Sonntag, 31. März 2013

In der Geldwaschmaschine


Nach den Spekulanten, die Franz Müntefering einst als Schuldige an der großen Krise ausgemacht hatte, und den Managern, die Sigmar Gabriel später als verantwortlich brandmarkte, sind es derzeit gerade die "reichen Russen", die das Weltfriedensprojekt Europa ins Wanken bringen. Zypern, dessen "Geschäftsmodell" (Wolfgang Schäuble) aus Schwarzgeld-Anlagemöglichkeiten für "reiche Millionäre" (ARD-Morgenmagazin) besteht, steht, so die allgemeine Erzählung, im Grunde eine gigantische Geldwaschmaschine. Die dortige Regierung kümmere sich nicht um Recht und nicht um Gesetz, ignoriere europäische Vorschriften und profitiere von der Missachtung internationaler Vorgaben.

Was für ein Zufall, dass das ungefähr genau die Vorwürfe sind, die Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF) jahrelang an die Adresse der Bundesregierung gerichtet hat. Nach der Verabschiedung eines Geldwäschegesetzes im Jahr 1993 weigerte sich Deutschland über 18 Jahre lang, seine Rechtsvorschriften an die internationalen Vorgaben anzupassen. Erst 2011, durch die V Vertragsverletzungsverfahren 2005/4572 und 2009/4572 zunehmend unter Druck gesetzt von der EU, verabschiedete der Bundestag ein neues Geldwäschegesetz mit dem schönen Namen “Gesetz zur Optimierung der Geldwäscheprävention” .

Dass aber wiederum nicht allen Vorgaben, die umzusetzen sich Deutschland bereit erklärt hat, genügt. In einer Hitparade der größten Geldwäscheparadiese, die der Geldwäsche-Experte Andreas Frank auf seiner Seite veröffentlich hat, schneidet Deutschland in Sachen Geldwäsche sogar schlechter ab als Zypern. Zwar setze kein EU-Land die Empfehlungen zur Bekämpfung von Geldwäsche komplett um. Doch in der Liste, die nach der Zahl der Umsetzung einzelner Punkte noch vor der aktuell geltenden Rettung vom zypriotischen Finanzministerium erstellt wurde, landet Deutschland mit Platz 14 sieben Plätze hinter Zypern (Platz 7) - die Bundesregierung hat nur fünf Vorgaben erfüllt, Zypern aber zwölf.

Schafft eins, zwei, viele Konten!


Seit Zypern zittert Europa um seine Spargroschen, die nach den neuen Plänen der EU-Kommission künftig oberhalb eines Betrages von 100.000 Euro zu Rettungszwecken abgeschöpft werden können. Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem hat die Teilenteignung aller übermäßig wohlhabenden Inhaber von Spargroschen, wie sie das Rettungspaket für Zypern vorsieht, zum Modell für die ganze Eurozone ausgerufen. Das Friedensprojekt Europa sei damit an einen Wendepunkt im Kampf gegen die Schulden- und Bankenkrise gelangt: Nicht mehr nur Anleihegläubiger und Eigentümer von Banken müssten künftig ihren Anteil der weiteren Stärkung des gemeinsamen Währungsraumes tragen, sondern auch Kunden der Institute, sofern sie unanständig hohe Beträge von mehr als 100.000 Euro auf ihren Konten horteten.

Dijsselbloem relativierte seine Aussagen später und dementierte den Eindruck, er habe zur Kapitalflucht aus Europa aufrufen wollen. Inzwischen haben Experten die jüngsten Rettungsmaßnahmen für das Kleinsparer-Board PPQ durchleuchtet und Entwarnung gegeben: Fünfzehn Monate nach der Neudefinition der freiwilligen Einlagesicherung der Banken seien Guthaben auch in Deutschland zwar nicht mehr unbegrenzt sicher und von Angela Merkel in voller Höhe persönlich garantiert. Doch unter Beachtung einiger Vorsichtsmaßnahmen ist es offenbar möglich, Guthaben nahezu unbegrenzt durch die zumindest theoretisch noch angebotene staatliche Garantie für Beträge von bis zu 100.000 Euro garantieren zu lassen.

Dazu, so die Anlageexperten, sollen sich Bankkunden am besten an Rudi Dutschkes Ratschlag "schafft zwei, drei, viele Vietnam" orientieren und für ihr Vermögen eins, zwei, viele Konten einrichten. Da die 100.000 Garantie sich auf ein Konto bei einer Bank bezieht, sind nach dem neuen europäischen sogenannten Zypern-Standard nunmehr für 200.000 Euro zwei Konten, für 300.000 drei Konten und so weiter notwendig. Wer 800.000 Euro besitzt, muss künftig acht Konten unterhalten und dabei beachten, dass er dies bei möglichst acht verschiedenen Banken tut. Zwar findet sich nirgendwo eine Regelung dazu, ob die staatliche Garantie sich auf jedes Konten, jeden Kontoinhaber oder anteilmäßig auf Gemeinschaftskonten bezieht. Doch im Falle Zypern habe die staatliche Garantie pro Konto und Bank gegolten, so dass die EU erst im Wiederholungsfall rückwirkend eine andere Regelung treffen wird.

Bis dahin ist allerdings auch die derzeit von vielen Deutsche für gültig gehaltene Garantie der 100.000 Euro durch den Staat eher symbolischer Natur. Das Bundesministerium der Finanzen hat bereits vor Jahren in einer Erläuterung des sogenannten Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes klargestellt, dass „die Einlagensicherung in einem gewissen Umfang die Rückzahlungsansprüche der Kunden eines Kreditinstituts gewährleistet, falls die jeweilige Bank nicht in der Lage sein sollte, die Einlagen des Kunden zurückzuzahlen.“

In „gewissem Umfang“ bedeutet derzeit nach allgemeiner Auffassung 100.000 Euro vom Staat. Doch Überraschung: Weder von dieser Summe noch vom Staat ist im Gesetz die Rede.

Samstag, 30. März 2013

Klima: Medien im Oszillationsmodus

Ein Land stöhnt über Schnee, Eis, Kälte mitten im Klimawandelwinter, der eigentlich längst hätte ein Sommer sein sollen. Wo bleibt denn die versprochene Hitze, ätzen Skeptiker, das ist also der "Winter ohne Schnee", den die Experten vorhergesagt hatten, nörgeln Kleingeister, die das große Bild nicht sehen können.

Doch natürlich hat die Klimawissenschaft längst eine Antwort auf die nicht müde werdenden Vorwürfe, der Euro sei zum Scheitern verurteilt der Klimawandel sei, in dieser Form durchgeführt, ein Witz, und nicht einmal ein guter. Musste im vergangenen Jahr noch das wegen des Klimawandels schmelzende Arktiseis dafür einstehen, dass in "hiesigen Breiten kalte Winter eher wahrscheinlich“ und seit Jahren weitverbreitet sind, hat die Klimawissenschaft nicht nur ein Fahrenheit Unser gebetet, sondern in der neuen Eiszeit einen neuen Schuldigen gefunden.

Diesmal ist es die Nordatlantische Oszillation, die bis vor wenigen Wochen nie irgendwo außerhalb geschlossener Forscherkreise erwähnt wurde (Google Trends-Grafik oben), die mit Macht nach Aufmerksamkeit ruft. Seit das Wissensmagazin Scinexx den Fachbegriff Ende Februar in die Runde warf, wächst die Begeisterung von Wetterwissenschaftlern und Klimaerklärern bei den Qualitätsmedien für den Spezialbegriff, der sich in langen Aufsätzen hervorragend erläutern lässt.

Das Hessen-Tageblatt erkannte das Mitte März zuerst und veröffentlichte eine Pressemitteilung von Lars Kirchhübel vom staatlichen Deutschen Wetterdienst unredigiert. Es war der Startschuss einer Oszillationsrally, wie sie die Wetterwelt noch nicht gesehen hat.

Getreu dem Victor-Hugo-Satz, dass nichts mächtiger ist als eine Idee, deren Zeit gekommen ist, rockt der Druckunterschied zwischen dem Islandtief und dem Azorenhoch neun Jahre nach seiner erstmaligen Würdigung in einem sehr sparsam gehaltenen Wikipedia-Beitrag die Medienhäuser. Die "Zeit" ist dabei und die Frankfurter Rundschau, der Tagesspiegel, der ja wegen der Meinungsvielfalt traditionell die "Zeit" nachdruckt, und die "Welt", leicht abgewandelt feiern auch die Frauenzeitschrift "Stern", der General-Anzeiger und die Abendzeitung München mit.

Im Handelsblatt verliest aktuell noch einmal der aus dem Hessen-Tageblatt bekannte Lars Kirchhübel seine Pressemitteilung vom Februar, mit Betonung diesmal und unterbrochen von Fachfragen wie "Was bedeutet das für unser Wetter?"

Nun ja, auch Kirchhübel weiß es nicht, aber "es friert, und wir müssen mit Schnee rechnen. Das war diesen Winter sehr häufig der Fall". Warum eigentlich? "In Skandinavien und Nordosteuropa hat sich in diesem Winter ein sehr großer Pool an kalter Luft entwickelt, der bis nach Sibirien reicht und sich sehr hartnäckig erhält", sagt der Fachmann. "Nicht ohne Grund" habe man in Russland von einem der strengsten Winter seit langem gesprochen.

Kurz zusammengefasst: Es ist also kalt, weil es kalt ist, und so lange sich das nicht ändert, bleibt es kalt.

Der große Harlem-Shake-Schwindel

Fast zehn Millionen Filme, mehrere hundert Millionen Zuschauer - der obskure Tanz "Harlem Shake" ist nach Angaben der Leitmedien ein soziales Phänomen. Ende Januar von einem amerikanischen Hobby-Komiker namens George Miller erfunden, hat das Zappeln und Blödeln vor der Kamera sogenannten "Kultstatus" erreicht, dank angeblicher viraler Verbreitung über "soziale Netzwerke" wurde des klapperdürre Musikstück dazu, erdacht und eingespielt von einem DJ namens Baauer, zu einem sogenannten Hit, der selbst in dünnbesiedelten Gebieten an der Straße der Gewalt für überschäumende Begeisterung sorgt.

