Als der Weltuntergang noch auf der Tagesordnung der Weltpolitik stand, war er lange nicht so lustig wie neuerdings. „Mit großer Empörung“ verfolgte die Bevölkerung der DDR damals das Treiben der Sekte "Jehovas Zeugen", die „eine aktive Kriegshetze in der Deutschen Demokratischen Republik entfaltet“, wie die staatliche Nachrichtenagentur ADN anno 1950 zu berichten wusste. Immer mehr Beispiele der Tätigkeit „dieser Feinde unserer Nation und des Friedens“ wurden bekannt. In Chemnitz etwa konnte festgestellt werden, „daß es sich bei Personen, die eine Unterschrift unter die Liste zur Ächtung der Atomwaffe verweigerten, um Angehörige der "Zeugen Jehovas" handelte“, wie ADN berichtet, lange bevor aus der Agentur DDP wurde, woraus dann DAPD wurde, das dann schmählich in einer stillen Pleite unterging.
Der Weltuntergang der konkreten Art ist den Menschen immer lieber gewesen als Eurokrisen, psychische Erkrankungen oder Liebesleid. 1950 gab es „konkretes Beweismaterial, dass die Apostel der Atombombe unter der direkten Anleitung und mit finanzieller Unterstützung der amerikanischen Kriegstreiber handeln“. Dabei erhielten sie „von der SPD-Schumacher-Zentrale in Hannover aktive Hilfestellung“. Das klingt nach einem Untergang im Hause Wulff, an fein gedeckten Tischen, mit lokaler Prominenz beim Sektchen. Kein Weltuntergang zuvor hat jemals so viel öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie der von heute, der nicht stattfand: Das Römische Reich konnte vergleichsweise unbeobachtet untergehen, Europa während der Pestepidemie halb entvölkert werden und der Führer in Berlin, heute Moderator beim Fernsehuntergangssender n-tv, konnte vergebens auf General Wenck warten – nichts zuvor hat Medienmenschen so sehr auf die Phantasiepalme gebracht wie ein Lederzettel mit Maya-Hyroglyphen namens Codex Dresdensis, den ein räuberischer Fernreisender ein paar Häuptlingen hatte günstig abschwatzen können, die in ihrer indianischen Weisheit ohnehin nicht mehr lesen konnten, was ihre Vorväter da 500 Jahre zuvor im Vollrausch aufgemalt hatten.
Ein Zeichen an der Wand, dass er kommt, der Untergang, dass tatsächlich eintritt, wonach der Mensch sich sehnt, um einmal im Leben wenigstens bei etwas wirklich Großem dabeigewesen zu sein. Nur kommt er nicht mit einem Knall und schon gar nicht an einem Tag, nein, das Ende aller Zeiten ist ein schleichender Prozess, der allerdings schon in seiner Frühphase mit spürbarer Verblödung einhergeht. DSDS statt DFD, Friedensnobelpreis statt Weltfrieden und kein Bahnhof in Stuttgart als Ziel der Weltrevolution – die neuen Sehnsüchte sind überschaubar, die Gesellschaftsordnung ansonsten alternativlos. Heute noch jemandem raten, "dann geh doch rüber" ist unmöglich, weil es kein Drüben mehr gibt. Alles ist hier, nichts ist dort, außer Kuba und Nordkorea, zwei Länder, die zeigen, dass es immer noch schlimmer geht. Haben wir es nicht doch verdammt gut, trotz Euro-Krise und Demokratieabbau, trotz Nahrungsmittelspekulation und Klimakatastrophe.
Die ganze Welt ist eine einziges, säuberlich geordnetes Ritual, ein Reich ewigwährender Ödnis. Wie die Jahreszeiten ziehen die gesamtgesellschaftlichen Mobilisierungsangebote vorbei. Aller vier Jahre Wahl, immer dazwischen WM und dazwischen Olympia. Im Frühjahr der ADAC-Tunneltest, danach der Test mit den Raststätten, der Fährentest und der mit den Brücken. Der Badewasserqualitätstest im Frühsommer kommt von der EU, da ist dann der FC Bayern aber immer schon Meister. Im Herbst streiken die Fluglotsen oder die Milchbauern oder die Post, das wird jeweils vorher abgesprochen. Der Ölpreis ist immer zu hoch oder niedrig, das Wetter immer zu nass oder zu kalt oder zu warm und zu trocken, damit der Klimawandel nicht ganz in Vergessenheit gerät.
