Es hat noch nicht einmal richtig angefangen. Und doch wünscht man fast, es möge doch bitte bald zu Ende sein. Die Fußballweltmeisterschaft, einst ein Codewort für Kenner, ist angekommen im Flachwasser der Schnellfans, die vorgestern noch bei "Deutschland sucht den Supersänger"applaudierten, gestern eine gewisse Lena bejubelten und übermorgen weitergezogen sein werden, um ein neues Topmodel zu finden.
Kicken ist Karneval, ein Volksfest für trübe Wirtschaftstage, Opium für ein Volk, das nach ersten Erfahrungen mit der Droge schwarz-rot-goldener Gemeinsamkeit nach mehr und immer mehr lechzt. Fußball ist wie Fasching, nur mit Prinz Poldi und ohne Büttenreden, es wird gegrillt werden müssen und public geviewt bei praller Sonne. Es kommt ja nicht aufs Sehen an, sondern aufs Dabeisein beim Zwangsschminken in den Landesfarben und dem Ausführen eines freundlichen Nationalismus in Turnschuhen. Dass nach Südafrika eine Mannschaft aufgebrochen ist, in der erstmals seit der WM 1990 kein in Ostdeutschland geborener Spieler zu den Stammkräften zählt, zeigt die tiefe innere Gespaltenheit der Fußballnation, die in ihrem durchlaufenden Spielbetrieb inzwischen nur noch aus Mannschaften der alten Bundesrepublik besteht. Doch das ist in Tagen der "Fan-Feste" und "Fußballmeilen" störender Inhalt, der mit ein paar Fähnchen überklebt wird.
Dazu schlägt seit Monaten die ganz große Mobilisierungstrommel. Fußball, im Weltmaßstab vor allem ein Wettstreit von drei großen Sportbekleidungsmarken, ist der Türöffner zu den Herzen, die sich nach Fanausstattungsplunder von der Winkehand bis zur Bratkäse verzehren. Zumindest nach Ansicht der Werbestrategen, die beschlossen haben, nun aber wirklich mal noch den letzten Ladenhüter mit Hilfe irgendeines geriatrischen Ex-Mittelfeldmotors oder dessen botoxierter Großtante zu verkaufen. "Stellen Dir Deine elf Fußbnallhits zusammen", kumpelt eine Monopol-Musikkette, zum Bahnticket gibt es original "Fanschminke und Trikot" dazu, Edeka und Uwe Seeler drücken die Daumen und Tchibo lockt lüstern "entdecken Sie die Farben Afrikas".
Was einst nur Fußball war, ist heute Nationalreligion, ein Rhythmus, bei dem jeder mit muss, die Tröte im Maul, die Fahne am Kasperzylinder. "Wie stellt der Bundestrainer seine Mannschaft ein", fragen sich Reporter schon Tage, bevor diese Frage früher auch nur gedacht worden wäre. Es wird schwer gegen die Australier, aber wir sind siegesgewiss, Bild und Lidl helfen beim Verlieren der Besinnung mit einem großen "Fanpaket" aus sechs schwarz-rot-goldenen Würsten und einem Sixpack gülligem Grafenbier für einen Euro.
Billiger war Fußball nie zu haben, teurer hat der Fan ihn nie bezahlt. Markierte 2006 den Moment, in dem ein Volk die Nationalmannschaft als die Gallionsfigur an dem Boot entdeckte, in dem wir alle zusammen sitzen, war die EM von 2008 der Augenblick, an dem die kollektiven Glückgefühle aus dem Sommermärchen noch einmal wie von selbst zurückkehrten, obwohl schon niemand mehr damit gerechnet hatte. Der Schweini und der Lahm, der Poldi und der Capitano, sie standen stellvertretend für die Möglichkeit, sich auf viele verschiedene Arten für einen Sport zu begeistern, der eine ähnliche Karriere hinter sich hat wie das Tattoo: Aus dem bierstickigen Schmuddel zum Löwschen Designer-Oberhemd, vom krachledernen Treten zur intellektuellen Analyse, geleistet von Spielern, die etwas können, was überhaupt nur Fußballspieler können: Sie "antizipieren". Ein Wort, das überhaupt nur in der klinischen Psychologie und bei Fußballkommentatoren Verwendung findet.
