Die Parallelen sind so deutlich, dass sie einen anspringen. Hier 9/11, dort 3/11, damals die Beschwörung einer neuen Zeit, in der nichts mehr so sein werde wie vorher, hier nun die Vorhersage, dass "Japan alles ändert" (Markus Söder). Medial ist seit vergangenem Freitag wieder Twin-Tower-Time, im Zentrum der Katastrophe steht diesmal Deutschland, dessen regierende Koalition direkt vor wie immer wichtigen Landtagswahlen keine Atomdiskussion brauchen kann, nun aber doch eine am Hals hat. Nirgendwo auf der Welt zündet eine Kernreaktion mit einer Zuverlässigkeit wie hier im Heimatland von Otto Hahn und Fritz Straßmann, die 1938 in Berlin die ersten Kerne spalteten.
"Nur Tschernobyl war schlimmer", trötet n-tv, als handele es sich um einen Wettbewerb, welches Grauen die meisten Punkte für die Geschichtsbücher machen kann. Der dazu fällige Text muss nicht mehr geschrieben werden, er steht bereits im "Tagesspiegel", bezeichnenderweise unter "Kontrapunkt". Die dazugehörigen Charts des deutschen Aktienindex hier rechts - oben die Grafik von Sommer 2001 bis 9/11, darunter die der fünf Monate bis 3/11.
Es ist kein Zufall, dass immer öfter Parallelen gezogen werden zwischen 9/11 und 3/11. Denn die Terroranschläge in den USA markieren eine historische Zäsur wie die atomaren Desaster in Japan nach der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe. Damals wie heute sind die beherrschenden Gefühle Angst und Wut. Diese Gefühle brauchen ein Ventil.
In den USA entlud sich die aus dem Gleichgewicht geratene nationale Psyche in zwei Kriegen und dem Aufbau eines gigantischen Heimatschutzministeriums. Und was dort die Angst vor dem Terror war, ist in Deutschland die Angst vor dem Atom. Dabei ist es unerheblich, dass die Quelle der deutschen Angst rund 9000 Kilometer entfernt steht.
Angst braucht keine räumliche Nähe, um wirklich empfunden zu sein. Gefühlt ist den Deutschen das Kernkraftwerk Fukushima hautnah. Der beschleunigte Ausstieg aus der hiesigen Atomnutzung soll auch Ausdruck dieser hautnahen Angst sein.
Von 9/11 zu 3/11: Dem Déjà-vu-Erlebnis kann sich kein aufmerksamer Zeitzeuge entziehen. In den USA hieß es damals: Wenn das (gemeint war der Einsturz der Twin Tower des World Trade Centers) möglich ist, dann ist alles möglich. In Medien, Politik und Think Tanks wurden Dutzende Horror-Szenarien durchgespielt und in ihrer Konsequenz beschrieben. Ein entführtes Flugzeug stürzt auf ein Kernkraftwerk, eine schmutzige Bombe explodiert in einem Einkaufszentrum, das Grundwasser einer Metropole wird vergiftet. Nichts schien mehr absurd. Die Terror-Angst-Epidemie grassierte ohne Rationalitäts-, sprich: Wahrscheinlichkeitskontrolle.
Angst steckt an und fasziniert: Was für Medienexperten und Psychologen eine Binse ist, konnte Tag für Tag vor den Fernsehschirmen studiert werden. "Wer mit Angst arbeitet, ist immer im Vorteil", sagte 2003 der Psychologe Paul Slovic von der University of Oregon. "Es ist leichter zu ängstigen, als zu beruhigen. Und wir vertrauen eher jenen Menschen, die uns vor Gefahren warnen, als jenen, die sie uns ausreden wollen." In den USA warnten damals Kriegsgegner und Bürgerrechtler vor einer Instrumentalisierung der kollektiven Angst. Doch die Emotionen waren zu stark.
