.