Dienstag, 13. November 2012

Im Rechts der Mitte


So schlimm ist es schon wieder – und gleichzeitig gar nicht mehr so schlimm. Während die einschlägig engagierte Zeitschrift „Zeit“ brühwarm von neuen Rekorden bei der rechtsextremen Durchdringung der deutschen Bevölkerung berichtet, mehren sich die Zweifel am deutschen Bildungssystem. Ist es denn wirklich so, dass Wissenschaftler und Zeitungskommentatoren den Unterschied zwischen „jeder Vierte“ und „jeder Sechste“ nicht mehr überschauen? Besteht die Möglichkeit, dass das deutsche Abitur nicht mehr zu einer Ausbildungsreife führt, die es seinen Inhabern gestattet, Zahlen über Zeitreihen hinweg zu vergleichen und das Verglichene zu verstehen?

Zweifel, die angesichts eines „Zeit“-Bericht angebracht scheinen, nach dem „immer mehr Deutsche ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild“ besitzen. „Fast jeder sechste Ostdeutsche“ denke nach den Ergebnissen einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung „rechtsextrem“ - seit 2006 habe sich „die Gruppe der Menschen mit einem rechtsextremem Weltbild in Ostdeutschland von 6,6 auf 15,8 Prozent mehr als verdoppelt“, heißt es. Ein Umfragewunder in Zeiten, in denen rechtsextreme Parteien nahezu von der Bildfläche verschwunden sind und selbst die rechte Kameradschaftsszene schwächelt.

Auf dem Gesinnungsmarkt aber geht es fröhlich rauf und runter. Offenbar wechseln Ost- wie Westdeutsche ihre rechtsextremen Gedankenkleider freiweg im Sinne alten SPD-Liedguts jeweils im selben Zwei-Jahres-Rhythmus, in dem die ehemalige "Arbeiterpartei"(Willy Brandt) SPD die beiden „Leipziger Wissenschaftler Oliver Decker und Elmar Brähler“ (Der Spiegel) beauftragt, die aktuelle Gesinnungslage zu erforschen.

Die zeigt sich durch Berg und Tal, trotz Alarmgeschrei und mutmaßlich wegen der inzwischen verzehnfachten Fördermittelbeträge, die in den Kampf gegen rechts fließen, allerdings eigentlich überaus stabil für den, dem der Zugang zu Archiven nicht wie Mitarbeitern von "Zeit", "Welt" und "Spiegel" untersagt ist. Bereits 1998 hatte die staatliche Nachrichtenagentur dpa festgestellen können, dass "17 Prozent der Ostdeutschen eine rechtsextreme Orientierung“ besitzen. 2005 war es dem Westen dann gelungen, den Osten in Sachen Ausländerfeindlichkeit einzuholen. Beim Antisemitismus hatten die alten Bundesländer ohnehin stets einen deutlichen Vorsprung behaupten können.

Nun explodiert die Lage im Osten, im Westen beruhigt sie sich. Deutschland, einig Reichts der Mitte. Wobei ein direkter Zusammenhang zwischen Beobachtung und Ergebnis nicht auszuschließen ist: Insgesamt bescheinigen die Sozialforscher Brähler und Decker knapp 39 Prozent der Ostdeutschen (West: 22) ausländerfeindlich zu sein – für Deutschland insgesamt ergäbe sich ein Wert von 24,7 Prozent und der ist nach Angaben der Verfasser "der höchste Wert seit Beginn der Langzeitstudie vor zehn Jahren". Nicht berücksichtigt natürlich das Jahr 2006, als dieselben Wissenschaftler hier noch einen Wert von knapp 27 Prozent angegeben hatten.

Auch bei der Anzahl der Menschen mit einem "geschlossenen rechtsextremen Weltbild", wie die Forscher es nennen, soll es in den vergangenen beiden Jahren bezogen auf ganz Deutschland einen Anstieg von 8,2 auf 9,0 Prozent gegeben haben. Anders gesagt: Seit der Sinus-Studie, die der damalige Kanzler Helmut Schmidt 1980 in Auftrag gegeben hatte, gab es so faktisch einen Rückgang um rund 30 Prozent.

Lässt man jedoch einen Teil der Zahlen weg, wie es die Verfasser und der gesamte Medienchor tun, scheint es tatsächlich so, als nehme Ausländerfeindlichkeit mit der Häufigkeit der Befragung dazu zu.

