Freitag, 24. August 2012

Alkohol im Westen: Bis zum bitteren Ende


Das kleine Bier in der Kneipe kostete eine Mark. In geselliger Runde wurden gern harte Sachen gebechert – Dornkat etwa oder „Jägermeister“, ein Kräuter mit orangefarbenen Etikett. Beim Alkoholkonsum war die BRD Weltspitze, berichtet der Focus aus Bielefeld, wo eine neue Ausstellung die Geschichte des Alkoholmissbrauchs in Westdeutschland beleuchtet.

Die Fakten sind erschreckend. 1970 trank ein Durchschnittsbürger in Westdeutschland 10,8 Liter reinen Alkohol, ein DDR-Bürger kam nur auf 7,3 Liter. „Die BRD war ein Spirituosenland“, sagt Teresa Temme vom Stadtmuseum Bielefeld. Dort ist von Freitag an eine Ausstellung zu sehen, die sich den Trinksitten in der BRD widmet.

Die Schau, die bis zum Tag der Bundesrepublik am 3. Oktober gezeigt wird, lebt vor allem von den Erinnerungen der Zeitzeugen. 140 Leihgeber haben Exponate zur Verfügung gestellt: Original-Schnaps- und Weinflaschen – einige auch mehr als 20 Jahre nach dem Ende der BRD noch mit unberührtem Inhalt -, Bieretiketten, Barhocker und Getränkekarten. Zu sehen ist auch der „Alkomat“, einst Testsieger bei der ARD und bis heute ein von der Polizei verwendetes Alkohol-Messgerät.

„In der BRD wurde hauptsächlich gesellig getrunken, selten allein“, sagt Temme. Ob Familien- und Volksfeste oder Runden mit den Arbeitskollegen – Bier und Schnaps durften nie fehlen. Bis 1989 hielt die Bundesrepublik dank Oktoberfest und Stuttgarter Wasn einen klaren Vorsprung beim Bierkonsum vor der DDR: 150 Liter pichelte ein BRD-Bürger im Durchschnitt. Und während die Deutschen im Ost hin und wieder man einen Schnaps tranken, weil es sonst nichts gab, griff der Westen oft schon am Mittagstisch zur Weinflasche.

Dass Spirituosen so hoch im Kurs standen, hatte mit dem Angebot zu tun. Die Läden waren immer voll, es gab sogar Alkoholika aus dem Ausland. „Getrunken wurde das, was es gab“, erzählt Lutz Panzer, ehemals selbst einer der jungen Leute, die keine Neige stehen ließen. Nach dem dritten Bier mit Korn, eine Mischung, die in den Arbeitervierteln des Ruhrgebiets Standard war, sei auch egal gewesen, wie sich die Dröhnung tarnte: „Klaren gab es eigentlich immer.“

Für Spirituosen griffen die BRD-Bürger auch etwas tiefer in die Tasche. „Bei Feiern war immer alles da“, erzählt Panzer. „Und dabei war Alkohol nicht gerade billig.“ Manche Kreationen wie Hausschnaps-Marille oder der in Norddeutschland genossene „Lütje-Minze- Pfefferminz-Schnaps gab es nur regional. Weinbrände, Whiskey aus USA-Produktion und französischen Kognak aber überall. „Es ist schon erstaunlich, wofür die Leute ihr Geld ausgegeben haben“, sagt Matias Klieth, Direktor der Städtischen Museen Bielefeld.

Allerlei Gegenstände haben die Ausstellungsmacher neben die Flaschen drapiert, die die Spezifität der Alkoholkultur/West ausgemacht haben sollen: Der Tatort-Kommissar Horst Schimanski, wie er in einer Szene eine Eckkneipe im Ruhrgebiet volltrunken zerlegt. Marius Müller-Westernhagen, wie er im Film „Aufforderung zum Tanz“ (Video oben) komatös durch eine bedrückende Alptraumlandschaft wankt. Politiker wie Helmut Kohl und Franz-Josef Strauß, die sich mit großen Humpen zuprosten. Gehäckelte Schnapsflaschenhüllen, Biergläser und -deckel mit der Aufschrift von Kölner und Münchner Brauereien. Fast alle Ausstellungselemente sind übrigens Leihgaben von namentlich genannten Bielefelder Bürgern, von denen man nicht mehr weiß, als dass sie nicht mehr alle Flaschen im Schrank haben.

Den meisten Besuchern an diesem Tag – Wessis älteren Datums und Teenager, die behaupten, das Thema der Ausstellung sei das Thema ihrer Abi-Arbeit – reicht dieser Teil der Ausstellung. Einer entdeckt dann aber doch noch was und brüllt durch den ganzen Stock: „ ’Arak!‘ Guck mal Hedi, den gibt’s heute auch wieder zu kaufen.“ Alkohol löst eben die Zunge, und so teilt die kleine Reisegruppe aus Wuppertal sich und allen Umstehenden mit, wie das damals war, mit dem „Arak“ und dem „Enzian“ und „Bols“, und wie man das alles richtig zu Cocktails mischte. „Man hat schon viel gesoffen in seinem Leben“, resümiert einer von ihnen.

Vergnügt verlässt die Gruppe die Ausstellung in Richtung der nächsten Kneipe. Sie lassen sich die schönen Erinnerungen nicht vom Rest der Ausstellung kaputt machen. Die nämlich besteht aus Warnungen und medizinischen Beschreibungen der Folgen des Alkoholismus, und aus Quadratmeterzahlen und Toilettenausstattungsvorgaben, anhand derer – heute unvorstellbar! - minutiös beschrieben wird, was der Unterschied zwischen inhabergeführten Gaststätten, Speiserestaurants, Hotels und Kiosken ohne Toilette war.

4 Kommentare:

  1. Kein Wunder. Bunte Vielfalt, kulturelle Bereicherung, Europa, Twitter und iphone, soziale Gerechtigkeit - das alles war noch Zukunftsmusik und harrte seiner Erfindung. Graue Ödnis und Verfall wohin man schaute. Da blieb der Zivilgesellschaft nur der Griff zur Flasche.
    Außerdem war die Schere zwischen arm und reich riesengroß und wurde immer größer.

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  2. "ein DDR-Bürger kam nur auf 7,3 Liter".

    Mag sein, dass das 1970 so war. Am Ende hat der Ossi 11 Liter geschluckt.

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  3. @Volker,in der Tat habe ich mir sagen lassen,daß ....äh...

    Endlich ein Bereich, wo "Überholen ohne einzuholen" erreicht worden ist.

    Ein alter Brauereikaufmann -obwohl die damals noch nicht so hießen- erklärte mir, daß der Verfall an der westdt. Sauffront bereits Mitte der 60iger einsetzte.
    Kneipensterben und "Spaß-Konsum": Mit lokalen Kuriosiäten oder Spezialitäten wie *Alt* oder Apfelkorn wurde auch hier dem *fun* der Vorzug gegeben.

    Das Brauereisterben, im Zeitraffer im Osten abgelaufen wie in WSF oder ZZ, begann wohl schon Ende der 60iger.

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  4. > griff der Westen oft schon am
    > Mittagstisch zur Weinfalsche.
    Falscher Wein schon am Mittag - der direkte Weg in den Untergang.

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