Wie die Zeiten sich ändern. Genau zwei Jahre ist es her, da hatte Deutschland nur ein einziges Problem: China unterdrückte die Menschenrechte vor allem von Tibetern, es zensierte das Internet, spionierte deutsches Knowhow aus, drang in fremde Regierungsrechner ein und veranstaltete zu allem Unglück auch noch die Olympischen Spiele. Wochenlang dachte ein ganzes Land ermangels anderer offener Fragen darüber nach, ob es sich für deutsche Hochspringer und Schnelläufer geziemt, den blutigen Machthabern in Peking die Aufwartung zu machen. Oder ob es nicht viel angebrachter sei, das Regime durch einen beherzten Besuchsverzicht in die Knie zu zwingen.
Deutschlands Sportler starteten dann, zum Ruhm der Heimat und um den geknechteten chinesischen Massen vorzuleben, wie schnell man laufen, wie weit man hüpfen und wie frei man reden kann, wenn man in Freiheit lebt und trainiert. Eine Botschaft, die offenkundig in Fernost angekommen ist: Als Angela Merkel, ehemals Klima- und Menschenrechtskanzlerin, jetzt in Peking gastierte, führte sie nach eigenen Angaben "sehr offene Gespräche", in denen "auch Probleme etwa für deutsche Firmen oder Fragen der Menschenrechte angesprochen" wurden.
Die Reihenfolge der Erwähnung steht für eine Rangfolge der Wichtigkeit. Deutschland ist zurück in der Realpolitik, die Medien haben mit kirchlichen Missbrauch und den Sex-Praktiken eines Wettermoderators genug zu tun. Politiker hingegen retten nach den Menschenrechten der Anwohner des Jangtse lieber das Geld der kleinen Sparer und überlassen es den Werkbänken im Osten, die Welt mit Tibet-Flaggen, Apple-iPhones und iPods zu versorgen.
Dabei gibt es immer noch Opfer von Repression und Zensur, wie Weih Hua aus Wuhan berichtet. Immer wieder blockieren die staatlichen Netzaufseher hier den Zugang zum Aufklärungsblog PPQ (Screenshot), einem der zentralen Anlaufpunkte für Samisdatlektüre und Forderungen nach einer umgehenden Yuan-Aufwertung im Internet. Seit Mai, so fasst die weltweite Zensurdatenbank Herdic zusammen, haben die Roten Netzgarden PPQ siebenmal blockiert, zensiert und ausgegrenzt. Doch PPQ ist nur das letzte Opfer der letzten kommunistischen Großdiktatur - das wird in Deutschland inzwischen gern auf dem Altar des Warenaustauschs geopfert. Der einst so stimmmächtige Chor der führenden deutschen Chinakritiker schweigt nun neuerdings furchtsam, Amnesty International veröffentlichte nicht einmal eine winzig kleine Pressemitteilung.
Auch Angela Merkel hat scheinbar überhaupt kein Problem damit, dass die aufstrebende Wirtschaftsmacht in Asien ihre Türen verrammelt und Qualitätsprodukte aus Deutschland nicht einlässt. Zuletzt hatten die Machthaber in Peking der Firma Ever State aus Merseburg den Export von 200.000 zum Teil naturbemoosten Felssteinflakons für die Verpackung des Parfüms "High Malaya" gestattet, den Re-Import des vor allem bei wohlhabenderen Chinesen begehrten pheromonen High-End-Duftstoffes aber verboten. Aus Wirtschaftsministerium und Kanzleramt kam wortloses Bedauern, der Dalai Lama äußerte sich wie stets überhaupt nicht.
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