Dienstag, 27. Juli 2010

Hitzekollaps weicht der Massenpanik

Nur die Allerältesten erinnern sich inzwischen noch daran, wie das war, damals, letzte Woche, als ein völlig neues Phänomen das mediale Deutschland in seinen Bann schlug. Die Krankheit kam plötzlich, sie warf den Menschen nieder, er brach zusammen und musste von Notsanitätern mit geeigneter Medizin wie Wasser versorgt werden. Betroffen von dem Phänomen "Hitzekollaps", das laut Google Timeline (Grafik unten rechts) bis 1960 hierzulande völlig unbekannt war und in den Jahren seitdem nur bei Bundeswehrrekruten, Auto-Motorteilen und Haustieren auftrat, waren insbesondere junge Menschen, die in der Blüte ihrer Jahre drei
Tage Tanzen im prallen Sommersonnenschein auf der Berliner Fanmeile locker durchgestanden hatten. Bei der anschließenden Bahnfahrt aber passen mussten: 40 Grad über Null in einem letzte Woche noch vermuteten "Rekordsommer" (Maybrit Illner), der nun endlich den vielbesprochenen Klimawandel ankündigte, reichten, die tapferen Tänzer und hernach auch das Bundesunternehmen Bahn niederzuwerfen.

Zwei Wochen lang brachte das Arbeit und Brot für viele Familien. Denn der Hitzekollaps war bis dato noch wenig untersucht. Nun wurde er viel und gern beschrieben: Er entsteht, wo Staatsunternehmen auf ihre eigene Privatisierung hoffen. Wo Manager tätig sind. Wo Züge hergestellt werden. Wo Menschen unverantwortlich mit dem Erdklima umgehen.

1963 war das noch anders: Junge Rekruten der Luftlandetruppen in Nagold mussten am 25. Juli 1963 einen Marsch über rund 17 Kilometer absolvieren, ein Soldat starb an einem Hitzekollaps - was zur ersten urkundlichen Erwähnung des heute alltäglichen Phänomens führte. Nach gelegentlichen Berichten über Hitzekollapse bei Tieren und technischen Geräten verriet dann erst im Mai 2010 ein Enthüllungsbericht im Bayrischen Rundfunk, wie schlimm die Gefahr eines Hitzekollaps auch für Menschen werden würde: Hitze könne zur gesundheitlichen Belastung werden, Mitbürger fühlten sich dann schlapp, müde und abgeschlagen, meist sei der Grund zu wenig Flüssigkeit.

Es war wie ein Weckruf. Schon vier Wochen später stellte anwalt.de prophetisch klar: "Niemand ist vor einem Hitzekollaps sicher", Ende Juni konnte der Gebührensender NDR berichten, dass es bald soweit sein würde: "Krankenhäuser stellen sich bereits darauf ein, dass die Zahl der Patienten mit Hitzekrämpfen, Sonnenstich und Hitzekollaps zunehmen wird".

So kam es, für einen kurzen Moment. "Vermutlich wird der gesamte Juli deutlich zu warm ausfallen", versprach DWD-Sprecher Uwe Kirsche der Wettermagazin "Stern". Dann stürzten die Temperaturen ins Bodenlose, die Bahn hatte 1,75 Millionen Euro an Entschädigungen gezahlt und die Loveparade lockte zur Tragödie nach Duisburg. Pünktlich ein neues Thema, wo das alte nichts mehr hergibt: Massenpanik. Ein Phänomen, das laut Google Timeline (Grafik oben links) selbst im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg weniger häufig zu beobachten war als heute.

Demnächst in diesem Theater: Kältenotstand in Peru.

7 Kommentare:

  1. Der Hitzekollaps in Deutschland ist so heftig, dass Hundertausende diesem schlimmen Zustand hinterher reisen, gen Süden oder Übersee. Insbesondere im bitterkalten, bösen Winter, den wir temperaturunabhängig jetzt sicher immer haben werden.

    Frühling, Sommer, Herbst und Winter, gepaart mit dem Weltklima, sind immer eine nette Geschichte wert.

    Lang lebe die Druckerschwärze !

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  2. Liebe Politplatschquatscher!

    Ich mag Ihre herrlich süffisanten Artikel! Ich mag sie wirklich — und seien Sie versichert, daß ich sie jedem*) empfehle, dessen ich nur habhaft werden kann.

    An PPQ's Wesen soll Deutschland genesen! Denn dröge Leisetreter gibt's hier ohnehin zuhauf ...

    DANKE! WEITER SO!

    ---

    *) »Nur "jedem" und nicht auch "jeder"?«, werden sich jetzt politisch korrekte Zeitgenossen fragen ... Ja! Denn Frauen — wenigstens die meisten von ihnen außer der meinen (hätt' ich sie sonst geheiratet?) — haben wenig Sinn für süffisanten Humor ...

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  3. als etatmäßiges männerboard sind wir ja sowas wie das dmax des internet, da haut das schon hin mit jedem.

    vielen dank auf jeden fall, das lob scheint uns um einige dimensionen zu groß ausgefallen, aber damit werden wir leben lernen müssen und können.

    schließlich haben wir schon eine ganze diktatur überstanden, noch dazu recht unbeschädigt.

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  4. Die Diktatur hast Du aber nur unbeschädigt überstanden, weil Du damals nicht gebloggt hast.

    Ein dem Hitzekollaps verwandtes Thema ist die Dehydrierung. Gab es damals auch nicht, da hat man einfach getrunken, wenn man Durst hatte. Heutzutage muß man etwas gegen die Dehydrierung tun. Das sollte auch mal in einem Artikel kritisch untersucht werden.

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  5. wo du recht hast. aber damals konnte ich ja zum glück noch nicht schreiben.

    die notwendigkeit, viel zu trinken, ist aber hier im volksaufklärungsboard schon staatsfernsehenartig beleuchtet worden. Gesund durch Saufen

    und ich sage immer: vor allem wir älteren müssen einfach viel trinken - und dann am besten noch was. das raten die besten mediziner, ehrlich

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  6. VolkerStrammJuli 27, 2010

    Nebenbei ...
    @ Le Penseur, "die meisten von ihnen außer der meinen (hätt' ich sie sonst geheiratet?) — haben wenig Sinn für süffisanten Humor"

    Im Southpark sitzt Randy March vor der Glotze, guckt Terrence & Phillip und freut sich; bis Sharon ins Zimmer kommt, enttäuscht und zornig, weil er die Zeit vertrödelt mit so ´nem niveaulosen Zeug.

    Unsereiner sitzt vor der Glotze, guckt Southpark und freut sich, bis die hiesige Sharon ins Zimmer ins Zimmer kommt, enttäuscht und zornig, weil er die Zeit vertrödelt mit so ´nem niveaulosen Zeug ...

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  7. @Le Penseur: Der Beifall ist berechtigt. Und wer jetzt rauskriegt, welche DDR-Band, die es heute noch gibt, ich damit zitiert habe, der ... ist echt schlau.

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