Eine schöne Geschichte, nur eben leider nicht wahr, wie die US-Webseite Quartz jetzt recherchiert hat. Kevin Ashton hat den Werdegang des Tanzes dazu vom ersten Auftauchen bis in die Jetztzeit verfolgt - die zufälligen Anfänge, die begrenzte Verbreitung, den begrenzten Erfolg, der Millers eigenen drei Filmchen nach einer Woche immerhin zwei Nachahmer gebracht hatte.

Dann stiegen die Maker Studios ein, eine Firma aus Los Angeles, die zu Time Warner gehört und Filmchen dreht, die auf Youtube zu Marketingzwecken laufen. Maker Studio-Mitarbeiter Vernon Shaw habe den ersten Nachmach-Shake über Reddit entdeckt und geglaubt, daraus sei mehr zu machen. Am nächsten Tag tanzten schon ein paar Maker-Studio-Mitarbeiter auf Youtube, gleichzeitig verbreiteten Maker und allerlei Maker-Mitarbeiter die Botschaft vom neuen Trend über alle denkbaren Kanäle. Irgendwo habe es dann der "Dancemusic-Blogger" EDM Snob gefunden, der es seinerseits weiterverbreite. Gleichzeitig startete DJ "Baauer" zusammen mit dem Plattenlabel-Chef Thomas Wesley Pentz und zwei anderen DJs von dessen Label Mad Decent ihre eigene werbekampagne auf Facebook, Twitter und so weiter.

Nichts hier ist viral, lustig oder nur zum Spaß. "EDM Snob was selling himself. The other five were selling the record", erklärt Kevin Ashton die Gefechtslage: Sechs Dollar zahlt Youtube für je tausend Menschen, die sich ein Video mit Baauers "Song" angeschaut haben - am 8. Februar, als alles beginnt, sind das ein paar Dollar. Ab 10. Februar gewinnt die Idee an Kraft, täglich werden hunderte, dann täglich tausende "Shake"-Videos hochgeladen. Zeitungen erzählen bereitwillig die fast echte Geschichte vom Wunder von Harlem und jede Stadt, jede Schulklasse, jeder Fußballverein, jedes Damenkränzchen will nun dabei sein.

Ende März wird es fast zehn Millionen Filme geben, die mehrere hundert Millionen Zuschauer angeklickt haben

Freitag, 29. März 2013

Wer hat es gesagt?



"Die Eurogruppe hat ihre Mission erfüllt."

Endlich: EU garantiert Taschengeld

Nach nur zwei Wochen Bankpause, der Abwicklung zweier Großbanken, der Teil-Beschlagnahmung von Sparguthaben und Betriebsvermögen oberhalb von 100.000 Euro und dem Verkauf der Auslandsfilialen der zypriotischen Banken macht die Europäische Union ernst mit ihrem Versprechen, den Euro nicht nur zu retten, sondern auch verlorenes Vertrauen zurückzuerobern. Dazu greift die Gemeinschaft zu außergewöhnlichen Maßnahmen: Die Banken auf Zypern wurden wieder geöffnet, die EZB brachte fünf Milliarden Euro in bar auf die von rund einer Million Menschen bewohnte Insel. Und Wolfgang Schäuble persönlich garantiert nun jedem Zyprioten ein tägliches Taschengeld von bis zu 300 Euro, die direkt am Geldautomaten vom eigenen Konto abgehoben werden können (Deckung notwendig).

Eine mehr als großzügige Regelung, mit der die Euro-Finanzminister, der EZB und die Europa-Kommissare auf Herzen und Hirne der Europäer zielen. Seit gestern elf Uhr deutscher Zeit wird zurückgezahlt, haben die Banken wieder geöffnet, dürfen Inhaber von Guthaben wieder über einen angemessenen Teil ihres Eigentums verfügen. Europa zeigt sich über die Maßen großzügig, sogar die bislang verbotenen Daueraufträge für die Zahlung von Löhnen über das Onlinebanking-System sind wieder erlaubt. Zur Sicherheit patroulliert Polizei, begleitet von privaten Sicherheitsdiensten, vor den Filialen. In allen Radio- und Fernsehsendern reden Sprecher von Behörden und Institutionen den Menschen gut zu, auch in Deutschland rufen alle Sender zur Ruhe auf. Es gebe keinen Andrang, keinen Bankrun, kein Chaos, alles laufe exakt so, wie damals bei der Unterzeichnung des Maastricht-Vertrages vereinbart.

Nur zur Vermeidung "mangelnden Anscheins innerbetrieblicher Demokratie" (Volker Braun) werden alle Geschäfte mit einem Volumen von mehr als 5000 Euro überprüft. Hier bestehe der dringende Verdacht, russische Oligarchen könnten ihre Milliarden vor dem Zugriff der Retter retten wollen. Auch Zahlungen mit Kreditkarten im Ausland sind deshalb auf 5000 Euro im Monat beschränkt. Zyprer, die ins Ausland reisen, dürfen hingegen satte 1.000 Euro Bargeld mit sich führen. "Mehr braucht kein Mensch", hieß es in Brüssel, wo die neue Taschengeld-Garantie als weiteres "starkes Signal an die Finanzmärkte" gewertet wird. Jeder Spekulant wisse jetzt, dass Europa eher alle Taschengelder für alle Europäer direkt von den Konten der EZB auszahlen werde als vor der Macht der Hedge Funds, Ratingagenturen und Banker zu Kreuze zu kriechen.

Donnerstag, 28. März 2013

NSU: Gericht ohne Raum


Die beengten Verhältnisse beim NSU-Prozess in München werden immer mehr zum Problem. Im Verfahren um die NSU-Mordserie lässt der Senat des Münchner Oberlandesgerichts inzwischen gar kein Fettnäpfchen mehr aus. Nachdem bekannt wurde, dass es keine einzige feste Akkreditierung für türkische Medien gibt, obwohl acht der Mordopfer "türkischstämmig" (Tagesschau) waren, stellte sich jetzt auch heraus, dass keine griechischen Zeitungen eingeladen wurden, obwohl eines der Opfer Grieche gewesen ist. Zudem ist durch die Vergabe von sieben der 50 Medienplätze an gebührenfinanzierte Staatssender wie BR, MDR, WDR, SWR, NDR und ZDF und Deutschlandfunk und die Besetzung weiterer 50 Plätze mit Nebenklägern und Nebenklageanwälten nun offenbar auch direkte Konsequenzen für die Anklage: Nach einem Bericht der Ombudsfrau der Opferfamilien, Barbara John, ist durch die Überbelegung mit Zuschauern, Medienvertretern und Nebenklägern im Saal kein Platz mehr für die Hauptangeklagte Beate Zschäpe.

Die Akkreditierungen seien "strikt nach der zeitlichen Reihenfolge des Eingangs vergeben" worden, entschuldigte das OLG sein Vorgehen. Durch den Andrang der Öffentlichkeit, unter anderem hatte sich der türkische Botschafter angekündigt, sei der Platz im Gerichtssaal nun ausgeschöpft. Der kleine Hochsicherheitsglaskasten, der für Zschäpe aufgebaut werden sollte, nehme einfach zu viel Raum in Anspruch, hieß es in München. Beate Zschäpe, der "rassistisch motivierte Morde an neun ausländischen Kleinunternehmern sowie an einer Polizistin" (Focus) zur Last gelegt werden, könne das Verfahren in den Medien verfolgen, so lange diese berichten. "Später", sagte ein mit den Planungen vertrauter Mitarbeiter, "wird ja das Interesse schnell nachlassen, dann ist auch wieder Platz für die Angeklagte im Saal."

"Es wäre besser gewesen, den Prozess in einen größeren Saal zu verlegen", kritisierte Barbara John. Das Gericht sei selbstverständlich völlig unabhängig und es stehe natürlich niemandem zu, den Richtern Ratschläge zu erteilen. Sie hätte sich aber einen Schauprozess im Münchner Olympiastadion gewünscht, bei dem die Zuschauerplätze über das Ticketssystem des FC Bayern München belegt worden wären. "Dauerkarten der Bayern hätten aber keine Gültigkeit gehabt", heißt es in München. Bei den Grünen macht sich Cem Özdemir immer noch Gedanken um die größtmögliche weltweite Öffentlichkeitswirkung. Das Gericht sei selbstverständlich völlig unabhängig und es stehe natürlich niemandem zu, den Richtern Ratschläge zu erteilen. Aber "die Welt zu Gast bei Freunden" sei das richtige Motto, "um internationale Transparenz herzustellen". Ob man den gesunden Menschenverstand eingeschaltet habe, da mache er doch ein sehr großes Fragezeichen dahinter, sagt Özdemir der staatlichen Danachrichtenagentur dpa.

Auch der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy (SPD), kritisierte das Vorgehen. Das Gericht sei selbstverständlich völlig unabhängig und es stehe natürlich niemandem zu, den Richtern Ratschläge zu erteilen. "Ich habe die Entscheidung des Gerichts selbstverständlich zu respektieren, aber ich halte sie für ungut." Gegen ein Netzwerk aus 129 Tätern könne nicht mit nur 50 Pressevertretern vorgegangen werden. Vorbild für einen richtigen Prozess müsse die Türkei sei, die seinerzeit eigens für den Prozess gegen Apo Öcalan ein Gerichtsgebäude auf der Insel Imrali südlich von Istanbul ausgebaut hatte. Ergebnis war damals ein Todesurteil, über das auch deutsche Medien hatten zufrieden berichten dürfen.

Bereits die Entscheidung, gegen Zschäpe in München und nicht wie sonst in Naziprozessen üblich in Nürnberg zu verhandeln, sei falsch gewesen, hieß es in der Opposition. Dass sämtliche türkischen Medien den Prozess gegen die NSU nicht wichtig genug fanden, um sich pünktlich anzumelden, wollte derzeit noch niemand kritisieren. Heribert Prantl sieht in der Süddeutschen Zeitung das Gericht in der Pflicht. Hier sei eine Vorrangregelung anzuwenden, die die Abstammung der Opfer in den Mittelpunkt rücke und rassische Merkmale bei der Sitzplatzvergabe beachte. Das Gericht sei selbstverständlich völlig unabhängig und es stehe natürlich niemandem zu, den Richtern Ratschläge zu erteilen. Der "Horror der Richter vor einem Schauprozess" sei aber unangebracht. Deutschland sei ein demokratischer Staat, hier gebe es keine Schauprozesse. Wenigstens eine Live-Übertragung der Verhandlung in einen weiteren Saal sei deshalb nötig. Eine Fernsehjury - eventuell mit Dieter Bohlen, Prantl selbst und den Tokio-Hotel-Zwillingen als Ostexperten - könne von hier aus live kommentieren, benoten und testweise vorverurteilen.

