Manchmal muss ein Mann sich entscheiden. Und die Wahl, die er trifft, sollte dann die richtige sein. Ich bin mir immer noch nicht sicher, dass meine richtig ist. Bis gestern hat meine Mutter mich jeden Tag gewarnt, mach keinen Fehler, Junge, hat sie gesagt. Auch meine Freundin Claudia hat versucht, mich zurückzuhalten. Es ist besser so, denkt sie, besser für alle. Du machst Dich unglücklich und mich mit, sagt Claudia, und was hast du denn davon?
Ganz ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Vielleicht ist es ein Geburtsfehler, dieser Hang zu Gerechtigkeit. Schon im Kindergarten hat der mir im Weg gestanden, wenn einer der doofen Jungs von einem meiner Freunde einen Klaps bekommen hat. Kaum marschierte die Erzieherin an, weil der Zwerg losbrüllte, habe ich uns auch schon verraten. Henning, sag, was war hier los?, fragte die Frau Heckermann, weil sie genau wusste, dass ich nicht lügen kann. Blöd wie ich bin sagte ich natürlich sofort: Der Fred hat den Micha gekloppt.
Dabei war der Fred mein Freund und der Uwe ein Idiot.
Aber es geht mir eben immer um Gerechtigkeit und Wahrheit. Umso mehr wurmt es mich, was sie mit meinen Bildern anstellen. Seit einem Jahr geht das schon und ich habe, wegen Claudia und Mutti, immer die Klappe gehalten. Aber jetzt ist es wieder soweit: Ich kann jede Zeitung aufschlagen, die ich will, jede Internetseite öffnen, die mir vor die Maus kommt. Und überall grinsen mich meine Fotos an. Bloß dass mein Name nicht druntersteht.
Es kotzt mich an, es macht mich fertig. Als freier Fotograf hier in Thüringen ist man nicht auf Rosen gebettet, auch wenn man wie ich nebenbei noch Schulaufträge und die beliebten Kindergartenserien macht. Du musst um jeden Euro kämpfen und jede Gelegenheit mitnehmen, einen Job zu bekommen.
Das war auch der Grund, warum ich damals ja gesagt habe, als der Uwe mich fragte, ob ich nicht eine „Langzeitreportage“ über ihn und seine beiden Kumpels fotografieren wolle. Er dachte an sowas wie die „Kinder von Golzow“, wollte das aber kombinieren mit einer Bonnie und Clyde-Nummer. Er Clyde, Bonnie sollte seine damalige Freundin Beate sein. Dann gab es noch diesen anderen Uwe, den ich nur vom Sehen kannte, Böhni nannten sie den, das war mir aber auch egal.
Mir war wichtig, dass es richtiges Leben war, das ich vor die Linse bekam. Die Bezahlung war aber auch nicht übel – 250 Euro Tagessatz, als Freier träumst du nicht nur nachts von sowas.
Ich war also immer dabei, wenn die drei gerade Geld hatten, um mich bezahlen zu können. Nordsee, Ostsee, Jena, Dresden, Zwickau, Köln – ich habe eigentlich nie gefragt, was sie da trieben, ich habe einfach mit der Kamera draufgehalten, wenn sie sagten, okay, Henning, mache. Vom Rücksitz nach vorn, vorm Wohnwagen, am Strand. Uwe guckte sich die Bilder immer kritisch an, fand sie aber gut. Es gibt kaum welche, die er verworfen hat. Bist schon ein Gute, Henning, hat er mehrmals gesagt.
Gewusst habe ich von nichts. Dass die drei untergetaucht waren, dass sie Verbrechen begingen? Nie, wenn ich dabei war. Meine Bilder erzählen eine andere Geschichte, eine von Freundschaft, menschlicher Wärme und viel Spaß.
Trotzdem behandeln sie mich nun schon mehr als ein Jahr lang, als hätte es mich nie gegeben. Meine Bilder von Uwe, Böhni und Beate gehen um die Welt, doch niemand schreibt, dass es meine sind! Stattdessen schreiben sie „dpa“ drunter oder „dapd“ oder sogar BKA, als wären Reporter der beiden Agenturen und Agenten des Bundeskriminalamtes immer mal wieder in den Untergrund zur NSU abgetaucht, um dort ein paar Schnappschüsse für später anzufertigen.
Der Einzige, der das gemacht hat, war ich! Immer nur ich! Und mich betrügen sie nun alle um die Früchte meiner Arbeit! Keinen Cent Honorar habe ich bis heute gesehen, dabei wären da inzwischen Millionen fällig. Und wenn man bei den Agenturen anruft und sagt, ich bins, der Fotograf von dem schönen Bild von Beate, wo sie so lieb lächelt, dann lachen die einen aus.
