Montag, 4. April 2011

Wohlstand wird anstrengungslos

Schlussendlich ging alles schnell, als selbst die größten Optimisten erwartet hatten. Kaum zwölf Monate nach seinen kruden Äußerungen über "anstrengungslosen Wohlstand" hat FDP-Chef Guido Westerwelle die Konsequenzen gezogen: Der erste offen schwule Außenminister Deutschlands tritt als Parteichef ab.

Aufatmen ringsum im Politzirkus zwischen Berlin, Hamburg und München. "Ende einer anstrengenden Ära", schreibt der "Spiegel", "Das schäbige Ende eines Parteivorsitzenden", sieht die "Welt", in er "SZ" anaysiert man gar, Westerwelle sei "Vom Hof gejagt" worden. Endlich, so klingt es überall zwischen den Zeilen durch. Westerwelle war zu lange zu erfolgreich und er erschien dabei zu arrogant.

Was sollen die bunten Blätter auch anfangen mit einem Mann ohne Geheimnisse? Westerwelle ist wohlhabend, skandalfrei und er ist schwul, man konnte ihn abfällig "Schwesterwelle" nennen, nachdem der saarländische SPD-Kämpfer Ottmar Schreiner den Begriff aus dem Waffenarsenal der homophoben Rechten geliehen und hoffähig gemacht hatte. Aber man konnte nichts tun gegen den obersten Liberalen, der den Zeitgeist ritt. Alles rief nach Dynamik, nach Reformen, nach schlanken Strukturen. Da kam der selbstverständlich elegante Guido gerade recht - neben ihm sieht Sigmar Gabriel aus wie eine anstrengungslose Weichfleischrolle, nimmt sich Angela Merkel aus wie die polnische Putzfrau im Adler-Modemarkt-Dress.

Ewig geht das nicht gut. Nach der letzten Bundestagswahl begann der Abstieg des Medienphänomens Westerwelle, das Karriere gemacht hatte, ohne wie Guttenberg, Müntefering oder von der Leyen zu kumpeln. Weil Westerwelle anfangs darauf beharrte, Wahlversprechen umsetzen zu wollen, wurde er zum regierungsunfähigen Illusionisten erklärt. Als er die Umsetzung abblies, erfuhr die Welt, dass er seine Wahlversprechen nicht gehalten habe. Als er Deutschland wie einst Gerd Schröder aus einem sich anbahnenden Krieg heraushalten wollte, wurde ihm das als Verrat an den westlichen Werten ausgelegt. Hätte er zugestimmt, deutsche Bomber nach Tripolis zu schicken, wäre er unweigerlich an Hitlers Nordafrika-Experditionen erinnert worden.

Doch war es der Satz vom "anstrengungslosen Wohlstand", der den oberen Wendepunkt der Laufbahn des Liberalen markierte. Da Deutschland seinerzeit, zwölf Monate nach der größten Finanzkrise aller Zeiten, keine anderen Probleme hatte, als mangelnde Sekundärtugenden in Teilen der Bevölkerung keinesfalls öffentlich zu diskutieren, stürzte sich die große Erregungsindustrie nicht in einer Offensive zur Erforschung der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Sondern in einen Weltkrieg gegen Schwesterwelle.

Homophobe Hassreflexe trafen endlich einen, von dem auch die Qualitätsmedien von "SZ" über "Spiegel" bis "taz" der Meinung waren, sie träfen ihn völlig zu recht. Ein Jahr danach nun muss er endlich abdanken, der "deutsche Haider" ("Zeit"), der "am rechten Rand fischt" (Werner Perger).

Es tritt nun auf der nächste glattgebügelte Charakterloskopf, Führungspersonal an der langen Leine der Medienregierung. Was da nachkommt, das zeigt schon die elegant wortlos geführte Nachfolgediskussion, hat die Signale verinnerlicht. Sei biegsam, sei gefügig, wechsle Ansichten wie Hemden, begradige den Kurs bei Bedarf, nenne das aber stets Kurshalten. Wohlstand wird anstrengungslos. Spätrom feiert die Dekadenz als Aufbruch.

