Mittwoch, 31. Oktober 2012

Deutschland für Europadiät

Deutschland ist entschlossen, den erfolgreichen Kurs auf eine erweiterte Integration in Europa und eine Stärkung der gemeinsamen EU-Institutionen beizubehalten. In der Diskussion um die Ausgaben der EU in den kommenden Jahren dringt Berlin deshalb auf stärkere Einschnitte als sie die zyprische Ratspräsidentschaft plant.

Statt den Haushaltsentwurf der EU-Kommission in Höhe von 1,033 Billionen Euro um mindestens 50 Milliarden Euro zu kürzen, wie Zypern das vorgeschlagen hat, möchte Angela Merkel die Ausgaben um 100 Milliarden zusammenstreichen. Für einen solchen Schnitt um zehn Prozent plädieren auch die meisten anderen Nettozahlerstaaten. Die Briten gehen noch darüber hinaus - sie glauben, Europa werde auch mit einer Kürzung um 200 Milliarden überleben.

Auf dem EU-Haushaltsgipfel Ende November soll über die Kürzung verhandelt werden, die von der großen deutschen Rettungskoalition als Diät für mehr Europa angepriesen wird. Das Europäische Parlament glaubte bislang, Europa sei nur durch immer höhere gemeinsame Ausgaben voranzubringen, auch die Staaten Süd- und Osteuropas sind weiterhin dieser Meinung.

Komatöse Kommentare

Der kleine Junge!
Und ihr habt Bänke angesägt!
Und?
Die Musik ist die DDR !
Aber ihr doch nicht!

Dienstag, 30. Oktober 2012

Endlich: Zeit wird verlängert

Letztlich ist die große Politik nach vier Jahren permanenter Retterei ratlos. Und angewiesen auf neue, spannende Rettungsvorschläge aus der politisch interessierten Restbevölkerung. Hans Michelbach, ein bisher weitgehend unsichtbar im Weinberg der Finanzkrise wirkender "Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Finanzausschuss", hat deshalb jetzt entschlossen auf eine Idee verwiesen, die
hier bei PPQ kürzlich exklusiv vorgestellt worden war.

Es geht um eine Entlastung Griechenlands ohne zusätzliche Belastung von Gläubigern und Partnerstaaten in Europa - eine Entlastung, die nicht mit mehr Geld, sondern nach übereinstimmenden Angaben aller 400 deutschen Tageszeitungen allein mit "mehr Zeit" herbeigerettet werden kann. Michelbach deutet nun erstmals an: "Die Zeitverlängerung scheint gewährt zu werden".

Wer mit dem neuen politischen Begriff nichts anfangen kann: Das Konzept der "Zeitverlängerung" sieht vor, Griechenland allein durch die Gewährung von mehr Zeit zu retten, ohne dabei mehr Geld auszugeben. Möglich wird das mit Hilfe einer komplett neuen Zeit für Hellas, die adäquat zur mitteleutopäischen Normalzeit MEZ "GrIZ" genannt werden soll.

Hier gehen die Uhren anders, jedes Normaljahr in Griechenland dauert künftig je nach Bedarf zwei bis fünf Jahre. Die genaue Länge ist jeweils abhängig davon, wann die mit Europa vereinbarten Sparziele als erreicht abgerechnet werden können.

Die Idee einer solchen Parallelzeit stammt ursprünglich aus dem Aufbaustab Hellas im Bundesfinanzministerium, liegt aber im Moment in Brüssel, wo Experten gemeinsam mit Fluggesellschaften, Sportverbänden und großen Urlaubsanbietern über die praktische Umsetzung verhandeln. Hier seien noch einige Hürden zu überwinden, wie es etwa beim europäischen Basketballverband heißt. Bisher sei völlig unklar, wie eine beispielsweise aufs Dreifache verlängerte Zeit, bei der ein Basketballspiel in Griechenland nach mitteleuropäischer Normalzeit rund drei Stunden effektive Spielzeit hätte, bei Spitzenvereinen zu vermitteln sei, die gegen griechische Klubs im Europapokal antreten müssten. Ähnliche Bedenken kamen auch aus dem Fußballverband Uefa und von Handballvereinen.

Schwierig werde auch die Koordination mit Flugplänen und die Verrechnung von in Griechenland erworbenen Lebensjahren etwa bei einem Umzug nach Deutschland. Das Griechenland-Dilemma aber dränge wieder, vier Wochen nach der endendgültigen Lösung. Das hochverschuldete Land komme mit dem Sparen nicht hinterher, weil die mitteleuropäisch übliche Zeit allen Sparanstrengungen davonlaufe, heißt es in Brüssel. Da eine Fristverlängerung für das griechische Reform- und Sparprogramm von allen führenden Rettungspolitikern ausgeschlossen worden sei, bleibe nun nur noch die Zeitverlängerung, sagte CSU-Finanzexperte Michelbach. Es gehe nun darum, die Bedingungen für die Finanzierung dieses Zeitaufschubes so zu gestalten, dass sie für die Abgeordneten des Bundestages akzeptabel seien. "Das wäre ein Weg, der zumindest Griechenland mit in die Verantwortung zwingt ohne die Totalalimentation, die von griechischer Seite verlangt wird", sagte Michelbach. "Das ginge in die ähnliche Richtung wie ein Schuldenrücknahmekauf, indem man die Nominalwerte verändert", beschreibt er.

Bei einem Spitzentreffen von Finanzvertretern aus den 17 Euroländern hatten diese den Vorschlag diskutiert.Nun müsse noch die Frage geklärt werden, wie die Umsetzung des Programmes insgesamt stattfinden soll, forderte Michelbach. "Wir haben noch keinerlei Information, wie sich das zeitlich gestalten soll, wir haben keine Klarheit, wie das laufen soll". Griechenland braucht bis 2016 zusätzliche 30 Milliarden Euro von seinen internationalen Gläubigern oder eine Verscheibung des Jahres 2016 in den zeitraum 2020 bis 2025.

Regierung will schon wieder ohne neue Schulden auskommen

Hans Eichel war nicht der Erste, aber der Letzte war er weißgott nicht. 2005 kündigte der Mann, der sich „der eiserne Hans“ nannte, an, „2006 einen Haushalt ohne neue Schulden vorzulegen“. Eichel wollte als „Sparminister“ in die Geschichte eingehen, musste allerdings bereits zehn Monate später gestehen, dass die Zahlen nicht so waren, wie er das gern gehabt hätte. Der „ausgeglichene Haushalt ohne neue Schulden“ wurde verschoben, dann aber auch schon von der Kanzlerin selbst angekündigt.

In der Haushaltsberatungen ließ Angela Merkel im Sptember 2008 die Bombe platzen. Trotz des nachlassenden Wirtschaftsbooms und den Turbulenzen an den Finanzmärkten wolle sie „bis zum Jahr 2011 einen ausgeglichenen Haushalt“ aufstellen, hieß es. Der neue Finanzminister, erneut ein Sozialdemokrat, sah das genauso: Erst wollte Peer Steinbrück schon 2008 „ohne neue Schulden“ auskommen. Dann war es 2008 und er zeigte Tatkraft, indem er das Ziel des ausgeglichenen Haushalts auf „2009 oder 2010“ (Steinbrück) verschob.

Fest entschlossen wurde das Ziel dann 2010 auf 2011 verschoben. Der Sparwille aber blieb ungebrochen, selbst als Steinbrück wich und Wolfgang Schäuble das Amt des Finanzministers übernahm. Plante Steinbrück anno 2009 noch mit Ausgaben von 288,4 Milliarden Euro und 10,5 Milliarden Euro neuen Schulden - den Blick stabil darauf gerichtet, dass es bald das letzte Mal sein wird - steigerte Schäuble das Defizit durch strikte Sparpolitik bereits anno 2011 auf 48 Milliarden Euro.

Nun aber ist der Finanzminister noch optimistischer. Aus den Zahlen folge, sagte Schäuble bereits 2009, „dass wir den Haushalt über eine Reduzierung der Staatsausgaben ins Lot bringen müssen“. Auch das ist ihm gelungen – durch stete und strikte Reduzierung stiegen die Ausgaben des Bundes innerhalb von drei Jahren um acht Prozent von 288 auf 312 Milliarden Euro und es gelang, das Defizit zwischen Einnahmen und Ausgaben für kommendes Jahr auf nur noch 32,1 Milliarden Euro zu senken – das ist nur noch eine Milliarde mehr als an dem Tage vor sechs Jahren, als Hans Eichel den ersten Haushalt ohne Schulden seit 1969 als Nahziel verkündete.

Die Süddeutsche Zeitung, wie so viele andere Blätter einer hohen Qualität der Berichterstattung verpflichtet, fasst es in den mitreißenden Satz: "Regierung will schon 2014 ohne neue Schulden auskommen".

Montag, 29. Oktober 2012

Bilder für die Besenkammer

Das ungeliebte Erbe der Ära Wulff, der neue Bundespräsident Joachim Gauck räumt entschlossen weiter auf damit. Erst sagte der Volkspräsident aus Rostock allen Sponsoren der traditionellen Gartenparty im Schloss Bellevue ab, jetzt ließ er die von seinen Vorgängern Köhler und Wulff eingerichtete Bildergalerie mit Porträts aller Ex-Bundespräsidenten beseitigen und die Gemälde in einer abgelegene Kammer ohne Publikumsverkehr hängen.

Horst Köhler hatte einst die Idee gehabt, im Berliner Sitz des Staatsoberhauptes ein Traditionskabinett ähnlich dem im Magdeburger Innenministeriums einzurichten. Denn Wettbewerb um das schönste Bild gewann der mitteldeutsche Maler Volker Henze, der in Halle an der Saale, direkt an der Straße der Gewalt, begann, die offiziellen Porträts der Bundespräsidenten zu malen.

110.000 Euro aus dem Konjunkturpaket zur Rettung Deutschlands vor den Folgen der "amerikanischen Krise" (Steinbrück) gab es, um dasals Gründungsakt einer neuen deutschen Erinnerungskultur angelegte Projekt anzustoßen.