Ein Weltuntergang wäre das letzte spannende Abenteuer, das nicht von Heino Ferch, Heikko Deutschmann, Veronica Ferres und Iris Berben vorgespielt wird. Ein bisschen ist da Angst, ein bisschen aber auch Kitzel. Wie wird es sein, wenn die Welt zusammenbricht? Was wird sein, wenn die Wurst nicht mehr vakuumverpackt im Supermarkt liegt, Kaffee aus fernen Ländern 2,70 im halben Kilo kostet und ein Telefongespräch nach Australien gar nichts mehr? Wer wird die Regale füllen? Und womit? Wird es überhaupt noch Regale geben? Den FC Bayern? Und Beckmann? Und Kerner? Und die Hitparade und die Oskar-Verleihung und die Tagesschau? Rummst es, wenn die EU untergeht? Schwappt die Nordsee, wenn sie Deutschland verschlingt? Werden die Pazifisten danach immer noch welche sein? Die Vegetarier? Bewahrer der Schöpfung und Beschützer der Armen?
In Wittenberg hängt mitten in der Altstadt ein Tafel, die an das Schicksal des Erfinder der Logarithmen, Michael Stifel, erinnert. Stifel war im Hauptberuf Geistlicher, seinem Interesse für die Mathematik aber verdankte er die Entdeckung, dass am 19. Oktober 1533 um acht Uhr die Welt untergehen werde. Seine Mitbürger glaubten dem neuen Propheten natürlich, sie glauben ja immer und alles. Sie verkauften oder verprassten ihr Hab und Gut und warteten dann geduldig auf das unvermeidliche Ende. Doch nichts geschah.
Darob erzürnt, stürmten die Menschen nun Stifels Haus, der Meister musste fliehen, nur der Kurfürst, der ihm Schutzhaft anbot, rettete sein Leben. Diese Rolle spielt heute Angela Merkel: Die Kanzlerin wird heute Abend um 20.15 Uhr vor die Kameras treten und versichern, dass sie sich persönlich dafür verbürge, dass der Weltuntergang in Deutschland ausgeschlossen sei. Er werde auch keine zusätzlichen Kosten verursachen und kleine Sparer nicht extra belasten. Ganz im Gegenteil, das Land und Europa würden gestärkt aus ihm hervorgehen.
Der Weltuntergang der konkreten Art ist den Menschen immer lieber gewesen als Eurokrisen, psychische Erkrankungen oder Liebesleid. 1950 gab es „konkretes Beweismaterial, dass die Apostel der Atombombe unter der direkten Anleitung und mit finanzieller Unterstützung der amerikanischen Kriegstreiber handeln“. Dabei erhielten sie „von der SPD-Schumacher-Zentrale in Hannover aktive Hilfestellung“. Das klingt nach einem Untergang im Hause Wulff, an fein gedeckten Tischen, mit lokaler Prominenz beim Sektchen. Kein Weltuntergang zuvor hat jemals so viel öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie der von heute, der nicht stattfand: Das Römische Reich konnte vergleichsweise unbeobachtet untergehen, Europa während der Pestepidemie halb entvölkert werden und der Führer in Berlin, heute Moderator beim Fernsehuntergangssender n-tv, konnte vergebens auf General Wenck warten – nichts zuvor hat Medienmenschen so sehr auf die Phantasiepalme gebracht wie ein Lederzettel mit Maya-Hyroglyphen namens Codex Dresdensis, den ein räuberischer Fernreisender ein paar Häuptlingen hatte günstig abschwatzen können, die in ihrer indianischen Weisheit ohnehin nicht mehr lesen konnten, was ihre Vorväter da 500 Jahre zuvor im Vollrausch aufgemalt hatten.
