Ostberlin, ein Tag im Sommer 1989: Karl öffnet das Fenster. Der Blick schweift über die Dächer hin zum Müggelturm. Ein Flugzeug im Landeanflug auf Schönefeld. Es ist heiß, die Sonne brennt. Er schaltet zum letzten mal den Fernseher ein. Elf99. "Und jetzt ein Musikvideo", hört er den Moderator sagen. Drei Takte später schaltet Karl die Stereoanlage hinzu, den Regler bis zum Anschlag. Ist eh alles egal. Scheiß auf die Nachbarn. Scheiß auf diesen Staat. Der Titel ist gut produziert, das Video eine Offenbarung. Die Stimme ! "Ja verdammt, schrei es heraus", denkt er sich. Keine Ahnung wer da singt, aber es trifft ihn wie ein Blitz, legt die Nerven frei. Brennt sich ein. Für immer. Zwischen den Zeilen die ganze Stimmung vom Sommer 1989. Weiße Bändchen an Autoantennen. Leere Regale. Volle Kirchen. Auftrittsverbot für Pankow. Reiseverbot für Ungarn. Mutti seit vier Wochen im Westen. Morgen wird jemand den Fernseher abholen. Der Rest des Wohnungsinventars wird folgen. Verkaufen, verschenken. Hauptsache die Bude ist leer wenn es soweit ist. Ein Rucksack und etwas Westgeld, das muß reichen. Für das größte Abenteuer seines Lebens.
Während in Wessiland (fast) gleichzeitg *Enjoy the silence* zur non-designierten Hymne einer Generation wurde.
Klar, im Östen wurde Musik politisiert, im Konsum-Wösten ästhetisiert. Offenbar definierte jeder in "Musik", was ihm ansonsten als Entfremdung vorgekommen sein sollte.
Da ich ja nebenberuflich der größte deutschsprachige Anthropologe bin, behaupte ich, daß Pank eigentlich nur im Östen wirklich gesellschaftlich relevant war. Denn, s.o.
P.S. Deshalb gab es im Osten auch noch in den 80-igern diesen Scheiß Liedermachermusikhabitus.
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Ostberlin, ein Tag im Sommer 1989: Karl öffnet das Fenster. Der Blick schweift über die Dächer hin zum Müggelturm. Ein Flugzeug im Landeanflug auf Schönefeld. Es ist heiß, die Sonne brennt. Er schaltet zum letzten mal den Fernseher ein. Elf99. "Und jetzt ein Musikvideo", hört er den Moderator sagen. Drei Takte später schaltet Karl die Stereoanlage hinzu, den Regler bis zum Anschlag. Ist eh alles egal. Scheiß auf die Nachbarn. Scheiß auf diesen Staat.
AntwortenLöschenDer Titel ist gut produziert, das Video eine Offenbarung. Die Stimme ! "Ja verdammt, schrei es heraus", denkt er sich. Keine Ahnung wer da singt, aber es trifft ihn wie ein Blitz, legt die Nerven frei. Brennt sich ein. Für immer. Zwischen den Zeilen die ganze Stimmung vom Sommer 1989. Weiße Bändchen an Autoantennen. Leere Regale. Volle Kirchen. Auftrittsverbot für Pankow. Reiseverbot für Ungarn. Mutti seit vier Wochen im Westen.
Morgen wird jemand den Fernseher abholen. Der Rest des Wohnungsinventars wird folgen. Verkaufen, verschenken. Hauptsache die Bude ist leer wenn es soweit ist. Ein Rucksack und etwas Westgeld, das muß reichen. Für das größte Abenteuer seines Lebens.
wundervoll geschrieben. trifft genau die stimmung, wie ich sie in erinnerung habe. wer nicht dabei war, versteht es nicht. das verstehe ich auch.
AntwortenLöschennur: muss der deshalb seinen unverständlichen rotz in die kommentarspalte ejakulieren?
"... den Regler bis zum Anschlag"
AntwortenLöschenWährend in Wessiland (fast) gleichzeitg *Enjoy the silence* zur non-designierten Hymne einer Generation wurde.
Klar, im Östen wurde Musik politisiert, im Konsum-Wösten ästhetisiert. Offenbar definierte jeder in "Musik", was ihm ansonsten als Entfremdung vorgekommen sein sollte.
Da ich ja nebenberuflich der größte deutschsprachige Anthropologe bin, behaupte ich, daß Pank eigentlich nur im Östen wirklich gesellschaftlich relevant war. Denn, s.o.
P.S. Deshalb gab es im Osten auch noch in den 80-igern diesen Scheiß Liedermachermusikhabitus.