Mittwoch, 2. Februar 2011

Abschied vom netten Autokraten

Mehr als drei Jahrzehnte war es ihm gelungen, sein wahres Wesen zu verbergen. Hosni Mubarak tarnte sich als Freund des Westens, als ausgleichende Kraft im Nahen Osten, ein Mann, unter dessen Ägide deutsche Urlauber gern im Roten Meer schnorchelten und deutsche Unternehmen jede Menge Fabriken bauten. Gegen islamistische Terroristen ging Mubarak hart vor, es gelang ihm, die Muslimbruderschaft bei den von ihm immer wieder selbst vorgetäuschten Wahlen in die parlamentarische Arbeit einzubinden.

Mubarak, der in der guten alten Sowjetunion zum Kampfpiloten ausgebildet worden war, erfreute sich höchster Hochachtung bei den beliebtesten deutschen Politikern. Weder Joschka Fischer noch Angela Merkel noch Hans Genscher noch Walter Steinmeier fragten ihn je nach der Menschenrechtssituation in seinem Land, danach, warum 88 Prozent der 23 Prozent der Ägypter, die beim letzten Wahlgang eine Stimme abgaben, ihn gewählt hatten, während Gegenkandidat Ayman Nur gerade 7,5 Prozent der Stimmen bekam, oder danach, warum er als bekennender Moslem Herstellung und Ausschank von Bier im Land erlaube.

Kritik gab es in kleinen Häppchen: Es sei doch wohl "höchst fraglich, ob ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt nahezu 90 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen kann", wie es der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel regelmäßig bei Parteitagen gelingt, merkte der "Spiegel" mutig an.

Es war ja allen ganz recht so, bis Facebook und Twitter kamen. Wie einst Josef Tito, den die Presse der sozialistischen Ländern schlagartig vom Verbündeten zum Klassenfeind beförderte, wurde Mubarak, der nette Autokrat, über Nacht zum finsteren Diktator (siehe Google Timeline oben).

Der eben noch "autoritär herrschende ägyptische Präsident" (Spiegel), 30 Jahre lang ausschließlich zuständig für die Unterstützung von abendländischen Nahost-Initiativen zur Befriedung der Palästinenser, ist nunmehr plötzlich auch zuständig für Demokratie und Menschenrechte in seinem eigenen Land. Klare Worte hinter dem Verfallsdatum: Jetzt ist Mubaraks Regierung ein "Regime", der Alte selbst ein "greiser Despot", dem nur das allemal unsympathische Israel die Treue hält. Tapfer fordern Kommentatoren von SZ über "Stern" bis Frankfurter Rundschau den Abschied des "starrsinnigen Diktators" (FR).

"Was wir hier erleben, ist kein kurzes Aufbrausen von Unzufriedenheit. Es ist eine Revolution, die sich nicht mehr aufhalten lässt", hat das politische Magazin "Bild" herausgefunden - fast pünktlich zum 2. Jahrestag eines Bild-Berichtes, in dem sich der damalige Bundesaußenminister Steinmeier noch "mit dem ägyptischen Staatschef Hosni Mubarak" traf.

21 Kommentare:

  1. Lustich machen geht gar nicht, denn immerhin hat der deutsche Kanzler per Ferndiagnose herausgefunden:

    Das ägyptische Volk hat berechtigte Beschwerden.

    Da müssen sie geholfen werden.

    AntwortenLöschen
  2. Wenn man alein den Publikationsstandort "Neue Bundesländer" betrachtet, dann hieß das, was man 1990 die "Friedliche Revolution" nannte, ein Jahr vorher noch "Rowdy-Krawalle".

    Bombenattentäter werden zu Widerstandskämpfern und Chemikalienbastler zu Terroristen, wieso sollen da nicht Staatschefs zu Despoten werden?

    AntwortenLöschen
  3. Aber doch nicht über Nacht? War er doch vorige Woche noch gar nicht.

    Aus dem vorab veröffentlichten Nachruf der BILD:

    Präsident Mubarak war ein williger militärischer Partner im Nahen Osten, ein Helfer im Kampf gegen den Terrorismus und Vorreiter im Frieden mit Israel.