10 Kommentare:

  1. Nach der BT-Wahl sah ich die FDP schon als NPD2. Der ewige FDP-ler mit seinen fastdreiprozent als verantwortlicher Träger von Selbstbedienung, Lobbyismus und Privatschulen.

    Schwesterwelle: Harald Schmidt sagte kurz nach der Wahl, daß jetzt wohl homophobe Witze im deutschen Kabarett zu erwarten seien ...

    Ich sehe es eher so, daß "man" keinen Regierungswechsel zulassen möchte - vielleicht braucht man die FDP auch nicht mehr und sieht ihre Rolle nunmehr von den Grünen vertreten.

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  2. die schönste theorie, die ich bisher gelsen habe, ist ja, dass W gehen musste, weil er den amerikanern die gefolgschaft in libyen verweigert hta. rößler als der informant der amis bei den koalitionsverhandlungen sei eher bereit, zu tun, was verlangt wird.

    da staune ich doch stets, wie alles immer mit sinn aufgeladen wird, wo keiner ist.

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  3. Nun heißt es:
    "Er war der erfolgreichste deutsche Politiker der vergangenen zehn Jahre."

    Boah, ist da eklig ... :-(

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  4. Wo Herold oben steht folgt üblicherweise ein originell formuliertes Posting, dessen tiefe Wahrheit sich mir erst bei zweiten Lesen erschließt. Ich bewundere das. So hintergründig und dreimal in sich selbst verdreht formulieren krieg ich nicht hin.

    Dein erstes Posting heute hab ich nun schon fünfmal gelesen und versteh es immer noch nicht.
    Bin zwar nicht so nazophob wie sich das für einen gut konditionierten Untertan einer Bonzokratur gehört, aber „FDP schon als NPD2“ kann ich nicht nachvollziehen.

    Kannst Du einen Tipp geben, wie das Rätsel zu lösen ist?

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  5. @Volker, die Reaktion der (medialen) Öffentlichkeit nach der Bundestagswahl auf die Regierungs- beteiligung der FDP - die sonst üblichen "100 Tage" galten wohl nicht - erinnerte mich weniger an "kritische Berichterstattung", sondern eher an das "GottseibeiunsjetztmüssenalleDemokratenzusam- menstehen" .

    Wenn ausgerechnet der Absolvent der Evangelischen Fachhochschule für Sozialwesen, Cem *Palin* Özdemir, gegenüber der BBC Bildungsmängel bei Westerwelle erkennen durfte, ist das leicht surreal.

    FDP(-ler) als synonym für (grüne) Privatschulen und "Selbstbedienung" - obwohl letztere mangels Masse im Verwaltungsapparat eher bei den anderen BT-Parteien zu finden ist; hysterische Blogger-Verachtung oder die von Studenten geäußerte Erkenntnis, die FDP hätte (in der Opposition sitzend ?) Kultur- und Bildungssystem ruiniert, deuten schon auf einen Vernichtungskurs, den man bisher nur aus dem "Kampf gegen das Böse" kannte.
    ... wobei ich dachte, daß ER und seine späte Gefolgschaft darauf das copyright hätten.

    Ich gehe davon aus, daß mit Westerwelles Demission das Spiel noch nicht beendet ist.

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  6. ich gebe mal an: ich hatte dich genau so verstanden

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  7. Der FDP wird eigentlich immer der schwarze Peter zugeschoben: der böse, böse Neoliberalismus. Dabei betreibt den längst der ganze Verein. Herolds Vergleich gefällt mir ausgesprochen gut.

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  8. Oh, danke.
    Werde in Zukunft meine Denkblase mehr anstrengen müssen.
    Obwohl ich sagen muss, dass mir in der allgemeinen Kakophonie so viele Einzelheiten gar nicht aufgefallen sind.
    Vermutlich bin ich schon zu abgestumpft.

    Aber FDP-Infostände wurden nicht zerlegt.
    Noch nicht.

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  9. das ist aber eher sozialistischer neoliberalismus, falls es den gibt. wenn nicht, melde ich jetzt das patent auf die benamsung an

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  10. @ppg: ganz richtig

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