Sebastian Edathy bat mit Blick auf andere Pünktlichkeitsvorstellungen in anderen Ländern um Nachsicht. "Es war ein völlig legitimer Wunsch, an dem Verfahren teilzunehmen. Es wäre eine angemessene Geste gewesen, diesem Wunsch zu entsprechen." Das Gericht sei selbstverständlich völlig unabhängig und es stehe natürlich niemandem zu, den Richtern Ratschläge zu erteilen. Aber Deutschland habe hier eine Bringepflicht, das müsse der Senat beachten.

Ein Land schreibt einen Thriller:
Das weltoffene Deutschland im Visier
Heiße Spur nach Hollywood
NSU: Die Mutter von Hirn und Werkzeug
Musterstück der Selbstentlarvung
Rettung durch Rechtsrotz
NSU: Schreddern mit rechts
NSU: Softwarepanne halb so wild
NSU: Neues Opfer beim Verfassungsschutz
NSU: Im Namen der Nabe
NSU: Handy-Spur ins Rätselcamp
NSU: Brauner Pate auf freiem Fuß
NSU: Rufmord an den Opfern
NSU: Heiße Spur ins Juwelendiebmilieu
NSU: Eine Muh, eine Mäh, eine Zschäperättätä
NSU: Von der Zelle in die Zelle
NSU: Die Spur der Schweine
NSU: Gewaltbrücke zu den Sternsingern
NSU: Gebührenwahnsinn beim Meldeamt
NSU: Nun auch auf dem linken Auge blind
NSU: Die Welt ist klein
NSU: Verdacht auf Verjährung
NSU: Weniger hats schwer
NSU: Terrorwochen abgebrochen
NSU: Rechts, wo kein Herz schlägt
NSU: Was steckt dahitler?
NSU: Neue Spuren ins Nichts
NSU: Tanz den Trinitrotoluol
NSU: Der Fall Braun
NSU: Honeckers rechte Rache
NSU: Die Mundart-Mörder
NSU-Todeslisten: Sie hatten noch viel vor
NSU: Was wusste Google?
NSU: Kommando späte Reue
NSU: Die tödliche Bilanz des braunen Terrors
NSU: Mit Hasskappen gegen den Heimsieg
NSU: Mordspur nach Möhlau

Die Sonne schickt eine Quittung


Tolle Idee damals, die die rot-grüne Bundesregierung hatte. Man erfindet ein Förderinstrument, mit dem sich eine Zukunftsindustrie aufbauen lässt. Und hat plötzlich ein ganz neues Geschäftsmodell für ein ganzes Land. Solar hieß das Zauberwort, das Milliarden mobilisierte. Die Fördermillionen lagen auf der Straße, begeistert begannen Glücksritter aller Art, in den weitgehend entvölkerten Gebieten des deutschen Ostens Fabriken aufzubauen, mit deren Hilfe die vom Staat bei den Bürger eingesammelten Ökostrommilliarden in die Taschen von Investoren geleitet werden sollten.

Ein gigantischer Plan zum Umbau einer ganzen Gesellschaft. Im Sonnenglanz der frühen Solarjahre zeigten sich so unterschiedliche Gestalten wie Jürgen Trittin und Reiner Haseloff, die Medien freuten sich über blühende Landschaften voller Hightech-Täler, die Sonne schickte keine Rechnung und die vielen Zahnärzte, Manager und Gewerkschaftsfunktionäre, die in Solarfonds angelegt hatten, jubelten über Renditen von acht, zehn und zwölf Prozent, die zu einem großen Teil bezahlt wurden von Menschen, die mit ihren Gehältern gerade so über die Runden kamen.

Es war ein Sonderweg ins Paradies, so hübsch, dass die ganze Welt sich ein Beispiel nehmen sollte. Doch statt deutsche Solaranlagen zu kaufen, begannen die Chinesen selbst welche zu bauen. Andere Länder zogen Kernkraftwerke vor, es wurde einsam auf dem deutschen Pfad zum Energieausstieg. Und teuer wurde es auch.

Denn die Solarbranche wurde effizienter. Doch sie wurde nie auch nur annähernd effizient. Für acht Milliarden Euro Fördermittel, die jedes Jahr flossen, lieferte sie gerade mal stolze drei Prozent Beitrag zur Deckung des inländischen Energiebedarfes. Hochgerechnet bräuchte „Solar“ (Claudia Roth) also nur 80 Milliarden Euro Förderung, um 30 Prozent des deutschen Energiebedarfes zu decken. Und für 350 Milliarden jährlich würde die Sonne dann wirklich gar keine zusätzliche Rechnung mehr schreiben - Deutschland, das derzeit jährlich rund 62 Milliarden für Strom ausgibt, wäre solar vollversorgt. Zum Fünffachen der heutigen Kosten.

Klingt nicht eben nach einem Zukunftsmodell – und so war es dann auch keines. Mit Bosch hat gerade ein Großkonzern sein Sonnen-Abenteuer für beendet erklärt, mit Centrotherm eine weitere deutsche Vorzeigefirma die Wafer gestreckt.

Mittlerweile, rechnet das Handelsblatt zusammen, haben die Anleger der ehemals großen Solarkonzerne an der Börse mehr als 20 Milliarden Euro verloren. Mit Ansage!

Mittwoch, 27. März 2013

Zypern: Mit Löchern gestopfte Löcher


„Wie Hitler hat Angela Merkel dem Rest des Kontinents den Krieg erklärt, diesmal um sich wirtschaftlichen Lebensraum zu sichern", schreibt Ökonomieprofessor Juan Torres López in der spanischen Zeitung El País. Nur stellt es die Eiserne Kanzlerin geschickter an als der Kunstmaler aus Österreich: Nach dem Scheitern eines ersten Versuches, die kleinen zypriotischen Sparer für das misslungene Experiment einer wirtschaftlichen Integration Europas von oben zahlen zu lassen, fand die gebürtige Hamburgerin eine Lösung, mit der alle leben können: „Russische Reiche“ und „reiche Millionäre“ müssten jetzt für die Rettung der Insel zahlen, heißt es in Berlin. Und genauso erzählen es natürlich alle Qualitätsmedien weiter.

„Diejenigen, die die Krise zu verantworten haben, sind mit in die Haftung genommen", sagt Merkel und bekommt Applaus. Kaum ein Medienarbeiter hat Lust, nach den Fakten zu schauen, die die endlich gefundene Endlösung für die Zypernrettung doch nur als das enttarnen könnten, was sie ist: Ein geschwätziger Schwindel aus Halbwahrheiten, verdrehten Tatsachen und kunstvoll gesetzten Erfindungen.

Nur an den Nahtstellen des Märchens von den „reichen Russen“, denen die griechischen Banken gehören und die Milliarden auf diesen griechischen Banken versteckt haben, dringt die Wahrheit durch. Etwa die, dass das deutsche Bundesland Brandenburg einer der Großanleger in Zypern ist: Zwei Millionen Euro aus dem Fonds zur Absicherung der Beamtenpensionen steckte Finanzminister Helmuth Markov vor zweieinhalb Jahren in die spekulativen Anleihen des Inselstaates.

Damals war bereits klar, dass Zypern aufgrund der starken Verflechtung zwischen Banken und Staat ein zweites Irland werden könne. Markov, Minister für die antikapitalistische Partei Die Linke, nahm es als Einladung. 98 Prozent des 260 Millionen schweren Pensionsfonds für die Beamten des Landes hat der Kommunist im Ausland angelegt, darunter sind nicht nur Staatsanleihen aus Zypern, sondern auch Papiere aus Irland, Spanien, Portugal sowie aus der Steuer-Oase Cayman-Islands.

Dennoch ist nicht Brandenburg die Region, die die geplante Abwicklung der beiden größten zypriotischen Banken am härtesten trifft. Auch die staatliche deutsche HSH Nordbank, die 1,6 Milliarden Euro in Zypern liegen hat, zittert nicht am heftigsten. Dank hoher Zinseinnahmen aus den Zypern-Anleihen in den vergangenen Jahren sei ein Verlust zu verschmerzen, entschuldigt der Thüringer Linken-Chef Bodo Ramelow seinen spekulationsfreudigen Brandenburger Genossen bei n-tv.

Schwieriger ist die Situation da schon für die 92.000 direkten Eigner der Laiki-Bank - die wenigsten davon sind reich wie der Russe Dmitriy Rybolovlev, der über seine Firma Odella Resources knapp zehn Prozent der Aktien kontrolliert.

Die meisten sind es nicht, die meisten wissen nicht einmal, dass sie mit drinhängen. Denn der Staat Zypern und damit die zypriotische Bevölkerung hält mit 84 Prozent den Löwenanteil der Laiki-Aktien. Da Laiki zerschlagen und aufgegeben wird, ohne dass das über eine Insolvenz erfolgt, verlieren sowohl Rybolovlev, der das verschemrzen kann, als auch der zypriotische Staat alles. Ebenso die übrigen Anleger, die allerdings eben – ganz im Gegensatz zum Eindruck, der in Deutschland vermittelt wird - nur magere sechs Prozent an dem vielkritisierten Geldinstitut besitzen.

Etwas anders sieht es bei der Bank of Cyprus aus, an der der griechische Staat direkt nur 13 Prozent hält. Trotzdem wird die von der europäischen Politik verordnete „Rettung“ auch hier eher lokale als internationale Opfer fordern: 60 Prozent der Inhaber von Aktien der Bank of Cyprus sind Zyprioten, 12 Prozent Griechen, der Rest Ausländer, allerdings keineswegs nur „reiche Russen“. Insgesamt sind unter den Shareholdern des Instituts, das sich noch vor zwei Jahren als „the strongest and most reliable among its direct competitors“ bezeichnete, 79 Prozent Privatpersonen und 20 Prozent institutionelle Anleger. Wobei unter Letzteren wiederum griechische und zypriotische Pensionsfonds, Stiftungen und kirchliche Investmentvehikel sind.

