Der Energieausstieg wird durch den Ausbau der Stromnetze in den kommenden zehn Jahren mehr als 30 Milliarden Euro kosten. Allein die Modernisierung und der Ausbau der Trassen an Land verschlängen bis 2022 rund 20 Milliarden Euro, erklärten die Betreiber der Übertragungsnetze am Dienstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Bonn. Merkel besänftigte die völlig verängstigte Bundesnetzagentur: Trotz aller technischen und politischer Probleme bleibt es beim Ausstieg. SPD-Chef Gabriel hält das für fatal. PPQ hat durch die Gebärdendolmetscherin Frauke Hahnwech übersetzen lassen, was Gabriel wirklich meint, wenn er vom Energieausstieg spricht.
Herr Gabriel, die Bundesnetzagentur dringt auf neue Stromtrassen, sonst sei der Energieausstieg kaum zu schaffen. Kanzlerin Angela Merkel hält die Sorge für übertrieben: Es liefe alles nach Plan. Wird wirklich alles gut oder muss man mit verborgenen Untiefen rechnen?
Gabriel: Der Energieausstieg ist eine Frage von nationaler Bedeutung. Ob sie gelingt oder nicht, wird die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in Deutschland stärker prägen als jedes andere innenpolitische Thema, abgesehen natürlich vom Klimawandel, der Eurokrise, der Terrorgefahr und den zur Neige gehenden Rohstoffvorräten. Aber weil Sie danach fragen, sage ich Ihnen etwas zur Energieversorgung. Ja, sie ist das Herz-Kreis-Lauf-System der deutschen Volkswirtschaft, dem Netzausbau kommt eine überragende Bedeutung zu, weshalb wir als SPD schon 2008 gewarnt habe: Man kann nicht gegen alles sein, vom Netzausbau bis zum Kraftwerk. So ist eine Industriegesellschaft nicht organisierbar. Es gibt nur eine Lösung, die ich selbst schon vor Jahren vorgeschlagen habe: Bundeskanzlerin Merkel muss noch in diesem Jahr eine Bundes-Netz-AG gründen, an der sich die Netzbetreiber, aber auch Stadtwerke und andere Unternehmen beteiligen können. Der Bund muss mindestens 25,1 Prozent an der Bundes-Netz AG halten, die dann später wie einstmals die Telekom an die Börse gebracht werden muss, um Spekulaten den Einstieg in die Stromversorgung zu ermöglichen. Die Erfahrungen der letzten 12 Monate zeigen: Ohne strukturelle Veränderungen kommt der Netzausbau nicht voran. Die SPD hat bereits in der Großen Koalition eine Bundes-Netz AG gefordert, und auch aus der Industrie gab es damals Unterstützung für das Konzept.
Merkel dagegen betont, der Zeitplan ist einzuhalten . . .
Gabriel: …wenn sie denn endlich aktiv würde! Um den Energieausstieg voranzutreiben, brauchen wir eine Steuerungsgruppe Energieausstieg. Und an deren Spitze muss sie selbst oder ihr Kanzleramtschef stehen, darunter machen wir es nicht. In dieser Steuerungsgruppe sollten nicht nur Wirtschaft, Umweltverbände, Länder und Kommunen vertreten sein, sondern auch die Experten anderer Parteien, Fußballklubs, Rentner, ausländische Mitbürger, Gastonomen und Feuerwehrleute. Möglichst viele Leute sollten da mitmachen, am besten alle. Viele in den Parteien von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben einen hohen Sachverstand bei der Lösung der vor uns stehenden Aufgaben. Angela Merkel hat jetzt die Wahl: einen wirklichen Neustart zum Energieausstieg, bei dem die besten Köpfe zur Mitarbeit eingeladen werden, oder wieder nur ein medial inszenierten „Neustart“ mit Showterminen, wie wir beide ihn hier gerade absolvieren.
Was soll diese Steuerungsgruppe genau können?