Ein Zeichen an der Wand, dass er kommt, der Untergang, dass tatsächlich eintritt, wonach der Mensch sich sehnt, um einmal im Leben wenigstens bei etwas wirklich Großem dabeigewesen zu sein. Nur kommt er nicht mit einem Knall und schon gar nicht an einem Tag, nein, das Ende aller Zeiten ist ein schleichender Prozess, der allerdings schon in seiner Frühphase mit spürbarer Verblödung einhergeht. DSDS statt DFD, Friedensnobelpreis statt Weltfrieden und kein Bahnhof in Stuttgart als Ziel der Weltrevolution – die neuen Sehnsüchte sind überschaubar, die Gesellschaftsordnung ansonsten alternativlos. Heute noch jemandem raten, "dann geh doch rüber" ist unmöglich, weil es kein Drüben mehr gibt. Alles ist hier, nichts ist dort, außer Kuba und Nordkorea, zwei Länder, die zeigen, dass es immer noch schlimmer geht. Haben wir es nicht doch verdammt gut, trotz Euro-Krise und Demokratieabbau, trotz Nahrungsmittelspekulation und Klimakatastrophe.
Die ganze Welt ist eine einziges, säuberlich geordnetes Ritual, ein Reich ewigwährender Ödnis. Wie die Jahreszeiten ziehen die gesamtgesellschaftlichen Mobilisierungsangebote vorbei. Aller vier Jahre Wahl, immer dazwischen WM und dazwischen Olympia. Im Frühjahr der ADAC-Tunneltest, danach der Test mit den Raststätten, der Fährentest und der mit den Brücken. Der Badewasserqualitätstest im Frühsommer kommt von der EU, da ist dann der FC Bayern aber immer schon Meister. Im Herbst streiken die Fluglotsen oder die Milchbauern oder die Post, das wird jeweils vorher abgesprochen. Der Ölpreis ist immer zu hoch oder niedrig, das Wetter immer zu nass oder zu kalt oder zu warm und zu trocken, damit der Klimawandel nicht ganz in Vergessenheit gerät.
Ein Weltuntergang wäre das letzte spannende Abenteuer, das nicht von Heino Ferch, Heikko Deutschmann, Veronica Ferres und Iris Berben vorgespielt wird. Ein bisschen ist da Angst, ein bisschen aber auch Kitzel. Wie wird es sein, wenn die Welt zusammenbricht? Was wird sein, wenn die Wurst nicht mehr vakuumverpackt im Supermarkt liegt, Kaffee aus fernen Ländern 2,70 im halben Kilo kostet und ein Telefongespräch nach Australien gar nichts mehr? Wer wird die Regale füllen? Und womit? Wird es überhaupt noch Regale geben? Den FC Bayern? Und Beckmann? Und Kerner? Und die Hitparade und die Oskar-Verleihung und die Tagesschau? Rummst es, wenn die EU untergeht? Schwappt die Nordsee, wenn sie Deutschland verschlingt? Werden die Pazifisten danach immer noch welche sein? Die Vegetarier? Bewahrer der Schöpfung und Beschützer der Armen?
In Wittenberg hängt mitten in der Altstadt ein Tafel, die an das Schicksal des Erfinder der Logarithmen, Michael Stifel, erinnert. Stifel war im Hauptberuf Geistlicher, seinem Interesse für die Mathematik aber verdankte er die Entdeckung, dass am 19. Oktober 1533 um acht Uhr die Welt untergehen werde. Seine Mitbürger glaubten dem neuen Propheten natürlich, sie glauben ja immer und alles. Sie verkauften oder verprassten ihr Hab und Gut und warteten dann geduldig auf das unvermeidliche Ende. Doch nichts geschah.
Darob erzürnt, stürmten die Menschen nun Stifels Haus, der Meister musste fliehen, nur der Kurfürst, der ihm Schutzhaft anbot, rettete sein Leben. Diese Rolle spielt heute Angela Merkel: Die Kanzlerin wird heute Abend um 20.15 Uhr vor die Kameras treten und versichern, dass sie sich persönlich dafür verbürge, dass der Weltuntergang in Deutschland ausgeschlossen sei. Er werde auch keine zusätzlichen Kosten verursachen und kleine Sparer nicht extra belasten. Ganz im Gegenteil, das Land und Europa würden gestärkt aus ihm hervorgehen.
Klasse Text! Chapeau!
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