Die vermeintliche „Rettung“ wird also zuerst einmal von den Geretteten bezahlt. Einem Mittelständler, der 200.000 Euro auf dem Konto hat, um nächsten Monat seine 50 Mitarbeiter zu bezahlen, bleiben zu diesem Zweck plötzlich nur noch 160.000 Euro. Eine zypriotischen Familie, die vor fünf Jahren zu acht Euro in Aktien der staatlichen Bank of Cyprus investiert hatte, bleibt gar nichts mehr. Und einem Pensionsfonds, der das Geld seiner künftigen Anspruchsberechtigten hier geparkt hatte, fehlen nun ebenso die Mittel, um seinen Verpflichtungen nachzukommen.

Löcher über Löcher überall, die irgendwer wird füllen müssen, soll sich das Drama des griechischen Schuldenschnitts, der in der zypriotischen Bankenpleite endete, nicht in einer erneuten Kettenreaktion wiederholen. Deutsche Politiker tun so, als sei mit der „Abwicklung“ und „Schrumpfung“ der beiden großen Inselbanken alles geklärt und bereinigt, als hätten „reiche Russen“ die Rechnung bezahlt und eine kluge, weitsichtige Politik der europäischen Spitzen habe diese genialische Lösung erzwungen.

In Wirklichkeit aber reißt die „Rettung“ dieselben Löcher nur woanders auf, während die Politik auf der Bühne mit Zahlen zaubert. „Uns hat es schwer getroffen, dass die EU Griechenland 2012 einen Schuldenschnitt für private Investoren verordnete“, sagt Zyperns Ex-Präsident Georgios Vassiliou, „das hat uns 4,6 Milliarden Euro gekostet und unsere großen Banken in Schieflage gebracht.“ Die neue Rettung nun droht erneut nichts weiter zu sein als eine Verschiebung der Probleme auf die nächste lange Bank, der eine erneute Rettung in nächster Zukunft wird folgen müssen.

Baz-Online über Euro-Fantasten
Die Presse: Mit Kapitalkontrollen ins Europa der Zukunft

Gruppenbezogene Mediengewalt: Falsche Opfer, falsche Täter

Markus Söder hatte es leicht. "Seit neun Uhr wird geklagt", sagte der Minister der bayrischen Landesregierung bei der Vorstellung der Klage gegen den Länderfinanzausgleich. Es dauerte nur wenige Stunden und Söder war ein Star. Die SPD warf ihm Nazi-Jargon vor, ein aufgeregter Medienmob robbte los, um vielleicht noch einmal eine Begeisterungswoge auszulösen wie damals, als bei Olympia zurückgeritten wurde.

Söders Satz, der aus Hitlers Ankündigung "Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen" am Tag des deutschen Überfalls auf Polen im Jahr 1939 die drei Allerweltsworte "seit", "Uhr" und "wird" übernahm, das Trademark-Signet "zurück" aber ebenso wegließ wie die Hitler-Uhrzeit und das Wort "jetzt", stammte dennoch "aus dem Wörterbuch des Unmenschen", es war "geschichtsvergessen" und ein "unverzeihlicher Ausrutscher", wie ein SPD-Ehrengericht befand.

Binnen weniger Stunden hatte Markus Söder mit einem Satz so geschafft, was dem Anfang März im niedersächsischen Kirchweyhe nach einem Discobesuch totgeschlagene 25-jährige Daniel S. in zwei Wochen nicht gelang: Ihm war die überregionale Aufmerksamkeit sicher.

S. hingegen hatte allein fünf Tage benötigt, um überhaupt in den überregionalen Medien Erwähnung zu finden. Und als es dann geschah, stand nicht der brutale Mord an dem Diskobesucher im Mittelpunkt des Interesses, sondern der Umstand, dass "Rechte" sich dem Gedenken an den Toten anschließen könnten, weil der "Hauptverdächtige Cihan A. einen türkischen Migrationshintergrund haben soll", wie die "Taz" vorsichtig tastend berichtet. Könnte ja auch immer noch sein, Cihan A.s Eltern lieben einfach türkische Vornamen und A. steht für für eine kerndeutsche Familie namens "Arnold" oder "Ackermann".

Auch die "Süddeutsche Zeitung" war mit einigem Abstand zur Tat selbst alarmiert. Nicht vom Tod des jungen Mannes, der einen Streit zwischen zwei Jugendgruppen hatte schlichten wollen. Nicht von den offenkundigen Parallelen zur "Gewalttat auf dem Alexanderplatz" (Tagesspiegel), bei der ein anderer junger Mann im Herbst letzten Jahres von einer Gruppe junger Männer mit "Migrationshintergrund" (Tagesspiegel) totgetreten worden war. Sondern davon, dass "manche Gruppen den gewaltsamen Tod des jungen Daniel S. dazu missbrauchen, weiter Hass zu säen".

Guten Morgen, Rassismus, guten Tag, gruppenbezogene Mediengewalt. So sehr rassistische Übergriffe und menschenverachtende Brutalität medial begehrt ist, so lange sich die richtigen Täter die richtigen Opfer suchen, so still und schweigsam wird die Meute, wenn die falschen Täter die falschen Opfer töten. "Streit, Tritte, Tod, diesen Dreiklang zügelloser Brutalität gab es häufiger in letzter Zeit, in München oder Berlin oder Hamburg", schreibt die "SZ". Aber in Kirchweyhe komme "etwas dazu": Der mutmaßliche Täter "soll Sohn türkischer Eltern" sein.

Das waren die Täter in Berlin, München und Hamburg auch, doch hier ein Muster zu erkennen, hülfe nur den "Zündlern" (SZ), denen es doch gilt, "entgegenzutreten". Folglich argumentiert das Blatt, das einen Verweis auf die Glaubenzugehörigkeit nie scheut, rassistisch, nur eben umgedreht: Die Nationalität des Opfers habe "keine Rolle" gespielt, auch der Täter habe ja einen deutschen Pass...

Alles hier ist anders als üblicherweise, wenn Menschen von Menschen in Deutschland wegen ihrer anderen Herkunft, ihrer anderen Rasse, ihres anderen Glaubens, ihrer anderen Sozialisation angegriffen und getötet werden. Eigentlich werden alle diese Fälle nicht nur medial wochenlang engmaschig mit Reportagen aus den aus dem jeweiligen Anlass als "rechte Hochburg" und "national befreite Zone" enttarnten Geschehensorten begleitet, sondern auch durch Expertengespräche, neue Statistiken und engagiert geschriebene Kommentare geehrt. Es wird eifrigst noch mal durchgezählt, was es an vergleichbaren Taten gab, es werden interaktive Karten angelegt, Statistiken geführt, es wird um Zahlen gestritten, es gibt Talkshows, Experten treten auf, es werden Zählweisen reformiert und sogar neue Kategorien eingeführt wie zuletzt die „rechts orientierten Kriminellen“, die so rechts sind, dass selbst ein von ihnen begangener Diebstahl als originär rechte Straftat gezählt werden müsste.

Gute Taten, schlechte Taten. Dass jedes Opfer jeder Gewalttat Betroffenheit und Trauer, Empörung und Mitleid verdient und jeder Täter bestraft gehört, wird ausgeblendet, indem eine Art Opfer in einer Weise instrumentalisiert wird, die allen menschlichen Gefühlen Hohn spricht. Im Fall Daniel S. ist das falsche Opfer vom falschen Täter totgeschlagen worden, im Fall des Imbissopfers von Möhlau ermittelte nicht einmal die Staatsanwaltschaft zu ende.

Markus Söder wüsste, warum das so ist. Es geht um Reflexe, um ideologische Fertigsuppen, die Leute kochen, skrupellos und hartherzig, zynisch und menschenverachtend, um politische Ziele zu erreichen. Jede gruselige, widerliche, zutiefst rassistische Zahlenspielerei ist da recht. Jedes hingeschmierte Hakenkreuz hat in ihren absurden Statistiken dieselbe Wertigkeit hat wie ein toter Mensch und sobald ein toter Mensch den richtigen Mörder hat, gilt sein Schicksal mehr als das eines anderen Menschen, den ein viel weniger schlimmer Mörder auf dem Gewissen hat, weil sein Gewissen nicht von rechten Gedanken verseucht ist. Nicht das Opfer zählt hier mehr, sondern allein der Umstand, ob und wie es sich politisch weiterverwenden lässt.

Dienstag, 26. März 2013

EU erhöht Manager-Gehälter


Die niedrigen Grundgehälter für Europas Bankmanager haben ein Ende: EU-Staaten und Europaparlament haben sich nach einem Bericht des Deutschlandradio auf eine Erhöhung der regulären Bezahlung der Spitzenmanager von Großbanken geeinigt. Selbst Großbritannien, bislang schärfster Gegner der Regelung, macht widerwillig mit.

Wie die irische EU-Ratspräsidentschaft mitteilte, sollen die Grundgehälter künftig im Normalfall so hoch sein, dass sie die erst jüngst vereinbarten niedrigeren Bonuszahlungen kompensieren. In Ausnahmefällen können Geldhäuser ihren Topleuten dann eine Prämie in doppelter Höhe des erhöhten Grundgehalts zahlen.

Die EU-Finanzminister hatten dieser Regelung schon bei ihrem Treffen Anfang März weitgehend zugestimmt. Wegen des britischen Widerstands gegen die Regelungen waren jedoch weitere Beratungen nötig gewesen. Großbritannien hatte sich gegen Änderungen gewehrt, weil es Nachteile für seinen Finanzplatz London befürchtet.

"Das Parlament hat dem Druck der britischen Regierung widerstanden und keine Änderung an der Erhöhung von Grundgehälter mehr zugelassen", erklärte Udo Bullmann, der Verhandlungsführer der Sozialdemokraten im Europaparlament. Gegen erbitterte Widerstände aus nationalen Hauptstädten und der Finanzindustrie werde Europa nun ein Stück gerechter.

Während deutsche Medien die Neuregelung als Erfolg einer jahrelangen Propaganda-Offensive feierten, der ein weiteres Mal die ungebrochene Kampagnenfähigkeit der traditionellen Zeitung auch im Zeitalter des anstehenden Endes des Internet zeige, äußerte die polnische Zeitung "Rzeczpospolita" unverständliche Kritik, wie sie deutsche Blätter sich nie herausnahmen würden..

