Hier wurde der glorreiche Anfang gemacht, hier zeigte das politische Missverständnis zum ersten Mal seine große schlagzeilengestaltende Kraft. Es war der DSU-Abgeordnete Joachim Hubertus Nowack, der es in jenem Frühjahr 1990 wagte, an die Adresse der PDS-Parlamentarier in der DDR-Volkskammer gewandt zu rufen: "Sie haben die Lehren aus dem Dritten Reich nicht gezogen!" Nowack begründete das mit der "fatalen Geschichte nach 1945", für die die ehemalige SED die Verantwortung trage. Eine Entschuldigung für eine vierzigjährige verfehlte Politik vor dem Volk reiche als Wiedergutmachung nicht aus, sagte er, denn "dann hätte vielleicht eine dreifache Entschuldigung von Herrn Goebbels genügt, um alles zu vergessen".
Die PDS-Mitglieder im Parlament zog empört aus. Die Zeitungen flunkerten am nächsten Tag von einem angeblichen "Vergleich mit Goebbels", den Nowack angestellt habe - ein Rezept, nach dem seither erfolgreich mediale Einheitsbrühe aller Art angerichtet wird.
Bis dahin galt noch, dass ein Vergleich keine Gleichsetzung ist. Schließlich spreche die Behauptung, bei "1" handele es sich um eine Zahl, bei "B" aber um einen Buchstaben, weder gegen die "1" noch gegen das "B", obwohl beide relativ einfach mit einem Füller leicht auf ein Blatt zu schreiben sind.
Nun aber setzt sich die Auffassung durch, dass es gar nicht darauf ankommt, was jemand gesagt oder gemeint hat. Sondern nur darauf, welche Möglichkeiten es gibt, ihn so gezielt misszuverstehen, dass er selbst als Goebbels, Hitler, Himmler oder wenigstens als verantwortungsloser Naziverbrechensverharmloser dasteht.
Ab jetzt galt die Regel "Ein Satz, eine Gleichsetzung": Egal ob Venezuelas Präsident Chávez Kanzlerin Merkel in einem Atemzug mit dem n-tv-Moderator Adolf Hitler erwähnte oder eine heute leider längst vergessene Justizministerin namens Herta Däubler-Gmelin die Namen des US-Präsidenten George Bush und den des früheren Führers und Reichskanzlers unmittelbar nacheinander aussprach; egal ob sich türkische Zeitungen in "hetzerischen Beiträgen" (dpa) zur Amtführung des leider längst vergessenen Innenministers Otto Schily an die des Diktators und späteren Publikumslieblings erinnert fühlten. Der Vergleich des Wirkens des einen mit dem Wirken des anderen endet stets mit der backenaufblasenden Versicherung, der Vergleichende habe unzulässig gleichgesetzt.
Der Nazi-Vergleich als Dummdumm-Geschoss der demokratischen Debatte, der Nazi-Vergleicher als Selbstmordattentäter seiner politischen Karriere. "Tom Cruise tritt auf wie Goebbels", legte der ZDF-Geschichtshersteller Guido Knopp übermütig fest - nein, er sagte nicht "Tom Cruise ist Goebbels". Aber darauf kommt es nicht mehr an. Das erfuhr auch der Pullover-Revolutionär Ludwig Stiegler, der sich vom CDU-Werbeslogan "Sozial ist, was Arbeit schafft" unwillkürlich an den KZ-Spruch "Arbeit macht frei" erinnert fühlte. Stiegler rettete seinen Ruf als unerbittlicher Gutmensch, indem er seine Assoziation umgehend "gründlich daneben" dementierte. Die Rettung auch für Arbeiterführer Sigmar Gabriel, der von einem Tumult im niedersächsischen Landtag inspiriert ausgerufen hatte: "So etwas haben bisher in Deutschland nur Nazis gemacht", und den Fernsehschaffenden Dieter Thomas Heck, der die Wahlniederlage der CDU-Chefin Angela Merkel anno 2005 im feucht-fröhlichen Teil der Verleihung der Goldenen Stimmgabel mit den Worten analysierte, Merkel sei bei der Wahl gescheitert, weil sie immer nur von 'ich' und nicht von 'wir' gesprochen habe. Genau wie einer "im letzten Jahrhundert, der in der Politik immer nur von 'ich' redete. Und das ist fürchterlich geendet". Auch seine TV-Kollegin Eva Herman litt unter dem missbräuchlichen Missverständnis, das ihrer evolutionären Version des Kraftwerk-Hits "Autobahn" den ganz großen Erfolg verwehrte.
Hubertus Nowack wusste das alles noch nicht, doch in der Nachfolge des am "Faszinosum Hitler" (Jenninger) gescheiterten Philipp-Hariolf Jenninger legte er den Grundstein für das moderne Missverständnis im Dienst der demokratischen Debatte. Eine Hase wird seitdem zum Kaninchen, sobald seine Ohren Erwähnung finden. Ein Waschbrett kann ein Ozean sein, weil es Wellen hat. Ein Paar Turnschuhe sind hochhackige Pumps, denn man kann sie ebenso an den Füßen tragen. Der Fantasie sind keine Grenzen mehr gleichgesetzt.
"Tom Cruise tritt auf wie Goebbels"?
AntwortenLöschenDabei trat Tom Cruise bisher eher auf wie Stauffenberg, ein Aspekt, der auch in Tom Krauses Film: "Operation Walküre - Das Attentat auf Dr. Fielmann" cineastisch verarbeitet wurde:
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naja, aber wenn der knopp das sagt, dann stimmt es. keiner kennt goebbels besser als er, denn er hätte ihn ja beinahe noch selbst kennengelernt
AntwortenLöschenich dachte, der knopp hatte den goebbels selbst hergestellt.
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