Die Fassade zerfallen, das Dach zerbrochen, die Geschichte kurz davor, für immer im Staub des Vergessens zu versinken. Von fern betrachtet ist es nur ein altes Fabrikgebäude, das am Stadtrand der mitteldeutschen Kinderkulturmetropole Halle hinter spärlichem Grün kaum beachtet zusammenstürzt. Genauer betrachtet aber ist die Ruine ein Sinnbild für ein Land, das sich aus seiner industriellen Vergangenheit verabschiedet, um künftig von gesundem Sonnenlicht, Spenden an die Welthungerhilfe und billigen Zinsen auf Staatsanleihen zu leben.
Als das noch anders war, saß hinter der heute von jungen Sprühflaschenkünstern kulturell aufgewerteten Backsteinwand die Hallesche Dampf-Backofen-Fabrik. 1884 gegründet, überstand die Firma Kaiserreich, Republik und Diktatur, damit sie in den 50er Jahren endlich volkseigen werden durfte. Firmengründer Otto Bertram schaffte es mit mehreren Patente sogar Meyers Lexikon von 1925. Aus dem VEB Maschinen- und Apparatebau wurde nach der erfolgreichen Errichtung der Mauer in Berlin der VEB Baumechanik Halle-Ost, der Maschinen und Anlagen, aber offenbar keine Apparate, für die Bauindustrie der DDR herstellte. Die Fabriken denen, die sie bewohnen: Im Obergeschoss der als Dreherei und Schweißerei genutzten großen Werkhalle gab es Wohnungen für die Familien der Mitarbeiter, zumindest bis die Mauer, die sozusagen zur Herstellung dieser idealen Konfiguration vom Heimarbeit in der eigenen Fabrik geführt hatte, fiel.
Nun zogen die Investoren ein, denen es ein zum Unternehmen gehörendes Schloss in Sachsen besonders angetan hatte. Ein wegen Konkursverschleppung, Kreditbetrug und betrügerischem Bankrott vorbestrafter Tübinger Wirtschaftsrechtler, der der Treuhand als Liquidator half, durfte die Firma übernehmen, sofort begann er, das Immobilienvermögen für kleines Geld an eine Briefkastenfirma seiner Frau zu verkaufen. Ein letzter großer Auftrag, der das Traditionsunternehmen hätte retten können, platzt, mit ihm platzt auch die letzte Kreditlinie. Nachdem bereits 1500 Mitarbeiter entlassen worden sind, müssen nun auch die letzten 100 gehen. Die Reste der Anlagen entsorgen Mitarbeiter freiberuflicher Schrottsammelunternehmen, anderthalb Jahrzehnte ist das einstmals stolze Haus nur noch eine Trümmerwüste, ausgeweidet und kahl. Im Gegensatz zu puppigen Bohlenstuben, bei deren Abriss stets zuverlässig lautes Wehklagen losbricht, stirbt die Industriegeschichte still und unbeachtet. Seit Jahren versucht der Insolvenzverwalter, die Ruine an den Mann zu bringen. Bisher hat sich niemand gefunden, der sie haben will.
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