Treffpunkt Kanzleramt, Hintereingang, lange vor Beginn des Berufsverkehrs. Rainald S. empfängt die kleine Reportertruppe, die im kalten Berliner Morgenwind steht, ausnehmend freundlich. Der Chef der Bundesworthülsenfabrik (BWHF), die auf Beschluss der Regierung Kohl seinerzeit direkt im Berliner Regierungsviertel unterhalb der Kanzlerwaschmaschine in den märkischen Restsand gegossen wurde, ist bester Dinge.
Während der Fahrstuhl direkt aus der Lobby des Amtssitzes der deutschen Kanzler und Kanzlerinnen hinunterfährt ins 2. Tiefgeschoss, wo Tag und Nacht Reimprogramme rattern und die Wortschweißgeräte im Drei-Schicht-Betrieb glühen, gibt sich Deutschlands oberster Blabla-Poet lockerer denn je. „Wir haben einen Lauf“, sagt S., der seinen richtigen Namen aus Geheimhaltungsgründen nicht nennen darf, „aber das macht uns nicht selbstsicher, das spornt uns nur an.“
Die Bilanz, auf die die Bundesworthülsendreher in den letzten paar Jahren verweisen können, lässt jedoch längst jede Kritik verstummen. Mit „Rettungspaket“, „Konjunkturspritze“, „Abwrackprämie“, „Schuldenbremse“, "Wachstumspakt" und „Rettungsschirm“ haben die vierhundert Vollzeitbeschäftigten in einem historisch kurzen Zeitraum mehr Als-Ob-Worte herstellen können als der seinerzeit noch von SED-Politbüromitglied Kurt Hager geleitete VEB Geschwätz im gesamten letzten Fünfjahrplanzeitraum der DDR.
Und da ist noch lange nicht Schluss, versichert Rainald S., der nicht nur Verwaltungschef, sondern auch einer der Starschreiber der Behörde ist. Beinahe jeden Tag stünden neue Herausforderungen an, kämen aus der Bundes- und Landespolitik dringende Forderungen nach neuen Begrifflichkeiten, die jeweils möglichst ungreifbare Inhalte transportieren sollen. „Unsere Aufgabe sehen wir darin, Vokabeln für das Unsagbare zu liefern, bei deren Benutzung alles wirklich Wichtige unausgesprochen bleibt.“
Als beispielhaft nennt der erfahrene Hülsendreher das Wort „Rettungsschirm“, das eine kleine Sondereinheit von BWHF-Geschwätzdesignern unter seiner Leitung aus Resten der altbekannten Vokabel „Rettungsring“ und einem benutzten „Fallschirm“ zusammenlötete. Zuvor hatte das Kanzleramt nach einem neuen Fachbegriff verlangt, mit dem sich die Finanzkrise optimistisch umschreiben lassen sollte. „Wir wussten sofort, Rettungsring geht nicht, weil das nach Absaufen klingt“, sagt S., „und Fallschirm war ebenso unmöglich, weil fallen immer Absturz signalisiert.“
Also „Rettungsschirm“, ein sinnfreies Gebilde wie der im letzten Herbst von der SPD-Troika vorgestellte "Nationale Pakt für Bildung und Entschuldung" , von dem danach nie wieder etwas gehört wurde. Aber gerade wegen ihrer immanenten inneren Leere feiern solche Blabla-Markenprodukte aus der Worthülsenfabrik riesige Erfolge. „Inzwischen stehen wir damit sogar im Duden“, freut sich der Mann, vor 20 Jahren noch für Erich Honecker tätig war und in dieser Funktion unter anderem den Satz vom "Sozialismus in den Farben der DDR" erfand.
Ein Anspruch, dem das im Vergleich zu den Anfängen heute doppelt so große Dichterheer im Kanzlerkeller mit jeder neuen Kreation gerecht werden will, egal, ob auf Antrag von Opposition an einem Begriff wie "toxische Papiere" gearbeitet wird, der mit seiner schönen Ringstruktur aus giftig wirkenden Is Gefahr schon auf der Zungenspitze signalisiert. Oder ob ein Auftragswerk für die Regierungskoalition geschaffen wird wie zuletzt das Wort "Wachstumspakt", dem man demnächst wohl - aber sei noch unter Drei - die Gründung eines "Runden Tisches Stabilität" (RTS) nachschieben werde. "Die Überlegungen dazu sind schon weit gediehen."