    AntwortenLöschen
  4. kein vorwurf, ich fand nur, man kann ruhig auch mal ein foto von dem moment haben, in dem die kanonen rumgedreht werden

    AntwortenLöschen
  5. Die Ausrede gilt nicht. Es liest sich trotzdem so, als ob sich jemand über die deutsche Qualitätspresse, die ernsthaften Mühen des Kanzlers für den Weltfrieden und die Sorgen der Deutschländer um ihre Schnorchelterritorien lustig macht. Und das in Zeiten, wo ein Pharao abdanken soll.

    AntwortenLöschen
  6. die ungeheuerlichkeit, die gearde vor sich geht, ist ja, dass plötzlich welche da sind, die FÜR den despoten marschieren. meinungsvielfalt quasi in kairo. wo gibts denn sowas, jetzt, wo wir uns gerade überlegt hatten, dass wir gegen den sind!

    AntwortenLöschen
  7. Und auch hier war Ben Ali dem Mubarak Hosny voraus. Immerhin wurden im schon 2004 im Stern, wenn auch nur als Zitat, seine Wahlergebnisse als "eines Diktators würdig" bezeichnet. Zum Diktator hatten sie ihn zwar noch nicht gemacht, aber immerhin, ein Anfang.
    http://www.stern.de/politik/ausland/tunesien-ohne-illusion-zur-urne-531350.html

    Zum Diktator, zumindest in den deutschen Medien, reichte es dann allerdings auch bekanntermaßen erst vor kurzem.

    AntwortenLöschen
  8. Danke! Ich erlaube mir zu zitieren.

    AntwortenLöschen
  9. gefechtspause in kairo, der muezzin ruft. islam ist eben doch frieden!

    AntwortenLöschen
  10. Angesichts der Argumentationsmacht gebe ich mich wie dereinst Rommel geschlagen. Wenn ich genau überlege, war mir schon immer schlecht, wenn ich an Ägypten dachte. Umgekehrt, immer, wenn mir schlecht war, dachte ich an Ägypten. Also ist es wahrscheinlich doch ein Diktator, dem abgedankt wird. Mir fehlt eben die Weitsicht eines Kanzler und die Weisheit eines Moslems, um das beurteilen zu können.

    Aber, so frage ich mal laut. Kann es nicht auch sein, daß es gute und böse Diktatoren gibt? Die eine Linie, von Väterchen Stalin begründet, (Väterchen Stalin – er war ein "fähiger Führer" - welt-online) über Mei Ährisch und Mubarak, die anderen wie Der Führer, Mao und Pol Pot?

    Vielleicht ist das ja eine Erklärungsvariante für die vehementen Appelle nach "Bleib noch ein bißchen - Husni", die derzeit aus dem Westen gen Kairo hallen?

    AntwortenLöschen
  11. VolkerStrammFebruar 02, 2011

    Kann es nicht auch sein, daß es gute und böse Diktatoren gibt?

    Das werden wir nie erfahren, weil diese Thematik dem Vergleichsverbot unterliegt.

    AntwortenLöschen
  12. hochklassige diskussion, fürwahr. der hinweis auf das vergleichsverbot kam gerade richtig, ich denke, das hat uns allen den hintern gerettet.

    ich habe jedenfalls gestaunt, dass mubarak nach 30 jahren an der macht nicht mehr aufzubieten hatte als 12 reiter auf räudigen pferden. die dann auch noch zur hälfte vom gerechten volkszorn zu boden gerissen wurden. sagen wir mal so, die diktatoren heute sind auch nicht mehr, was sie mal waren.

    AntwortenLöschen
  13. Heutzutage stützt man seine diktatorische Macht auch nicht mehr auf eine knüppelnde Leibgarde, sondern auf die Beherrschung der Massenpsyche durch Massenmedien. Das macht das Beherrschtwerden für die Beherrschten auch viel angenehmer.