Eine Tradition, die schließlich aber nicht einmal einen ganzen Monat überlebte. Nach „massiver Kritik“ von Besuchern im Schloss Bellevue an der "lebhaften Farbgestaltung" der Präsidentenporträts habe Joachim Gauck entschieden, die Henze-Werke aus der Galerie des Schlosses in ein kleines Nebenzimmer von Gaucks Büro umzuhängen.

Henze ist empört. Noch im Sommer habe Gauck ihm gratuliert und beteuert, dass ihm das Porträt von Johannes Rau besonders gut gefalle. Der frühere Heiner-Müller-Anwalt Peter Raue hingegen lehnte die Bilder als "unzumutbar" ab. Das habe er auch dem Bundespräsidenten mitgeteilt. Der zeigte Verständnis und lud Henze ein, beim Umhängen der Bilder in die Besenkammer zu helfen. Der Maler aber lehnte ab. Er sei nicht bereit, „an meiner eigenen Hinrichtung" teilzunehmen.

18: Perfider Nazi-Plan durchkreuzt

Das hatten sich die Rechtsradikalen, Rechtsextremen und Rechtsextremisten schön ausgerechnet! Aber Innenminister Hans-Peter Friedrich tat ihnen natürlich nicht den Gefallen!

Als der CSU-Politiker kürzlich bekannt machte, dass deutschlandweit 110 Rechtsextremisten untergetaucht seien und mit Haftbefehl gesucht würden, erschütterte das die Republik bis ins Innerste. 110 potentielle Terroristen im Untergrund, auf freiem Fuß und jederzeit bereit, eine Bande im Stil der NSU zu gründen!

Auch wenn notorische Verharmloser des rechten Popanz' reflexartig darauf hinwiesen, dass der Anteil der mit Haftbefehl gesuchten Rechten an den Rechten insgesamt erstaunlicherweise dem Anteil der mit Haftbefehl gesuchten restlichen Menschen an der restlichen Bevölkerung entspricht, ging die Angst vor einer oder zwei neuen Braunen Armee Fraktionen um.

In der schönen alten Tradition der "Angst der Woche" aber ist Friedrichs Staatssekretär Ole Schröder nun zurückgerudert. Eigentlich, so der Christdemokrat in der "Bild am Sonntag" würden derzeit lediglich 18 Personen wegen rechtsextremer Straftaten gesucht. Alle anderen zur Festnahme ausgeschriebenen Rechten ständen wegen unpolitischer Delikte wie Fahrerflucht oder versäumte Unterhaltszahlungen auf der Fahndungsliste.

Während Michael Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sich in die Front der Verharmloser einreiht und Friedrich beschuldigt, "mit unseriösen Zahlen die Menschen beunruhigt" zu haben, weist das Innenministerium diese Kritik zurück. Die rechte Gefahr könne im Grunde genommen nie groß genug dargestellt werden, hieß es zur Verteidigung der ursprünglichen Zahlenangabe.

Zudem sei es dem Minister natürlich nicht möglich gewesen, die Original-Zahl von 18 zur Fahndung ausgeschriebenen Rechtstätern zu nennen. Bei "18" handele es sich nach Experten-Expertisen um einen Zahlencode der Nazis, der für den ersten und den achten Buchstaben des Alphabets stehe. Der perfide Plan der untergetauchten Rechten: Über die öffentliche Bekanntmachung der wegen rechter Straftaten flüchtigen 18 Rechten wollte die selbsternannte "nationale Bewegung" den Innenminister als Propagandamittel für ihre menschenverachtende Ideologie missbrauchen.

"Glücklicherweise", heißt es in Berlin, "ist das unseren Fachleuten sofort aufgefallen, so dass eine entsprechende Aussage verhindert werden konnte."

Sonntag, 28. Oktober 2012

Politikeranrufe: Jetzt kommt alles raus

Nach der ZDF-Affäre um CSU-Sprecher Hans Michael Strepp wird nun bekannt, dass auch eine weitere CSU-Sprecherin bei Fernsehsender angerufen hat. Die Frau habe vor Jahresfrist akut auf die Fukushima-Berichterstattung des Bayerischen Rundfunks Einfluss genommen. Gleichzeitig sind Aufzeichnungen aus der Telefonzentrale der ARD in Meckenheim öffentlich geworden, nach denen in den letzten 34 Jahren insgesamt mehr als 193.534 Anrufe von Politikern und Politiker-Sprechern direkt zu Redaktionsleitern und Redakteuren durchgestellt wurden. In 124.865 Fällen kam es unmittelbar danach zur Streichung von Sendungen, zu Veränderungen in der Sende-Reihenfolge, zu Rückrufen oder zu Interviews mit den Anrufern.

Die ZDF-Sendereihe "Sommergespräch" etwa, in der führende Rettungspolitiker seit Jahren regelmäßig gut beleuchtet von einer warmen Abendsonne  erläutern, warum Griechenland nun liefern muss, so verraten die Akten, verdanken sich einer Anrufserie von Angela Merkels Sprecher beim WDR. Dort habe man jedoch darauf verweisen können, dass die "Lindenstraße" den von der Kanzlerin gewünschten Sendeplatz blockiere. Über die Staatskanzlei in Offenbach habe dann jedoch ein Platz beim ZDF gefunden werden können.

In den meisten Fällen aber gehe es beim Anrufen nicht nur um die Platzierung der eigenen Leute bei Anne Will, Plasberg oder Beckmann, sondern auch um die Verhinderung der Präsenz der Gegenseite, verrät ein häufig mit Anrufen betrauter Mitarbeiter eines führenden Bundespolitikers. "Man tut erst nett, wird dann hart und drückt seine Leute so auf Kosten der anderen in die Talkshows", berichtet der Mann. Bei Klassikern wie Gysi, Geißler, Trittin, Roth oder Brüderle komme es nicht darauf an, zu welchem Thema sie eingeladen werden - "die wissen ja zum Glück zu allem was Bedeutsames zu sagen".

Komplizierter seien Anrufe, mit denen Schaden für Land und Partei verhindert werden müsse. Man rufe dann natürlich nicht direkt an, um die Absetzung von Dokumentationen, Berichten oder Reportagen zu verlangen, sondern merke allenfalls an, dass bestimmte Beiträge in der Vergangenheit "nicht sachgerecht gewesen" seien und man eine Wiederholung verhindern wolle. Das System funktioniere zur Zufriedenheit beider Seiten, vor allem auch, weil sich alle Aktiven aus gemeinsamen Sendungen, von Stehparys und aus Vernissagen kennen. Als Transmissionsriemen des politischen Willens funktionierten Medien heute beispielhaft und nahezu ohne Nebengeräusche, analysiert ein Experte, der im Auftrag des Bundesblogampelamtes forscht "In den meisten Fällen wissen nicht einmal die unmittelbar Betroffenen, wem sie gerade zu willen sind."

Vollzug außer Vollzug

Zwei von drei inhaftierten Männern, die an der tötlichen Prügelattacke auf den 20-jährigen Jonny K. am Berliner Alexanderplatz beteiligt waren, sind wieder auf freiem Fuß. Einer hat das seinem ausführlichen Geständnis zu verdanken, beim zweiten ist sicher, dass er nicht für den Tod Jonny K.s verantwortlich zeichnet, sondern nur eine gefährliche Körperverletzung begangen hat. Der junge Mann hatte nicht auf den wenig später verstorbenen Jonny K., sondern nur auf dessen Begleiter eingeschlagen und diesen verletzt. "Der Vollzug wurde aufgrund seines Geständnisses, seiner sozial-familiären Bindungen und seines Vorlebens außer Vollzug gesetzt", sagte ein Sprecher. Es liege aber keine Tat aus fremdenfeindlichen Motiven vor, hieß es in Berlin.

In Untersuchungshaft sitzt nun noch der 19-jährige Onur U. (Bild oben), der wie in solchen Fällen üblich mit großer und streng geheimgehaltener Medienbeteiligung von einer Elite-Einheit der Polizei im Hubschrauber zu Vernehmungen geflogen worden war. damit habe man zeigen wollen, "dass etwas gegen die Gewalt auf unseren Straßen getan wird".

Es geht um das Ansehen Deutschlands im Ausland - und wie immer in solchen Fällen hatte die höchste deutsche Anklagebehörde zwei Tage nach der Tat die Ermittlungen an sich gezogen, weil sie wegen der Herkunft des Opfers von einem rassistisch motivierten Mordversuch ausging, der geeignet erschien, die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Der Alexanderplatz, an dem sich die Tat abspielte, gilt als Schaufenster Deutschlands zur Welt, hier halten sich viele Touristen auf. Es bestehe die Gefahr, verlautete aus Fahnderkreisen, dass sich hier eine "national befreite Zone" bilde. Die Tat sei, so ein Sprecher der Bundesanwaltschaft, wegen einer überregionalen Fanalwirkung geeignet, die innere Sicherheit der Bundesrepublik zu gefährden.

"Im konkreten Fall handelt es sich um einen rassistisch motivierten Übergriff der beiden Beschuldigten, der geeignet und bestimmt war, die innere Sicherheit des Gesamtstaats zu gefährden", führte der Haftrichter aus.

Samstag, 27. Oktober 2012

Abgeschafft: Fürderhin tumb im Wust

Zwei Jahre und volle zwei Monate schafft sich Deutschland nun schon ab und obwohl beinahe alle großen Zeitungen mit Nachdruck gewarnt hatten, meist nicht nur einmal, sind bisher nut Teilerfolge zu vermelden. Folgende Vokabeln stehen unmittelbar vor der Auslöschung:

abgefeimt
Behuf
dingen
darben
darob
dräuen
drög(e)
emsig
feil
Fräulein
Fuder
fürder
gen
Glimpf
hadern
Harm
härmen
harsch
Hege
hehr
heischen
hiefen
hurtig
Hut, die
jäh
just
karg, kargen
Maid
meinethalb
Munt, die
schicklich
schier
schleunig
seihen
siech
sonder
stracks
töricht
tumb
tummeln
verbrämen
wacker
walten, obwalten
Wart
Werg
wirsch
Wust
Zähre
zeihen
zeitigen

(Quelle: Geiernotizen)

Todesgefahr Dosenbohne

Deftiges Geschmackserlebnis, Dickmacher aus der Großküche oder gefährliches Mordessen? Beim Thema Büchsenbohnen scheiden sich die Geister. Nach Angaben der Lebensmittelzeitung fordert das Bundesverbraucherministerium seit einiger Zeit Warnhinweise beim Verkauf des Dosenfutters. Denn die dicken Bohnenkugeln können in die Atemwege von Kleinkindern gelangen. Das hat eine Prüfung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) ergeben, wie das Ministerium am mitteilte. Verbände und die Lebensmittelüberwachung sollen die Verkäufer von Büchsenbohnen auffordern, auf diese Gefahr aufmerksam zu machen - mit möglichst einheitlichen Warnhinweisen (Ministeriumsentwurf siehe oben).