Dabei verfahre man inzwischen häufig nach Muster, bekannte Muster zu reproduzieren. „So, wie wir aus dem Rettungsschirm später das Rettungspaket abgeleitet haben, das in der Weltwortgeschichte zuvor auch völlig unbekannt war“, berichtet der Bundesworthülsendreherchef, „lassen wir uns derzeit von der recht erfolgreich implementierten Schuldenbremse zu allerlei anderen Bremsen inspirieren.“
Wie die Schuldenbremse sei natürlich auch die gerade erst erfundene „Benzinpreisbremse“ ein Wort ohne jeden Inhalt. „Das macht aber nichts, weil zusammengesetzte Substantive jedem inhaltsleeren Gewäsch ein prächtiges Gepränge von Sachverstand und Tatkraft geben“, wie es in der streng geheimen Begrüßungsbroschüre der Behörde als Werbung in eigener Sache heißt.
Die Assoziation sei hier die einer wirklichen Bremse, auf die man nur treten müsse, um zum Stehen zu kommen. Das Wort wirke erstaunlicherweise so stark, dass Politiker, die es verwenden, gleichzeitig zum verbalen Bremsakt steuerlich Vollgas geben und einen "Wachstumspakt" fordern können. Politik schaffe es so zum Beispiel, an jedem Cent, den der Benzinpreis steige, mitzuverdienen. „Während sie gleichzeitig glaubhaft den Eindruck erweckt, eine Benzinpreisvollbremsung im Dienst des Volkes durchzuführen.“
„Ich bin oft selbst fasziniert, wie sich Wirklichkeit durch suggestive Beschreibung ändert“, sagt Rainald S. , der sich selbst ironisch als "Staatsdeutsch-Komponisten" bezeichnet. „Brandmauer“ hält der im erzgebirgischen Aue geborene Sprachschöpfer für ein weiteres imposantes Beispiel für schöpferisches Worthülsendrehen. „Jeder denkt an Feuerwehr, an kräftige Männer mit C-Rohren, an moderne Löschtechnik und Lebensrettung, ohne dass diese ganzen Milliardenberge irgendetwas damit zu tun haben.“ Was sich dennoch ausbreite, sei ein gutes Gefühl, dass die Lage im Griff ist, dass hohe Mauern zuverlässig schützen und die Stabilität des politischen und wirtschaftlichen Systems gesichert ist. „Hätte Walter Ulbricht seine Mauer damals Brandmauer genannt“, denkt S. manchmal, „würde sie heute noch stehen.“
Während der Fahrstuhl direkt aus der Lobby des Amtssitzes der deutschen Kanzler und Kanzlerinnen hinunterfährt ins 2. Tiefgeschoss, wo Tag und Nacht Reimprogramme rattern und die Wortschweißgeräte im Drei-Schicht-Betrieb glühen, gibt sich Deutschlands oberster Blabla-Poet lockerer denn je. „Wir haben einen Lauf“, sagt S., der seinen richtigen Namen aus Geheimhaltungsgründen nicht nennen darf, „aber das macht uns nicht selbstsicher, das spornt uns nur an.“
Die Bilanz, auf die die Bundesworthülsendreher in den letzten paar Jahren verweisen können, lässt jedoch längst jede Kritik verstummen. Mit „Rettungspaket“, „Konjunkturspritze“, „Abwrackprämie“, „Schuldenbremse“, "Wachstumspakt" und „Rettungsschirm“ haben die vierhundert Vollzeitbeschäftigten in einem historisch kurzen Zeitraum mehr Als-Ob-Worte herstellen können als der seinerzeit noch von SED-Politbüromitglied Kurt Hager geleitete VEB Geschwätz im gesamten letzten Fünfjahrplanzeitraum der DDR.