Was soll man denn aber machen? Hänge ich das an die große Glocke, sitze ich morgen im Knast. Nehme ich einen Anwalt und klage meine Urheberrechte ein, fallen die alle über mich her, weil sie ja bis hierher alle mitgemacht haben. Claudia sagt, man muss es einfach hinnehmen. „Vielleicht kannst du später mal einen Bildband rausbringen“, hat sie neulich gesagt. Ich habe erst gelacht, aber seitdem habe ich drüber nachgedacht. „Vierter Mann: Meine Jahre bei der NSU“ könnte ich das nennen. Von Hitler gibt es doch auch Bildbände.Und ich müsste nicht mal zugeben, dass die Fotos von mir sind, sondern könnte einfach so tun als hätte ich sie geklaut wie alle anderen. Manchmal muss ein Mann sich entscheiden. Aber die Wahl, die er trifft, muss dann auch die richtige sein.
Zur kulturkritischen Reihe Doku Deutschland
Ganz ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Vielleicht ist es ein Geburtsfehler, dieser Hang zu Gerechtigkeit. Schon im Kindergarten hat der mir im Weg gestanden, wenn einer der doofen Jungs von einem meiner Freunde einen Klaps bekommen hat. Kaum marschierte die Erzieherin an, weil der Zwerg losbrüllte, habe ich uns auch schon verraten. Henning, sag, was war hier los?, fragte die Frau Heckermann, weil sie genau wusste, dass ich nicht lügen kann. Blöd wie ich bin sagte ich natürlich sofort: Der Fred hat den Micha gekloppt.
Dabei war der Fred mein Freund und der Uwe ein Idiot.
Aber es geht mir eben immer um Gerechtigkeit und Wahrheit. Umso mehr wurmt es mich, was sie mit meinen Bildern anstellen. Seit einem Jahr geht das schon und ich habe, wegen Claudia und Mutti, immer die Klappe gehalten. Aber jetzt ist es wieder soweit: Ich kann jede Zeitung aufschlagen, die ich will, jede Internetseite öffnen, die mir vor die Maus kommt. Und überall grinsen mich meine Fotos an. Bloß dass mein Name nicht druntersteht.
Es kotzt mich an, es macht mich fertig. Als freier Fotograf hier in Thüringen ist man nicht auf Rosen gebettet, auch wenn man wie ich nebenbei noch Schulaufträge und die beliebten Kindergartenserien macht. Du musst um jeden Euro kämpfen und jede Gelegenheit mitnehmen, einen Job zu bekommen.
Das war auch der Grund, warum ich damals ja gesagt habe, als der Uwe mich fragte, ob ich nicht eine „Langzeitreportage“ über ihn und seine beiden Kumpels fotografieren wolle. Er dachte an sowas wie die „Kinder von Golzow“, wollte das aber kombinieren mit einer Bonnie und Clyde-Nummer. Er Clyde, Bonnie sollte seine damalige Freundin Beate sein. Dann gab es noch diesen anderen Uwe, den ich nur vom Sehen kannte, Böhni nannten sie den, das war mir aber auch egal.
Mir war wichtig, dass es richtiges Leben war, das ich vor die Linse bekam. Die Bezahlung war aber auch nicht übel – 250 Euro Tagessatz, als Freier träumst du nicht nur nachts von sowas.
Ich war also immer dabei, wenn die drei gerade Geld hatten, um mich bezahlen zu können. Nordsee, Ostsee, Jena, Dresden, Zwickau, Köln – ich habe eigentlich nie gefragt, was sie da trieben, ich habe einfach mit der Kamera draufgehalten, wenn sie sagten, okay, Henning, mache. Vom Rücksitz nach vorn, vorm Wohnwagen, am Strand. Uwe guckte sich die Bilder immer kritisch an, fand sie aber gut. Es gibt kaum welche, die er verworfen hat. Bist schon ein Gute, Henning, hat er mehrmals gesagt.
Gewusst habe ich von nichts. Dass die drei untergetaucht waren, dass sie Verbrechen begingen? Nie, wenn ich dabei war. Meine Bilder erzählen eine andere Geschichte, eine von Freundschaft, menschlicher Wärme und viel Spaß.
Trotzdem behandeln sie mich nun schon mehr als ein Jahr lang, als hätte es mich nie gegeben. Meine Bilder von Uwe, Böhni und Beate gehen um die Welt, doch niemand schreibt, dass es meine sind! Stattdessen schreiben sie „dpa“ drunter oder „dapd“ oder sogar BKA, als wären Reporter der beiden Agenturen und Agenten des Bundeskriminalamtes immer mal wieder in den Untergrund zur NSU abgetaucht, um dort ein paar Schnappschüsse für später anzufertigen.
Der Einzige, der das gemacht hat, war ich! Immer nur ich! Und mich betrügen sie nun alle um die Früchte meiner Arbeit! Keinen Cent Honorar habe ich bis heute gesehen, dabei wären da inzwischen Millionen fällig. Und wenn man bei den Agenturen anruft und sagt, ich bins, der Fotograf von dem schönen Bild von Beate, wo sie so lieb lächelt, dann lachen die einen aus.