Ein Ministeriumssprecher erklärte, das Bundesinstitut komme zu dem Ergebnis, dass beim Verkauf von Bohnen in der Büchse Hinweise zur Verschluckungsgefahr bei Kindern erforderlich seien. Auch der FDP-Ernährungsexperte Hans-Michael Goldmann verlangt eine klare Kennzeichnung von Dosenbohnen. "Ich fordere eindeutige Warnhinweise", sagte der Vorsitzende des Ernährungsausschusses des Bundestags in Berlin.

Ähnlich sieht das auch der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte. Bohnen hätten eine knorpelige Konsistenz und ließen sich schwer zerbeißen, sagte Präsident Wolfram Hartmann. Kleinkinder, die sie über den dicken Löffel zu sich nehmen, könnten sich daher leicht daran verschlucken. Über die Bronchien in die Lunge gelangt, könnten die Kügelchen eine Lungenentzündung auslösen.

Gleichwohl wies das Verbraucherministerium aber ausdrücklich darauf hin, dass bisher keine Komplikationen gemeldet worden seien, die von Büchsenbohnen verursacht worden seien - weder in Deutschland noch aus dem Ausland, weder gegenwärtig noch in der Vergangenheit, als die immense Verschluckungsgefahr der Neuzeit noch nicht bekannt war.

Eltern sollten aber bei Kindern bis vier Jahren die gleichen Vorsichtsmaßnahmen beachten, die auch für den Verzehr von Erdnüssen oder Gummibärchen gelten. Nur unter Aufsicht essen lassen und "wegen der Gefahr des Verschluckens beziehungsweise des Einatmens sollten Eltern von Kleinkindern hier besonders aufmerksam sein", erklärte Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner, die selbst keine Kinder hat und sich deshalb stellvertretend Sorgen machen muss.

Die Grünen im Bundestag warfen Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) vor, auch bei den Büchsenbohnen werde sie erst wieder auf Druck der Opposition aktiv. Vor kurzem hatte die Partei eine kleine Anfrage im Bundestag zum Thema Bohnenkonsum eingereicht. Fraktionsvize Bärbel Höhn sagte, die angekündigten Warnhinweise seien das eine. Ihre Partei fordere aber auch leicht zugängliche Informationen über den Kalorien- und Nährstoffgehalt. "Manche Bohnenbüchsen enthalten doppelt so viel Zucker wie Cola", sagte Höhn und verlangte: "Die Verbraucher müssen erkennen können, um was für eine Kalorienbombe es sich bei schlesischer Reitersuppe oder Chilli handelt." Auch Goldmann verlangte deutlichere Hinweise auf den hohen Salz- und Zuckergehalt. Eine Dose Kidney-Bohnen enthält einem Schnelltest der Stiftung Warentest zufolge bis zu 92 Gramm Wasser.

Nach Angaben der Marktforschungsgesellschaft GfK wurde allein von Januar bis April dieses Jahres mit Dosenbohnen ein Umsatz von 14,4 Millionen Euro erzielt. Ursprünglich stammt die Speise aus Afrika. Inzwischen essen auch in Deutschland Zehntausende die schwarzen oder grauen Perlen mit einem Löffel. Laut Stiftung Warentest ist Büchsenbohne keine natürliche Hülsenfrucht, sondern "eine künstliche Speise mit Zusatzstoffen, Gewürzen und tierischen Fetten".

Freitag, 26. Oktober 2012

Ein Herz für Heuchler

Was für eine Aufregung! Was für ein Skandal! Da hat doch der Sprecher einer süddeutschen Regionalpartei wirklich die Chuzpe gehabt, in der Zentrale eines bundesdeutschen GEZ-Konzerns anzurufen, um "die Berichterstattung zu beeinflussen". Unerhört! Unerträglich! Was ist nur in CSU-Sprecher Hans Michael Strepp gefahren? In wessen Auftrag handelte er? Wer steckt wirklich hinter seinem unmoralischen Ansinnen, das ZDF möge nicht vom Parteitag der bayrischen SPD berichten?

Wollte Strepp den Landtagswahlkampf in Bayern im kommenden Jahr schon vorab entscheiden? Gar die Bundestagswahl entscheidend beeinflussen? Immerhin soll die rechte Hand von CSU-Chef Seehofer ernste Drohungen ausgestoßen habe: Für den Fall, das ZDF sei ihm nicht zu Willen, könne es "Diskussionen" geben, kündigte er einem Gedächtnisprotokoll zufolge an.

Ein blutiger Amateur. Dem ZDF und ARD un der ganze Rest der Sendernation ebenso dankbar sein müssen wie sämtliche 400 Zeitungen. Denn Strepp bietet Gelegenheit für eine öffentliche Exorzismus, aufgeführt auf der ganz großen Bühne. Als sprächen Sprecher und Berichterstatter, Interviewer und Interviewte, Parteivorsitzende und Intendanten nicht beständig ab, was wann wie und wo berichtet wird, inszenieren sich die deutschen Leitmedien im Fall Hans Michael Strepp, als hätten sie davon nie gehört und könnten sich das auch im Leben nicht vorstellen. Wacker steht eine ganze Branche auf gegen einen Popanz, entschieden weisen mutige Reporter, Schnittassistenten und Intendanten den versuch zurück, per Anruf und - im Fall der ARD - in ihre Themenplanung einzugreifen.

Man muss ein Herz für Heuchler haben, um angesichts dieser Schmierenkomödie nicht in Lachen auszubrechen. "Strepps schwer erklärbarer Fauxpas" sieht die "Zeit", "Strepps Verhalten war dumm", meint der "Focus", "Wer gab CSU-Sprecher Strepp den Auftrag?", rätselt die Süddeutsche Zeitung mit Blick auf Parteichef Horst Seehofer.

Immerhin ein Fingerzeig darauf, worum es hier geht: Nicht um die Sauberhaltung eines Journalismus, der alle Tage im schmutzigen Kleidchen von absichtsvoll durchgestochenen Interna, verabredungsgemäß unterdrückten Fakten und gemeinsam geplanten Themenoffensiven herumläuft. Sondern um ein Stück politischen Armdrückens, bei dem ein Beeinflussungsversuch, wie er jeden Tag dutzendfach vorkommt und dutzendfach erfolgreich ist, als Waffe gegen den politischen Gegner dient.

Kaum jemals war die Sache offensichtlicher. Strepp hat beim ZDF angerufen, wo Strauss Augstein noch hat inhaftieren lassen. Der ARD hat der subalterne Parteiarbeiter gar nur eine SMS geschickt. Man kann sich die Angst in beiden Sendern vorstellen, die darob ausbrach. "Ein unerhörter Versuch der politischen Einflussnahme auf die Pressefreiheit? Skandal?", fragt die "Wirtschaftswoche", eines der wenigen Blätter, die die Tragweite der "Affäre" eher amüsant als bedrohlich und das mediale Echo eher peinlich als gerechtfertigt finden.

Wenn so hart mit möglichen „Diskussionen“ gedroht werde, "müssen den öffentlich-rechtlichen Kollegen vor Angst die Beine geschlottert haben", heißt es. Umso verdienstvoller, dass der - sicherlich fundamental wichtige Beitrag zum SPD-Parteitag - dann trotzdem ungefiltert in sämtliche deutschen Haushalte verklappt wurde.

Die Medienwelt ist seitdem eine andere. Draußen an den Empfängern glauben sie nun vielleicht, dass im Fernsehen das Richtige und Wichtige gezeigt, das Unwesentliche aber beiseite gelassen wird.

Im Zweifelsfall ist es natürlich andersherum, denn dank der hierzulande historisch gewachsenen Medienstruktur und -kultur gelingt es beinahe wöchentlich, eine neue Sau im ganzen Trupp durchs Dorf zu jagen. Und das völlig unabhängig von der objektiven Relevanz.

Alle machen mit, alle natürlich völlig unabhängig sowohl voneinander und von denen, die das jeweilige Spektakel mit Hilfe von vorab lancierten Pressemitteilungen, zugespitzten Interviewäußerungen oder durchgesteckten "Geheimnissen" inszeniert haben. Der Fall Strepp funktioniert nun einfach nur ebenso und dazu kommt er wie gerufen, denn im Licht der kleinen Flamme des Anrufers aus der CSU-Zentrale lässt sich wunderbar, das Gegenteil der Wahrheit vorzeigen. Chefredakteur Peter Frey jedenfalls ist laut "Wirtschaftswoche" stolz auf die gelungene Aufführung: „Die ‚heute‘-Redaktion hat ihre Unabhängigkeit bewiesen“, verkündet er.

Blaue Fliesen mit südländischem Aussehen

Wenn aus dem Herzen des Schweigens eine Stimme ertönt, die selbstverständliches fordert, dann erzählt das mehr über die gesellschaftlichen Verhältnisse als das Echo, das darauf folgt. Deniz Yücel kann neuerdings ein Lied davon singen, hat der Taz-Kolummnist doch vor lauter Ratlosigkeit, was sich denn nun noch zum Tod des jungen Berliner Jonny K. sagen lassen könnte, einen Text geschrieben, der fordert, die mutmaßliche ethnische Zugehörigkeit von Tätern in der Berichterstattung über Straftaten doch mal lieber wieder zu nennen. Schließlich seien bei 1.049 "Rohheitsdelikten" im Zusammenhang mit Jugendgewalt in Berlin 32 Prozent der Tatverdächtigen ausländische Staatsbürger und weitere 41,5 Prozent deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund gewesen - nach den Richtlinien des Presserates aber dürfe „die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten" durchaus erwähnt werden, "wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.“

So naheliegend, so umstritten. Ist das denn ein "Sachbezug"? Wer legt das fest? Wer legt es überhaupt fest? Nach welchen Kriterien? Warum kann der Leser das nicht selbst tun? Yücel denkt, er kann es. Einen noch größeren Wert vermerke die Statistik lediglich für die Geschlechtszugehörigkeit der Tatverdächtigen, schreibt Yücel: "82,8 Prozent Männer". Sei es aber deshalb vernünftig, künftig auch das Geschlecht der Täter zu verschweigen?