Es handele sich bei der neuen Regelung um "puren Populismus" und "blinde Effekthascherei", heißt es da, die Regelung sei reines "politisches Kalkül", das nur dazu diene, Wählerstimmen zu erhaschen. "Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sich die Politiker bemühen, gleich alle Wünsche der Konsumenten und Firmen zu erfüllen. Vorschriften regeln nun, welche Glühbirnen wir benutzen sollen oder wen die Unternehmen in den Aufsichtsrat wählen müssen. Und jetzt sehen sie auch noch vor, wie hoch die Prämie für Banker sein darf", nörgelte das Blatt. ."

Hades-Plan: Ganz nah dran


Weltgeschichte im Zeitraffertempo: Nur knappe 22 Jahre nach Verabschiedung des Hades-Planes zur Eroberung Europas über eine monetäre Sparwirtschaft und späteren direkten Regierung des Kontinents aus der Position des Großgläubigers ist mit Zypern der erste Partnerstaat der EU unter direkte deutsche Verwaltung geschlüpft. 24 Stunden nach der als "Rettung" verkauften Übernahme der Regierungsverantwortung auf der Mittelmeerinsel durch den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble schaute Zyperns Präsident Nikos Anastasiades den Realitäten ins Auge: "Ich kann Ihnen nicht sagen, dass wir glücklich sind." Er habe den Eindruck, dass Zypern nicht so behandelt worden sei wie die anderen Partner. "Vielleicht weil wir so klein sind?"

Aber sicher doch. Als eine Gruppe von zu allem entschlossenen Männern um den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl Europa im September 1991 im Bonner Kanzlerbungalow zusammenkam, um die Ergebnisse des Ersten und Zweiten Weltkrieges nach dem Motto "Lieber das ganze Europa ganz als das halbe Deutschland halb" ungeschehen zu machen, sahen die Planungen ein stufenweises Vorgehen vor. Die geheime Hades-Planungspapiere, die später durch den ehemaligen Stasi-Offizier Werner Hasters aus dem Archiv der Dresdner Gauck-Behörde entwendet und veröffentlicht worden waren, beschreiben detailgenau und in allen erschütternden Einzelheiten, wie über eine Gemeinschaftswährung ("Honig-Topf) zuerst wirtschaftliche Konvergenz simuliert und die "Freunde in Portugal, Spanien, Italien und Griechenland" (Wolfgang Schäuble) dann später mit der Schuldenwaffe in eine Kreditknechtschaft gezwungen werden sollten. Deutschland werde als Retter eingeritten kommen, aber "wir retten nur gegen Gehorsam", hatte der Altkanzler damals schon eine klare Linie vorgegeben.

An die hält sich auch der derzeitige Euro-Gruppen-Chef Dijsselbloem, der den amtsmüden Jean-Claude Juncker nach Ende der Phase drei der Umsetzung des Hades-Planes abgelöst hatte. Jeroen Dijsselbloem kündigte an, dass deutsche Hilfe in Phase 4 der Rettung nicht mehr automatisch garantiert sei. Vielmehr müssten Staaten, die Hilfe wollen, Aktionäre, Gläubiger und Kunden von ins Wackeln geratenen Geldinstituten an den entstehenden Kosten für die Weiterführung des europäischen Projektes beteiligen. Alles andere würde heißen, die "Axt an die Keimzelle der europäischen  Integration zu legen", wie der CSU-Politiker Hermann Gröhe bei "Plasberg" warnt.

"Wenn Banken in Probleme geraten, kommen wir nicht automatisch, um sie zu lösen", sagte Dijsselbloem anstelle des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble, der seinerzeit direkt an der Hades-Planung beteiligt war, die Fäden aber bis heute eher lieber aus dem Hintergrund zieht und sich für den Erhalt des Ringens als olympische Sportart einsetzt.

Die Realisierung aber läuft wie am Schnürchen, begleitet nur von einigen Nebengeräuschen in den Ländern, die sich als Opfer des Hades-Planes sehen. "Deutschland steht wieder einmal als Buhmann da", schreibt der "Spiegel", "es war in Irland so, in Portugal, Spanien und Griechenland, und so ist es jetzt in Zypern". Die gebeutelten Menschen seien "wütend auf Kanzlerin Angela Merkel und ihren Chef-Verhandler Schäuble, Hass schlägt ihnen entgegen, weil sie ihr Spardiktat in ganz Europa durchsetzen würden".

Der "Spiegel" spart sich eine Erklärung, welche Absicht dahintersteht, doch der britische Historiker Brendan Simms spricht in der Wochenzeitung "New Statesman" Klartext zu "Welle der Germanophobie in Europa" (Spiegel), die wittert, welches Ziel hier verwirklich werden soll: "Spanien, Portugal, Italien, Griechenland, vielleicht Irland, die Inseln, Frankreich, Österreich. Ohne einen Schuss. Die einfachsten Pläne sind die besten", zitiert das Hades-Protokoll vom 27. September 1991. "Es ist immer so, es ist auch in Klassen so: Wenn man manchmal bessere Ergebnisse hat, sind die anderen, die mehr Schwierigkeiten haben, auch ein bisschen neidisch", sagte Schäuble im ZDF.

Lieber spät als nie: Luxemburg beschwert sich über deutsche Hegemonie

Montag, 25. März 2013

Euro-Rettung: Immer wieder sonntags


Immer wieder am Wochenende, immer wieder sonntags und dann am besten bis tief in die Nacht: Nach dem erneuten sonntäglichen Rettungsgipfel zur Stabilisierung des Euroerfolges hat die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft die zunehmende Wochenendarbeit im vereinigten Europa kritisiert. „Für immer mehr Beschäftigte wird der Sonntag zum Werktag", prangert die CDA an. Dieser Trend müsse gestoppt werden“, sagte Sonntagsaktivistin Gabriele Voll-Oelke unter Bezugnahme auf den Sonntagsaktionstag von Kirchen und Gewerkschaften, mit dem das Bündnis alljährlich an das Jahr 321 erinnert, in dem Kaiser Konstantin den Sonntag zum Ruhetag erklärt hatte.

Die aktuellen Entwicklungen sprächen dem kaiserlichen Verdikt Hohn, wie die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag berichtet. Rettungspolitiker wie Wolfgang Schäuble seien trotz ihres fortgeschrittenen Alters immer häufiger von Freitag nach Büroschluss bis zum Öffnen der Börsen in Fernost in der späten Sonntagnacht. Für Beschäftige mit diesem Schichtrhythmus steige das Risiko von psychischen Belastungen, zudem bestünden "erhöhte gesundheitliche Risiken", warnt die Bundesregierung.

Europa Rettung aber verträgt sich nicht mit dem deutschen Arbeitszeitgesetz, wie Wolfgang Schäuble eigene Rechtsbrüche einräumt. "Es gibt Sitzungen in Brüssel, da ist die Nacht lang und der Schlaf kurz", gesteht der Finanzminister. Dann komme er "nicht so früh ins Bett, wie ich das gerne hätte".

Übernächtigt, übermüdet und vor Erschöpfung kaum noch bei sich rettet Wolfgang Schäuble (Bleistiftskizze aus dem Verhandlungssaal oben), retten Martin Schulz, Herman Van Rompuy, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, Währungskommissar Olli Rehn, EZB-Präsident Mario Draghi und IWF-Chefin Christine Lagarde so inzwischen beinahe jedes Wochenende irgendein Land. Bei Michael Musbach und Erich Leichner, den Sprechern der Castrop-Rauxeler Sonntagsallianz, sorgt das für Empörung. „Wir brauchen den Sonntag als arbeitsfreien Tag für möglichst viele Menschen, damit wir Zeit für die Familie und Freunde haben", kritisieren die Aktivisten. Zwar gewährleiste das Grundgesetz im Artikel 140 den Sonntag als staatlich anerkannten Feiertag, aber in der Praxis verlöre der geheiligte Sonntag gerade für Politiker und hohe Rettungsbeamte immer mehr an Verbindlichkeit. Waren Mitte der 90er Jahre abgesehen von gelegentlichen Fernsehauftritten bei akuten Ereignissen zwischen Freitag ab eins und Montagmorgen kaum Einsätze üblich, gilt für Minister, Energiewender, Oppositionswahlkämpfer und Ministerialbürokraten inzwischen ständige Anwesenheitspflicht in Medien und Rettungsrunden. Talkshows müssen zugequatscht, Danachrichtensendungen mit kurzen Einspieler gefüllt werden, zudem sind Parteitage zu besetzen und auch im Kabinett muss der Rettungskurs koordiniert werden.

Aus gelegentlich wurde zuerst regelmäßig, dann ständig warnt das Statistischem Bundesamt vor einem Trend hin zur Sieben-Tage-Woche für Retter. Jeweils in der Woche werde das normale Geschäft abgewickelt, am Wochenende dann in Brüssel weiterregiert. „Ich finde es schon sehr merkwürdig“, so Sonntagsaktivist Erich Leichner, „dass die zunehmende Beschleunigung aller Lebensvorgänge, mit allen ihren negativen Begleiterscheinungen, häufig kritisiert wird, man gleichzeitig aber eine wohltuende Atempause als Sozialromantik abqualifiziert.“ Seine Bewegung werde nicht nachlassen, "den Sonntag als Grundlage für eine humane Gesellschaft zu erhalten“.

Kampagnenseite: Sonntags gehört Schäuble mir

Endspurt rettet Rechte

Aufatmen beim Berliner Tagesspiegel, wo die Experten noch Mitte Februar in großer Sorge um die Zukunft des Rechtsextremismus gewesen waren. Es deute sich "offenbar eine rückläufige Tendenz gegenüber 2012 an“, nörgelte Nazi-Berichterstatter Frank Jansen nach neuen amtlichen Zahlen, denen zufolge die Zahl rechtsextremer Straftaten zum vierten Mal in Folge zurückgegangen sein sollte. Engagierte Jobs standen auf dem Spiel, bürgerschaftlich engagierte Drittmittel-Projekte zum Kampf gegen rechts waren bedroht, Aussteiger-Initiativen bangten engagiert um Fördergelder und in vielen engagierten Redaktionstuben ging die Angst um, für weniger rechte Straftaten künftig auch weniger Platz im Blatt zu erhalten.