Was soll man denn aber machen? Hänge ich das an die große Glocke, sitze ich morgen im Knast. Nehme ich einen Anwalt und klage meine Urheberrechte ein, fallen die alle über mich her, weil sie ja bis hierher alle mitgemacht haben. Claudia sagt, man muss es einfach hinnehmen. „Vielleicht kannst du später mal einen Bildband rausbringen“, hat sie neulich gesagt. Ich habe erst gelacht, aber seitdem habe ich drüber nachgedacht. „Vierter Mann: Meine Jahre bei der NSU“ könnte ich das nennen. Von Hitler gibt es doch auch Bildbände.Und ich müsste nicht mal zugeben, dass die Fotos von mir sind, sondern könnte einfach so tun als hätte ich sie geklaut wie alle anderen. Manchmal muss ein Mann sich entscheiden. Aber die Wahl, die er trifft, muss dann auch die richtige sein.
Zur kulturkritischen Reihe Doku Deutschland
"Und mich betrügen sie nun alle um die Früchte meiner Arbeit! Keinen Cent Honorar habe ich bis heute gesehen, dabei wären da inzwischen Millionen fällig."
AntwortenLöschenIch habe den Eindruck, daß man ihm zum Ausgleich einen schönen Kommentatorposten bei der *FAZ* verschafft hat.
Falls es mit Beate nicht klappt, eine mindestens 3 Personen umfassende terroristische Vereinigung nachzuweisen, dann sollte man den Fotograf heranziehen.
AntwortenLöschenDer ganze Zirkus um "3 Personen und terroristische Vereinigung" ist auch nur Beschäftigungstherapie.
AntwortenLöschenTrés chic finde, daß von Uwe&Uwe nur Fotos gezeigt werden, die roundabout zehn Jahre alt sind. Ich vermute, daß das Feuer in der Wohnung sehr selektiv gebrandt hat.
Ich vermute, daß das Feuer in der Wohnung sehr selektiv gebrandt hat.
AntwortenLöschenIch habe mir so viel Mühe gegeben mit der Liste. Deshalb muss ich Euch heute noch mal damit langweisen. "Gefunden" haben die Ziercke-Fuzzis in der Wunderasche:
- lesbare Bekenner-DVDs
- lesbare USB-Sticks
- lesbare Festplatten
- echte falsche Pässe
- Namenslisten mit 88 Namen
- Namenslisten mit zehntausend Namen
- Handschriftliche Aufzeichnungen
- Geldbanderolen
- Stadtplanausrisse mit Notizen
- Tierarztrechnungen
- Bankbelege
- Quittungen
- Rabattmarken
- zahlreiche Zeitungsausschnitte ohne Fingerabdrücke von Zschäpe
- Zeitungsausschnitte mit Zschäpes Fingerabdrücken
- Ein gefälschter Tennisklubausweis, ausgestellt auf Mandy S.
- Zschäpes Foto
- ein alter Personalausweise, ausgestellt auf den Namen Böhnhardt
- ein alter Personalausweise, ausgestellt auf den Namen Mundlos
- ein alter Personalausweise, ausgestellt auf den Namen Zschäpe,
- ein Reisepass
- zwei Führerscheine
- eine Krankenkassenkarte
- Zschäpes Geburtsurkunde
- eine Visitenkarte Nordbruchs
- neun Bücher
- ein Telefon
- eine auf die Rufnummer dieses Telefons lautende Rechnung
- eine helle Cargohose
- helle Turnschuhe
- Jogginghose von Mundlos, mit intakter DNA von M. Kiesewetter
- zwei Taschentücher mit intakter DNA von Mundlos
Das alles hat den stundenlangen Brand überstanden.
Aber es gab auch Gegenstände, die leichter brennbar sind. Zum Beispiel die Pistole, welche Politik, Medien, Wissenschaft und Justiz unisono zur "Tatwaffe" erklären. Die ist nämlich so stark geschmolzen, dass ein Beschusstest leider nicht möglich ist.
Woher die alle wissen, dass genau diese die Tatwaffe ist?
Schlechte Frage. Deshalb wird die in der Hauptverhandlung (so denn eine stattfindet) nicht gestellt. Weder von der Staatsanwaltschaft noch von der Verteidigung noch vom Gericht.
Gab es da nicht auch noch diesen Flyer, der auf Andre Brandenburg verweist ?
AntwortenLöschenApropos, "...hält der Bundesgerichtshof nun zumindest einen für die Untersuchungshaft nötigen „dringenden Tatverdacht“ nicht mehr für gegeben." (taz, 14.06.)
"Ebenfalls angeklagt ...André E., der Beihilfe zu einem Sprengstoffanschlag des NSU in Köln geleistet ..." (SZ, 08.11.)
"... und André E. halfen dem NSU mit Waffen und Ausweispapieren." (SZ, 09.11.)
"Gab es da nicht auch noch diesen Flyer, der auf Andre Brandenburg verweist ?"
AntwortenLöschenJa, gab es. Dazu gab´s diesen Senf.