Montag, 7. Februar 2011

Kummerstriptease im Gefühlsbergwerk

Die endgültige Bewertung ist noch ein wenig unscharf. "Abend der großen Emotionen" (Die Welt) oder "Abend der großen Gefühle" (Bild)? Fakt ist: "Monica Lierhaus lässt Günter Netzer zittern" (Spiegel), die deutsche Fernsehwelt "hatte Tränen in den Augen" (Morgenpost) und die Zuschauernation bibbert vor Rührung. Sechs Millionen verfolgten gebannt, wie eine schwer angeschlagene Frau, die früher als Ansagerin in einer gebührenfinanzierten Sportsendung diente, für zwei Jahre abseits des Bildschirmes mit einem "Fernsehpreis" ausgezeichnet wurde, der jeweils an Medienschaffende verliehen wird, die sich bereit erklären, selbst an der Auszeichnungsgala teilzunehmen. Das Ergebnis ist ein bizarrer Mix aus Bizarrem und Absonderlichem: Der italienische Musikant Eros Ramazotti, mit seinem letzten Album "Ali e radici" auf Platz 700 der Amazon-Verkaufsliste verzeichnet, wird Weltmusikstar des Jahres. Und die Ansagerin, die zwei Jahre im Krankenbett verbracht hat, erhält dafür den "Ehrenpreis".


Dennoch. Statt zu schimpfen, bekamen sich die Qualitätsmedien danach gar nicht mehr ein: Die ekelhafteste Inszenierung seit der quotenklebrigen Beerdigung des früheren Popstars Michael Jackson wurde als Sternstunde des Guten und Schönen im verlogenen Medium Fernsehen bejubelt. Der Offenbarungseid fand sich plötzlich als Offenbarung gefeiert. Nicht eine Stimme im ehemals multiplen Medienchor erhob sich, die das Vorführen prominenter Leiden einen ekelhaften Kummerstriptease nannte, nicht ein scharfzüngiger Kommentator verwies auf den unübersehbaren Hang der Fernsehanstalten, die gähnende Blutleere der immergleichen Aufführungen mit den immergleichen anämischen Akteuren aufzuhübschen durch immer höhere Dosen an echtem Schmerz, an wirklichem Leiden, an ungeschminktem Tod.

Es ist nicht mehr so, dass es einen Unterschied macht, was wirklich ist und was wirklich inszeniert. Auf Bühne und Saal spielen alle ihre Rolle, als bewegendes Schicksal oder bewegtes Publikum. Monica Lierhaus, gesetzt den Fall, sie weiß selbst noch, was sie tut, fügt sich hier logisch ein in eine Medienwelt aus Halbinszenierungen: Das Dschungelcamp eine Versuchsanordnung, bei der eingebildete Prominenz zu echten Qualen führt. Die Verleihung der Goldenen Kamera ein Experiment, bei dem mit Michael J. Fox und Lierhaus erstmals zwei kranke Menschen als Tearjerker aufgeboten werden.


Beide sind sie willig dabei, Fox beherrscht, Lierhaus, die seit 760 Tagen nichts mehr verdient, mit einem Seelenstriptease, der im Heiratsantrag an den Lebensgefährten gipfelt. Abgründe, Entsetzen, die restlose, ratzekahle Vermarktung der Trümmer eines innersten Selbst, die keine Schonung mehr kennt: Werden die Fernsehzuschauer bei der nächsten Gehirn-OP dabeisein dürfen? Übertragen ZDF, ARD, n-tv und alle Dritten die Hochzeit wirklich wieder parallel? Vor der Tür der Sendeanstalt, die Vorgucker auf das schicksalhafte Geschehen per Pressemitteilung über das Land gestreut hat wie britische Flieger 65 Jahre zuvor Aufforderungen zur Kapitulation, lechzen die C-Prominenten nach Mikrophonen, in die sie ihre Erschütterung verklappen können. Was für ein "rührender Auftritt" (Der Stern), was für eine "Traumquote" (Deutsche Welle), was für ein "großes TV-Comeback" (Bild).

Von wegen Ansagerin. Monica Lierhaus entpuppt sich als wandlungsfähige Charakterdarstellerin, abgebrüht genug, noch in die tiefsten Seelenkeller hinunterzusteigen um Gefühle zu fördern. Nichts kommt besser an als eine sorgfältig inszenierte Realität, die den Anschein erweckt, sie sei ein Stückchen Wirklichkeit. Jede Woche braucht ihre Cora im rosa Sarg, jede Preisverleihung ihren Tattergreis, der im Rolli eingefahren wird, um sich für sein Lebenswerk zu verantworten. Tod ist gut, Sterben aber ist besser, das weiß auch die Rheinische Post, die eine neue, kritische Serie anbietet: "Lierhaus, Fox, van der Vaart - Prominente und ihr Kampf gegen Krankheiten". Wer besiegt sein Leiden am öffentlichsten? Wer lässt am tiefsten blicken? Wessen Bekenntnisbuch schockiert am meisten? Lierhaus wird jetzt das neue Werbe-Gesicht der Lotterie "Ein Platz an der Sonne" . Dafür verzichte sie "künftig auf die Moderation der ARD-„Sportschau“.

