Samstag, 11. September 2010

Staatswodka für die Sowjetmacht

Sechs Jahre erst war die glorreiche Oktoberrevolution vorbei und schon drohte der erste sozialistische Staat unter der Sonne zu scheitern. "Wenn das so weitergeht wie bisher, " warnte Leo Trotzki seinen Kampfgenossen Stalin, "dann erreichen wir weder eine sozialistische noch eine kapitalistische Akkumulation." Das Volk nämlich, zur revolutionären Masse ernannt, befleißigte sich keinesweg einer höheren Moral. Es soff. Und es soff vor allem Selbstgebrannten - Zar Nikolai II. hatte Jahre zuvor ein Alkoholverbot ausgesprochen, das die Bolschewiki nach ihrer Machtergreifung einfach beibehielten. Lenin hatte ein Machtwort gesprochen: "Ich glaube, dass wir im Unterschied zu den kapitalistischen Ländern, die Schnaps und sonstige Betäubungsmittel in Umlauf bringen, solche Dinge nicht zulassen werden, weil sie uns zurück zum Kapitalismus führen würden, nicht aber zum Kommunismus."

Doch die Worte des Säulenheiligen der Revolution scherten die Massen kaum, wie Bogdan Musial in seinem Buch "Kampfplatz Deutschland" beschreibt. In einem Bericht der Geheimpolizei, die das Schwarzbrennen im Bezirk Pskow untersucht hatte, ist die Rede von 35 Prozent der Bevölkerung, die sich im Jahre 1924 ausschließlich vom Wodkabrennen ernährte. Die Profite waren enorm: Der Herstellungspreis eines Eimers Wässerchen, Samogon genannt, lag bei zwei Rubel, der Verkaufspreis bei 11 Rubel. 350.000 Pud Getreide, schreibt die Geheimpolizei, würde so für das Brennen von Alkohol verbraucht, der ausschließlich auf dem Schwarzmarkt verkauft werde. Das führe zu Getreidemangel und Exportausfällen, habe aber auch fatale Folgen für den Gesundheitszustand der Bevölkerung. Außerdem sei die Kriminalität enorm gestiegen.



Was tun? Lenin wollte dennoch am Schnapsverbot festhalten. "Wenn der Bauer den freien Handel braucht, dann müssen wir ihn gewähren lassen", legte er fest, "aber das heißt nicht, dass wir ihm erlauben, mit Fusel zu handeln." Dabei hatte ein anderer Block in der Parteiführung den Schnaps schon längst als Rettungsanker für die Revolution entdeckt. Die Einführung eines staatlichen Alkoholmonopols würde, so die Kalkulation, helfen, den Staatshaushalt zu sanieren und Mittel generieren, um die marode Wirtschaft auf die Beine zu bringen.

Gegen diese Argumente kämpften Trotzki und Lenin vergeblich. So sehr Trotzki auch gegen den "betrunkenen Haushalt" wetterte und intern Front dagegen machte, "das Budget auf Wodka" zu stützen - schon 1923 musste er entdecken, dass Stalin das Alkoholverbot aufgehoben hatte, um seine Popularität im Volke zu steigern. Eine staatliche Firma stellte 20-prozentigen Wodka her und verkaufte ihn. Eine Besprechung der Frage im ZK hatte es nicht gegeben, eine Kommission zur Wodkafrage war nie einberufen worden.

Trotzki war empört, Lenin krank und Stalin entschied allein. 1925 regte er an, die Stärke des Staatswodkas auf 40 Prozent zu erhöhen, um Einnahmen zu generieren, die dem Aufbau einer eigenen metallverarbeitenden Industrie dienen sollten. "Nebenbei ein paar Worte über eine Reservequelle - den Wodka", erläuterte er im Dezember 1925, "es gibt Leute, die glauben, man könne den Sozialismus in Glacéhandschuhen aufbauen. Diejenigen, die daran glauben, sind in einem großen Irrtum befangen."

Stalin berief sich nun genialischerweise ausgerechnet auf den Wodkafeind Lenin, um den staatlichen Schnapsverkauf zu begründen. Lenin habe immer gesagt, dass es zum Wodkamonopol kommen könne, wenn es nicht gelinge, im Ausland Kredite zu erhalten. das sei nun so und deshalb sei Lenin auch einverstanden damit gewesen, mit Alkohol den Staatshaushalt zu sanieren.

Planmäßig. Im Fünfjahrplan von 1928 war eine Steigerung des Schnapsverbrauchs um 227 Prozent vorgesehen - und das, nachdem der Konsum ohnehin schon von 0,6 Flaschen im Jahr anno 1924 auf 4,3 Flaschen im Jahr 1927 gestiegen war. Doch um die Rote Armee weiter ausbauen zu können, reichte auch das nicht. Schon im September 1930 schrieb Stalin an seinen alten Vertrauten Molotow: "Meiner Meinung nach müssen wir die Wodkaproduktion so weit wie möglich erhöhen. Wir müssen die falsche Scham abwerfen, direkt und offen eine maximale Erhöhung der Wodkaproduktion anzustreben, um eine wirklich solide Verteidigung unseres Landes gewährleisten zu können."

Die Auswirkungen waren beeindruckend. Die Rote Armee konnte 68000 Soldaten zusätzlich in Uniform stecken. Im Lande aber wurde die Trunkenheit zur Volkskrankheit. "Mit dem Verkauf des 40-prozentigen Wodkas", meldete die Geheimpolizei, "lässt sich ein starkes Anwachsen der Trunkenheit unter den Arbeitern verzeichnen." Besonders an den Zahltagen erreiche die Trunkenheit Massencharakter, die Arbeitsbummelei wachse und eine Vielzahl von Arbeitern erscheine betrunken am Arbeitsplatz. In einer Fabrik hätten an drei Tagen nach dem Zahltag ganze 1300 Arbeiter nicht gearbeitet. Das Ganze werde begleitet von "amoralischen Erscheinungen": Prügeln von Ehefrauen, Rowdytum und Verelendung.

Die Wodka-Opposition warnte, denn das sowjetische System verliere so durch den Wodkakonsum nicht weniger als der Staatshaushalt durch den Wodkaverkauf einnehme. "Wodka wurde zur Geißel des Proletariats", schrieb Trotzki, "statt zur Waffe gegen die Schwarzbrenner auf dem Dorf zu werden." Die Senkung der Schnapspreise habe das Lebensniveau der Arbeiter gesenkt und seine Ernährung verschlechtert, der Sozialismus fordere die Hebung des kulturellen Niveaus des Proletariats, der Wodka aber senke es.

Einwände, die niemand mehr hören wollte. Bis zum Ende der UdSSR blieben die Einnahmen aus dem staatlichen Wodkaverkauf eine wichtige Quelle, aus dem sich der Staatshaushalt speiste

1 Kommentar:

  1. Rauchen und Trinken für ein gesundes Sozialsystem

    Die Steuererhöhung soll nicht nur die Staatskassen weiter füllen, sondern den Konsumenten von Alkohol und Tabak „die große Rolle ihres Beitrags bei der Lösung sozialer Aufgaben spüren lassen“, so Alexej Kudrin.

    „Damit die Leute fühlen: Wer Wodka trinkt und wer raucht, der hilft dem Staat. Wer eine Schachtel Zigaretten aufgeraucht hat, hat mehr dazu beigetragen, (…) die demographische Entwicklung (…) oder das Ansteigen der Geburtenrate zu unterstützen.“

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