Natürlich sehen Sie mich! Links hinter dem Lammert, das bin ich! Die mit der weißen Bluse, der man den Kopf abgeschnitten hat. Also meine Kinder sagen, sie erkennen mich. Defintiv, Mutti, das sieht man doch, sagen die. Die Jungs wollen freundlich sein, das ist mir klar, denn seit ich meine Haare abgeschnitten habe, ist das ja wirklich völlig anonym, was da rüberkommt. Ich erkenne mich selbst nicht mehr! Schwarzer Blazer, weiße Bluse, das ist Vorschrift. Die Conny, was meine Kollegin ist, die sehen Sie da rechts neben dem Herrn Lammert, die Conny also, die hat wenigstens ihre langen Locken. Schöne Haare, ganz schön, und so dicht! Ich bin immer neidisch, wenn die Conny sich in der Umkleide noch mal kämmt.
Müsste sie nicht, das ist nun wieder aus meiner Sicht das Schöne an dieser blöden Situation. Von ihr sieht man sowieso nur die Haarspitzen! Immerhin noch was, denn von mir sieht man nichts. Man sieht uns ganze Leute vom Sitzungsdienst des Bundestages überhaupt sowieso gar nicht mehr im Fernsehen! Zumindest, was uns Frauen betrifft. Wir sitzen nun mal in der letzten Reihe, mittendrin, aber unsichtbar, sage ich immer. Die Herren von der Bundestagsverwaltung, also unser Herr Direktor des Bundestages und die Juristen vom Sitzungsdienst, die den Herrn Lammert bei plötzlich auftauchenden inhaltlichen Fragen zur Geschäftsordnung unterstützen müssen, die nie auftauchen, soweit ich das in fast 20 Jahren beobachten konnte, die haben die Plätze vor uns Frauen. Rechts und links vom Lammert, neben ihm und leicht neben ihm nach oben versetzt. Die kann man alle gut sehen - der dicke Tilla, wie wir die Frau Röhmer nennen, die sich immer den Platz vorn links vom Lammert schnappt. Sagen Sie den Namen bloß nicht weiter! Die Tilla Röhmer, die wir "der" nennen, weil sie so unheimlich burschikos sein kann, die sagt, sie braucht die Beinfreiheit. Ich glaube das ja nicht, aber es ist auch nicht mein Problem, sondern ihr. Warum futtert sie so viel, davon wird man nun mal fett. Und dann nennt man Beinfreiheit, was eigentlich "Bauchfreiheit" heißen müsste.
Aber die Herren schlucken es. So ist eben die Sitzordnung. Auf der linken Seite der Carsten, der mal als Praktikant hier angefangen hat und jetzt Plenarassistent ist, das heißt, er muss die ganze Zeit still sitzen und ein Gesicht machen, das nicht vom Lammert ablenkt. Direkt hinter ihm sitzt meisten der Cornelius P. Precht, ein ganz feiner, ganz erfahrener älterer Kollege, zwar aus dem Westen, aber trotzdem ganz umgänglich. Kein bisschen arrogant, dabei hat er richtig studiert! Ich komme gut mit dem klar, obwohl er sich neuerdings einen Bart hat stehen lassen, der ihm aus meiner Sicht überhaupt nicht steht. Genauso wenig wie dem Thilo, der links vom Lammert auf der Halbebene sitzt, diese unsägliche Fliege. Ich sage immer, Thilo, wie der Heinz Riesenhuber! Aber Thilo ist so jung, der erinnert sich gar nicht mehr an den "Riesen", wie wir ihn damals immer genannt haben. Obwohl der doch eigentlich sogar noch Alterpräsident ist hier bei uns im hohen Haus.
So sind sie, die jungen Leute, die nachkommen. Als ich zur Sarah, die letztes Jahr als Plenarassistentenazubine bei uns angefangen hat, mal von dem Problem mit den Köpfen erzählt habe, hat die nur gelacht. Sei froh, hat sie gesagt, da musst Du wenigstens keine Autogramme geben. Autogramme geben. Hahaha. Mussten wir früher auch nicht, damals, in der guten alten Zeit, als der Riesenhuber noch Forschungsminister war, der Kohl und der Schröder Kanzler und die ARD die Bundestagsdebatten selber übertragen hat, statt das zu Phoenix abzuschieben, wo kein Mensch zuschaut. Das weiß ich doch von den Nachbarn. Die wissen gar nicht, wo das auf der Fernbedienung liegt.