Bis zum Februar hatte die Polizei nur 13.635 rechte Delikte zählen können - zuwenig, um Projekte, Netzwerke und die dazugehörige Berichterstattungsindustrie dauerhaft zu unterhalten. Wohin dann aber mit all der Tinte? Mit all den penibel und medienwirksam geführten Listen der Toten rechter Gewalt, aus denen sich richtig cooler Datenjournalismus machen lässt?

Zum Glück kommt jetzt Hilfe aus dem Bundesinnenministerium, das wegen des zunehmend akut werdenden Mangels an originären rechten Straftaten die funkelnagelneue Umschreibung „rechts orientierte Kriminelle“ eingeführt hatte. In einem engagierten Schlussspurt ist es so gelungen, die Statistik doch noch zum Erfolg zu führen. "Die Zahl rechter Straftaten ist im Jahr 2012 gegenüber dem Vorjahr weiter angestiegen", freut sich der "Tagesspiegel" in einer Formulierung, die nach fünf Jahren permanent zurückgehender Zahlen bei rechten Straftaten schon von einiger Formulierungkunst zeugt.

„Unseren ersten vorläufigen Zahlen zufolge zeichnet sich ein Anstieg bei den politisch rechts motivierten Straftaten von circa vier Prozent auf rund 17 600 ab“, habe Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich eine geradezu erlösende Nachricht verkündet. Unheimlich fleißig hätte Deutschlands ausgezehrte Rechte in den letzten Wochen Hakenkreuze geschmiert , Zahlenkombinationen verwendet und Hitlergrüße gezeigt. Mit Hilfe zusätzlich aus Osteuropa verpflichteten Billiglohnkräften gelang es so, binnen nur fünf Wochen noch einmal 4000 rechte Taten zusätzlich zu den bis dahin angefallenen 13.635 zu organisieren.

Nicht ganz klar ist allerdings, worauf sich der Innenminister bezieht. Im Bereich "Politisch motivierte Kriminalität – rechts" wurden nach früheren amtlichen Angaben des Innenministeriums im Jahr 2011 16.873 Taten registriert. Ein Plus von vier Prozent ergäbe demnach eine Zahl von 17548 für 2012. Eine Differenz von 52 Fällen zur vom Minister genannten Zahl. Gesetzt den Fall, Friedrich rechnet von 17.600 rückwärts, wäre eine Zahl von 16.896 Fällen im Jahr 2011 richtig gewesen, eine Differenz von 23 Taten zum jetzt genannten Wert.

So oder so werden Opfer verschwiegen, verhöhnt und damit ein zweites Mal ermordet. Noch ist völlig unklar, wie viele Tote betroffen sind, denn ausgerechnet der "Tagesspiegel" spielt hier die unrühmliche Rolle des Verharmlosers: Während die Antonio-Amadeo-Stiftung eine Zahl von 183 Toten durch rechte Gewalt in Deutschland seit 1990 angibt, behauptet das Berliner Blatt bis heute, es habe nur 152 Opfer gegeben.

Innenminister Friedrich sagte unterdessen zu, die Zahl der Todesopfer durch rechtsextreme Gewalt mit den Landesinnenministern neu zu besprechen. Mit dem "Kampf gegen rechts" (Angela Merkel) befasste Gruppen hatten zuletzt vorgeschlagen, auch Fälle, in denen rechte Gruppen Tote durch Gewalt im Nachhinein dreist für ihre Zwecke instrumentalisieren, in der Statistik zu berücksichtigen.

Sonntag, 24. März 2013

Idioten gegen Zyprioten


Die grüne Fachfrau Priska Hinz macht es natürlich korrekt. "Zyprisch" nennt sie die Banken Zyperns, "zyprisch" nennt sie auch die Regierung Zyperns und "Zyperer" sind die Einwohner Zyperns. "Ich bedauere das Votum des zyprischen Parlaments", sagt Angela Merkel. Auch der "Spiegel" macht mit: "zyprisch" heißt hier das Finanzministerium, "zyprisch" nennt die Süddeutsche die Kirche dort, "zyprisch" ist beim "Nibelungen-Kurier" der "pleitebedrohte zyprische Staat".

Der zyprische Staat? War die Insel nicht eben noch in zwei Teile geteilt, von denen der griechische "zypriotische" genannt wurde, während die gesamte Insel "zyprisch" hieß? Hat es dort eine Wiedervereinigung gegeben? Einen Mauerfall wie in Berlin? Den "zypriotischen Präsidenten" gibt es noch beim Trierschen Volksfreund, die "Zyprioten" im Deutschlandradio. Sonst aber - fort. Verschwunden in einem Sprachgebrauch, der sich selbst verrät. Früher, in Zeiten, in denen Worte noch nicht zuallererst emotionalen Vorgaben gehorchen mussten, war die Sache klar. "Zypriotisch" war alles, war im griechischen Teil war. "Zyprisch" dagegen, was Norden und Süden gemeinsam hatten.

Logisch und verständlich, aber inzwischen nicht mehr angesagt. Obwohl der Duden "Zypriot" als als „Zyperngrieche“, „Zyprer“ hingegen als „Bewohner von Zypern“ definiert, ist ersterer am Aussterben. So wie der Neger aus der Mediensprache ausgemerzt wurde und der traditionell gebräuchliche "Moslem" nach dem 11. September 2001 dem "Muslim" Platz machen musste, weicht der "Zypriot" dem "Zyprer".

Das allwissende Online-Lexikon Wikipedia gibt passenderweise einen Hinweis auf die Hintergründe. "Keine dieser Bezeichnungen enthält eine abwertende Nuance", heißt es da zu "zypriotisch" und "zyprisch". Und gemeint ist natürlich nur der "Zypriot", der klanglich nahe bei "Idiot" wohnt. Diese eingebildete Nähe reicht für die Angst, falsch verstanden zu werden. Und für den Drang, "zypriotisch" durch "zyprisch" zu ersetzen. Richtig sprechen, auch wenn es falsch ist: Idioten sagen nicht mehr Zyprioten, sondern zyprisch. Eigentlich typisch.

Doku Deutschland: Künast und die Ghettokinder


Es ist eine Heldengeschichte unserer Zeit, unbesungen von der breiten Medienlandschaft, und doch wahr. Eine Frau geht seinen Weg zur nächsten Bundestagswahl, direkt dorthin, wo es wehtut, wo Echtmenschen leben, die weder Diäten haben noch Diät machen. Unbeobachtet wähnte sich die Heldin hier, nur begleitet von Duhastdiemacht - der Politikplattform für junge FDJler. Tief tauchte sie ein, um Leben zu riechen, wie es wirklich ist, stinkend manchmal und unförmig.

Obwohl es nach dem atemberaubenden Abenteuer in der Unterwelt eine Pressemitteilung gab, schwiegen die Großmedien das Ereignis tot. Niemand berichtete von der gewagten Begegnung der grünen Spitzenfrau mit dem fröhlich dreinschauenden Ghettovertreter, nicht einmal die taz.

Wenigstens PPQ aber bricht das unausgesprochene Schweigegelübte und dokumentiert den Ausflug von Renate Künast in ein Berlin, das noch nicht ansatzweise für eine artgerechte grüne Lebensweise gentrifiziert ist, in der mehrfach preisgekrönten Serie Doku Deutschland. Dazu singt ein Mundartdichter aus der betroffenen Region "es ist Realität / jede Zeit, die vergeht".

Am 12. Februar 2013 traf sich Renate Künast (Bündnis 90 / Die Grünen, Direktkandidatin für die Bundestagswahl 2013 Schöneberg-Tempelhof) persönlich mit dem jungen Rapper Matondo, um mit ihm über die Situation junger Migranten in Tempelhof zu diskutieren.

Der 19-jährige Matondo Castlo ist selbst in Tempelhof aufgewachsen und übt in seinem Track „42bars“ harsche Kritik am eigenen Kiez: „Auf der Straße siehst Du tote Gesichter, Narben von Messern, zehn Zentimeter. Also, attention, pass auf wem du traust, so viele Leute haben ihre Seele an Casinos verkauft“, so ein paar Zeilen aus seinem Video. Drogen, Kriminalität Perspektivlosigkeit sind die Dinge, mit denen sich die Jugendlichen im Wahlkreis von Renate Künast tagtäglich konfrontiert sehen.

„Matondo hat mich gelehrt, was hier unter Jugendlichen eigentlich so abgeht,“ so Künast nach ihrem Treffen mit dem jungen Rapper.

Die Begegnung zwischen Künast und Castlo fand im Rahmen des politischen Online-Projekts RAPutation statt, das „politikferne“ junge Erwachsene zwischen 14 und 24 Jahren an politische Themen heranführt und ihre Stimme in die Gesellschaft trägt. Geschickt verknüpft RAPutation dabei das unter Jugendlichen beliebte Format der Castingshow mit Social Media- Elementen und sozialkritischem Rap, der vor allem unter bildungsfernen jungen Menschen nach wie vor DAS Vehikel ist, um Ängste und Frustrationen zu thematisieren. Ziel des Projekts ist es, junge Meinungen sichtbar zu machen, die sonst eher selten im gesellschaftlichen Diskurs Gehör finden – und diese an die Politik weiterzutragen.

Mehr Doku, mehr Deutschland:
In Beifallsstürmen
In der Markttransspaernz-Zentrale
Copy and Waste
Der vierte Mann der NSU
Mein Leben als Escort
Ich, der Umweltbotschafter
Grass endlich geehrt
Beim letzten deutschen Autofahrer
Bekenntnisse eines Blitzkriegers
Wahrheit ist flexibel
Ein Land aus Pfand
Sorgen auf der Sonnenbank
Rock an der Rütlischule
Schwimmen mit Sirenen
Hausbuchführer im Widerstand
Ich dagegen bin dafür
Der Marcellator der Herzen
Die Stimme des Bauchtrainers
Am Tresen verhaftet

Zu gut und günstig

Die deutsche Bundesregierung will Belgien vor der Europäischen Kommission wegen Wettbewerbsverhinderung anklagen. Die belgische Regierung lasse es zu, dass insbesondere westeuropäische Arbeiter in Niedriglohnsektoren keine Arbeit mehr fänden, kritisieren Arbeitsministerin Ursula von der Leyen und Wirtschaftsminister Philipp Rösler.