Historie aber wiederholt sich nur beim ersten Mal als Farce, beim zweiten Mal schon als Tragödie. Kam das "WM-Fieber" 2006 noch als unerwartete Malariaerkrankung und 2008 als erhoffter Rückfall, wird es diesmal schon herbeigeschrieben, noch ehe es die Chance hat, die Seele des Fanvolkes zu ergreifen. Ungeachtet der Tatsache, dass selbst auf dem historischen Höhepunkt der Begeisterung kaum mehr als ein Viertel der Deutschen bereit war, sich die Spiele der Nationalmannschaft im Fernsehen anzuschauen, herrscht medial der Eindruck vor, als hätten 82 Millionen Deutsche nur eine Sorge: Macht der Klose seine Tore? Stellt er den Müller auf Rechtsaußen auf? Und kann der Kedhira Ballack?
Alles ist Fußball, alles ist rund, alles ist "unsere Elf" und alles schreit "hundert Prozent Rabatt, wenn wir Weltmeister werden". Der Wettermann im Fernsehen trägt Winkehandschuhe in den Nationalfarben, der Moderator bläst die Vuvuzela an. Fußball wird zur Nebensache, wichtig ist, zu flaggen und grillen und ein "Original-Dress" über den Bierbauch zu spannen. Die Fähnlein, die vor vier Jahren in einem Akt zivilen Ungehorsams auf Autos gepflanzt wurden, sind nicht mehr allein. Mittlerweile zu Standardausstattung auch umweltfreundlichster Kleinstwagen, hinzugekommen sind Spiegelüberzieher, neckische Staatsfahnenzyliner und schwarz-rot-goldene Grillhandschuhe, die, so wenigstens ein unwiderlegbarer Volksglaube wichtiger für einen "echten Fan" sind als zu wissen, wer oder was Sammy Khedira ist.
Fahnenmäßig steckt Deutschland schon vor Beginn des Turniers in einer spätinflationären Phase. Mehr als mehr geht einfach nicht, und wo zu vieles zu laut schon vor dem Start eine Euphorie herbeibeschwört, die sich nach dem ersten Sieg ganz natürlich eingestellt hätte, ist die Turnierdepression näher als das nächste Sommermärchen. Spekulanten würden den Fußball, diee neueste Blase am Weltmarkt für Brot und Spiele, in
dieser Phase leerverkaufen, denn diese Kurse können eigentlich nur noch fallen.
Nach einer Umfrage mit der das Marktforschungsinstituts YouGov sich ein Stückchen aus dem Fußballkuchen schneidet, zeigt sich schon vor dem ersten Anpfiff eine knappe Mehrheit der Deutschen genervt von der flächendeckenden Berieselung mit Fußballwerbung, Fußballreklame und Fußballbekleidung. 55 Prozent aller Befragten finden, die Themen Fußball und WM tauchen zu oft in der Werbung auf. Und dabei jetzt geht es ja erst los.
Was kann denn Özel, Löw und Podolski dafür, wenn die Ossis nich kicken können?!
AntwortenLöschenDickes PPQ!;)
nichts. aber phänomenologisch muss das ja mal untersucht werden, woran es liegt, dass die ossis die nationalmannschaft 20 jahre lang dominiert haben (im verhältnis der bevölkerungsanteile) und nun keiner mehr (bis auf kroos) dabei ist.
AntwortenLöschenFein beschrieben und beobachtet.
AntwortenLöschenEs geht noch dümmer.
... damit sogleich zum 'Fundstück des Tages' @ ostfussball.com gekürt -> http://ostfussball.com/fundstueck-des-tages-43-fussball-wm-meisterschaft-im-mummenschanz-368/ ... :-) & Gruß
AntwortenLöschenWir sind allerdings auch 20 Jahre lang nicht mehr Weltmeister geworden ...
AntwortenLöschenDa mußten mal Konsequenzen gezogen werden !
Im Ernst: Wenn selbst in der FAZ ein Kommentator schreibt, man hätte schon früher kräftig verjüngen - und bspw. auf einen Ballack verzichten - sollen zeigt sich, daß die postmoderne Transzendenz populärer Ereignisse auch in einst angesehenen Redaktionen das Hirn weich macht.
Ich meine, einen gewissen Verblendungszusammenhang zu erkennen.
P.S. Wer sich heute Deutschland-Fahnen an das Auto steckt, der glaubt auch, daß es "frühkindliche Förderung" gibt !
lasst mich das mit der poesie einer grossen ostdeutschen band zusammen
AntwortenLöschenfassen: we are living in amerrricar, amerrricar ist wunderbarrr.
Typisch Kleingeist:
AntwortenLöschenAmerika is wunderbar ... weil die Nicht-Amerikaner das so sehen.
ob das mann nich ironisch gemeint istß ich meine, das ganze rammsteindings ist pure ironie
AntwortenLöschenanonym.