Oder wie die "Welt" beinahe gemeldet hätte: "Für die alle zwei Jahre erscheinende Studie "Die Mitte im Umbruch" wurden im Sommer 2012 mehr als 2.500 repräsentativ ausgewählte Menschen befragt. Die "Mitte"-Studien werden seit 2006 herausgegeben und sie sind traditionell so gestaltet, dass sie darauf hinweisen, dass rechtsextremes Denken in Deutschland ein Problem der Mitte der Gesellschaft ist."

6 Kommentare:

  1. Glücklicherweise sind Menschen mit diesem "geschlossenen rechtsextremen Weltbild" so unvermögend, daß sie auf dem Stimmzettel nie die ihrem "geschlossenen rechtsextremen Weltbild" entsprechenden Vorschläge finden (das könnte die schlechten FDP-Ergebnisse erklären bzw. Analphabetismus soll ja auch im Kommen sein). Möglicherweise sind sie auch nur zu feige, sich selbst die Charakterschwäche eines "geschlossenen rechtsextremen Weltbild(s)" einzugestehen. Wer weiß?

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  2. Nachtrag: Eigentlich dürfte die Studie keines Gedankens wert sein. Die Urheber haben sich ja genügend gemacht.

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  3. Das Resumee ist auch interessant.

    "...Nach allerlei Zahlenakrobatik zur Untermauerung der These wird in einer „Zusammenfassung der Ergebnisse“ resümiert, daß die Gleichstellung der „menschenverachtenden Ideologie des Rechtsextremismus mit einem wie auch immer gearteten Linksextremismus“ inakzeptabel sei. Das menschenfreundliche System Stalins etwa sei in keiner Weise mit der brutalen FPÖ-Regierungsbeteiligung in Österreich vergleichbar. Deswegen sollten „zivilgesellschaftlichen Projekte“, wie die der militanten Antifa, nicht mit einer „Extremismusklausel“ schikaniert werden. Der „sehr realen rechtsextremen Bedrohung“ stünde lediglich eine „fiktive Bedrohung durch Linksextremismus“ gegenüber, stellen die Autoren fest. Weil es zum Linksextremismus keine Studien mit statistischen Analysen gäbe, sei dieser auch nicht existent."

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  4. Kolossal. Mein Lieblingssatz aus der "Zusammenfassung der Ergebnisse" auf der Internetseite der FES ist dieser:

    Gerade in sogenannten Krisenzeiten darf nicht mit Sachzwängen argumentiert werden.

    Wobei der abschließende Absatz (weitgehend von eulenfurz resümiert) nur entlarvend ist. FES mit Scharnierfunktion zum systemfragestellenden Linksextremismus. Au weia. Ist eigentlich Friedrich Ebert über den Verdacht erhaben, ein Rechtsextremist zu sein oder rettet ihn das Parteibuch?

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  5. Die Popanze, gegen die das Bundes-Stimmvieh vor Hass glühen und auf die es zu spucken von unseren Diskurshoheiten permanent gegängelt wird, müssen eben periodisch runderneuert und neu aufgepumpt werden. - Denn selbst die erschröcklichsten Fascho-Monster verlieren mit der Zeit ihren diabolischen Glanz und unterliegen dem bekannten Gewöhnungseffekt. Ergo muss in regelmässigem Abstand dem träge werdenden Volk mit neuen knieschlotter-generierenden „Studien“ die ungebrochene Virulenz des direktemang aus den Tiefen der Hölle entstiegenen Virus Faschismus vor Augen geführt werden. Und so es diverse Leichtsinnlinge gibt, die an der Schwere ihrer ewigen Schuld zu zweifeln, oder das permanente Gedenken daran zu vernachlässigen beginnen, müssen vermittels des aufgezeigten hohen Infektionsgrad der Bevölkerung wieder auf „Vordermann gebracht“ werden.


    Obo

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  6. Kommt mir ein wenig wie die Jungs vor, die mit einer IR-Kamera herumlaufen um einem klarzumachen, daß man unbedingt sein Haus isolieren muß. Wenn's nicht reicht, wird einfach am Empfindlichkeitsregler gedreht, schon leuchtet alles bedrohlich rot und gelb.
    Ich habe nur wahrlich nichts mit Neonazis am Hut, aber mein Eindruck ist, daß unser schöner Rechtsstaat nach links schon keine Mauern mehr hat.

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