Nun, seit Jahren schon bemühen sich viele Zeitungen nach Kräften, darüber nicht weiter nachzudenken. Sie schreiben lieber nach der anderen Empfehlung des Presserates: Da die Erwähnung ethnischer Zugehörigkeiten "Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte“, wird sie lieber weggelassen.

Das Ergebnis ist jeden Tag zu besichtigen und erfahrene Leser wissen damit umzugehen. Ist ein mutmaßlicher Täter auch in längeren Texten ausschließlich ein "Räuber" oder ein "17-Jähriger", dann handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen der von Yücel erwähnten jungen Männer mit "südländischem Aussehen" (Tagesspiegel). Wird er hingegen synonym auch als Rostocker, Dortmunder oder Berliner bezeichnet, dann könnte er blond sein und blaue Augen haben.

Soweit, so einfach zu verstehen. Die DDR hat vor Jahren bereits in einem Großversuch gezeigt, dass es für das Verständnis von Botschaften völlig gleichgültig ist, welche Worte zur Übermittlung verwendet werden. Westgeld hieß "blaue Fliesen" so wie "Räuber" heute "südländisches Aussehen" bedeutet. Keine Aufregung! Alle können damit leben, jeder macht sich was vor. Und die explizite Vernebelung der Herkunft von Tätern in deutschen Medien nützt sogar dem rechten Rand noch was, weil der immer eine Beweis zur Hand hat, wie im Mainstream bedrohliche Fakten und verschwiegen werden.

Yücel hat sich mit seiner Forderung dennoch in die Nesseln gesetzt. Über so etwas redet man nicht! Man macht es einfach. Bei Heise hat Peter Nowak eine Diskussion darüber vom Zaun gebrochen, welche Fakten Journalisten der Bevölkerung noch übermitteln dürfen, ohne den Schutz der Volksgesundheit zu gefährden. Yücel habe "eine zu positive Einschätzung über die Zivilisiertheit der Gesellschaft in Deutschland", wenn er glaube, Informationen könnten hierzulande einfach so ungefiltert verbreitet werden.

Was hätten wir dann? Mord und Totschlag! "Jahrelang haben Menschenrechtsorganisationen dafür gestritten, dass die Nennung der vermeintlichen Herkunft von angeblichen Straftätern in Zeitungsberichten verschwindet, gerade um solche Diskriminierungen zu verhindern", führt der Autor an, als wäre das ein Argument. Und hier ist es eins, denn weil das so ist, gibt es "auch keinen Grund, von diesem Grundsatz abzuweichen."

Donnerstag, 25. Oktober 2012

Hitler muss Mysterium bleiben

Ein wenig musste man sich schon Sorgen machen. Seit der frühere Führer und Reichskanzler Adolf Hitler im Sommer plötzlich und völlig unerwartet den Start seines eigenen Fernsehsenders Hitler TV angekündigt hatte, war kaum mehr etwas vom prominentesten Deutschen zu hören. Keinerlei Zitate, keine Beschuldigungen, nur selten noch zeigten ARD, ZDF und die anderen angeschlossenen Anstalten frische Filmberichte aus dem Leben des bekannten Österreichers.

Doch das Warten hat ein Ende. Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, hat sich nun endlich ein Herz gefasst und im "Cicero" Stellung gegen die in vier Jahren drohende Neuveröffentlichung von Hitlers Hauptwerk „Mein Kampf“ in Deutschland bezogen. Die Urheberrechte, die der Freistaat Bayern hält, laufen dann aus. Jeder, der das möchte, kann die Hetzschrift dann drucken lassen und vertreiben oder als E-Book anbieten.

Knobloch ist darob in großer Sorge. Hatte sie Anfang des Jahres noch beim Runden Hitler-Tisch in Bayern einem Kompromiss zugestimmt, nach dem bei künftigen Veröffentlichungen in Deutschland alle Auszüge aus dem Machwerk des Diktators unleserlich erscheinen sollten, ruderte sie jetzt zurück. „Es muss rechtlich geprüft werden, ob es möglich ist, die Veröffentlichung über den Straftatbestand der Volksverhetzung zu verhindern.“

Auch sieben Jahrzehnte nach dem Tod Hitlers reiche es völlig, wenn jeder Interessierte sich das Buch über das Internet im Ausland bestelle. Der bayerische Finanzminister Markus Söder widersprach. Besonders unter jungen Menschen gebe es eine "Anfälligkeit für Extreme", der Bedarf sei also da. Söder will sich "über das Buch auseinandersetzen“, um es zu "entmystifizieren". Knobloch widerspricht entschieden.

Die beiden unvereinbaren Positionen bergen nach Ansicht von Experten Potential für einen langen, nährreichen Streit.

Aufbaustab Hellas: Mit uns zieht die neue Zeit

Zeit ist kein Geld mehr, das weiß jeder deutsche Festgeldsparer, dessen sauer verdiente Spargroschen sich schon seit Monaten nicht mehr verzinsen. Geld spielt also keine Rolle, auch für die seit Jahren so erfolgreichen europäischen Rettungsbemühungen nicht: Drei Jahre blutet Griechenland nun schon vor aller Augen, die Menschen hungern, sie protestieren, sie streiken, sie klagen, sie schuften für geringe Löhne - und noch immer hat sich nichts zum Besseren gewendet.

Was Griechenland braucht, ist nicht mehr Geld und immer noch mehr Geld. Sondern einfach mehr Zeit. Zum Glück steht davon ausreichend viel zur Verfügung - bis heute konnten Wissenschaftler nicht einmal genau bestimmen, wieviel Zeit überhaupt vorhanden ist. Sicher sei nur, dass es sich eher um Milliarden als um Millionen Jahre handelt.

Trotz dieses Zeitüberflusses gab sich Rettungseuropa angesichts der Nöte der Hellenen über Monate hinweg knauserig. Erst jetzt lenkt die Gemeinschaft ein: Brüssel, die EZB, der ESM und alle anderen demokratischen Institutionen werden den Griechen zwei Jahre zugestehen, um die Sparziele dieses Jahres zu erreichen, die genaugenommen die Sparziele des vergangenen Jahres sind. Damals hatten sie nicht erreicht werden können, weil innerhalb des Jahres 2011 nicht genügend Zeit zur Verfügung stand.

2012 war das Dilemma dasselbe. Wollte Athen seine Sparziele 2010 noch übertreffen, reichte es zwei Rettungsjahre später nicht einmal mehr zum Versuch. Durch die vermehrten Spananstrengungen wurde das Sparen schwerer, da die Zeit viel zu knapp war.

Die "neuen Sorgen um Griechenland", die deutsche Zeitungsleser im Sommer 2010 kaum aufgeschreckt hatten, weil Fußball-WM war, sie kehren mit Macht zurück, abgefedert nur durch die Gewissheit, dass Griechenland eigentlich kein Geld benötigt, sondern eben nur mehr Zeit, also eine Zeitverlängerung. Genau wie damals im März 2010, als Griechenland sich dem Druck der EU beugte und schon früh um neun Uhr ein Sparpaket beschloss.

In Berlin, das sich auch drei Jahre nach dem seinerzeit erstmals bekundeten strengen Sparwillen der Griechen sträubte, die Zeitkassen zu öffnen und "zu tun, was nötig ist" (Angela Merkel) scheint die Botschaft diesmal angekommen zu sein. Ein "Aufbaustab Hellas" im Bundesfinanzministerium hat inzwischen einen Sonderplan zur Sanierung des EU- und Nato-Partners entworfen, der völlig neue Wege geht. Vergleichbar mit der üblichen Sommerzeit soll bis auf Weiteres auf griechischem Staatsgebiet eine eigene griechische Zeit mit besonderer Zeitrechnung gelten.

Nach der neuen Zeit gerechnet, die adäquat zur mitteleutopäischen Normalzeit MEZ "GrIZ" genannt werden soll, dauert jedes Normaljahr in Griechenland künftig je nach Bedarf zwei bis fünf Jahre, abhängig davon, wann die jeweiligen Sparziele als erreicht abgerechnet werden können. So bleibe der Regierung in Athen in jedem Fall ausreichend Zeit, das Sparen energisch voranzutreiben, und mehr Geld werde tatsächlich nicht benötigt, hieß es im politischen Berlin.

Mittwoch, 24. Oktober 2012

EU-Kommissariat für Frauentausch

Nachdem EU-Justizkommissarin Viviane Reding einen radikalen Vorschlag für eine gesetzliche Quote von Frauen in Führungspositionen vorgestellt hat, ist in Brüssel ein offener Machtkampf darüber entbrannt, welcher EU-Kommissar seinen Posten zur Umsetzung der neuen Richtlinie aufgeben muss.

Denn die Pläne der Luxemburgerin für eine verbindliche Quote von 40 Prozent bringen nicht nur Unternehmen unter Druck, die einen dreiköpfigen Vorstand haben, der künftitg mit mindestens zwei Frauen besetzt werden oder aber auf vier Personen erweitert werden muss, um den Frauenanteil über die magische Schwelle von 40 Prozent zu heben, sondern 
muss auch die Kommission selbst. Denn auch in Brüssel ist die Situation nach Ansicht von Frauenrechtlern und Frauenrechtlerinnen derzeit unhaltbar: Selbst nach dem Rücktritt von EU-Kommissar John Dalli sind nur neun von derzeit 26 Kommissarsstellen mit Quotenfrauen besetzt. Rein rechnerisch ständen dem weiblichen Geschlecht nach den neuen EU-Vorgaben jedoch 10,4 Sitze zu. Noch schlimmer sieht es bei der Führungsriege der europäischen Führer aus: Von neun Mitgliedern des Präsidiums der EU-Kommission sind nur drei weiblichen Geschlechts. Das ist eine Quote von knapp über 33 Prozent.