Und da ist noch lange nicht Schluss, versichert Rainald S., der nicht nur Verwaltungschef, sondern auch einer der Starschreiber der Behörde ist. Beinahe jeden Tag stünden neue Herausforderungen an, kämen aus der Bundes- und Landespolitik dringende Forderungen nach neuen Begrifflichkeiten, die jeweils möglichst ungreifbare Inhalte transportieren sollen. „Unsere Aufgabe sehen wir darin, Vokabeln für das Unsagbare zu liefern, bei deren Benutzung alles wirklich Wichtige unausgesprochen bleibt.“
Als beispielhaft nennt der erfahrene Hülsendreher das Wort „Rettungsschirm“, das eine kleine Sondereinheit von BWHF-Geschwätzdesignern unter seiner Leitung aus Resten der altbekannten Vokabel „Rettungsring“ und einem benutzten „Fallschirm“ zusammenlötete. Zuvor hatte das Kanzleramt nach einem neuen Fachbegriff verlangt, mit dem sich die Finanzkrise optimistisch umschreiben lassen sollte. „Wir wussten sofort, Rettungsring geht nicht, weil das nach Absaufen klingt“, sagt S., „und Fallschirm war ebenso unmöglich, weil fallen immer Absturz signalisiert.“
Also „Rettungsschirm“, ein sinnfreies Gebilde wie der im letzten Herbst von der SPD-Troika vorgestellte "Nationale Pakt für Bildung und Entschuldung" , von dem danach nie wieder etwas gehört wurde. Aber gerade wegen ihrer immanenten inneren Leere feiern solche Blabla-Markenprodukte aus der Worthülsenfabrik riesige Erfolge. „Inzwischen stehen wir damit sogar im Duden“, freut sich der Mann, vor 20 Jahren noch für Erich Honecker tätig war und in dieser Funktion unter anderem den Satz vom "Sozialismus in den Farben der DDR" erfand.
Ein Anspruch, dem das im Vergleich zu den Anfängen heute doppelt so große Dichterheer im Kanzlerkeller mit jeder neuen Kreation gerecht werden will, egal, ob auf Antrag von Opposition an einem Begriff wie "toxische Papiere" gearbeitet wird, der mit seiner schönen Ringstruktur aus giftig wirkenden Is Gefahr schon auf der Zungenspitze signalisiert. Oder ob ein Auftragswerk für die Regierungskoalition geschaffen wird wie zuletzt das Wort "Wachstumspakt", dem man demnächst wohl - aber sei noch unter Drei - die Gründung eines "Runden Tisches Stabilität" (RTS) nachschieben werde. "Die Überlegungen dazu sind schon weit gediehen."
Dabei verfahre man inzwischen häufig nach Muster, bekannte Muster zu reproduzieren. „So, wie wir aus dem Rettungsschirm später das Rettungspaket abgeleitet haben, das in der Weltwortgeschichte zuvor auch völlig unbekannt war“, berichtet der Bundesworthülsendreherchef, „lassen wir uns derzeit von der recht erfolgreich implementierten Schuldenbremse zu allerlei anderen Bremsen inspirieren.“
Wie die Schuldenbremse sei natürlich auch die gerade erst erfundene „Benzinpreisbremse“ ein Wort ohne jeden Inhalt. „Das macht aber nichts, weil zusammengesetzte Substantive jedem inhaltsleeren Gewäsch ein prächtiges Gepränge von Sachverstand und Tatkraft geben“, wie es in der streng geheimen Begrüßungsbroschüre der Behörde als Werbung in eigener Sache heißt.
