Sie könnten unterschiedlicher nicht sein und teilen doch denselben Blick auf die Welt. Hier die Terroristin, die für die Revolution tötete, dann jahrelang im Untergrund lebte, sich schließlich für ein kleines Geld bei der DDR-Staatssicherheit verdingte und in einer ostdeutschen Kleinstadt unter falschen Namen half, den Sozialismus auf seinem letzten Weg zu begleiten. Und hier der Staatsman, verheiratet mit einer bildhübschen Schlagersängerin, ein Feinschmecker mit ungarisch-griechischen Wurzeln, der für seine Familie lebt und seinem Sohn schöne Posten zuschiebt, im Herzen aber immer Frankreich trägt, die kleinste aller großen Nationen.
Für PPQ zum ersten Mal gemeinsam an einem Tisch sitzend, zeigt sich dann aber: Inge Viett und Nicolas Sarkozy sind soweit nicht auseinander. Die Deutsche und der Franzose teilen gleiche Grundüberzeugungen und träumen beide von einer Welt ohne kalten Raubtierkapitalismus. Viett, die ihre Verpflichtung als Spitzel für die DDR-Stasi eingangs mit dem Satz beschreibt, sie habe sich "von vornherein mit dem staatlichen Sicherheitsapparat in Beziehung gesetzt", nennt die Planwirtschaft in der DDR, die "im Prinzip ganz gut funktioniert" habe, als Beispiel. Es stimme nicht, dass die DDR an ihrer geringen Arbeitsproduktivität eingegangen sei. Sie glaube, dass die DDR ist an der ungeheuren zerstörerischen Produktivität des Kapitalismus gescheitert ist. "Der Wettbewerb endete tödlich."
Konsequenzen könnten daraus auch für Sarkozy leicht gezogen werden. "Es geht nicht darum, dass wir den Kapitalismus abschaffen, wir müssen uns aber entscheiden, welchen Kapitalismus wir haben wollen", fordert der 55-Jährige. Zurzeit gebe es eine Entartung des Kapitalismus, zitiert der belesene Sarkozy aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Auch der Kapitalismus beruhe auf Werten. "Der Finanzkapitalismus ist eine Abart, der die Werte des Kapitalismus mit Füßen tritt."
Das sehe sie genauso, sagt Inge Viett, die beim Aufbau des Sozialismus als Mitarbeiter der Ferienbetreuungsabteilung des Schwermaschinenbau-Kombinats „Ernst Thälmann“ half. "Erst wenn der kapitalistische Weltmarkt ausgeschaltet ist, kann sich eine sozialistische Austauschwirtschaft entwickeln", ist sie nach 13 Jahren Haft in bundesdeutschen Gefängnissen überzeugt. Planwirtschaft könne mit den heutigen Erfahrungen und der heutigen Informations- und Rechentechnik noch viel besser funktionieren als damals in der DDR, wo die "maßgeblichen gesellschaftlichen Entscheidungen 40 Jahre lang zentralisiert in den Händen einer kleinen Führungsriege" geblieben seien. Innovationen wie von Apple, Microsoft und Google, so die Botschaft, werden den nächsten Sozialismus von Anfang an sozialistischer machen als der letzte je war.
Ein Modell, von dem auch der französische Präsident schwärmt, dem eine Art Weltplanwirtschaft vorschwebt. Dass Wagniskapital Firmen wie Google, Apple oder Microsoft erst möglich gemacht habe, bleibe heute mal außen vor. Man müsse Ungleichheiten in der Weltwirtschaft abbauen, Länder dürften in Zukunft nicht viel mehr exportieren, als sie importieren. Sarkozy verrät nicht, wieviel zuviel viel mehr ist, zeigt sich aber überzeugt, dass eine Ursache für diese Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft bei bei den Währungsschwankungen liege. "Die Unterbewertungen bestimmter Währungen verhindern fairen Handel", erklärt er Viett. Im Moment würden deshalb immerzu die Kurse geändert angepasst, das aber halte er für "Manipulation." Sarkozy kündigte an, gegen diese Manipulationen vorzugehen. Er wolle ein neues Weltwährungssystem mit festen Kursen, wie sie die DDR im Handel mit der Sowjetunion hatte. Es handele sich dabei quasi einen Euro für die ganze Welt. Das Projekt wolle er selbst voranbringen, wenn er ab 2011 den Vorsitz der G8 übernehme.
Inge Viett reagiert auf diese Ankündigung nicht eben euphorisch. Das von der SED festgezurrte System von Entscheidungshierarchien sei den komplexen Widersprüchen nicht gewachsen gewesen, warnt sie. "Es hatte die Stagnation im gesellschaftlichen Entfaltungsprozeß zu verantworten."
Ein Einwand, der Sarkozy allerdings nicht gelten lässt. "Ich bin für den Freihandel", sagt er. Aber wenn der unbehinderte Handel dazu führe, dass Länder mit Waren überschwemmt würden, wie es Ostdeutschland nach dem Mauerfall geschehen sei, seien protektionistischen Reaktionen die Folge. Damit rennt er bei Viett offene Türen ein. Die DDR-Regierung habe dem Kapitalismus im Jahr 1987 die Friedensfähigkeit bescheinigt, kritisiert sie. Das ber nicht, weil sie es selbst glaubte, sondern "aus Müdigkeit angesichts der eigenen Schwierigkeiten und in der Illusion, der Westen könnte ihr aus diesen Schwierigkeiten heraushelfen". Diese Illusion habe letztlich auch die Mehrheit der Bevölkerung geteilt. Daran gelte es aus ihrer Sicht anzuknüpfen: "Heute sind unsere Wünsche nicht maßgebend, solange sie Luftschlösser sind, auch wenn sie ideologisch noch so fein gesponnen werden."
Natürlich, dank Internet kann nun jeder seine Bedürfnisse fürs kommende Jahr planen, die die staatliche Plankommision als Aufträge an unsere Werktätigen weiterleitet. Wer allerdings den Trend nicht einplante, sich ein Wagenrad an die Datschenwand zu hängen oder den gesteigerten Bierkonsum in einem künftigen heissen Sommer, der wird wohl weiter unter den Ladentisch ordern müssen.
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