    AntwortenLöschen
  14. ein wahres wort. manchmal, wenn es draußen kalt ist und regnet, ein ekliger wind weht und man dann dann so schön bei einem kaffeelikör einem stück leckerem kuchen in den warmen vier wänden sitzt, auf seinen pool schaut und die enkel hört, die mit der großmutter falschen hasen kochen, denke ich auch, mensch, haben wirs gut

    AntwortenLöschen
  15. Ja, Biedermeier. Das sind die weißen Seiten in den Geschichtsbüchern.

    Ich meinte aber eher ein Prinzip, das aus dem Marketing kommt: Bringe die Leute dazu, sich mit dem Produkt vollständig zu identifizieren. Mache die anderen schlecht und das eigene "alternativlos". Mag es sich auch von anderen kaum unterscheiden - mach die psychisch Beherrschten besessen von dem Wahn, Dein Produkt wäre das Beste.

    Wenn Du Deine politischen Botschaften in allen Formen und Aspekten jeden Tag über mehrere Stunden in jede Wohnstube transportierst, dann brauchst Du keine Leibgarde mehr.

    AntwortenLöschen
  16. Ich habe die timeline nachgeprüft, PPQ, das ist aber nicht sauber. Der Ausschlag kommt von einem einzigen Zeitungsartikel in deutsch, und das auch nur wegen eines Online-Kommentars unter dem Artikel.

    Das hier wäre korrekt, der Ausschlag ist immer noch auffällig genug:
    http://www.google.com/archivesearch?q=diktator+mubarak+&btnG=Search+Archives&ie=UTF-8&oe=UTF-8&scoring=a

    AntwortenLöschen
  17. @ nwr: wenn du nur diktator mubarak suchst, bekommst du aber alle beiträge, in denen irgendwo von mubarak und irgendwo anders von diktator die rede ist. ich wollte aber eigentlich nur die haben, in denen musbarak selbst als diktator bezeichnet wird.

    deshalb galt meine timeline-suche der kombination "diktator mubarak". damit schließen wir aus, dass texte wie der hier "Diktator Ben Ali ist wegen der Massenproteste in Tunesien nach ... Vor allem in Ägypten, das seit Jahrzehnten von Husni Mubarak mit" das bild verzerren.

    AntwortenLöschen
  18. Aber mit einem einzigen Wert kann man keine statistischen Häufungen nachweisen!

    AntwortenLöschen
  19. @nwr

    Kann man doch. Z.B. Hundescheiße. Brauchste nur vors Tor gehen und kannst dir die Häufungen anschauen.

    AntwortenLöschen
  20. aber wie soll ich denn häufungen anchweisen können wollen, wenn es diese häufungen eben nicht gab? bis vor sieben tagen hat kein schwein mubarak "diktator" genannt, den nachweis halte ich für durch die timeline geführt.

    seitdem nennen ihn alle so, das kann die timeline nicht nachweisen, weil sie eben auf die archive zugreift, nicht auf die news.

    aber die news hat doch jeder, jeder kriegt doch die "diktator"-geschichte seit vier tagen alle halbe stunde eingeträufelt, oder?

    das missverständnis ist wohl, dass du glaubst, ich will mit der kurve zeigen, dass er zuletzt häufiger diktator genannt wurde. ichw oltle aber eher darauf hinaus, dass er, abgesehen von den beiden bälkchen, niemals so genannt worden ist.

    AntwortenLöschen
  21. Ich hoffe für das alte Schlachtroß M., dem vom wertgeschätzten Präsidenten des "Landes am Nil" und Anzugträger zum "greisen Despoten" mutierten Senioren, dass er nicht wie Kollege Ben Ali ausgerechnet in Saudi-Arabien im Exil stranden muss. Unattraktivere Exilstaaten sind kaum vorstellbar. Vielleicht noch die Zentralafrikanische Republik.

    AntwortenLöschen

Richtlinien für Lesermeinungen: Werte Nutzer, bitte beachten Sie bei ihren Einträgen stets die Maasregeln und die hier geltende Anettekette. Alle anderen Einträge werden nach den Vorgaben der aktuellen Meinungsfreiheitsschutzgesetze entschädigungslos gelöscht. Danke.