Weil es in Deutschland keinen allgemeinen Mindestlohn gebe, müssten belgische Schlachthöfe, Gartenbaubetriebe oder Sägemühlen ihre Dienste so ungünstig anbieten, dass ihre deutschen Wettbewerber im klaren Vorteil seien. Das sei zwar gut für Deutschland, aber schlecht für Europa.

Die Kritik der deutschen Regierung dreht sich vor allem um die Beschäftigung von Arbeitern aus den EU-Staaten in belgischen Schlachthöfen, die für einen Mindestlohn arbeiten. Inzwischen sei es billiger, belgisches Vieh in Deutschland zerteilen zu lassen und anschließend nach Belgien zurückzutransportieren, als es in Belgien zerteilen zu lassen, sagte Rösler. Da es in diesen Branchen einen Mindestlohn gebe, verstoße die hohe Bezahlung auch gegen kein Gesetz.

Samstag, 23. März 2013

Fremde Federn: Von Spasten und Phantasten


Die Einigkeit war groß, gerade in den großen Zeitungen. Frei.Wild, das ist das neue Gesicht des Rechtsextremismus, eine Band, die normalerweise verboten gehört, wenigstens aber keine Auszeichnung mit dem "Echo"-Preis für massenkompatiblen Stumpfsinn bekommen darf. Engagierte Jungrocker in einheitlicher Uniform protestierten aufrecht gegen die Nominierung der Konkurrenten, Rechts-Experten klärten über die subtile Art der Südtiroler auf, rechts zu sein, indem sie nicht den Holocaust, sondern das Rechtssein leugneten.

Wie immer zog der Sturm vorüber. Wie immer gelang es der "taz", die ursprünglich selbst einmal ein Minderheitenblatt in einer andersdenkenden Mehrheitsgesellschaft war, die Vorwürfe abschließend ganz kompakt zu formulieren: Bei freiwild gehe es "um scheußliche Dinge wie Heimat, Ehre und Tradition", hieß es da angewidert.

Die Welle aber rollt zurück, ausgerechnet in der "Zeit", die eigentlich immer an der Spitze von neuen Verbotsbewegungen steht, formuliert Harald Martenstein jetzt private Bedenken gegen die Auflage an Rockmusiker, das Parteiprogramm der Grünen vertonen zu müssen, um als gesellschaftlich wertvolle Kräfte anerkannt zu werden.

Als alter Rock'n'Roller habe er mitbekommen, "dass sie eine rechtsradikale Band, die für den Musikpreis Echo nominiert war, wegen Rechtsradikalismus wieder ausgeladen haben", schreibt Martenstein. Daraufhin habe er sich die wichtigsten Textbelege für den Rechtsradikalismus dieser Band angeschaut. da hieß es dann, die Band singe den Satz »Südtirol, wir tragen deine Fahne« und verwende Wörter wie »Helden« und »Volk«.

Martenstein gesteht, perplex gewesen zu sein. "Weil David Bowie doch Heroes gesungen hat und John Lennon Power to the People." Seiner Ansicht nach sei Lennon nie ein echter Nazi gewesen. Und Bowie habe zwar in Deutschland gelebt, "aber doch nicht aus Liebe zu Adolf Hitler".

Das Frei.Wild-Zitat: »Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat. Ohne sie gehen wir unter« könne seiner Ansicht nach "auch irgend so ein bedrohter Indianerstamm im Amazonasgebiet singen". Die Südtiroler seien ja eine Minderheit, die es nicht immer leicht gehabt hat.

Auch der zweite Beweis für das Nazitum der Band überzeuge ihn nicht. "Ich scheiße auf Gutmenschen und Moralapostel klinge für ihn eher nach Heiner Lauterbach als nach Nazis. Nach Ansicht eines Extremismusexperten bedeuten diese Sätze aber eine »harte Absage an eine moderne Gesellschaft«.

Martenstein kapiert es nicht. "Wieso muss denn jeder für die moderne Gesellschaft sein? Ich schwöre bei der Fahne Südtirols, dass ich mich niemals piercen lasse, und ich trinke auch keinen Bubble-Tea, egal, wie modern es ist". Ebenso steht es mit dem Vorwurf eines anderen Experte, der gesagt habe, zu den Vorbildern der Naziband gehöre der Politiker Heinz Buschkowsky. Buschkowsky ist in der SPD! "Wenn sogar die SPD schon faschistisch ist, Himmel, was bleibt dann noch übrig?" Offenbar solle man in der modernen Jugendmusik immer nur, Song für Song, das grüne Parteiprogramm vertonen.

Der Rest des tollen Textes, in dem es um die Texte der früheren Echo-Gewinner Sido und Bushido, um Spasten, Michel Friedman, Scheiße und Ressentiment gegen Behinderte und Juden geht, steht hier.

Zypern: Wie die Krise funktioniert


Zypern, Zypern, Zypern schon seit einer Woche, und noch immer ist den meisten Deutschen völlig unklar, wie die Krise funktioniert, mit deren Hilfe der Rechtsstaat im vereinten Europa zeit- und regionsweise suspendiert und die Demokratie ein weiteres Stück sturmreif geschossen worden ist. 65 Milliarden Euro, so versichern die Leitmedien unisono, lägen auf zypriotischen Bankkonten, etwa 25 Milliarden davon gehörten Ausländern, der Großteil davon "reichen Millionären" (ARD-Morgenmagazin) aus Rußland und der Ukraine.

Gleichzeitig versichern dieselben Experten ihrem erstaunten Publikum, seien die zypriotischen Banken pleite. Die Guthaben der Kunden in Höhe von 65 Milliarden Euro seien eigentlich nur mit bestenfalls 15 Milliarden Euro Eigenkapital unterlegt - Zyperns Banken könnten also im Falle eines Falles nur ein Viertel ihrer Gläubiger auszahlen. Nur ein steter Strom an Notgeldern aus den Großgeldquellen der EZB halte die drei zypriotischen Großbanken aufrecht.

Um das zu ändern, habe der Plan der Euro-Gruppe vorgesehen, 5,8 Milliarden Euro der Gesamtguthaben aus dem Eigentum der Kontoinhaber abzuschöpfen und sie den Banken zu überlassen, um diese zu retten. Nachdem dieser Plan gescheitert sei, drohe nun der Zusammenbruch der Geldinstitute.

Auch der in fünf Jahren Permanentkrise gestählte Rettungsleser stutzt hier kurz. Wenn die Banken pleite sind, weil die von ihnen für Kunden verwahrten Einlagen gar nicht wirklich komplett existieren - sie existieren nie und bei keiner Bank weltweit - wie kann dann ein staatlich verordneter Abzug von rund neun Prozent der gesamten Guthabensumme, die ja in Gänze nicht existiert, dazu führen, dass die Banken gerettet sind? Selbst wenn die Europäische Union zu den 5,8 Milliarden, die von den nur zu einem Viertel gefüllten zypriotischen Bankkonten gezogen werden, zehn Milliarden zuschießt: Ein Loch bleibt ein Loch, und wer Loch mit Löchern füllt, bekommt, was er hat: Ein Loch.

Der Trick ist also ein anderer, denn mit ihm verdoppelt sich das fehlende Geld auf wundersame Weise - und es wird gleichzeitig vom Fehlbetrag zum Guthaben. Der Abzug der 5,8 Milliarden nach dem Enteignungsplan der Euro-Gruppe hätte die Verbindlichkeiten der zypriotischen Banken bei ihren Kunden nämlich um eben jene 5,8 Milliarden vermindert. Gleichzeitig hätte er die Eigenkapitalposition der Banken um eben jene 5,8 Milliarden erhöht. Neue Rechnung: 65 Milliarden Verbindlichkeiten hätten nicht mehr 15 Milliarden Eigenkapital gegenübergestanden, sondern 59 Milliarden Verbindlichkeiten wären mit 21 Milliarden plus 10 weiteren Milliarden von der EZB unterlegt gewesen.

Ein Geldzauber aus den Finanzlaboren einer Staatengemeinschaft, die sich eines Tages vermutlich noch selbst in einem Credit Default Swap derivatisieren und hochprozentig weghebeln wird, um an einem großen, nichtsfarbenen Rettungsschirm aus unsichtbarer Finanzseide unbeobachtet in den Brieftaschen ihrer Untertanen zu landen.

Wenn Wolfgang Schäuble sagt, der zypriotische Finanzsektor müsse die Last mittragen, dann meint er genau das. Alchemie. Die 5,8 Milliarden, die Zypern zur eigenen Rettung hätte beisteuern sollen, existieren ebensowenig wie drei Viertel des Restes der Buchguthaben, weil die zypriotischen Banken mit dem im vergangenen Jahr von den Euro-Staatenlenkern weitsichtig gefassten Beschluss zu einem Schuldenschnitt für Gläubiger griechischer Staatsanleihen Milliarden dort angelegte Euro verloren.

Die Zyprioten haben die Lektion gelernt. Ihr Plan eines "Rettungsfonds" fußt auf demselben Prinzip der gehebelten Versprechungen: Neben allerlei Guthaben und Immobilien der Kirche, deren Guthaben nur auch nur zum Teil wirklich existieren (siehe oben) und deren Immobilien derzeit wahrscheinlich kaum zu lukrativen Preisen vermarktbar wären, steckt die zypriotische Regierung ihr Versprechen in den Pott, die von den zypriotischen Arbeitnehmern erworbenen Rechte auf Zahlung einer Rente eines Tages wirklich einlösen zu können.

Dieses virtuelle Buchvermögen soll nun aber nicht "verscherbelt" werden, wie das n-tv-Premiummoderatoren und dpa-Berichterstatter der Einfachheit halber annehmen. Nein, wie in Europa bis hin zum ESM üblich soll es beliehen werden, dient also als Sicherheit für den, der das Risiko eingehen möchte, sein Geld gegen die Zusicherung zu verleihen, es eines Tages zurückzubekommen. Oder aber das Recht zu haben, als Ausgleich Kirchenimmobilien und Kleinsparerrenten zu erhalten.

Letztlich wird die Logik deutlich: Hier soll sich nicht nur ein Mann am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Nein, der Mann hat auch keine Arme. Und eine Glatze obendrein.