Umstritten ist jedoch, ob die Vorgaben der Justizkommissarin überhaupt für europäische Verwaltungsinstitutionen wie die EU-Kommission gelten. Direkt beziehen sich Redings Pläne nur auf große börsennotierte Unternehmen, so dass selbst große staatliche Firmen, Behörden, Parlamente, Kabinette und Armeen nicht betroffen sind. Die Kommissarin selbst verteidigte dieses Vorgehen damit, dass es an der Privatwirtschaft sei, mit gutem Beispiel voranzugehen. Bei der EU-Kommission hingegen sei die Frauenquote "gefühlt bereits erreicht", denn in Wirklichkeit gehe es dabei "nicht um Zahlen".

Armutsbrennpunkt Sylt

Sie können ihre Rechnungen nicht begleichen, nicht regelmäßig vernünftig essen, sich kein Auto leisten oder in den Urlaub fahren: Etwa jeder fünfte Deutsche ist laut einer neuen EU-Statistik von Armut betroffen. Der Brennpunkt der rasend schnellen Verarmung, die nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes noch im September nur jeden siebten Deutschen betroffen hatte, liegt dabei auf der Insel Sylt, wie die Zahlen der Erhebung "Leben in Europa 2011" verraten.

Die EU hat den Indikator eingeführt, um zu zeigen, dass Armut und soziale Ausgrenzung in der EU immer öfter Alltag sind. Arm oder ausgegrenzt sei, wer seine laufenden Rechnungen nicht begleichen könne, nicht mindestens jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit einnehme, keine notwendigen Anschaffungen tätige, nicht in den Urlaub fahre oder sich keinen eigenen Pkw leisten könne.

Die bislang verdeckte Armut auf der deutschen Reicheninsel Sylt wird dank dieser schonungslosen Statistik erstmals öffentlich. Danach beträgt die KfZ-Zulassungsquote auf der Insel nur 530 Fahrzeuge pro 1000 Einwohner – im Rest Deutschlands beträgt sie hingegen 633 Fahrzeuge. Auf Sylt kann sich damit kaum jeder zweite Einwohner ein eigenes Auto leisten – die Armutsquote nach EU-Definition liegt damit bei erschreckenden 50 Prozent.

Mehr als doppelt so hoch wie im restlichen Deutschland. Während dort derzeit etwa jeder fünfte Deutsche von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen ist, ist es oben im Norden bereits jeder zweite.  Doch auch im Rest Deutschlands wird die Lage offenkundig beinahe stündlich kritischer. Während im September noch gemeldet wurde, dass 15,5 Prozent der Bevölkerung arm oder sogar von Armut bedroht seien, das war damals jeder Siebte, stieg dieser Wert bis gestern in denselben Zeitungen auf atemberaubende 19,9 Prozent. Aus zwölf Millionen Armer wurden binnen vier Wochen 16 Millionen Arme: Ja, ein echtes Armutszeugnis für Deutschland!

Dienstag, 23. Oktober 2012

Wo ist sie, die Obamaphorie?

Amerika macht wieder Sorgen. "Weltmacht ohne Plan" schreibt der "Spiegel", der immer einen Plan hat. "Sie im TV-Duell bringt Obama kaum voran", glaubt die "Welt", die von ihrem Gründer als publizistischer Arm der amerikanischen Administration gedacht war. Was ist bloß los, was ist geschehen? Vor vier Jahren schwappte eine Euphoriewelle durch Deutschland, die Barack Obama auch ohne Meet+Greet am Brandenburger Tor direkt ins Weiße Haus spülte. Dort regierte der Rechtsanwalt aus Chicago zumeist sehr im Sinne seiner deutschen Anhänger - rund 87 Prozent der nicht-wahlberechtigten Sachsen, Bayern und Baden-Würtemberger würden den sympathischen Friedennobelpreisträger sofort wiederwählen.

Verdient er es, aus deutscher Sicht. Hat nicht Barack Obama Bin Laden ausgeschaltet? Den Irak aus den Schlagzeilen gezogen und damit einen "Flächenbrand" (Gernot Erler) in der ganzen Region verhindert? Hat er nicht die Arabellion unterstützt und beinahe schon alle Despoten aus Nordafrika verjagt? Hat er nicht Frieden und Menschenrechte in Libyen herbeigebombt?

Irgendetwas aber läuft falsch mit den Amerikanern, die ihrem Commander in Chief trotz seiner unbezweifelbaren Erfolgsbilanz bange Tage bereiten. Wählen sie ihn wieder oder wählen sie ihn nicht? Selbst die "Zeit", ein langgedientes Fanblatt des Präsidenten, schreibt "Punktsieg" nur in Bezug auf eine TV-Debatte, nicht, um den gesamten Wahlkampf zu beschreiben.

Aber war nicht Mitt Romney, der Kandidat der Republikaner, die einst die Sklaverei abschafften, noch Anfang des Jahres ein reiner Zählkandidat? Der Mann profitierte nur "von der Schwäche seiner Rivalen", analysierte der "Spiegel", der auch schon wusste, dass damit eigentlich alles entschieden ist: Wenn eigene Stärke nur aus der Schwäche anderer resultiert, dann ist ein Ringen mit Barack Obama nicht zu gewinnen. "Kandidat Superreich" würde straucheln, und das sei schon irgendwie gut so, denn der Vertreter der "harten Linie des extrem konservativen Flügels der Republikaner" (Die Zeit)sei gar nicht so, wie sich ein deutsches Leitmedium den Führer der freien Welt vorstellt.

Pfeifen im Wald, das dünn in den Redaktionsstuben widerhallt. Die neue Zeit, die mit Obama kommen sollte, sie ist nicht angebrochen, doch das Versprechen des Präsidenten steht: Was er von seinen Wahlversprechen von vor vier Jahren noch nicht umgesetzt habe, das habe er nur nicht umgesetzt, weil er ja auch in seiner zweiten Amtsperiode noch etwas zum umsetzen brauche, hat Obama in der zweiten Fernsehdebatte mit Romney gesagt. In der dritten (hier im Minutenprotokoll bei Zettel) hatte er dann "die besseren Sprüche, er war engagierter, härter, überzeugender, kurz: der Sieger der Debatte", freut sich der "Spiegel", um gute Laune bemüht. Obamaphorie, vier Jahre danach. Ein Abglanz des Rausches von 2008.

Vermiedene Volksabstimmungen

Bei der umstrittenen europäischen Bankenaufsicht ist ein Kompromiss in greifbare Nähe gerückt. Deutschland und Frankreich näherten sich auf einem EU-Gipfel vor dem anstehenden EU-Gipfel nach einem Schlagabtausch an.

Für die Aufsicht soll es nun einen erweiterten Fahrplan geben, hieß es in EU-Diplomaten-Kreisen am Rande des Spitzentreffens in Brüssel, auf dem das Spitzentreffen kommende Woche vorbereitet wird. Der rechtliche Rahmen für die mächtige Aufsicht über alle 6000 Banken im Euroraum soll demnach - wie bisher geplant - bis Jahresende stehen. Das hatten die Südländer verlangt. An eine schnelle praktische Umsetzung ist dann aber erst übernächstes Jahr gedacht – das war eine Forderung von Deutschen, Niederländern und Schweden.

Ein ähnlicher Kompromiss deutet sich bei der Umsetzung der deutschen Forderung nach einem allmächtigen Sparkommissar an. Frankreichs Staatspräsident François Hollande hatte diesen Posten abgelehnt, weil er fürchtete, die mit der Installierung eines solchen Haushaltsaufsehers einhergehende Abgabe von nationalen Souveränitätsrechten nach Brüssel bei einer notwendigen Volksabstimmung nicht durchgesetzt zu bekommen. Lieber wolle er eine gemeinsame Schuldenpolitik, für die es keine aufwendigen Volksabstimmungen braucht. Dies lehnt Deutschland kategorisch ab, weil es die Schuldenaufnahme des derzeit erfolgreichsten Krisenlandes verteuern würde.

Deshalb hatte Kanzlerin Angela Merkel zuletzt vorgeschlagen, einen Extra-Topf von zeitlich "befristeten" und projektbezogenen Geldern einzurichten, quasi eine schwarze Kasse, aus denen Schuldenländer in akuten Krisen ohne Kontrolle der Parlamente der Geberländer unterstützt werden könnten. Nach Merkels Idee könnte das Budget aus den Einnahmen der geplanten Börsenumsatzsteuer gespeist werden. Die hatte zuletzt nach ihrer Einführung in Großbritannien und Schweden für so stark sinkende Einnahmen gesorgt, dass beide Länder sie in aller Eile wieder abschafften.

Aber auch für die von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorgeschlagenen Vertragsänderungen haben einfallsreiche Berliner Völkerrechtskenner inzwischen eine Lösung gefunden, wie sie sich umsetzen lassen, ohne die in Berlin, Paris und anderen Hauptstädten gefürchteten Volksabstimmungen über Europa zu provozieren. Um die Euro-Zone stärker zentralisieren zu können, ohne ins offene Messer ungewisser Abstimmungsergebnisse zu laufen, müssten nicht unbedingt die europäischen Verträge geändert werden, heißt es. Es reichten eigentlich auch entsprechende Verträge zwischen den nationalen Regierungen der Euro-Länder und den gesamteuropäischen Behörden. Damit hätte jedes Land die Möglichkeit, solidarisch für sich selbst das Beste herauszuholen.

Nach einem Bericht der Financial Times werden diese Verträge wie der Maastricht-Vertrag ehernes Gesetz, alle Euro-Mitgliedsländer sind wie immer dazu verpflichten, die von Brüssel gebilligten Programme innerhalb von festgelegten Fristen auszuführen. Die Logik hinter diesem Plan ist die des typischen Diät-Essers, der während einer Hungerkur Qualität und Menge der eingenommenen Nahrung konstant hält: Nachdem der Zusammenschluss der südlichen und nördlichen Länder Europas zu einer gemeinsamen Währungszone die Krise hervorgerufen hat, soll eine konsequentere weitere Zentralisierung sie nun auch wieder beenden.

Montag, 22. Oktober 2012

Fremde Federn: Kaufverzicht

Boykott wollen sie es nicht nennen, "Deutsche! Kauft nicht beim Juden!" nicht schreiben. Dennoch fordern Anhänger der "Solidarischen Kirche” bei Produkten aus Israel zum "Kaufverzicht" auf.

