Montag, 1. November 2010

Endspiel für den Erlöser

Hätte Europa wählen dürfen, Barack Obama wäre nicht nur US-Präsident und Friedensnobelpreisträger geworden, nein, er hätte auch den seit einigen Jahren verwaisten Thron der deutschen Kaiser bestiegen und den Vorsitz in der EU-Kommission übernommen. Ein Heilsbringer, so kam der Mann aus Michigan über die Welt, ein Gegenentwurf zum in allen Fernsehsendern verhassten George W. Bush, der Osama Bin Laden zum Anschlag auf die Twin Towers gezwungen, Afghanistan wegen der dort reichlich vorhandenen Bodenschätze überfallen und den Irak wegen dessen Ölreichtum erobert hatte. Obama war das neue Wort für Frieden, ein neuer Sammelbegriff für Hoffnung auf Gerechtigkeit für alle, einen Klimawandel beim Klimaschutz und ein Verhältnis zwischen Europa und Amerika, das wieder besser sein sollte als zwischen 1941 und 1945. Bei einem Gastspiel in Berlin hielt der damals noch als Kandidat herumreisende Demokrat eine Erlösungsmesse, gegen die das Gastspiel des Papstes am Rhein wirkte wie die Geburtstagsfeier eines Provinzheiligen: Obama allein, das war allen Deutschen klar, konnte das Ozonloch verfugen, den Riss zwischen Islamisten und Christen kitten, mit Angela Merkel eine Männerfreundschaft begründen und der Wallstreet zeigen, dass es keinen Bonus gibt, solange die deutschen Landesbanken das Füllhorn über ihren Managern noch nicht ausreichend ausgeschüttet haben.

Die Wahl war Formsache, der Rest ergab sich zwingend. Zuhause erfuhr Barack Obama die Mühen der Ebene, in Deutschland aber erfuhr man bald kaum noch etwas über den Dauerbrenner der Vorwahltage. Eben noch häufiger in den Zeitungsspalten als die seinerzeit noch völlig unbekannte Darsteller-Darstellerin Daniela Katzenberger, glänzte der US-Präsident urplötzlich durch Abwesenheit. Was niemand hatte ahnen wollen oder glauben mögen, wurde wahr: Das Handauflegen des neuen Herren des Weißen Hauses beendete weder Irak-Einsatz noch Afghanistan-Krieg, sein optimistischer Gesichtsausdruck führte nicht zum ersehnten Wirtschaftsaufschwung, der Handelkrieg mit China ließ sich nicht weglächeln, die Antwort auf die iranische Atomfrage zwar zurückstellen, aber nicht durch Zurückstellung lösen.

Das Publikum in Deutschland, medial seit 1933 dazu erzogen, immer wieder und immer voller Begeisterung Männern zuzujubeln, die ihnen als starke, entschlossene Führer mit der Lizenz zur Beglückung aller vorgestellt werden, reagierte nicht etwa enttäuscht, es verlangte nicht nach mehr Nachrichten vom Traumpaar Michelle und Barack und First Dog, dem possierlichen Wasserhund, , sondern nach immer weniger. Es war, als wollte niemand mehr daran erinnert werden, was er eben noch gehofft hatte, angeödet vom wie aus Packpapier geformten eigenen Politpersonal und sehnsuchtsbebend nach Zeiten, die eine Rückkehr zur Wohlstandsdynamik der 90er wenigstens erhoffen lassen.

Statt allumfassendem Frieden kam das iPad, statt der Marsmission die Eurokrise, statt der Ergreifung Bin Ladens eine UPS-Sendung aus dem Jemen, statt einer Freibier-Party zur Erfüllung der Kyotoziele erlebte die Welt einen Präsidenten als "polierte Platte", der das Desaster um die explodierte Ölplattform "Deepwater Horizon" ganz offensichtlich nach denselben Plänen bewältigen wollte, die sein Vorgänger beim Hurricane Kathrina verwendet hatte. Zur Halbzeit seiner Amtsperiode werden die Zwischenwahlen der Präsidenten, der ein neues Zeitalter begründen wollte, nun zu dem machen, was "lame duck" hieß, als Bush noch in dem Kostüm steckte. Die Enttäuschung darüber aber ist höchstens halb so groß wie dieEuphorie vorher - die meisten Jubler sind jetzt schon nicht mehr dabeigewesen, als Barack Obama beinahe deutscher Kaiser geworden wäre.

Männer des Jahres im Wandel der Zeiten
7000 Dollar für ein Autogramm

1 Kommentar:

  1. Just über den Heilsbringer wollten wir auch schon etwas schreiben, aber ihr habt es wirklich - Satz für Satz und zehnmal besser - vorweggenommen.

    Doch dank Obama kennt man jetzt immerhin alle Vollpfosten, die sich von einem Führerhype mitreißen lassen.

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