Dienstag, 29. Januar 2013

EU: Eine schicksalhafte Gottesgabe

Da wird nicht nur falsch gedacht, da wird auch Ideenraubbau an den falschen Quellen betrieben. Wenige Stunden nach der europafeindlichen Hetzrede des britischen Premiers David Cameron hatte sich das aufrechte Europa gegen die bösartigen Unterstellungen des perfiden Engländers verwahrt. Der CDU-Europavordenker Gunther Krichbaum forderte die Briten auf, sofort über die weitere Mitgliedschaft in der EU abzustimmen. "Es gibt keinen Grund, die Entscheidung aufzuschieben, denn alle Argumente liegen auf dem Tisch", legte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag ultimativ fest. Die Briten könnten nicht auf den Binnenmarkt schielen und Grundwerte wie die Europäische Kommission, den Euro oder die Öko-Design-Richtlinie , die die Europäer zusammenhalten, kaum erwähnen.

Schwere Geschütze fuhren auch andere Verteidiger der europäischen Idee gegen die Diversanten auf, die die seit Jahrzehnten von deutschen Spitzenpolitikern herbeigesehnte enge Bindung zwischen der Insel und dem deutschen Festlande kappen wollen.

Außenminister Guido Westerwelle sagte wenige Tage nach dem Wahltriumph in Hannover, Differenzierungen seien zwar noch nötig, doch Europa sei nicht nur eine bloße Bündelung nationaler Interessen, sondern eine "Schicksalsgemeinschaft". Dabei bezog der Außenminister sich offenbar auf eine Handreichung für Redner, die die Reichspropagandaleitung der NSDAP 1938 unter dem Titel „Großdeutschland - eine unzerstörbare Willens- und Schicksalsgemeinschaft“ herausgegeben hatte.

Der zuletzt ausweislich der Daten des Google-Dienstes ngram (Grafik oben) nur mühsam und unter Mithilfe eines ministerpräsidialen Volkssturms am Leben gehaltene Kampfbegriff ist damit zurück auf der ganz großen politischen Bühne. Die hatte er verlassen müssen, als sich die Auffassung durchzusetzen begann, dass die Schicksalhaftigkeit der Menschheitsgeschichte ebenso wie die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung womöglich nur eine Erfindung später Romantiker ist.

Mit der Gründung des zukunftszugewandten gemeinsamen Europa war der Begriff, der ursprünglich aus der Staatslehre stammt, obsolet geworden. Als „Schicksalsgemeinschaft“ definierte die Wissenschaft bis dahin Staatsvölker, die aufgrund gemeinsamer Herkunft, Sitten und Gebräuche "unauflöslich" aneinander gebunden sind - der als Sohn deutscher Eltern Geborene etwa kann gehen wohin er will, tun was er will und leben wo er will, er bleibt Sohn deutscher Eltern, ebenso wie ein Sohn französischer, dänischer oder griechischer Eltern deren Sohn bleibt.

Das durch Verträge vereinigte Europa aber verdankte sich in seinen Anfängen weder Blutsbanden noch gemeinsamen Tänzen, sondern der freien und teilweise demokratisch grundierten Entscheidung einer Gruppe von Staatenlenkern, ihrem Kontinent durch Bündelung der Kaufkraft der einzelnen Märkte mehr Geltung am Tisch der Supermächte zu verschaffen.

Ein Ursprung, der nun mit einem Rückgriff auf Hitlers "Appell an die Nation" rückwirkend abgewickelt wird. In der Tradition des Kanzlerinnenwortes von der „alternativlosen Euro-Rettung“ wird Europa in Gestalt seiner Union zu einem von niemandem gewählten, von niemandem bestellten, sondern wie naturgegeben hereingebrochenen Ereignis, ein Geschenk des Schicksals an eine erwählte Gemeinde, eine Gottesgabe, die von Normalsterblichen nicht mehr hinterfragt werden darf und kann.

Westerwelle widerspricht damit nicht nur Cameron, der bislang ausdrücklich darauf beharrt, dass es eben kein europäisches Staatsvolk gibt, das außerhalb des eigenen Willens aneinandergeschmiedet ist. Nein, der frühere Freidemokrat gibt seiner metaphysischen Schicksalsgemeinschaft auch noch mit, sie brauche "aus deutscher Sicht mehr und nicht weniger Integration“.

Was Westerwelle mit seinem Ausflug meint, ist klar: Um eines Tages zu werden, was die EU seiner Behauptung nach bereits ist.

2 Kommentare:

  1. Danke für die Quellenhinweise. Ich verweise darauf, dass sich morgen am 30.1. zum 80. Male der Tag jährt, da der größte Content- und Ideenlieferant des öffentlichrechtlichen Demkratieabgabenschicksalsgemeinschaftssenders ARDZDF seinen Dienst als Erbauer einer wahrhaft europäischen Einheit aufnahm. Schon damals kam von den Briten nichts als Undank.

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  2. @anonym: Es stimmt. Der Gröcil hat viel Undank geerntet. Ein Artikel in der neuesten Ausgabe von Brandeins lässt hoffen: Nordkoreas konkurrenzlose Hersteller von Megadenkmälern wurden dort ausführlich porträtiert. Aus sicheren Qualimed-Quellen kommen Hinweise, dass eine gemeinsame Initiative aller deutscher Leistungsschützer ein 55 Meter hohes Denkmal für den Gröcil in Auftrag geben will. Nur der Standort ist strittig, favorisiert wird allerdings der größte Nutznießer in Hamburg.

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