Gabriel: Diese Gruppe muss die Transformation des Strommarkts hin zu einer wirklichen Planwirtschaft steuern und begleiten, Zeitpläne kontrollieren und koordinieren, was wann zu tun ist. Merkel muss zurück zu den Empfehlungen der Ethikkommission und alle, die guten Willens sind, einladen mitzuhelfen. Kirchen, der Vatikan, die Bischhofskonferenz, die Grüne Liga, Attac. Ich hoffe, ich habe niemanden vergessen. Freiwillige sind gefragt, auch SPD und Grüne. Denn alleine wird die Bundesregierung ihre Selbstblockade nicht aufheben können. Dann misslingt uns der Energieausstieg.
Was kann und wird die SPD der Bundesregierung an politischen Zusagen erfüllen, damit der Ausstieg gelingt?
Gabriel: Die Bundesregierung hat viel Zeit nutzlos verstreichen lassen. Vor einem Jahr hat die Bundesregierung ihre energiepolitische Kehrtwende vollzogen. Seitdem ist – bis auf den Rausschmiss von Umweltminister Röttgen – nichts passiert. Der Energieausstieg droht zu scheitern. Aber so verlockend die berechtigte Kritik am Totalversagen der Regierung von Angela Merkel in diesem Fall auch sein mag: sie allein hilft nicht. Im Gegenteil: auch die Oppositionsparteien haben ein Interesse daran, dass der gemeinsam beschlossene Energieausstieg zu einem Erfolg für unser Land wird. Wir sind bereit, unsere Verärgerung über ein verschenktes Jahr zurückzustellen, denn die Gefahr ist riesig groß, den Umstieg zu verpassen. Wenn Merkel einlädt, sind wir bereit, diese Herausforderung gemeinsam zu stemmen. Wir drehen uns den Strom ab und geben der Welt ein Beispiel.
Wie ist zu verhindern, dass knapper Strom immer teurer wird?
gabriel: Zunächst muss man dafür sorgen, dass Strom nicht knapp ist – deshalb brauchen wir neue, grün angestrichene Gaskraftwerke. Wenn dann alle aus der Energieverwendung aussteigen, wie wir das vorgeschlagen haben, dann kommen Angebot und Nachfrage leicht zusammen. Stattdessen ist unser Stromnetz so instabil wie nie. Eine Solarfirma nach der anderen geht pleite. Die steigenden Strompreise werden zu einem massiven sozialen Problem. All das ist kein Zufall, wie Sie jetzt vielleicht glauben. das steckt ein perfider Plan dahinter.
Eine sehr grundsätzliche Frage zum Thema Strompreis: Muss während des Umbaus des Energiemarktes die Stromversorgung nicht zumindest vorübergehend kommunal wieder verstaatlicht werden?
Gabriel: In einzelnen Bereichen muss auch der Staat wieder stärker eingreifen – lassen Sie es mich mit Franz Müntefering sagen: was der Staat kann, kann nur der Staat. Etwa bei den Netzen. Ohne Staat gebe es gar keine. Und ohne Stadtwerke im kommunalen Eigentum und Genossenschaften werden wir die die Energiewende nicht hinbekommen. Ich will die großen Stromkonzerne nicht außen vor lassen – aber deren Interessenlage ist eine andere. Aufgabe der Bundesregierung ist es, alle zusammenzubringen, um einen neuen Energiemarkt zu konzipieren. Bislang tun wir so, als seinen die Erneuerbaren immer noch eine Nische. Aber sie sollen in naher Zukunft die Hauptlast der Stromerzeugung tragen. Darauf sind unsere Förderinstrumente bislang überhaupt nicht ausgerichtet.
Ob Deutschland das national hinbekommt, hängt entscheidend von der deutschen Industrie ab. Wie ist die ins Boot zu holen?