Das Beste damals war aber natürlich, dass alles noch in einem vernünftigen Bildschirmformat gesendet wurde: 4:3 statt 16:9! Wenn Sie mich fragen, das einzige mögliche Format, um so was zu bringen. Mit unseren Köpfen! Die verschwanden ja erst aus der Berichterstattung, als die Sender auf dieses angebliche Kinoformat umschwenkten. Seitdem sitze ich da als Frau ohne Schädel vor dem ganzen Volk, ein undefinierbares Etwas, dem der Regisseur mit dem Kopf einfach die Persönlichkeit wegschneidet.
Was denken Sie, was die Kinder da für Ärger in der Schule hatten. Gemobbt worden sind die, richtiggehend gemobbt. Was arbeiten Eure Eltern, sollten sie aufschreiben. Hat der Ronny gemacht, also der Kleine. Sehr gut gemacht, alles beschrieben, ganz genau, und alles von mir, denn ich habe die beiden ja alleine, seit der Mark abgehauen ist. Wo ich sitze, was ich tun muss, wie bekannt die Leute sind, für die ich arbeite. Der Aufsatz wurde dann in der Klasse vorgelesen und die Lehrerin, die Frau Schuppke, eine ganz nette Frau, meinte es ganz gut und die hat dann den Fernseher angemacht, damit die Kinder mal sehen, wie das da zugeht im Bundestag und wo Ronnys Mutter sitzt und was mein Junge da beschreibt und dass das wirklich alles stimmt mit meiner Verantwortung und dass die Frau Bundeskanzlerin Merkel morgens manchmal "Guten Morgen, Frau Tanzer" zu mir sagt.
Das gab ein dolles Gelächter, kann ich Ihnen sagen! Der Ronny kam völlig verheult nach Hause, denn die haben ihn dann den ganzen Tag damit aufgezogen. "Deine Mutter hat kein´ Kopp" und so. Wie der Berliner so ist, herzlich, aber hart.
Ich bin dann gleich am nächsten Tag zu unserem Betriebsrat hier im Bundestag und habe mal Klartext geredet. Was ist denn das für eine Demokratie, wo den Leuten der Kopf abgeschnitten wird, habe ich gesagt. Das ist ja menschenverachtend, was die mit uns machen. Kopf absensen vor allen Leuten. Wie im Mittelalter, habe ich gesagt. Der Justus Koppmann, was der Betriebsratsvorsitzende hier ist, ein ganz lieber Herr, der allerdings aus meiner Sicht immer ein bisschen zu schnell nachgibt, wenn die Verwaltung Sonderwünsche wegen der Arbeitszeit äußert, nur weil wieder so ein Rettungspaket geschnürt oder ein Rettungsschirm gefaltet werden muss, der Koppmann jedenfalls hat durchaus Verständnis für unsere Belange gezeigt.
Aber machen konnte auch nichts. Er hat zwar gefragt beim Bundstags-TV, das den ganzen Sendern die Bilder liefert, damit da nicht jeder Dorfkanal den Abgeordneten mit einem eigenen Kamerateam zwischen den Füßen rumläuft. Die haben aber die Hände gehoben. Das Bildschirmformat sei nun mal so, weltweit, damit müsse man leben, auch wenn man zum Sitzungsdienst gehöre, hieß es. Ich war natürlich enttäuscht und der Ronny noch mehr. In der Schule mobben sie ihn ja immer noch wegen der Sache. Ich bin da nur die Kopflose Dame. Privat sage ich, besser als Dame ohne Unterleib. Nicht, dass ich keinen Humor hätte. Aber dem Koppmann habe ich geschrieben, dass ich das nicht auf sich beruhen lassen werde. Auch Plenarassistenten haben eine Menschenwürde, wir sind ja schließlich keine Praktikanten! Auch wir müssen uns nicht kopflos im Parlament zeigen lassen. Ich suche mir jetzt einen Anwalt. Und dann werden wir doch mal sehen. Der Herr Gauck sagt es ja auch. Mut und Selbstbewusstsein, einmischen, mitmachen. Zur Not gehe ich bis nach Straßburg.