Auch Täter sind nur Opfer


In der guten alten Zeit waren es die von Rechtsradikalen besetzten "national befreiten Zonen", die es Völkerscharen unmöglich machten, Großveranstaltungen wie die Fußball-WM 2006 in Deutschland zu besuchen. Zum Glück hat der Fortschritt nicht Halt gemacht, in den letzten Monaten erwähnten nur die "taz" und die "FR" "national befreite Zonen" als Gefahr für die junge deutsche Demokratie.

Dafür drohen nun allerdings "rechtsfreie Räume", wie Experten wenige Tage nach dem tödlichen Überfall einer Jugendbande auf einen Jugendlichen auf dem Berliner Alexanderplatz warnen. Bei "rechtsfreien Räumen" handelt es sich per definitionem um national befreite Zonen ohne Rechte, Rechtsextreme und Rechtsextremisten. Durch diesem Umstand sind die entsprechenden Gewalttaten weit weniger schlimm als die der umherschweifenden Nazibanden früherer Jahre. "Wir sind in Deutschland weit entfernt von Verhältnissen wie in einigen französischen Vorstädten oder amerikanischen Großstädten", sagt der Konstanzer Gerhard Kriminologe Spiess, der auf die Entwicklung von Jugend- und Gewaltkriminalität spezialisiert ist. Auch von der Situation in Syrien unterscheidet sich die Lage in Deutschland derzeit trotz der jüngsten brutalen Übergriffe noch deutlich.

"Ist die Gewalt gerechtfertigt", fragt die Bild-Zeitung, während der Deutsche Fußballbund in einem "Strategiepapier" angekündigt hat, die zunehmende Gewalt in den Stadien mit neuer Torlinientechnik eindämmen zu wollen.

Die Gefahr, Opfer von Straßenkriminalität zu werden, ist allerdings sowieso nicht in Stadien, sondern nachts und im Umfeld von Discos oder Bars am größten. Hier befinden sich die neugeschaffenen "rechtsfreien Zonen". Opfer von Gewalt werden in ihnen häufig die, die genausogut auch Täter werden oder sein können. Opfer und Täter würden sich sowohl im Alter als auch im sozialen Hintergrund ähneln, beschreibt der Experte: "Täter- und Opfergruppen überlappen sich teilweise."

Auch die Täter sind so gesehen nur Opfer der Umstände und der gesellschaftlichen Verhältnisse. Es handele sich um "kaputte Jugendliche, geistig verwahrloste Menschen", sagt ein Berliner Jugendrichter. Dass sich an Auseinandersetzungen zwischen Opfern häufig auch andere Opfer beteiligen, hat ein Richter in Süddeutschland herausbekommen, ist typisch "jugendspezifisches Verhalten", das man den Betroffenen nicht zum Vorwurf machen kann, auch wenn es gelegentlich gerade dadurch zu ernsteren Verletzungen oder gar Todesfällen kommt.

Gerechtigkeitswende: Jetzt gehts lohoos!

Auf die Spitzenkandidatur, die ihm trotz seiner rundlichen Figur natürlicherweise zugestanden hätte, hat SPD-Parteichef Sigmar Gabriel zugunsten seines frisch verrenteten Genossen Peer Steinbrück verzichtet. Doch darauf, Wege, Ziele und Strategien zur Rückeroberung des Kanzleramtes festzulegen, verzichtet der Wahl-Magdeburger deshalb keineswegs.

Mit einem gezielten Vorstoß zur Abschaffung der Umsatzssteuer auf Elektroenergie thematisiert der immer noch amtierende Pop-Beauftragte der deutschen Sozialdemokratie die Gerechtigkeitslücke bei der Umsetzung des Energieausstieges. Arme, von Armut Bedrohte und Geringverdiener treffe die mit den angekündigten höheren Strompreisen steigende Umsatzsteuer mehr als Millionäre oder Großverdiener. Die Bundesregierung müsse deshalb künftig bei Strom auf die Mehrwertsteuer verzichten, um die Wähler zu entlasten, heißt es in einem Papier von SPD-Chef Gabriel über notwendige Sofortmaßnahmen.

Ein fantastischer Plan, der den Zirkelkreis der Energiesubventionen endlich schließen würde. Nachdem sich bei der Einführung der Solartechnik schnell herausgestellt hatte, dass sie am Markt nicht durchsetzbar ist, hatte die Politik mit Gesetz zur finanziellen Förderung der ineffizienten Sonnenstromproduzenten dafür gesorgt, dass sie doch durchsetzbar wurde. Die Kosten dafür übernahm der Stromkunde, die Gewinne strichen die hochsubventionierten Solar- und Windenergiekonzerne ein.

Ein Szenario, mit dem Gabriel, der sich seine Wähler im letzten Bundestagswahlkampf mit verschenkten Energiesparlampen gewogen gemacht hatte, Schluss machen will. Nach dem Willen des SPD-Chefs werden künftig nicht nur Hersteller und Betreiber von umweltfreundlichen Energieerzeugern gefördert, sondern auch die Menschen, die bislang die Förderung bezahlen. Es sei Zeit für eine "Gerechtigkeitswende", argumentiert der frühere Bundesumweltminister.

Sonntag, 21. Oktober 2012

Zahlenakrobaten: Eine Welt im Untergrund

Cem Özdemir ist natürlich "entsetzt über hohe Anzahl von Neonazis im Untergrund". Auch die deutschen Leitmedien bekommen sich gar nicht mehr ein vor Aufregung, seit Innenminister Friedrich die schreckliche Tatsache öffentlich gemacht hat, dass deutschlandweit rund 100 Rechtsextremisten mit Haftbefehl gesucht werde.

Was für ein Wochenend-Thema! Und wieder hatte niemand einen Taschenrechner zur Hand. Anderenfalls nämlich wäre in irgendeinem von 500 deutschen Medienhäusern, die allesamt dieselbe dpa-Meldung zitieren, aufgefallen, dass 100 gesuchte Rechtsextremisten angesichts von 140.000 insgesamt mit Haftbefehl gesuchten Menschen in Deutschland weder viel noch wenig, sondern schlicht die durchschnittlich zu erwartende Anzahl sind - zumindest, wenn man die vom Verfassungsschutz zuletzt angegebene Zahl von 25.000 Rechtsextremen in Deutschland insgesamt zum Maßstab nimmt.

Danach lebte jeder 250. Nazi im Untergrund - in der Normalbevölkerung tut das jeder 222.

Die derart Verfolgten leben im vermeintlichen "Untergrund" recht kommod, denn wirklich gesucht werden sie - ebenso wie die über mehr als zehn Jahre untergetauchten Mitglieder der selbsternannten NSU - nicht. Wenn tatsächlich mal einer der Gesuchten erwischt wird, dann durch Zufall, zum Beispiel, weil er in eine Verkehrskontrolle geraten ist.

Wie hier, wo untergetauchte Rechte (Foto oben) große Aufregung verursachen, während  alle anderen Untergetauchten keine Zeile Aufmerksamkeit bekommen, gleicht die gesellschaftliche Normalbilanz übrigens auch auf der Opferseite der Bilanz der Rechtsextremen: Allein seit 1990 sind in Deutschland mindestens 771 Morde unaufgeklärt geblieben. Das Bundeskriminalamt spricht sogar von mindestens 1300 Mordfällen ohne Täter – in den zurückliegenden 20 Jahre blieb damit etwa ein Mord pro Woche ungeklärt - die NSU-Taten waren nicht die Ausnahme, sondern sie sind die gesellschaftliche Regel.

LKA: Warnung vor virtuellen Weiten

Viele Jahre lang war hier alles möglich, die blanke Anarchie machte das Internet zum "größten Tatort der Welt", wie BKA-Chef Ziercke zutreffend analysierte. Jetzt aber macht das Landeskriminalamt von Sachsen-Anhalt endlich Schluss mit den Gefahren der neuen Medien: Mit einem Warnpaket unter dem Titel "Ich bin online" werden künftig Kinder, Jugendliche und Erwachsene beim gefährlichen Gang in die virtuellen Weiten begleitet und beschützt.

Innenminister Holger Stahlknecht ist stolz auf die DVD, die in Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren in zweijährigen Arbeit entstanden ist. Stahlknecht gab vor den aufgeweckten Schülerinnen und Schülern der Evangelischen Grundschule Magdeburg zu: "Bei mir gab es noch kein Internet." Das sei heute anders, deshalb gebe es "auch böse Menschen, die das Internet anders nutzten", sagte der Minister. In diesem Zusammenhang warnte Stahlknecht insbesondere vor Cyber-Mobbing, Identitätsdiebstahl oder den Gefahren des Online-Banking, die alljährlich mehr als 10.000 Opfer fänden. Damit sei schon heute jeder 8200. Deutsche von dieser Gefahr betroffen.

Mit der Einrichtung eines Kompetenzzentrums beim LKA und dem Medienpaket werde damit Schluß gemacht. Das Medienpaket besteht aus einer DVD, einem pädagogisch-didaktischen Begleitheft, einer Schreibtischunterlage mit Hinweisen zur Nutzung des Internets, Info-Flyern und themenbezogenen Kindermalbüchern. Wer sie ausgemalt hat, weiß Bescheid über Facebook und Co. Die limitierte Auflage von 800 Paketen soll Schulen und anderen Bildungsträgern zur Verfügung gestellt werden, um diesen zu helfen, ihre Schüler vor den Gefahren im Netz zu warnen. Wer sich dennoch noch ins Internet traut, kann die Warnhinweise auch auf der Internetseite des LKA legal downloaden.

Löschgesetz für ein sauberes Netz

Samstag, 20. Oktober 2012

Ratlos am und auf dem Rasen

Das erste Stürmertor für den halleschen FC hat er gemacht, der neuerdings mit Hartmann-Kampffrisur auflaufende Michael Preuß. Und dann hat er das Spiel verloren. 28 Jahre alt ist der Blondschopf, der vor der vergangenen Saison aus Halberstadt kam. Preuß war auf Tore abonniert, nach seinen ersten Spielen in Halle wurde er als Entdeckung gefeiert.

