Seine Heimatstadt mag ihn natürlich nicht. Keinen Kranz windet die selbsternannte Kulturstadt Halle ihrem berühmtesten Malersohn Willi Sitte zu seinem 90., keine Straße benennt sie nach ihm, keine Ehrenbürgerwürde wird vergeben, kein städtischer Festakt veranstaltet. Zu sehr erinnert Sitte seine Heimatstadt daran, was sie früher war: Das rote Herz Mitteldeutschlands, eine Arbeiterhochburg und "sozialistische Industriearbeiterstadt", an deren zentralem Platz Fäuste aus Beton in den Himmel zeigten, die aussahen wie von Sitte gemalt.
Hatten wir lange, wollen wir nicht. Stillschweigend übergeht die neue Macht den Maler der alten, weil sie sich in ihm selbst erkennt. Ein Sittengemälde, das ohne Pinsel und Staffelei hergestellt wird. Zur Uraufführung eines Orgelwerkes des Komponisten Wolfgang Fuchs zu Bildern von Sitte (Video oben) kamen Sitte-Bewunderer, alte Fans von Fuchs´ Band Pond. Städtische Prominenz hielt sich fern, als könnte der Kontakt mit dem Altmaler die eigene Karriere kontaminieren.
Doch die selbsternannte Kulturhauptstadt Halle ist da nur ein verkleinertes Spiegelbild des größeren Deutschland. Das feiert Helden nicht nach ihren Taten, sondern nach der Opportunität ihres Verhaltens: Egon Krenz, der die Mauer öffnete, landete im Gefängnis. Michael Gorbatschow, jahrelang Krenz´ Vorgesetzter, an Elfriede Springers Bankett-Tisch.
Gut ist, wer gefällt, nicht wer malen kann. Bei der Bewertung des künstlerischen Werkes gehen die Verdienstkreuzverleiher der neuen Zeit nach dem Schema ihrer Vorgänger vor, die Verdienstorden zu vergeben hatte. Wolf Biermann war natürlich eine "schleichende intellektuelle Seuche", wie das Neue Deutschland 1976 zu berichten wusste. Gitarre spielen konnte er auch nicht! Willi Sitte trifft 35 Jahre später ein vergleichbares Urteil: Der Künstler hat das Pech, im Schatten des Funktionärs gemalt zu haben. Und bis heute kein Einsehen zeigen zu wollen. "Ich denke nicht daran, der Idee des Sozialismus abzuschwören, bloß weil alle auf Linie gehen und weil ein Modell gescheitert ist", beharrt der seit einer Hüftoperation auf einen Rollstuhl angewiesene Maler, der zu DDR-Zeiten im SED-Zentralkomitee saß.
Keine Gesellschaft ist verpflichtet, so viel störrisches Kontra zu belobigen. Den Plan, eine eigene Sitte-Galerie zu etablieren, ließen die Behörden in Halle so lange ins Leere laufen, bis der Maler mit seinem Werk ins nahe Merseburg umzog. Als würde Manchester die Beatles feiern. Ein zum 80. Geburtstag in Nürnberg geplante Schau - Sittes Heimatstadt Halle hatte kein Interesse gehabt - fand nicht statt, weil das Germanische Nationalmuseum unter der öffentlichen Kritik einknickte, einem DDR-Staatskünstler ein Podium zu bieten. 1977, im Jahr nach Biermann, war Sitte noch würdig, die DDR auf der documenta zu vertreten. Jetzt hieß es zur Begründung, Werk und Person des Künstlers müssten noch "wissenschaftlich aufgearbeitet" werden.
Zum 90., den Sitte selbst aus gesundheitlichen Gründen genauso still feiert wie die DDR ihren 60. beging, ist es dasselbe. Der zweimalige Träger des Kunstpreises der Stadt Halle (1953 und 1954) hat es sich verscherzt mit der Macht, die nun auch nicht mehr bereit ist, seine gewaltigen Ölschinken gut zu finden. So sieht seine Heimatstadt Halle keinen Anlass, ihren großen Sohn zu ehren. Es wird keine Ausstellung geben für den Mann, der seit 64 Jahren an der Saale lebt. Nicht aus politischen, nicht aus ästhetischen Gründen. Sondern weil es keine geeigneten Räumlichkeiten für eine große Werkschau gibt, wie es im Kulturamt der Stadt heißt. Auch die in Halle beheimatete Stiftung Moritzburg sieht keine Veranlassung, Sittes Werk zum Jubiläum öffentlich zu machen. Wer Bilder des Malers sehen wolle, könne doch nach Merseburg fahren.
Helden, die sich halten
Lenin war lustig, Halle feiert rein
"Das feiert Helden nicht nach ihren Taten, sondern nach der Opportunität ihres Verhaltens ... "
AntwortenLöschenDas war selbstverständlich zu Zeiten der zwei kleineren Deutschlands ganz anders. ;-)
Man feiert den, der einem paßt, der einem gefährlich werden kann oder der Freunde hat, die einem gefährlich werden können. Wir nennen es allerdings nicht mehr Schmiergeld, sondern Beratervertrag.
Zuweilen hieß es in bestimmten Kreisen: Lieber von Honecker aus- als von Sitte gezeichnet.
AntwortenLöschenhallo herold,
AntwortenLöschendas war nicht anders, aber damals hat zumindest auch niemand etwas anderes behauptet. das wiederum ist heute anders. kunst kam damals von klassenstandpunkt, von der anderen seite betrachtet war ein buch gut, wenn es dissidentisch war. jeder wusste, dass es verlogen war, jeder wusste um die zweckdienlichkeit der dinge.
heute dagegen tun sie alle objektiv. und spielen, völlig richtig bemerkt von dir, dasselbe spiel weiter
Sitte ist nach dem Krieg von meinem Opa durchgefüttert worden und hat ihm als Dank ein Gemälde überlassen. Meine Oma hat beim Rahmen säubern die Signatur über die Jahre weggewischt. Als man Sitte in den 80ern fragte, ob er es noch einmal signieren würde, lehnte er ab. Er wollte wahrscheinlich nicht an die Zeit erinnert werden, als er noch nicht der große "Volksmaler" war. Für mich damals schon ein Ars...!
AntwortenLöschenhans, das ist eine fabelhafte geschichte! schick mal ein foto von dem schinken, damit feiern wir in den 91. rein. den wird ja nächstes jahr kein schwein mehr bemerken.
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