Die Echtzeit-Serie Doku Deutschland bei PPQ:
Der letzte deutsche Autofahrer
Gauck an der Wand
Bekenntnisse eines Blitzkriegers
Wahrheit ist flexibel
Ein Land aus Pfand
Sorgen auf der Sonnenbank
Rock an der Rütlischule
Schwimmen mit Sirenen
Hausbuchführer im Widerstand
Ich dagegen bin dafür
Der Marcellator der Herzen
Die Stimme des Bauchtrainers
Am Tresen verhaftet
Müsste sie nicht, das ist nun wieder aus meiner Sicht das Schöne an dieser blöden Situation. Von ihr sieht man sowieso nur die Haarspitzen! Immerhin noch was, denn von mir sieht man nichts. Man sieht uns ganze Leute vom Sitzungsdienst des Bundestages überhaupt sowieso gar nicht mehr im Fernsehen! Zumindest, was uns Frauen betrifft. Wir sitzen nun mal in der letzten Reihe, mittendrin, aber unsichtbar, sage ich immer. Die Herren von der Bundestagsverwaltung, also unser Herr Direktor des Bundestages und die Juristen vom Sitzungsdienst, die den Herrn Lammert bei plötzlich auftauchenden inhaltlichen Fragen zur Geschäftsordnung unterstützen müssen, die nie auftauchen, soweit ich das in fast 20 Jahren beobachten konnte, die haben die Plätze vor uns Frauen. Rechts und links vom Lammert, neben ihm und leicht neben ihm nach oben versetzt. Die kann man alle gut sehen - der dicke Tilla, wie wir die Frau Röhmer nennen, die sich immer den Platz vorn links vom Lammert schnappt. Sagen Sie den Namen bloß nicht weiter! Die Tilla Röhmer, die wir "der" nennen, weil sie so unheimlich burschikos sein kann, die sagt, sie braucht die Beinfreiheit. Ich glaube das ja nicht, aber es ist auch nicht mein Problem, sondern ihr. Warum futtert sie so viel, davon wird man nun mal fett. Und dann nennt man Beinfreiheit, was eigentlich "Bauchfreiheit" heißen müsste.
Aber die Herren schlucken es. So ist eben die Sitzordnung. Auf der linken Seite der Carsten, der mal als Praktikant hier angefangen hat und jetzt Plenarassistent ist, das heißt, er muss die ganze Zeit still sitzen und ein Gesicht machen, das nicht vom Lammert ablenkt. Direkt hinter ihm sitzt meisten der Cornelius P. Precht, ein ganz feiner, ganz erfahrener älterer Kollege, zwar aus dem Westen, aber trotzdem ganz umgänglich. Kein bisschen arrogant, dabei hat er richtig studiert! Ich komme gut mit dem klar, obwohl er sich neuerdings einen Bart hat stehen lassen, der ihm aus meiner Sicht überhaupt nicht steht. Genauso wenig wie dem Thilo, der links vom Lammert auf der Halbebene sitzt, diese unsägliche Fliege. Ich sage immer, Thilo, wie der Heinz Riesenhuber! Aber Thilo ist so jung, der erinnert sich gar nicht mehr an den "Riesen", wie wir ihn damals immer genannt haben. Obwohl der doch eigentlich sogar noch Alterpräsident ist hier bei uns im hohen Haus.
So sind sie, die jungen Leute, die nachkommen. Als ich zur Sarah, die letztes Jahr als Plenarassistentenazubine bei uns angefangen hat, mal von dem Problem mit den Köpfen erzählt habe, hat die nur gelacht. Sei froh, hat sie gesagt, da musst Du wenigstens keine Autogramme geben. Autogramme geben. Hahaha. Mussten wir früher auch nicht, damals, in der guten alten Zeit, als der Riesenhuber noch Forschungsminister war, der Kohl und der Schröder Kanzler und die ARD die Bundestagsdebatten selber übertragen hat, statt das zu Phoenix abzuschieben, wo kein Mensch zuschaut. Das weiß ich doch von den Nachbarn. Die wissen gar nicht, wo das auf der Fernbedienung liegt.
Das Beste damals war aber natürlich, dass alles noch in einem vernünftigen Bildschirmformat gesendet wurde: 4:3 statt 16:9! Wenn Sie mich fragen, das einzige mögliche Format, um so was zu bringen. Mit unseren Köpfen! Die verschwanden ja erst aus der Berichterstattung, als die Sender auf dieses angebliche Kinoformat umschwenkten. Seitdem sitze ich da als Frau ohne Schädel vor dem ganzen Volk, ein undefinierbares Etwas, dem der Regisseur mit dem Kopf einfach die Persönlichkeit wegschneidet.