Ähnlich ist es heute in Deutschland. Anfangs warnten konservative Atomkraftbefürworter vor einer Instrumentalisierung der Angst. Doch diese Stimmen sind rasch still geworden. "Wenn ein Komet vom Himmel stürzt, sind unsere Atomkraftwerke nicht mehr sicher", bilanzierte am Montagabend der ARD-Moderator in einer Sondersendung. "Und ich habe gerade das Gefühl, dass dieses Risiko neu bewertet wird." Rund 70 Prozent der Deutschen glauben, dass hier ein ähnlicher Atom-Unfall wie in Japan passieren kann. Die Das-erinnert-mich-an-mich-Nation diskutiert nicht, ob es in Deutschland Erdbeben der Stärke 9 und 10 Meter hohe Tsunami-Wellen gibt. Statt dessen verlangt ihr Schock über die Bilder aus Japan eine drastische Aktion. Was für die Amerikaner nach 9/11 der Sturz der Taliban und von Saddam Hussein war, ist für die Deutschen nach 3/11 der möglichst schnelle Ausstieg aus der Atomkraft.
Hier wie dort brauchte es erst eine Katastrophe, damit die Terror- bzw. Atomkraftwarnungen ernst genommen wurden. Und hier wie dort lagen Stichwortgeber auf der Lauer der Gelegenheit. Richard Perle und Paul Wolfowitz glaubten, das beste Mittel im Kampf gegen den Terror sei die Demokratisierung der arabischen Welt. In Dick Cheney hatten sie einen Gesinnungsgenossen in der Bush-Regierung. Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin hielten die Laufzeitverlängerung schon immer für gesellschaftlichen Verrat. In Norbert Röttgen finden sie nun einen Mitstreiter im Merkel-Kabinett für einen noch rascheren Ausstieg aus der Kernenergie.
Ganz ähnlich beschaffen ist auch jener nationale Eigensinn, der mitunter an Autismus grenzt, wie er sich in den USA nach 9/11 und in Deutschland nach 3/11 ausbreitete. Wer Angst sät, erntet Macht: Amerikanische Kriegstrommler und deutsche Atomkraftgegner wurden zwar im Inland gestärkt, aber das Ausland verweigerte ihnen oft die Gefolgschaft. Deutsche, Franzosen, Russen und Chinesen wollten Bush nicht in den Irak folgen; Polen, Franzosen, Inder und Chinesen wollen den Deutschen nicht in den Akw-Ausstieg folgen. Wer freilich den Zeitgeist im Rücken wähnt, wertet Isolation meist auch als Zeichen der Verblendung anderer.
So führten und führen 9/11 und 3/11 zu einer Art Auto-Immunisierung gegen Kritik. Stefan Mappus, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, sagte es gestern Abend in der ARD deutlich: "Viele Menschen haben Angst, da kann man nicht einfach sagen, weiter so. Da können Sie nicht einfach rational argumentieren."
Mappus hat recht. Denn man macht es sich zu leicht, wenn man kollektive Gefühle der Angst - ob vor Terror oder Atom - wegrationalisieren möchte. Nein, diese Gefühle sind sehr real und verlangen nach einer entsprechenden politischen Geste. Dabei gilt: Je intensiver die Angst, desto massiver muss die Antwort auf sie ausfallen.
Deshalb musste George W. Bush ebenso in Afghanistan einmarschieren wie Angela Merkel den Einstieg in den Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg verkünden. Gegen die Stimmung im Volk Politik zu machen, konnten und können sich beide nicht erlauben.
Der pädagogische Rest direkt im Tagesspiegel
"Norbert Röttgen finden sie nun einen Mitstreiter ..."
AntwortenLöschenIst er tatsächlich der "Querdenker der CDU(-Minister)" oder ist genau DAS seine Aufgabe ...
... so wie es die Aufgabe von Althaus war, das Geld-für-Alle-Thema politisch zu versenken ?
Im Artikel: "Und so lange durch ihren Aktionismus das Gute befördert wird - Entmachtung der Taliban, Atomausstieg"
AntwortenLöschen1. Durch Aktionismus wurde halt noch nie was Gutes bewirkt, das soll dieser Begriff ja verdeutlichen.