AntwortenLöschenerzähl das doch dem sparwasser
Frage: Warum haben alle männlichen DDR-Bürger, die in den 70-ern im "Zonenrandgebiet" aufgewachsen sind, so lange Ohren ?
AntwortenLöschenAntwort:
Weil ihre Väter sie in Richtung Westen gedreht, an den Ohren hochgezogen und zu ihnen gesagt haben: "Schau´ mal, da drüben wohnt der WELTMEISTER !"
@ostseestadion, nicht zu vergessen die Olympiade 1972, wo die A-Nationalmannschaft der DDR einen heldenhaften 3:2-Erfolg gg. die C-Auswahl der BRD eingefahren hat.
dafür hatte es der west-dfb eilig, die ddr-nationalmannschaft anno 1990 aufzulösen, um sich die erneute schmach einer niederlage in der em-quali zu ersparen ;-)
AntwortenLöschenIch bin der festen Überzeugung, daß das frühe "Wegholen" der ostdeutschen Nachwuchsspieler nicht von Vorteil ist: zuwenige erreichen das Profilager. Die Ballack-Karriere (bis 19, 20 Jahre beim Stammverein und dann wechseln) halte ich für zielführender.
AntwortenLöschenDas Training in Dortmund, M´gladbach, beim HSV oder bei Hertha BSC wird nicht besser sei als in Dresden, Jena oder Halle.
Das hat auch in einem TV-Bericht ein Trainer gesagt: Die Spieler aus Afrika müssen behutsam auf westeurop. Verhältnisse vorbereitet werden, damit der Kulturschock nicht so groß ist.
welch ambivalenz: in der eröffnungsfeier wurde afrika als ursprung der menschlichen zivilisation gefeiert..während des spiels fand dann die krönung menschlicher verblödung statt..
AntwortenLöschenda wo früher ein paar glasperlen reichten, machts heute die vuvuzela..
ich muss mich mal lobens äußern: der tag, an dem ich soviel zutreffende analyse etwa in einer nummer des "spiegel" vorfände, könnte mich zum "spiegel"-abonnenten machen.
AntwortenLöschenso lange lese ich dann aber doch lieber eure kommentare
@Gustav Fröhlich:
AntwortenLöschenIst halt die Zeit der großen Worte.
Mag sein, daß die Wiege der heutigen Menschheit in Afrika lag, nur sagt das nichts über die Afrikaner vom heute aus.
Ohne die Menschen, die in andere, (oft unwirtlichere) Gegenden ausgewandert sind, gäbe es weder Fußball noch Fußballstadien und auch keine Fernsehnetzwerke, über die ein Mandela blöken kann.
Und aus dem Ursprung der Menschheit gleich den Ursprung der menschlichen Zivilisation zu machen, ist ja nun absolut daneben.
lieber herr vakna,
AntwortenLöschennun hatte ich leider vergessen mich auf die aktuelle debatte zwischen sarrazin und dem spiegel zu beziehen (was ja ppq dankenswerter weise nachgeholt hat)..
aber "ursprung der menschlichen zivilisation" war nun mal ein originalzitat, welches gestern von einer vollblonden tussi irgendwo im fernsehen geblöckt worden ist..
@der herold
AntwortenLöschenc,d,e,f,g mannschaften gültet nich.
preisfrage:
welches land der welt hat alle spiele gegen die großartige brd fußballmannschaft gewonnen, und alle mit null gegentoren ?
@ostseestadion, das war politisch abgesprochen:
AntwortenLöschenWir Weltmeister, ihr eine positive Länderspielbilanz, wir Teresa Orlowski, ihr Hilde Benjamin, wir Italien- und Spanien-Urlaubsreisen, ihr FKK, wir Dick&Doof, ihr Erich&Erich.
Lieber Herr Fröhlich,
AntwortenLöschendas war auch nicht gegen Sie gerichtet sondern mehr in den Raum hinein geschrieben, was virtuell etwas schwer zu verorten ist.
"wir Teresa Orlowski, ihr Hilde Benjamin"
AntwortenLöschenselten wurde die spaltung so auf den punkt gebracht.
und jetzt haben wir alle zusammen dieter bohlen, stefan raab und heidi klum.
sage noch wer, es gebe keinen fortschritt
@ der herold
AntwortenLöschenlol.
ihr nehmt die grünen zurück und ich mach wieder urlaub am balaton :-D
ok?
ich will aber dann, dass es dort spatenbier für ostkohle gibt.
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