Was denken Sie, was die Kinder da für Ärger in der Schule hatten. Gemobbt worden sind die, richtiggehend gemobbt. Was arbeiten Eure Eltern, sollten sie aufschreiben. Hat der Ronny gemacht, also der Kleine. Sehr gut gemacht, alles beschrieben, ganz genau, und alles von mir, denn ich habe die beiden ja alleine, seit der Mark abgehauen ist. Wo ich sitze, was ich tun muss, wie bekannt die Leute sind, für die ich arbeite. Der Aufsatz wurde dann in der Klasse vorgelesen und die Lehrerin, die Frau Schuppke, eine ganz nette Frau, meinte es ganz gut und die hat dann den Fernseher angemacht, damit die Kinder mal sehen, wie das da zugeht im Bundestag und wo Ronnys Mutter sitzt und was mein Junge da beschreibt und dass das wirklich alles stimmt mit meiner Verantwortung und dass die Frau Bundeskanzlerin Merkel morgens manchmal "Guten Morgen, Frau Tanzer" zu mir sagt.
Das gab ein dolles Gelächter, kann ich Ihnen sagen! Der Ronny kam völlig verheult nach Hause, denn die haben ihn dann den ganzen Tag damit aufgezogen. "Deine Mutter hat kein´ Kopp" und so. Wie der Berliner so ist, herzlich, aber hart.
Ich bin dann gleich am nächsten Tag zu unserem Betriebsrat hier im Bundestag und habe mal Klartext geredet. Was ist denn das für eine Demokratie, wo den Leuten der Kopf abgeschnitten wird, habe ich gesagt. Das ist ja menschenverachtend, was die mit uns machen. Kopf absensen vor allen Leuten. Wie im Mittelalter, habe ich gesagt. Der Justus Koppmann, was der Betriebsratsvorsitzende hier ist, ein ganz lieber Herr, der allerdings aus meiner Sicht immer ein bisschen zu schnell nachgibt, wenn die Verwaltung Sonderwünsche wegen der Arbeitszeit äußert, nur weil wieder so ein Rettungspaket geschnürt oder ein Rettungsschirm gefaltet werden muss, der Koppmann jedenfalls hat durchaus Verständnis für unsere Belange gezeigt.
Aber machen konnte auch nichts. Er hat zwar gefragt beim Bundstags-TV, das den ganzen Sendern die Bilder liefert, damit da nicht jeder Dorfkanal den Abgeordneten mit einem eigenen Kamerateam zwischen den Füßen rumläuft. Die haben aber die Hände gehoben. Das Bildschirmformat sei nun mal so, weltweit, damit müsse man leben, auch wenn man zum Sitzungsdienst gehöre, hieß es. Ich war natürlich enttäuscht und der Ronny noch mehr. In der Schule mobben sie ihn ja immer noch wegen der Sache. Ich bin da nur die Kopflose Dame. Privat sage ich, besser als Dame ohne Unterleib. Nicht, dass ich keinen Humor hätte. Aber dem Koppmann habe ich geschrieben, dass ich das nicht auf sich beruhen lassen werde. Auch Plenarassistenten haben eine Menschenwürde, wir sind ja schließlich keine Praktikanten! Auch wir müssen uns nicht kopflos im Parlament zeigen lassen. Ich suche mir jetzt einen Anwalt. Und dann werden wir doch mal sehen. Der Herr Gauck sagt es ja auch. Mut und Selbstbewusstsein, einmischen, mitmachen. Zur Not gehe ich bis nach Straßburg.
Die Echtzeit-Serie Doku Deutschland bei PPQ:
Der letzte deutsche Autofahrer
Gauck an der Wand
Bekenntnisse eines Blitzkriegers
Wahrheit ist flexibel
Ein Land aus Pfand
Sorgen auf der Sonnenbank
Rock an der Rütlischule
Schwimmen mit Sirenen
Hausbuchführer im Widerstand
Ich dagegen bin dafür
Der Marcellator der Herzen
Die Stimme des Bauchtrainers
Am Tresen verhaftet
"Auf der linken Seite der Carsten,..."
AntwortenLöschenRechts.
Wenn der dicke Tilla und der Thilo links sitzen, sitzen Carsten und Cornelius rechts.