2. Wer legt fest, ob Entmachtung der Taliban oder Atomausstieg was Gutes ist?
3. Sind diese beiden Ziele denn gut?
@teja:
AntwortenLöschendeshalb hab ich das weggelassen beim zitieren. der musste wohl der platz füllen
Nimmt man den bodycount als Maßstab, dann muss sofort der Verkehr verboten werden. Motorradfahren zuerst! Zum Glück hat die Menschheit nach den Katastrofen von "Titanic" und "Wilhelm Gustloff" von der Technologie des großen, hochseetüchtigen Passagierschiffs Abstand genommen. Deshalb konnten weitere Opfer in diesem Technologiesektor vermieden werden. Sogenannte "Züge" als schienengebundene Verkehrsmitttel haben ebenfalls schon tausende Todesopfer gefordert. In Japan werden zur Stunde noch verunglückte Züge vermisst. Wir müssen sofort aus dieser Wahsinnstechnologie aussteigen! Menschen in Metallgehäuse zu pferchen, um sie einem gefährlichen und meist unnötigen "Transport" zu unterwerfen ist unverantwortlich!
AntwortenLöschenAch so, ich habe schon nach dem Rest gesucht, denn so ist der Artikel ja ganz prima, bis auf den Rest. Stimmt, das "pädagogisch" hätte mich stutzig machen sollen...
AntwortenLöschenUnd wir aufgeklärten Leute lächeln über unsere Vorfahren, wie die sich im Mittelalter von der Kirche haben verschaukeln lassen. Dabei ist der Grundsatz: die Menschen ändern sich nicht und die Machtspielchen auch nicht.
AntwortenLöschender schwanz mit der erziehungsaufgabe stand auch erst drin. dann dachte ich aber, dass der mir richtig unangenehm ist, aus den von dir genannten gründen. da habe ich ihn gelösc ht, mit einem großen tschuldigung an den autor
AntwortenLöschen@Kurt
AntwortenLöschenDas Schöne bei Ihren Beispielen ist, daß keine Spätfolgen existieren. Vielleicht ist mir aber nur entgangen, das in Pripyat wieder das pralle Leben tobt. Fragen sie mal Leute aus der Wismut, wie schön es sich mit Leukämie oder anderen lustigen Gebrechen in Richtung Hospiz marschiert.
Apropos Artikel: Der größte Schrott, der bei ppq je stand. Bin echt enttäuscht. Aber Ihr könnt ja auch mal ein Griff ins Klo machen. So etwas nennt man glaube ich Meinungsvielfalt! ;-)
Das schöne an Kurts Beispielen ist, dass die Leute sehr kurzfristig zu hunderten bis tausenden tot sind.
AntwortenLöschen@Hans Dampf
AntwortenLöschenMeines Wissens haben andere Kommentierer zu anderen Artikeln genau die gleiche Aussage getroffen. Ich weiß nicht wie oft, aber momentan sollte es ein gutes Dutzend "größter-Schrott-Artikel" auf ppq geben. Damit kann ich leben, wenn ich bedenke, daß das jede Tageszeitung locker schafft. Tag für Tag auf's Neue.
Uups, wollte noch klugscheißen, von wegen fremde Federn und steht so im Tagesspiegel. Das macht aber kaum Sinn. Oder doch?
AntwortenLöschen@Die Anmerkung
AntwortenLöschenIch kann auch damit leben. Ich lese hier fast täglich mit. Deswegen kann auch ruhig mal Schrott dabei sein. Ist natürlich auch immer subjektiv. Ein anderer Leser findet es vielleicht wieder super scharfzüngig oder wie auch immer.
Lehming ist unberechenbar, im Guten wie im Bösen.
AntwortenLöschenManchmal haut der Dinger raus, die man ihm rechts und links um die Ohren knallen will.
Lieber ein paar junge, ausländische Intensivtäter als ein Heer von alten, intensiv passiven Eingeborenen.
(ttp://tinyurl.com/33fdb3t)
Manchmal kristallklare Sätze, dass man sich die Augen reibt
"Sie wissen, dass der Begriff „Reformkommunist“ vielerorts als Ehrentitel gilt, während der „Reformfaschist“ nicht besser angesehen sein dürfte als Adolf Hitler selbst."
(ttp://tinyurl.com/6yzvvfz)
Heute lag er wohl irgendwo dazwischen.
Zu
AntwortenLöschen„Leute aus der Wismut, wie schön es sich mit Leukämie oder anderen lustigen Gebrechen“
Leukämie, Staublunge und sonstige Berufskrankheiten hatte wenig mit Radioaktivität zu tun, aber viel mit den Arbeitsbedingungen nach dem 2. Weltkrieg.
