Die Erste Allgemeine Verunsicherung war noch ein Scherz, 1977 ausgedacht von ein paar Österreichern mit dreckigem Humor. Fünf Jahre später erst gestand dann der Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman, dass er immer erhebliche Probleme gehabt habe, die Quantenmechanik zu verstehen. Feynman, so wenigstens wurde er 1982 ins Deutsche übersetzt, formuliert: „Es verunsichert mich heute noch."
Ein Satz, in der Geschichte der Verunsicherung wie in Stein gemeißelt. Hier im Jahre 1982, so weißt es die allzeit unbestechliche Google Timeline (Grafik unten) aus, nahm der Siegenzug des kleinen Wörtchen zur alltagstauglichen, zugleich aber unheildräuenden Verbalisierung der Begriffe "Angst" und "Furcht" seinen Anfang.
Kurz nach Feynmans Initialzündung brauchte die Deutsche Bundespost nicht lange, um "durch ihre Gebührenpolitik" viele Postkunden zu verunsichern, wie die Computerwoche seinerzeit ausführte. Ein Jahr danach fanden sich weitere Nachahmer: Nun waren die Studenten der Uni Witten-Herdecke "verunsichert", weil sie "nicht wissen wie es mit ihrem Arbeits- oder Studienplatz weitergeht" Dennoch, das lässt sich im historischen Rückblick sagen, all die Verunsicherung hatte kein System, es steckte keinerlei Dynamik in der Verwendung des Begriffes und schon gar nicht wurde er benutzt, wenn es irgendwie anders ging.
Da hat sich seitdem Einiges getan. Knappe drei Jahrzehnte nach dem Stapellauf der Vokabel als Allzweckwaffe gegen die allgegenwärtige Agonie der Angst in einem Land, das inzwischen vollgestopft ist mit Airbags, Rundum-Familienschutz-Policen und Warnaufdrucken, hat sich die Verunsicherung einen geachteten Platz im volkskünstlerischen der stets alarmbereiten Qualitätsmedien gesichert. Wenn Geldkarten nicht funktionieren, sind "Millionen deutsche "Bankkunden sind verunsichert", heißt es, oder auch "bei geringen Umsätzen pendelte der Dax meist um seinen Freitagsschluss", ein Trend sei nicht zu erkennen, denn die Anleger seien verunsichert. Der Außenminister auf Südamerika-Reise ist verunsichert, eine Sicherheitslücke bei Twitter verunsichert "zahllose Nutzer des Dienstes" genauso wie der Zuspruch zu Sarrazin Politiker. Angst geht um, die so nicht genannt werden kann, weil sie dann für Heiterkeitsausbrüche sorgen würde. Also muss "verunsichert" sein, wer erkennt, dass Facebook seine Email-Adresse öffentlich gemacht hat wie früher das Telefonbuch Name, Vorname, Wohnadresse und Rufnummer. Jeder kann jetzt eine Mail an die Opfer schreiben! Die sind verunsichert.
Denn das ist nun die große allgemeine Verunsicherung, ein Gefühl, das nie mehr nachlässt, zumindest medial nicht. Egal was, egal wer, egal wieviel und wo, das Recht darauf, verunsichert zu sein und dafür respektiert zu werden, darf niemandem mehr verweigert werden. Jede einzelne Betrugsmail im Internet verunsichert sogenannte User, obwohl die die Möglichkeit hätten, sie mit einem Klick zu löschen. Die zunehmende Verwendung englischer Begriffe verunsichert Ältere, die unklare Rentensituation in 50 Jahren Jüngere. Die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke verunsichert Mitbürger, die seit 30 Jahren jeden Abend unter atomstrombetriebenen Lampen in einen atomstrombetriebenen Fernseher schauen, aus dem von neuer Verunsicherung berichtet wird: Das Urteil zur GEZ-Pflicht, das am Lauf der Welt soviel ändert wie ein in Espenhain einstürzendes Schuppendach, "verunsichert Computer- und Handy-Nutzer", und Chinas Zinsentscheidung verunsichert selbstverständlich ebenso wie das Ausbleiben einer chinesischen Zinsentscheidung verunsichert hätte.
Man weiß es nicht oder nicht genau und das ist schlimm, das verunsichert, das ruft die Politik auf den Plan, die sich müht, kümmernd, betreuend und tröstend einzugreifen. Die verbal formulierte Verunsicherung hochbezahlter Medienarbeiter wird zur Waffe auf dem Weg zu mehr Verboten, mehr Warnaufdrucken, mehr Treppenhandläufen durch die Weltgeschichte. Denn zusätzlich verunsichern natürlich auch die "Gesundheitsreform die Versicherten", der "Währungskrieg die Sparer", eine "neues Überholverbot auf der A71 die Fahrer" und die "Sorgen um das Ausmass möglicher geldpolitischer Lockerungen der US-Notenbank Fed die Anleger" (Quelle: Schlagzeilen der letzten Woche). Nie und nirgendwo in der Geschichte der Menschheit heischten lebensversicherte Wohlstandsbäuche so um Trost, Hilfe und um Erlösung von dem Übel der Unkenntnis der eigenen Zukunft, war Verunsicherung so bunt und vielgestaltig, so allgegenwärtig, so absehbar und, bei aller Verunsicherung, ja, so sicher.
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