Mehr: Sternstunden des Gebührenfunks

6 Kommentare:

  1. Gut, daß ich es nicht gesehen habe. Einige Ehrenrunden um den Kronleuchter wären wohl die Folge gewesen.

    Viel schlimmer ist jedoch, was dem dumpfbackenen Volk da wirklich vorgeführt wurde, die Dreistigkeit, sich aus dem prall gefüllten Gebührensäckel eine staatliche, äh stattliche Lebensversicherung auszubezahlen (lassen), statt den Rechtsweg mit dem Krankenhaus bis zu Ende auszufechten, und sich dafür das moralische okay des Fernsehvolkes einzuholen.

    So schamlos und unverfroren hat sich die öffentlich-rechtliche Gebührenmafia meines Wissens noch nie präsentiert.


    Jede Wette, daß der Bund der Steurzahler diesen Fall nicht in seinem Jahresbericht erwähnt.

    B.t.w. Die Lierhaus war doch nie 'ne taffe Sportreporterin. Die hat doch auch schon früher nur ihr Gesicht präsentiert. Aber in dem Punkt könnte ich mich irren, da mich das nie interessiert hat.

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  2. Lierhaus hat die Häme nicht verdient. Nach vier Monaten im Koma und folgender Abwesenheit von Sprache und Bewegung soll sie sich von mir aus von der Kulturindustrie inszenieren lassen, das es nur so kracht. Ob das eklig ist? Keine Ahnung. Ich möchte es zumindest nicht entscheiden müssen. Muss man gerade an dieser kranken Frau eine "echt vs. falsch"-Debatte aufhängen? Dazu müsste man schon tiefer graben: Wer von den Anwesenden hat sich in den vergangenen zwei Jahren um die Frau gekümmert, ja nur an sie gedacht? Wenn wir das wüssten (und wir wissen es nicht), könnten wir uns erregen. Okay, der Heiratsantrag war grenzwertig (denn wie hätte sich der arme Mann anders entscheiden können vor einem Millionenpublikum?). Aber sonst? Lierhaus hat sich vielleicht instrumentalisieren lassen. Wenn es ihr hilft, ist das okay.

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  3. lieber panzerbummi, das ist mir zu plüschig.

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  4. @panzerbummi: hübsche satire, die du da geschrieben hast! ich dachte für einen moment, du meinst das ernst. aber dann dachte ich: nein, das der panzer diese freakshow verteidigt, in der eine kranke frau bereitwillig darauf eingeht, vor einem millionenpublikum ihre gebrechen vorzuführen, um die flaue show von ramazotti & co. ein bisschen ins ernste fach zu hieven, nein, das würde nie passieren. da guckt der durch wie durch fensterglas!

    an der stelle, wo du den absurden heiratsantrag beschrieben hast, machte es dann klick. ich stimme also zu: ein ganz winzig klein bisschen wenig grenzwertrig war der. aber wahrscheinlich haben die beiden sich lange nicht gesehen, sie einfach keine gelegenheit, die sache privat abzuwickeln, da bot sich das date auf der bühne an.

    vielleicht hat sich lierhaus auch instrumentalisieren lassen. aber vielleicht hat sie das fernsehen auch instrumentalisieren wollen. der werbespot als lottofee war ja offenbar vorher schon gedreht. und wenn im arbeitsvertrag steht: "...muss im rahmen seiner möglichkeiten heiratsanträge auf der bühne machen", was bleibt ihr dann übrig?

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  5. Zitat:
    "Nicht eine Stimme im ehemals multiplen Medienchor erhob sich, die das Vorführen prominenter Leiden einen ekelhaften Kummerstriptease nannte, nicht ein scharfzüngiger Kommentator verwies ..."

    Warum auch, das ist doch Alltag im Proletenfunk. Der ist so, wie er ist. Man hätte nur noch mal vorab erklären können, wer oder was Monika Lierhaus überhaupt ist, hab noch nie von der gehört ... na gut, eigentlich interessiert's mich auch nicht.

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  6. normalerweise hält das wenigstens einen teil der medienmeute nicht ab, abweichende meinungen zu formulieren und draufzuklopfen. nur diesmal schrecken sie alle davor zurück.

    wobei ich annehme, es liegt zum teil auch daran, dass den dreck keiner gesehen hat

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