Gabriel: Wenn wir einen sauberer und bezahlbaren Energieausstieg hinbekommen, haben wir einen echten Exportschlager. Denn die ganze Welt sucht Antworten auf die Frage, wie wir moderne Gesellschaften unterhalten, ohne sie mit Energie versorgen. Der Energieausstieg ist eine riesige Chance für unsere Wirtschaft – wenn man sie endlich beherzt nutzt.
Herr Gabriel, die Bundesnetzagentur dringt auf neue Stromtrassen, sonst sei der Energieausstieg kaum zu schaffen. Kanzlerin Angela Merkel hält die Sorge für übertrieben: Es liefe alles nach Plan. Wird wirklich alles gut oder muss man mit verborgenen Untiefen rechnen?
Gabriel: Der Energieausstieg ist eine Frage von nationaler Bedeutung. Ob sie gelingt oder nicht, wird die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in Deutschland stärker prägen als jedes andere innenpolitische Thema, abgesehen natürlich vom Klimawandel, der Eurokrise, der Terrorgefahr und den zur Neige gehenden Rohstoffvorräten. Aber weil Sie danach fragen, sage ich Ihnen etwas zur Energieversorgung. Ja, sie ist das Herz-Kreis-Lauf-System der deutschen Volkswirtschaft, dem Netzausbau kommt eine überragende Bedeutung zu, weshalb wir als SPD schon 2008 gewarnt habe: Man kann nicht gegen alles sein, vom Netzausbau bis zum Kraftwerk. So ist eine Industriegesellschaft nicht organisierbar. Es gibt nur eine Lösung, die ich selbst schon vor Jahren vorgeschlagen habe: Bundeskanzlerin Merkel muss noch in diesem Jahr eine Bundes-Netz-AG gründen, an der sich die Netzbetreiber, aber auch Stadtwerke und andere Unternehmen beteiligen können. Der Bund muss mindestens 25,1 Prozent an der Bundes-Netz AG halten, die dann später wie einstmals die Telekom an die Börse gebracht werden muss, um Spekulaten den Einstieg in die Stromversorgung zu ermöglichen. Die Erfahrungen der letzten 12 Monate zeigen: Ohne strukturelle Veränderungen kommt der Netzausbau nicht voran. Die SPD hat bereits in der Großen Koalition eine Bundes-Netz AG gefordert, und auch aus der Industrie gab es damals Unterstützung für das Konzept.
Merkel dagegen betont, der Zeitplan ist einzuhalten . . .
Gabriel: …wenn sie denn endlich aktiv würde! Um den Energieausstieg voranzutreiben, brauchen wir eine Steuerungsgruppe Energieausstieg. Und an deren Spitze muss sie selbst oder ihr Kanzleramtschef stehen, darunter machen wir es nicht. In dieser Steuerungsgruppe sollten nicht nur Wirtschaft, Umweltverbände, Länder und Kommunen vertreten sein, sondern auch die Experten anderer Parteien, Fußballklubs, Rentner, ausländische Mitbürger, Gastonomen und Feuerwehrleute. Möglichst viele Leute sollten da mitmachen, am besten alle. Viele in den Parteien von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben einen hohen Sachverstand bei der Lösung der vor uns stehenden Aufgaben. Angela Merkel hat jetzt die Wahl: einen wirklichen Neustart zum Energieausstieg, bei dem die besten Köpfe zur Mitarbeit eingeladen werden, oder wieder nur ein medial inszenierten „Neustart“ mit Showterminen, wie wir beide ihn hier gerade absolvieren.
Was soll diese Steuerungsgruppe genau können?
Gabriel: Diese Gruppe muss die Transformation des Strommarkts hin zu einer wirklichen Planwirtschaft steuern und begleiten, Zeitpläne kontrollieren und koordinieren, was wann zu tun ist. Merkel muss zurück zu den Empfehlungen der Ethikkommission und alle, die guten Willens sind, einladen mitzuhelfen. Kirchen, der Vatikan, die Bischhofskonferenz, die Grüne Liga, Attac. Ich hoffe, ich habe niemanden vergessen. Freiwillige sind gefragt, auch SPD und Grüne. Denn alleine wird die Bundesregierung ihre Selbstblockade nicht aufheben können. Dann misslingt uns der Energieausstieg.