Jetzt aber Preuß wohl sein Kündigungsschreiben abgegeben. Das Tor, das er in der ersten Hälfte beim Stand von 0:1 für die Stuttgarter Reserve geschossen hat, wurde wegen einer Abseitsstellung nicht gegeben. Und als er dann in der 2. Hälfte allein auf drei Gegenspieler geht und abgedrängt wird, frustet ihn das so, dass er den Stuttgarter Torschützen Antonio Rüdiger an der gegnerischen Eckfahne von den Beinen und sich die gelb-rote Karte holt.

Ein Zusammentreffen von Ereignissen, das beispielhaft steht für die Verfassung der Überraschungsmannschaft der ersten paar Spieltage in der 3. Liga. Was am Anfang der Saison klappte, obwohl die Stürmer nicht trafen, funktioniert nun nicht einmal mehr, wenn einer trifft.

denn eine Premiere ist in diesem Spiel gegen Stuttgarter immerhin zu feiern: In der 42. Minute gleicht Linksaußen Dennis Mast, bis dahin einer der besten Hallenser, durch eine von einem Stuttgarter Abwehrspieler abgefälschten Flanke zum 1:1 aus. Es ist das erste Stürmertor der Rot-Weißen in der Saison. Am 14. Spieltag.

Acht Spiele hat Halle nicht mehr gewonnen, der Unterschied zu den ersten Spielen dieser Serie aber ist erschreckend. War es zu Beginn der Sturm, der nicht traf, was es jeder Mannschaft schwer macht, zu gewinnen, ist es inzwischen die Abwehr, die es nicht mehr schafft, die fehlende Durchschlagskraft vorn durch besonders dicken Beton hinten zu kompensieren.

Bei strahlendem Sonnenschein wird es im ehemaligen Kurt-Wabbel-Stadion aber auch heute nicht besser. Stuttgart, vor dem Spiel einen Punkt besser als Halle, aber mit 13:16 Toren in derselben Liga spielend wie die Gastgeber mit ihren 10:14 Toren, drückt vom Start weg und landet durch einen Fernschuss von Rüdiger schon nach dreieinhalb Minuten die Führung. Als die Gäste danach sofort auf Zeitspiel umschalten, kämpfen sich die Hallenser ins Spiel zurück. Preuß hat eine Kopfballchance, dann schießt er sein Abseitstor, auch Lindenhahn tankt sich einmal beinahe durch und nur Sekunden nach dem verdienten 1:1 hat Maik Wagefeld Pech, als ein Freistoß nur ans Lattenkreuz knallt.

Stuttgart bedeutet zu diesem Zeitpunkt mit Gesten und Aktionen, dass die Schwaben durchaus mit einem Remis zufrieden wären. Nicht so Halle. Statt den Teilerfolg zu sichern, versuchen die Gastgeber, die schwarzgekleideten Gäste zu dominieren. Bis zur 52. Minute mit Erfolg - vom VfB kommt nach vorn kaum noch etwas, Halle dagegen tastet sich langsam Richtung Strafraum, ohne allerdings wirkliche Chancen herauszuspielen.

Dann kommt Michael Preuß' zweiter großer Moment im Spiel. Und sein letzter. In Unterzahl gelingt es dem HFC zwar weiterhin, spielbestimmend zu bleiben. Doch die Konter der Stuttgarter sind jedes Mal so gefährlich, dass nur Glück und Foulspiel die erneute Führung der Schwarzen verhindern.

Zehn Minuten nach Preuß' Abgang passiert es dann. Eben hat Halles Torwart Darko Horvat einen Freistoß von der Straftraumgrenze noch überstanden, obwohl er sich nur eine Mauer als den Zwergen Sautner und Kanitz gebaut hatte. Im zweiten Anlauf aber gelingt das nicht: Rüdiger läuft an und zirkelt eine Bogenlampe ohne Brimborium in die Mauerecke.

Wenn eine Mannschaft in 13 Spielen nur elfmal getroffen hat, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass sie im 14. zweimal trifft, bei unter 50 Prozent. HFC-Trainer Sven Köhler reagiert denn auch erstmal nicht auf den erneuten Rückstand. Sichtlich ratlos marschiert der Erfolgstrainer, der den HFC einst in der Oberliga Nordost übernommen hatte, vor seiner Bank umher. Der Zeitpunkt, zu dem er in besseren Zeiten immer begonnen hat, mindestens zwei Spieler zu wechseln, streicht vorüber.

Das ist das für die Zuschauer, die es mitbekommen, das Schlimmste. Während der Ultra-Teil sich gerade dem Problem widmet, dass der unterklassige städtische Verein aus Ammendorf sein Landespokalspiel gegen den HFC im HFC-Stadion austragen wird, diskutiert der Rest die Tatsache, dass Köhler nur noch einmal wechselt: Stürmer Hauk kommt für Abwehraußen Kanitz. Die vor der Saison für wichtig gehaltenen Telmo Texeira, Andis Shala, Phillip Zeiger und Anton Müller aber scheint Köhler inzwischen auch frisch für schlechter zu halten als die Spieler, die auf dem Platz stehen.

Ohne Bank aber ist ein Spiel gegen die technisch besseren und immer wieder auch antrittsschnelleren Schwaben nicht noch einmal auszugleichen. Zwar haben Hartmann und Wagefeld zwei riesige Chancen und auch Lindenhahn hätte eine haben können, würde er in der 74. Minute weiterlaufen, statt freistehend von außen dorthin zu flanken, wo kein Mitspieler steht. Doch Stuttgart hat nun das Glück, dass die Hallenser seit Ende August verzweifelt suchen. Nachdem der HFC auf Dreierabwehrkette umgestellt hat, düpiert Janzer zwei Gegenspieler und trifft zum 1:3. Zehn Minuten später landet ein Abpraller, der auf der anderen Seite wahrscheinlich übers Stadiondach geflogen wäre, hinter Horvat im Netz.



Sven Köhler schaut es nun schon völlig reglos an. Der Cheftrainer hat sich hingesetzt und den Kopf in die Hand gestützt. Der letzte Sieg seiner Männer datiert vom 26. August, der letzte Punktgewinn von 25. September. Auf der Bank sitzt niemand, dem er zutraut, daran etwas zu ändern. Aber auch auf der Bank ist dank abgesprungener Sponsoren nichts mehr, um neue Leute zu holen. So ratlos seine Mannschaft auf dem Rasen wirkt, so ratlos sieht ihr Chef in den Minuten nach dem 1:4 in seinem Unterstand aus.

Die Fans verabschieden ihre geschlagene Mannschaft samt all der Spieler, die nicht gespielt haben, noch einmal mit Applaus. Wenn der Eindruck nicht täuscht, wird es nach der Winterpause auch kaum noch eine Gelegenheit geben, das Team in dieser Zusammensetzung zu beklatschen.

Aufatmen: Täter waren Jugendliche

Erst Berlin, dann der Alexanderplatz, nun eine Wohnung in Köln. Brutale Täter wüten deutschlandweit, völlig unklar schien bislang, um wen es sich dabei handelt. Wie der „Kölner Stadtanzeiger“ berichtet, gelang es jetzt wenigstens die Verantwortlichen im Fall einer 84-Jährigen, die von „zwei Männern“ ausgeraubt und misshandelt worden war, zu stellen.

Glücklicherweise ist die Fahndung glimpflich ausgegangen. Weder der Stadtteil Oberdorf noch die Stadt Köln tragen eine Mitschuld für die vom Opfer erlittenen Würgemale am Hals, Platzwunden und Hämatome. Nach Angaben der Polizei handelt es bei den Tätern um zwei "Jugendliche", bei denen es sich wiederum ganz konkret um „17- und 18-Jahre alte Räuber“ handelt, die wie "Jüngelchen" (Stadtanzeiger) aussehen.

Das "Brutalo-Duo" ("Express") hatte bei dem brutalen Überfall Beute in Höhe von rund 100 Euro gemacht, war aber später von einem Nachbarn der überfallenen Frau wiedererkannt worden. Der Mann hatte die „Oma-Räuber“ (Stadtanzeiger) beim Ausspionieren der Wohngegend schon einmal bemerkt.

Warum der Zeuge den Oma-Räubern „auf das Grundstück eines Übergangswohnheims am Poller Damm“ folgte, wie der Stadtanzeiger schreibt, bleibt allerdings rätselhaft. In dem Heim, das im Frühjahr 1989 zur provisorischen Unterbringung von DDR-Übersiedlern gebaut worden war, leben übergangsweise seit Jahrzehnten Roma-Flüchtlingen, die nach einer vorläufigen Analyse aller deutschlandweit erschienen Zeitungsbeiträge zum Fall der Oma-Räuber überhaupt nichts mit den beiden mutmaßlichen Tätern zu tun haben dürften.

In einem offenen Brief mit der Überschrift "So nicht" kritisieren denn Migrantenaktivisten aus dem Rheinland und der Magdeburger Bürde auch die Berichterstattung der Kölner Medien im Fall. Die unverhohlene Namensähnlichkeit der Bezeichnung "Oma-Räuber" lasse bei schnellem Lesen an das erst seit einigen Monaten verbotene "Roma-Räuber" denken. Dies schüre Vorurteile und sei "Wasser auf die Mühlem von Rassisten wie Pro-Köln", heißt es darin.

Rückzug ins Kleingedruckte


Drygalla ist keine Sportlerin, sondern ein Verbrechen, so legte sich Jennifer Zimmermann von Frankfurter Rundschau am 9. August ein für alle mal fest. Wer Nazis, ehemalige Nazis, Rechte oder des Rechtsextremismus verdächtige Personen kenne, gar liebe, der habe „kein Mitleid“ verdient, sondern gehöre „ausgemerzt“ (Müntefering) aus der deutschen Olympiamannschaft als unwert, das neue, freiheitliche Vaterland in der Welt zu präsentieren.