Freitag, 22. März 2013

Francke: Überhöhung eines Ungeheueren


Seinem Wiedergänger gelang es unter dem Applaus der Einwohner seiner Stadt, einen gut etablierten Jugendklub zu schließen - da war August Hermann Francke, zu dessen Wirkungsgeschichte das Vertreiben und Verjagen aller, die anders lebten, dachten und glaubten stets gehörte, schon 230 Jahre tot und so gut wie vergessen. Doch dann gelang der Pietistenprediger, der 1698 am Rande der Stadt Halle ein Waisenhaus gegründet hatte, ein sensationelles Comeback: Aus dem verknöcherten Strenggläubigen, der zu Lebzeiten den Aufklärer Christian Wolff so lange als angeblichen Atheisten gemobbt hatte, bis er die Saalestadt verlassen musste, wurde ein Samariter, Wundertäter und Kinderfreund, dem zum 250. Todestag Kränze gewunden und Hymnen gesungen werden.

Francke gilt der ehemaligen Wirtschaftsmetropole als Standortfaktor, seine „Franckeschen Stiftungen zu Halle“ sollen über kurz oder lang einen Unesco-Welterbetitel an das Hallorenhemd der von Abwanderung und überbordenden Schulden geplagten Stadt heften helfen. Francke, außerhalb der HFC-Fankurve (Foto oben) nahezu unbekannt, erfährt deshalb seit Jahren eine "Verherrlichung" (Knut Germar), "die sich die historische Wahrheit auf eine Weise zurechtbiegt, dass dieser als Wegbereiter eines sozialen und weltoffenen Halles gelten kann". Francke steht in der Wahrnehmung der Gegenwart für fortschrittliche Erziehung, Engagement für die Armen und Schwachen und „Einsatz für die arme und Not leidende Bevölkerung“. Seine Sorge habe "vor allem den verwaisten und verwahrlosten Kindern“ gegolten, sein pietistischer Glaube habe „gegen versteinerte kirchliche Riten, gegen barocke Scheingelehrsamkeit“ sowie „gegen die in Dogmen erstarrte lutherische Orthodoxie“ Front gemacht und „umfassende Gesellschaftsreformen mit sozialer Tatkraft und moderner Pädagogik“ gefordert.

Ein Bild, dem der Historiker Germar schon vor Jahren widersprochen hat. "Der Pfarrer war jedoch weder Kinderfreund, noch war die Geistesrichtung, zu deren Anführer er avancierte, eine fortschrittliche", urteilt er. Zentral am Pietismus, dem Francke anhing, sei eine "radikale Weltfeindlichkeit" gewesen, "die überall Sünde, Verderbnis und den Teufel am Werk sah". Francke scheint aus heutiger Sicht nicht wie ein Reformer, sondern wie ein christlicher Taliban: materieller Gewinn, Mode, Theater, Spielen, Tanzen und Trinken, all das ist ihm verpönt. "In diesen Dingen sah der Tugendwächter Francke das gefährlichste Hindernis eines gottgefälligen Lebens, weshalb er sie Zeit seines Lebens mit fanatischem Eifer bekämpfte", schreibt Germar.

Franckes „soziales Engagement“ sei "alles andere als ein wohltätiges und menschliches" gewesen. Die Erziehungs- und Arbeitsanstalt, die er gründete, diente vor allem der Vermeidung jeglichen Müßiggangs und einer damit verbundenen Hinwendung zu weltlichen Freuden, die der verführende und lockende Teufel überall bereithielt. Die Insassen durften die Anstalt kaum – und wenn, dann nur unter strengster Bewachung – verlassen, die Schüler waren zugleich Gefangene. Auch der Historiker Carl Hinrichs betont, dass das Hauptziel der franckeschen Erziehung im Herbeiführen eines religiösen Erweckungserlebnisses bestand: „Franckes Pädagogik erstrebt […] eine Wiederholung des eigenen Heilserlebnisses durch geistige Disziplin und weltfeindlichen Drill.“

Ein Kandidat für den Titel bei Deutschland sucht den Menschenschinder: Zum Drill gehörten nicht nur Zwangsarbeit und die Abschottung der Anstaltsinsassen von der Außenwelt, sondern ein strenges nach Innen gerichtetes Regime, das selbst noch die Gedanken der Zöglinge beherrschen wollte. "Neben unzähligen Bibelstunden, Andachten und Predigten sowie der permanenten Überwachung durch die mit den Schülern zusammenlebenden Aufseher und Lehrer forderte Francke von den Kindern täglich schriftliche Rechenschaft über den Zustand ihres Glaubens in Form von Tagebucheinträgen und Briefen", schreibt Knut Germar. Wer nicht spurte, wurde körperlich gezüchtigt, bald war die Stiftung als Prügelanstalt verschrieen. Francke selbst beklagte das, weil es den Ruf der Anstalt zu schädigen schien: „Es ist auch wohl geschehen, dass wenn Kinder mit dem Stocke geschlagen sind, 12, 15 Schläge nacheinander, nicht einmal geschlagen, sondern wieder über die Kinder hergefahren, dadurch denn ein solch jämmerlich Geschrei unter denen Kindern entstanden ist, dass Leute sind auf der Straßen gegangen, stille gegangen, haben das mit angehört, und sind denn in solche Worte ausgebrochen, es müssen ja rechte Schinder-Knechte in der Schule sein.“


Nachhaltig aber war der Imageschaden nicht. Obwohl Francke als Erziehungsziel ausgab "die Herrschaft des eigenen Willens" niederzulegen und so gefügige Untertanen heranzuziehen, die Gehorsam und Fleiß auszeichnet, ist der "Schinder von Glaucha" heute hochangesehen. Zur Festveranstaltung zu seinen Ehren kommen heute auch Bundespräsident Joachim Gauck und Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), kein Wort wird in Europas größtem erhaltenen Fachwerkhaus über Franckes Vorarbeit für die Schaffung einer deutschen Volksgemeinschaft, wie sie die die NSDAP nach Germars Ansicht bei dem Glauchaer Pfarrer entlieh. Und nicht erwähnt werden wird auch, wie Francke den lebensnahen Aufklärer Christian Wolff („Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen zu Beförderung der Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts“) mobbte, dass der Konkurrent die Stadt schließlich verlassen musste.

Francke blieb, seine Stiftungen avancierten zur Vorzeigeanstalt und wurden nach dem fortschreitenden Verfall zu DDR-Zeiten nach dem Mauerfall mit Millionenaufwand saniert. Frisch geschminkt steht es nun zum Jubiläum da, das "Schandmal schwarzer Pädagogik", wie es Germar nennt.

Dröhnendes Schweigen: Das Tabu Bankrun


Europaweit machten sich die Sparer nach Angaben der Leitmedien vom letzten Wochenende „wieder Sorgen um ihre Ersparnisse“. Das Vertrauen nach dem verunglückten Hilfspaket für Zypern sei „in doppeltem Sinne gebrochen“. Jetzt drohe der Bankrun in Italien, Spanien, Griechenland und Portugal, hieß es in allen führenden Qualitätszeitungen gleichlautend über das „Bank-Run-Gespenst“, das aus der peinlich mißratenen Rettung der kleinen Inselökonomie eine Bedrohung für den gesamten Kontinent machen könne.

So schlimm waren die Aussichten, dass der Ökonom Peter Bofinger „vor Bank-Run-Bildern aus Zypern“ warnte. Der Mensch ist letztlich ein Affe, er äfft nach – und sieht der Grieche den Zyprioten am Bankomaten anstehen, läuft er selbst gleich los. Ein Dominoeffekt, der Europa ins Wackeln zu bringen drohte. Zum Glück aber haben die Medien nach den ersten unüberlegten Panikmeldungen die Nerven behalten. Wie seinerzeit beim Fussball-Sommermärchen 2006, als mehr als 150 Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehstationen in Absprache mit dem Kanzleramt deutschlandweit vier Wochen strikte Funkstille zum Thema Gewalt hielten, obwohl sich Hooligans aus aller Herren Länder in deutschen Großstädten beinahe täglich Straßenschlachten untereinander und mit der Polizei lieferten, fand der Bankrun medial nicht statt.

Keine Meldungen aus Athen, keine Bilder aus Genua, keine Nachrichten zu höheren Barabhebungen in Barcelona, keine Videos von Schlangen vor Bankschaltern in Lissabon. Nirgendwo wurde berichtet, ob es Schlangen vor den Automaten in Spanien, Italien oder Griechenland gibt. Nicht einmal abgesagt wurde der Run auf die Guthaben, nicht einmal gefragt wurde, wie sich die Zahlungsströme nach dem Zypern-Desaster in anderen europäischen Ländern oder aber auch nur in Deutschland entwickelten.

Seit dem 18. März steht das Wort Bankrun in den großen deutschen Medienhäusern einfach auf dem Index. Während etwa britische Zeitungen im Halbstundentakt über die Möglichkeit eines Bank Run berichten und kanadische Kolumnisten in der gescheiterten Zypern-Rettung weiter einen denkbaren Auslöser für einen Kollaps des gesamten Euro-Systems durch einen Ansturm der Guthabenbesitzer auf die Banken wie weiland bei Norther Rock sehen, schweigt der Blätterwald in Deutschland dröhnend.

Das nächste Systemversagen - es ist, als ob sämtliche Qualitätsblätter aus den Großverlagen sich darauf geeinigt hätten, dass Vorberichte zum nächsten Bundesliga-Spieltag sehr interessant sind, die Ergebnisse der Spiele aber dann keinen Nachrichtenwert haben. Wer etwas zur Lage erfahren will, muss die South China Morning Post lesen. "Well, it means the whole future of the euro is in question, because when those Cypriot banks re-open, if in fact they ever do, it may trigger not just a Cyprus bank run, but a Europe-wide run on the banks", heißt es da. Bei heise.de gibt es Hinweise darauf, dass die Flucht schon längst im Gange ist: Die Internet-Währung "Bitcoin" sei seit Montagmorgen von 37 Euro am frühen Montag bis auf 52 Euro gestiegen.

Am Ende der Schweigewoche kommt nun die erwartete Überraschung - die EZB hat Kapitalverkehrskontrollen für Zypern beschlossen.

Bankrun-Angst im "Spiegel"
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