Was kann und wird die SPD der Bundesregierung an politischen Zusagen erfüllen, damit der Ausstieg gelingt?
Gabriel: Die Bundesregierung hat viel Zeit nutzlos verstreichen lassen. Vor einem Jahr hat die Bundesregierung ihre energiepolitische Kehrtwende vollzogen. Seitdem ist – bis auf den Rausschmiss von Umweltminister Röttgen – nichts passiert. Der Energieausstieg droht zu scheitern. Aber so verlockend die berechtigte Kritik am Totalversagen der Regierung von Angela Merkel in diesem Fall auch sein mag: sie allein hilft nicht. Im Gegenteil: auch die Oppositionsparteien haben ein Interesse daran, dass der gemeinsam beschlossene Energieausstieg zu einem Erfolg für unser Land wird. Wir sind bereit, unsere Verärgerung über ein verschenktes Jahr zurückzustellen, denn die Gefahr ist riesig groß, den Umstieg zu verpassen. Wenn Merkel einlädt, sind wir bereit, diese Herausforderung gemeinsam zu stemmen. Wir drehen uns den Strom ab und geben der Welt ein Beispiel.
Wie ist zu verhindern, dass knapper Strom immer teurer wird?
gabriel: Zunächst muss man dafür sorgen, dass Strom nicht knapp ist – deshalb brauchen wir neue, grün angestrichene Gaskraftwerke. Wenn dann alle aus der Energieverwendung aussteigen, wie wir das vorgeschlagen haben, dann kommen Angebot und Nachfrage leicht zusammen. Stattdessen ist unser Stromnetz so instabil wie nie. Eine Solarfirma nach der anderen geht pleite. Die steigenden Strompreise werden zu einem massiven sozialen Problem. All das ist kein Zufall, wie Sie jetzt vielleicht glauben. das steckt ein perfider Plan dahinter.
Eine sehr grundsätzliche Frage zum Thema Strompreis: Muss während des Umbaus des Energiemarktes die Stromversorgung nicht zumindest vorübergehend kommunal wieder verstaatlicht werden?
Gabriel: In einzelnen Bereichen muss auch der Staat wieder stärker eingreifen – lassen Sie es mich mit Franz Müntefering sagen: was der Staat kann, kann nur der Staat. Etwa bei den Netzen. Ohne Staat gebe es gar keine. Und ohne Stadtwerke im kommunalen Eigentum und Genossenschaften werden wir die die Energiewende nicht hinbekommen. Ich will die großen Stromkonzerne nicht außen vor lassen – aber deren Interessenlage ist eine andere. Aufgabe der Bundesregierung ist es, alle zusammenzubringen, um einen neuen Energiemarkt zu konzipieren. Bislang tun wir so, als seinen die Erneuerbaren immer noch eine Nische. Aber sie sollen in naher Zukunft die Hauptlast der Stromerzeugung tragen. Darauf sind unsere Förderinstrumente bislang überhaupt nicht ausgerichtet.
Ob Deutschland das national hinbekommt, hängt entscheidend von der deutschen Industrie ab. Wie ist die ins Boot zu holen?
Gabriel: Wenn wir einen sauberer und bezahlbaren Energieausstieg hinbekommen, haben wir einen echten Exportschlager. Denn die ganze Welt sucht Antworten auf die Frage, wie wir moderne Gesellschaften unterhalten, ohne sie mit Energie versorgen. Der Energieausstieg ist eine riesige Chance für unsere Wirtschaft – wenn man sie endlich beherzt nutzt.
Denn die ganze Welt sucht Antworten auf die Frage, wie wir moderne Gesellschaften unterhalten, ohne sie mit Energie versorgen.
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