Samstag, 5. September 2009

Gespräche im Zwischendeck: Undurchdachte Äußerungen

A: Testosteron-Überschuss, oder völlig verunglückte Ironie - eine plausible Erklärung für seine Entgleisung hatte der Verkaufschef von Audi Finnland, Esko Kiesi, am Ende selbst nicht. "Meine undurchdachten Äußerungen und der Schaden, den ich angerichtet habe, tun mir leid", teilte Kiesi in einer öffentlichen Erklärung mit. Sein Versuch, die Macho-Sprüche als lustigen Unernst hinzustellen, hatten zuvor die Empörung noch angeheizt.

Stein des Anstoßes war ein Interview in einer Sondernummer der finnischen Frauenzeitschrift "Anna", in dem Kiesi munter drauflos geplappert hatte: Der Spruch "Technische Jobs können Frauen ohne die Hilfe eines Mannes ohnehin nicht bewältigen" war dabei eine der moderaten Aussagen. Doch damit ließ es Kiesi nicht bewenden. "Das Aussehen eines Autos hängt stark von den Rädern und der Aufhängung ab. Bei einer Frau sind es die Schuhe", erklärte der Audi-Manager den verdutzten Journalistinnen.

Der Manager gab auch seine Überzeugung zum Besten, dass eine Frau ihre Form verliere, "wenn die Absätze unter sieben Zentimetern" seien. Und die Qualität einer Beziehung zwischen Frau und Mann lässt sich laut Kiesi leicht ermitteln: "Weigert sich eine Frau, zu bügeln und sauberzumachen, wird der Beziehung bald die Luft ausgehen."

Ein Sturm der Entrüstung brach los, vor allem im Internet schäumten Leserinnen und Leser ob des "Chauvinismus". Audi ging auf Distanz, solche Aussagen spiegelten ganz und gar nicht das Verhältnis des Herstellers zu Frauen wieder und seien eine persönliche Meinung von Herrn Kiesi. Der beugte sich am Donnerstag schließlich dem öffentlichen Druck, gab seinen Posten auf und brach eine Debatte in der PPQ-Reihe Gespräche im Zwischendeck vom Zaun.

B: Gab seinen Posten auf. Die Welt ist irre.

A: Irre war sie schon immer. Schlimmer: Sie wird von Woche zu Woche und Monat zu Monat und Jahr zu Jahr humorloser.

B: Der Meinungsmainstream verengt sich.

A: Nee, das ist weltumspannender Zeitgeist. Ich kann sogar eine Nadel in den Kalender stecken: die "menschenverachtenden Folterfotos", die US-Streitkräfte in Baghdad machten, wo sich Muslime halb"nackt" fotografieren lassen mussten. Man brauch nicht darüber debattieren, ob man das machen sollte, Aber der Aufschrei und die Haftstrafen waren völlig unverhältnismäßig.

Nun die "abscheulichen" und "widerlichen" Sexparties in der Botschaft von Kabul, wo es in der westlichen Welt 2009 auch entspannt heißen köennte, "Tja, Clinton hätte sich auch besser nicht erwischen lassen".

Was den Amis Sex ist, ist uns der Fremdenhass, die Ausländerfeindlichkeit, der Rassismus und neuerdings auch wieder Sexismus.

Ein Moralphänomen in der westlichen Hemisphäre, das sich von den freiheitlichen Werten und der aufgeklärten Gesellschaft verabschiedet. 35 Jahre nach den Sex Pistols sollte das alles eigentlich nicht für solche Skandale taugen; vor allem nicht in Europa und in dessen Boulevardmedien, in denen gleich unter den vielfältigen "Verurteilungen des Tages" irgendeine Berliner Pornotussi erklärt, wie sich ihre Vagina beim ersten Sex nach der Geburt angefühlt hat ("ich war wieder
Jungfrau").

B: Genau so ist es. Wobei ich eben hier lebe und die Tendenz der unablässigen Aufgeregtheit über irgendwelchen Quatsch hier als besonders ausgeprägt empfinde.

Andererseits ist die Aufregung zumeist nur eine mediale. In Wirklichkeit regt sich kein Mensch über Rüttgers auf, wenn er bei klarem Verstand ist und schon mal südöstlicher als Dresden war. Medien wiederum haben die Lektion gelernt, dass Unterhaltung Lärm erfordert, den sie in Ermangelung wirklicher Geräusche dann gern selbst machen.

Dieses Wort "gilt" etwa, das heutzutage an die Stelle der Kronzeugen tritt, die früher gebraucht wurden, um Aufregung zumindest zu heucheln, ist verräterisch. Für irgendwen gilt irgendwer als irgendwas - und schon ist die schönste "Debatte um" im Gange, an der eigentlich gar niemand teilnimmt außer der Medien, die sich gegenseitig im Eifer befeuern, irgendeinen Piep dazu beizutragen.


A:
Am Ende ist die öffentliche Meinung aus empörungsgeilen Entscheidungsträgern und pflichtschuldigen, staatstragenden Einheitsmedien ist die Neuauflage von "die Partei hat immer recht".

Aber diese "Debatten um" bilden das Fundament für restriktivere Gesetzgebung. Mir jedenfalls fällt kein Beispiel ein in der letzten Zeit, wo irgendwas freier oder freiheitlicher geworden wäre. Und deswegen sind, ob die Leute nun an Debatten teilnehmen oder empört sind oder eben nicht, diese Entwicklungen gefährlich, weil die einen Leute das hinnehmen und die anderen von der öffentlich gemachten Meinung zu Punks stilisiert werden wie die Leute von der Piratenpartei, einfach nur, weil sie sich dem Empörungskonsens entgegenstellen. Da können fünf oder 85 Prozent der Meinung sein, dass Kinderpornos unser grösstes Problem sind - am Ende eines jeden solchen Prozesses sind wir wieder ein bisschen mehr DDR. Will sagen: Ob fünf oder 85 Prozent der Meinung sind, dass Rüttgers wegen des Rumänen-Spruches Hitler ist - einen Kniefall muss er trotzdem hinlegen.

Beängstigend, nichts Geringeres als das finde ich diese Atmosphäre.

4 Kommentare:

  1. Mit der (polit.-medialen) Erregung versichert man sich gegenseitig, daß die in den 90igern untergegangenen Gesellschafts-Wahrheiten immer noch Gültigkeit besitzen.

    Ich nenne das "man sucht die Nazi-Sau" ... auf die sich dann alle Verunsicherten setzen können.

    fin de siecle

    Im übrigen wurde vergessen zu erwähnen, daß der Audi-Mann auch einen Ehe-Ratgeber von 1948 als vorbildlich beschrieben haben soll.

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  2. von 48? unfassbar. war da der hitler noch an der macht, fragt meine tochter gerade?

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  3. sach deiner tochter: 1948 war, so man das noch leicht sexistisch formulieren darf, "der schoss fruchtbar noch, aus dem das kroch." :]

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  4. ist er das nicht heute noch vielvielmehr? ich las sowas, neulich erst

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