Sie war die erste sozialistische Stadt auf deutschem Boden, der Stein gewordene Traum von aufrechten Arbeiterführern wie Teddy Thälmann, Wilhelm Pieck und Kuhle Wampe, der ganze Stolz der Partei und ein Beweis dafür, dass es ohne Ausbeuter tatsächlich besser geht. Dennoch entschloss sich das Volk der DDR schließlich, dei Kulaken, Kuponschneider und all das ihnen dienende Managergelichter zurück ins Land zu lassen. Erstes Opfer auf dem Altar des Ewiggestrigen war damals vor 20 Jahren die Stadt Halle-Neustadt, der eine junge Frau namens Ines erst wenige Jahre zuvor ein eigenes Stadtwappen gemalt hatten, in dem fröhliche Friedenstauben glücklich aus den symbolischen Bestandteilen einer chemischen Gleichung aufflattern.
Nun aber verlor Halle-Neustadt, die Chemiearbeitermonopole, die aus einem zum Rathaus umfunktionierten Wohnblock regiert wurde, das Stadtrecht. Die einzige Stadtneugründung Deutschlands seit Hitlers grandioser Idee, die heute zu seinen Ehren "Wolfsburg" genannte "Stadt des KdF-Wagens" aus dem Boden zu stampfen, verschwand als Stadtteil im alten Halle. Es gab keine Volksabstimmung, keine öffentliche Debatte, keine Kritik, keine Proteste und bald auch keine eigene Bürgermeisterin mehr, die in einem Zehngeschosser mit Blick auf die Kiesgruben lebte, aus denen das wenig später stillgelegte Plattenwerk den Sand für den Bau der Häuser für fast 100000 Menschen geholt hatte.
Zuerst machte die Stadtverwaltung zu. Aus dem Rathaus wurden Wohnungen mit Weststandard und Ost-Größe, die an die ersten verbeamteten Doppelverdiener zu horrenden Preisen verkauft wurden. Regiert wurde der zum Stadtteil geschrumpfte Beleg für die geradezu rattige Lebenskraft des Sozialismus nun von der anderen Saaleseite aus.
Im Kleinen ließ sich dadurch studieren, wie es einem geht, der nicht mehr über sich selbst bestimmen darf: Die Neustadt bekam zwar eine Straßenbahn, weil die EU diese zu fördern beschlossen hatte. Doch der bis dahin noch die letzte Ecke der Stadt erschließende Busverkehr wurde eingestellt. Es schlossen die Firmen, weil sie pleite gingen oder in die Altstadt zogen, es verschwanden zuerst die Chemiearbeiter, dann die Mieter, die Bastelzentrale der Jungpionierezuletzt fiel der S-Bahnhof.
Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel, erkannte schließlich auch der Stadtrat, dem kaum noch ein Parlamentarier mit Wohnsitz in Neustadt angehört. Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung verehrte man dem Stiefkind aus Beton eine absurd kostspielige Skaterbahn. Alle anderen Investitionen galten aber schon dem Flächenabriss von Wohnblöcken und dem Rückbau der Infrastruktur. Ziel sei es, die offene Ackerstruktur wiederherzustellen, die vor der Errichtung des Luftwaffen-Flugplatzes hier vorgeherrscht habe. Auf dessen ehemaliger Landebahn waren Ende der 70er Jahre die letzten und höchsten Hochhäuser der Chemiearbeiterstadt erbaut worden, Reichsmarschall Görings Airport-Tower diente bis zum Neubau einer Glasgarage einem Volkswagen-Autohaus als Firmenzentrale. So schließen sich Kreise, wenn die Geschichte Witze macht.
Doch zu Lachen gibt es nichts im zunehmend zuwachsenden Stadtteil am heutigen Tag der Republik. Selbst bei den Aufwendungen für die Himmelsgestaltung, für das SPD-geführte Rathaus im Rahmen des vom Internetriesen Google und dem offiziellen Präsentationsboard PPQ unterstützten Projekts "Der Himmel über Halle" seit Jahren immense Summen ausgibt, weil man sich davon Effekte für den Tourismus verspricht, bekommt das frühere Halle-Neustadt nur die Brosamen ab. Meist müssen sich die verbliebenen Reste der hartnäckigen Neustädter und ihre neuhinzugezogen Nachbarn aus Kurdistan, Kasachstan, Syrien und dem Irak mit grauen, in der Binnenzeichnung an Tarkowskis "Stalker" gemahnenden Einheitshimmeln begnügen. Nicht einmal mehr Widerspruch dagegen kommt mehr aus der sterbenden Stadt, von einer paralysierten Bevölkerung, deren einziger politischer Kampf der vergangenen zwanzig Jahre darum geführt wurde, einen eigenen Friedhof behalten zu dürfen. Auf dem wird die blühende Zukunft beerdigt. Ist ein schöneres Ende eines neuen Anfangs vorstellbar?
Kuhle Wampe war ne Gartenanlage, die Berliner sind in der Namensgebung eben sehr speziell.
AntwortenLöschenIch hoffe das die geäußerte Kritik zur Halle- Neustädter Himmelsgestaltung fruchten wird und mindestens ein Fanal auslöst.
Es kann auch nicht länger heißen Sandro Wolf kam nie vorbei oder flog drüber weg, das geht doch nicht.
ich dachte, kuhle wampe war ein film, in dem es um den gleichnamigen dicken kneiper ging, nach dem sich dann eine rockergruppe nannte. siehste mal wieder
AntwortenLöschenEinzige sozialistische Stadt? Nanana, da wäre ja immer noch Stalinstadt zu erwähnen, daß nach Zusammenlegung mit einem Nachbarkaff unter dem Namen Eisenhüttenstadt berühmt wurde.
AntwortenLöschenneugebaute, aus dem boden gestampfte, vorhergarnichtdagewesene
AntwortenLöscheneinzigartig. neustadt
Baubeginn für Stalinstadt war 1950, selbstständiger Stadtkreis wurde sie 1953, Zusammenlegung mit Kleinkleckersdorf war 1961.
AntwortenLöschenNeugebaut, aus dem Boden gestampft, vorher nicht da gewesen.
bei baubeginn gehörte sie zu fürstenberg, oder? aber okay, später war sie erste sozialistische stadt.
AntwortenLöschendann war neustadt letzte
Solange es in Neustadt noch ein Finanzamt gibt, ist dieser Ort nicht verloren !
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