Die Ruderin Nadja Drygalla war einer solchen falschen Loyalität verdächtig. Hatte sie nicht zu einem „ehemaligen Nazi-Funktionär“ gehalten, statt sich für den sauberen Sport zu entscheiden. Obwohl doch die „die NPD in Deutschland keine legitime Partei“ (Zimmermann) sei, denn „ihr Verbotsverfahren wurde lediglich ausgesetzt“. Das bedeutete natürlich, damals im Olympiasommer, dass es zur „Existenzberechtigung“ (Zimmermann) der NPD „nie eine Entscheidung gab“ – die Partei gelte damit als latent verboten, jeder, der ihn nahesteht oder jemandem nahesteht, der ihr nahestand, müsse damit rechnen, völlig zu recht in Sippenhaft genommen zu werden.

Der Beitrag der Jungliteratin Jennifer Zimmermann, die sich ansonsten mit Steinzeitdiäten un d Bundestagstrollen beschäftigt, war zweifellos der Höhepunkt einer ekelhaften Kampagne, während der eine junge Sportlerin für eine Tage zur Staatsfeindin Nummer 1 ausgerufen wurde. Ernsthaft betrieb eine sich seriös nennende Presse eine Woche lang die Diskussion, ob es sich um Sippenhaft handele, wenn ein Sportler für die nicht aufgekündigte Liebesbeziehung mit einem Nazi Olympiaverbot bekomme. Es war wie damals in der DDR, als sich Sportler von ihren Westverwandten distanzieren mussten, um weiter Radfahren oder Kugelstoßen zu dürfen.

„Selten wurde so beispielhaft sichtbar, wie das Denken der DDR-Nomenklatura inzwischen auch in unserem demokratischen Rechtsstaat Fuß gefasst hat“, schrieb Zettel wie zum Beweis dafür, dass Vernunft nur noch elektronisch Verbreitung findet. „Der Versuch, einen Menschen, dem persönlich nichts vorzuwerfen ist, allein wegen seiner privaten Beziehung zu einem anderen Menschen zu stigmatisieren“, wie er es nennt, scheiterte, weil sich der Innenminister weigerte, dem hysterischen Geschrei harten Strafe für die falsche Liebe nachzukommen.

Zwei Monate später ist Drygalla vollständig rehabilitiert, Selbst Petra Pau, eine der Einpeitscherinnen der Hexenjagd gegen die Rostockerin, ist in der Causa Drygalla verstummt. Als Obfrau der Linkspartei im Untersuchungsausschuss zur NSU jagt die Pionierleiterin aus Droyßig, einem Ort an der Straße der Gewalt, inzwischen andere Phantome. Auch die Frankfurter Rundschau zeigt kein großes Interesse an der Affäre, die sie selbst nach Kräften hochgekocht hatte. Zum Abgesang reicht eine lapidare dpa-Meldung.

Freitag, 19. Oktober 2012

Selbstgewissheit des Spießertums

Balancieren mit Fingerspitzengefühl, das ist jetzt wichtig. Kurz nach der „Gewalttat am Alexanderplatz“ (dpa) hatten die Berliner Leitmedien noch spekuliert, Berlin oder aber der Alexanderplatz selbst könnten schuld daran gewesen sein, dass ein argloser 20-Jähriger von einer Gruppe Gleichaltriger zusammengeschlagen und getötet wurde. Vorwürfe, die von Polizei und Senat zurückgewiesen wurden: Berlin sei nicht viel gewalttätiger als andere Städte, der Alexanderplatz sogar nicht einmal so gefährlich wie die Duisburger Karl-Lehr-Straße.

Knapp eine Woche nach dem Geschehen aber verdichten sich die Anzeichen, dass nun doch noch Schuldige präsentiert werden können. Im „Tagesspiegel“ enthüllt Bernd Matthies die wahren Hintergründe und Verantwortlichen für das entsetzliche geschehen am vergangenen Wochenende: „Rassistische Hetze“ im Kondolenzbuch für das nach der Prügelorgie verstorbene Opfer.

Nicht die Tat selbst, nein „diese rassistische Selbstgewissheit des Spießertums macht“ den Autor „frösteln“ wie er zugibt. Denn schließlich sei es ja nicht die Verrohung ganzer Bevölkerungsschichten, wie sie sich in anlasslosen Mordtaten wie der vom Alexanderplatz zeigt, die beweisen, dass irgendetwas in der Gesellschaft nicht mehr stimmt. Nein, man merkt es „an vermehrten Tabubrüchen“, ist Bernd Matthias überzeugt.
 
Was für ein sensibler Mensch. Nicht die großen Brüche, das Knirschen im Gesellschaftsgetriebe schreckt ihn auf, sondern „kleine Risse, denen größere folgen“. Nicht die Morde, nicht die Drohungen wegen irgendwelcher Filme, nicht die Toten aus Hass auf Karikaturisten schrecken ihn auf. Sondern rassistisches Gekritzel, hetzerische Sprüche in einem Kondolenzbuch oder Leserkommentare auf der Internetseite des „Tagesspiegel“, die man gar nicht erst freischalten darf, weil ihre Autoren nicht verstehen wollen, dass ihr gesundes Volksempfingen einer völlig falschen Denkungsart entspringt.
Forderungen nach härteren Strafen, weniger Kuschelpädagogik oder „rausschmeißen das Pack“ – der Tabubruch ekelt den Feingeist an seiner Tastatur. „Ausgerechnet dort, wo unbeteiligte Menschen ihre Trauer ausdrücken können, um die Angehörigen des Opfers ein wenig zu trösten, ausgerechnet dort bricht nun jene Haltung durch, die wir mit routinierter Ironie als „gesundes Volksempfinden“ bezeichnen: die aggressive, in diesem Fall rassistische Selbstgewissheit des Spießertums“, wettert er.

Und schon ist er doch noch gefunden, der an allem Schuldige. Schon steht er fest, der Verantwortliche. Die so etwas schrieben, „machen frösteln“, heißt es dort wirklich.

Nicht die, die so etwas tun.

Innovative Geschäftsideen: Nobelpreis zum Anziehen

Da muss also erst wieder jemand aus dem innovativen Ostdeutschland kommen, um die Nachfrage des Kontinents zu befriedigen. Nach dem „Talibar“-Gründer Kevin Schnitte, der dem Markt der Erlebnisgastronomie neue Perspektiven aufgezeigt hat, schickt sich jetzt mit Leon Phillip ein weiterer innovativer Gründer aus der ehemaligen DDR an, europaweit Furore zu machen. Wie Phillip selbst sagt, war das allerdngs gar nicht so geplant. „Ich hatte nach dem triumphalen Gewinn des Friedensnobelpreisträgertitels durch Europa nur mit ein paar Freunden gejokt, dass wir ja nun alle Friedensnobelpreisträger sind.“ Ein Wort habe das andere gegeben, schließlich stand die Frage, wie sich 500 Millionen Europäer künftig eben ökumenisch, ökologisch wie preisgünstig weltweit als Nobelpreisträger-Träger ausweisen könnten.

Leon Phillip, von Beruf Heizungsmonteur, hatte dann die rettende Idee. „Hellblaue T-Shirts mit einem entsprechenden Aufdruck sollten das Problem schnell und preisgünstig lösen“, befand er. Mit einem befreundeten Grafiker entwarf der 27-Jährige ein Grunddesign, das die Europa-Sterne zeigt und dazu den farblich passenden Spruch „Ich bin Nobelpreisträger“ präsentiert. Auch ein Webshop war schnell entworfen, „die Adresse Nobelpreistraeger.de war zwar schon weg, aber uns gefiel nobelpreistraeger.eu sowieso besser.“ Wie Wolfgang Schäuble wolle man weg von der Deutschland-Zentriertheit, "die hier jahrelang geherrscht hat".

Denn es ist ein Riesenmarkt, der der junge Deutsche mit seiner kleinen Mannschaft – auch Freundin Elvira und Mutter Kerstin helfen mit – bearbeiten muss. „Jeder Europäer soll ja möglichst ein T-Shirt bekommen“, formuliert der „glühende Europäer“ (Phillip über Phillip) seinen Anspruch für die kommenden Jahre.

Nicht nur produktionstechnisch ist das für die neugegründete Firma Nobel-T eine Herausforderung, sondern auch finanziell. „Wir lassen die Shirts natürlich auf den Phillipinen und in MyanmardemfrüherenBirma drucken“, sagt Leon Phillip, „so dass die Kosten für unsere Käufer sich in Grenzen halten.“ Dennoch bringe es die trotz der euro-bedingten Wohlstandsexplosion in ganz Europa aufklaffende Schere zwischen Arm und Reich mit sich, dass jeder sechste Europäer nicht in der Lage sei, sein persönliches Nobelpreisträger-T-Shirt selbst zu finanzieren.

Und Versuche von Phillip, über die europabegeisterte Dessauer Bundestagsabgeordnete Steffi Lembke an die Bundesregierung heranzukommen, die über eine Abschaffung der Praxisgebühr genügend Mittel für jeden Einzelnen zumindest in Deutschland hätte freischaufeln können, „damit jeder von uns im nächsten Sommer stolz ein einheitliches Europabild in der Welt zeigen kann“, wie Leon Phillip sagt, scheiterten schon bei der Kontaktaufnahme. „Im Büro ging über Tage niemand ran.“

Inzwischen schwebt dem unternehmungslustigen Gründer aber ohnehin eine europäische Lösung vor. „Ich möchte, dass die EU Einigkeit zeigt und es jedem Europäer ermöglicht, sein T-Shirt auch wirklich anzuziehen“, sagt er.

Bei Kosten von 12 Euro pro Shirt – davon spendet Nobel-T 70 Cent für einen guten Zweck – seien die notwendigen Ausgaben, die von der Gemeinschaft gestemmt werden müssten, verglichen mit den bisherigen Ausgaben für Rettungspakete und Gipfelkonferenzen überschaubar. „Sechs Milliarden Gesamtkosten“, sagt Phillip, „das ist nicht einmal ein Sechstel dessen, was allein die nächste Rettungstrance für Griechenland kosten wird.“

Über EU-Kommissar Oettinger hoffe er, in Brüssel soweit Einfluss nehmen zu können, dass das EU-Parlament seinen Argumenten folgt und die Mittel freischaufelt. „Das ist ja schließlich eine historisch einmalige Situation, beid er auch keine Folgekosten drohen wie im Fall Griechenland“, beschwört der Nobel-T-Chef die Parlamentarier, „denn nach allem, was uns die Geschichte lehrt, wird man nur einmal Nobelpreisträger.“

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