Unter Tage ist es eh ungemütlich.
Es war auch ziemlich eng.
Trockenbohren im Schacht – das ist der Bringer.
Und Schwermetalle (wozu auch Uran gehört) atmen/schlucken.
Nach so einer Dröhnung spielt Radioaktivität oder Nichtradioaktivität keine Rolle mehr.
Hast recht ! Die Tausenden Lungenkrebskranken der Wismut sind sicher eher durch die schlechten Arbeitsbedingungen als durch Radioaktivität zugrunde gegangen.
AntwortenLöschenin diesem Sinne: das größte Risiko der Atomkraft sind die Grünen..
AntwortenLöschenund ja: angesichts der Katastrophe bin ich für ein dreimonatiges Moratorium der Landtagswahlen..
Hans Dampf, flotte Sprüche sind ja ganz nett. Aber ein wenig Sachkenntnis wäre auch nicht schlecht.
AntwortenLöschenOder?
Unser Schrott ist immer noch besser als der Schrott der meisten anderen. Oder so.
AntwortenLöschen"Angst braucht keine räumliche Nähe, um wirklich empfunden zu sein."
AntwortenLöschenWieso? Durch die Massenmedien kommt die Angst doch jeden Tag stundenlang in die Wohnstuben!
Von Dingen wie dem Tsunami in Südostasien hätte vor 500 Jahren in Europa niemand etwas erfahren - heute weint man tagelang vor der Glotze, verfaßt Kondolenzen und verteilt Spenden.
das mit dem größten schrott finde jetzt wirklich als kompliment. immerhin haben wir den dann nicht mal selbst geschrieben! das ist geradezu großartig, eine guttenbergiade geradezu, noch dazu mit fußnoten, auch wenn sie in dem fall obendrüber stehen.
AntwortenLöschenwie gesagt, der grund war, dass ich den text (oder zumindest so einen in der art) selbst machen wollte, dann aber zu spät war. wie meiner geworden wäre, werden wir nun nie erfahren. und das ist wahrscheinlich auch gut, so ist der zynismus nur zitiert und ich bleibe straffrei
>> Kurt:
AntwortenLöschensiehe auch
Merkels Wohnungsmoraorium
Der Herr Hans Dampf möge mir verzeihen, aber in Pripjat tobt durchaus das Leben. Es sind nur keine Menschen beteiligt. Ansonsten tut die Flora und Fauna wachsen und gedeien tun.
AntwortenLöschenhttp://englishrussia.com/index.php/2010/08/19/the-sky-over-chernobyl-nuclear-power-plant/
Was kann es für Peta-Aktivisten und Mutter-Gaia-Anbeter besseres geben als das Gebiet um Pripjat. Dort wird bewiesen, daß sieben Milliarden sechseinhalb zu viel sind.
Ein interessanter Schlenker in der Argumentation von "Atomkraft, nein danke!"-Leuten ist beim bodycount zu beobachten. Erst wird von vielen Toten lamentiert, und wenn Butter bei die Fische soll, geht es plötzlich um langsames Hinsiechen. Das ist sehr zynisch.
Die Frage nach dem bodycount wird immmer und bewußt umgangen.
Ist ja lustig, daß mein sachkenntnisfreier Beitrag endlich mal Traffic in den Laden bringt. Schön auf soviele gut unterrichtete, gebildete Menschen zu treffen. Da kommt man sich ganz klein und nichtig vor. Aber man ist ja selbst im Alter noch lernfähig. ;-)
AntwortenLöschen@Kurt
Sie zählen sich sicher zu den 500 Millionen Auserwählten, die nicht zuviel sind. Ist mir persönlich manchmal eine Brise Zynismus zuviel.
Ich werd´s wohl nicht mehr lange machen. Der Lungenkrebs zwickt immer heftiger, seitdem ich Uran-Zigaretten rauche.
AntwortenLöschenHans Dampf, übernehmen Sie!
@Volker
AntwortenLöschenLaß mal gut sein, sonst übernehme ich mich noch beim übernehmen. Bei soviel geschliffenen Wortwitz kann ich nicht mehr mithalten. Bleibt mal lieber unter Euch. Bei fünf oder sechs Postern bleibt´s da übersichtlicher.