Die Assoziation sei hier die einer wirklichen Bremse, auf die man nur treten müsse, um zum Stehen zu kommen. Das Wort wirke erstaunlicherweise so stark, dass Politiker, die es verwenden, gleichzeitig zum verbalen Bremsakt steuerlich Vollgas geben und einen "Wachstumspakt" fordern können. Politik schaffe es so zum Beispiel, an jedem Cent, den der Benzinpreis steige, mitzuverdienen. „Während sie gleichzeitig glaubhaft den Eindruck erweckt, eine Benzinpreisvollbremsung im Dienst des Volkes durchzuführen.“
„Ich bin oft selbst fasziniert, wie sich Wirklichkeit durch suggestive Beschreibung ändert“, sagt Rainald S. , der sich selbst ironisch als "Staatsdeutsch-Komponisten" bezeichnet. „Brandmauer“ hält der im erzgebirgischen Aue geborene Sprachschöpfer für ein weiteres imposantes Beispiel für schöpferisches Worthülsendrehen. „Jeder denkt an Feuerwehr, an kräftige Männer mit C-Rohren, an moderne Löschtechnik und Lebensrettung, ohne dass diese ganzen Milliardenberge irgendetwas damit zu tun haben.“ Was sich dennoch ausbreite, sei ein gutes Gefühl, dass die Lage im Griff ist, dass hohe Mauern zuverlässig schützen und die Stabilität des politischen und wirtschaftlichen Systems gesichert ist. „Hätte Walter Ulbricht seine Mauer damals Brandmauer genannt“, denkt S. manchmal, „würde sie heute noch stehen.“
"Toxische Papiere" , finde ich sollte unbedingt noch erwähnt werden. Z.Z.des Bad-Bank-Geschwafels fand diese Wortkreation täglichen Gebrauch in den Medien. Sie sollte deshalb auch nicht in Vergessenheit geraten.
AntwortenLöschenDiese Behörde ist bitter nötig, denn die von den ministerialen Paragraphenreitern ursprünglich gelieferten Begriffe Rettungsbeschiss, Konjunkturbeschiss, Abwrackbeschiss oder Benzinpreisbeschiss erwiesen sich bei Testvorführungen vor einer repräsentativen Gruppe von Steuerzahlern als PR-Flops.
AntwortenLöschenAuch das Bildungspaket sollte nicht vergessen werden.
AntwortenLöschenDafür wurde immer hin der Miß- Bildung- Titel an Frau vdL verliehen.
„Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“
AntwortenLöschenViktor Klemperer über die Lingua Tertii Imperii
„Doch hinter der Nebelwand verbirgt sich autoritäre Anmaßung: man will nicht nur die Herrschaft über die Worte erobern, sondern auch die über die Köpfe.“
Cora Stephan in Deutschlandradio Kultur
Ach so:
AntwortenLöschen"Arbeitslosenamt" klingt auch besser als "Agentur für Arbeit"
ja, agentur für arbeit war ein frühes meisterwerk
AntwortenLöschenEuro-Gipferl ist was ganz leckeres.
AntwortenLöschenLiegt Deutschland nur schwer im Magen.
Wie Dönermorde.
"Wir haben einen Lauf, das macht uns nicht selbstsicher, das spornt uns nur an" - Ist hiermit in eigenen Sprachschatz aufgenommen.
AntwortenLöschenAnsonsten wieder doller Text dank Steilvorlage aus dem wahren Leben.
"Wir haben einen Lauf, das macht uns nicht selbstsicher, das spornt uns nur an" habe ich original von irgendwo übernommen. das sagen sie doch alle
AntwortenLöschenAuch die "Weltgemeinschaft" und die "internationale Gemeinschaft" nebst weiterer dergleichen Vereinigungen hätten noch angeführt werden können, -scheinen die ja offiziell weder zu existieren sich andererseits trotz Nichtexistenz aber voneinander zu unterscheiden.
AntwortenLöschenWäre wichtig für die nächsten Aktivisten in diversen Hochburgen z.B. bei Flugverbotszonen.
Orwell
Ihr meint sicher: Den Sozialismus in seinem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf!
AntwortenLöschenE.H.
Momentan packt die Kanzlerin an einem Regierungsbildungspaket für Athen, das alsbald mit einem finalen Rettungsschirm symbolträchtig über der Akropolis abgeworfen werden wird. Dieses wird so einschlagen, daß allen Krisenherden sofort die fossilen Brennstoffe ausgehen. Frau M. wird dann als Göttin Angela, Retterin Europas und des Klimas, in den Olymp einziehen.
AntwortenLöschenZu Zeiten des Sozialismus in den Farben der DDR schickte mir mein Onkel auch oft Rettungspakete. Immer mit dem mahnenden Hinweis "Geschenksendung-keine Handelsware".
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