Es ist ein bisschen schlimmer als damals, 71 vor Christi, als Crassus tausende Spartacus-Anhänger entlang der Via Appia kreuzigen ließ. Heute hängt an jeder Laterne in jeder Straße einer: Männer wie Horst Schnellhardt und Frauen wie Laura Banse, Menschen also, von denen noch nie zuvor irgendjemand gehört hat, werfen sich mit Haifischlächeln in Positur und kumpeln jeden Vorbeifahrenden an: "Für Europa. Für Sachsen-Anhalt."
Vier Wochen vor den Wahl zum Europaparlament und den kommunalen Volksvertretungen hat die Umweltverschmutzung durch dummdreiste Parolen einen ersten Höhepunkt erreicht. Die Stadt ein Labyrinth der Legastheniker: Die Parteien, die sonst bei jeder Pisa-Umfrage bereit sind, grenzenloses Erschrecken in jede hingehaltene Kamera zu heucheln, enttarnen sich angelegentlich ihrer Wahlplakate als bildungsferne Schicht.
"Nazis braucht Niemand" plakatiert etwa die SPD, ohne mitzuteilen, wer jener Herr Niemand ist. Meinte die Kampagne niemand im Sinne von "keiner", hätte ein kleingeschriebenes "niemand" allen Vorschriften entsprochen. So aber bleibt nur die Vermutung, dass der Satz orthographisch korrekt, grammatikalisch aber durcheinandergeraten ist: Herr Niemand, so eine inzwischen weitverbreitete Theorie, ist ein Mitarbeiter von Franz Münteferings Parteigeheimdienst, der erst kürzlich mit der Vorlage von Informationen zur Verfassungsfeindlichkeit der NPD auf sich aufmerksam gemacht hatte. Herr Niemand nun braucht Nazis, um aus ihnen Sozialdemokraten zu machen.
Das empört die NPD. In einem Scheiben, das PPQ vorliegt, beklagt die rechtsextreme Partei, die SPD wolle "Kameraden zu Genossen" umpolen und "nationale Kader abwerben".
Dagegen geht die "braune Flut" (Angela Merkel) mit Plakaten vor, auf denen "Arbeit, Heimat, Wohlstand" und "Jetzt hilft nur noch NPD" steht. Alle im Lande vorhandenen Ausrufezeichen, sofern sie nicht von den Grünen benutzt werden, die damit rätselhafte Plakate verzieren, auf denen "Wummms!" steht, sind dazu auf NPD-Plakate gedruckt worden.
Die Reste des einstigen Bildungsbürgertums haben sich zur FDP verkrümelt. Deren Slogan lautet "Stark vor Ort", was keiner weiteren Erklärung bedarf, weil es auch dann unerklärlich bliebe. Immerhin endet der Satz mit einen Satzzeichen - soviel Zeit war bei der CDU nicht. Die schreibt "Starke Kommunen - starkes Land" auf ihre Plakate. Deutet der großgeschriebene Anfang noch darauf hin, dass die Wahlkampfleitung der Ansicht war, hier mit einem Satz zu operieren, mäandert der nach hinten dann in ein grammatikalisch nicht mehr deutbares Vakuum aus. "starkes Land" fängt klein an, dennoch war kein Punkt mehr da.
Wer so etwas kann, der kann auch ein Land regieren. "Deine Stadt braucht vollen Einsatz" schreibt die SPD auf das Bild einer Feuerwehrspritze, "Sicher ist nur das Risiko", wissen die Grünen, die ausweislich ihrer Wahlplakate unter jedem Kernkraftwerk vergrabene Riesentotenköpfe vermuten.
Selig sind, die da geistig arm sind, glücklich jeder Legastheniker, der nicht lesen muss, was ihm an Deppengeschwätz von den Lampenmasten entgegenbrüllt. In großen Abspracherunden scheinen die Parteien sich zumindest geeinigt zu haben, nicht wortwörtlichen denselben Quatsch zu schreiben. Horst Schnellhart unterbricht seinen griffigen Claim "Für Europa. Für Sachsen-Anhalt." mit zwei Punkten, sein Konkurrent Ulrich Stockmann schreibt "Für Sachsen-Anhalt und Europa". Die NPD verspricht, Arbeitsplätze gegen die Krise zu schaffen, die CDU sagt einfach nur, sie sei "gegen die Krise".
Wie gut es tut, das zu wissen. "Heiße Luft würde FDP wählen", vermutet die SPD, "Wir in Europa" verallgemeinert die CDU in einem Halbsatz, auf dessen Beendigung der Wähler die nächsten fünf Jahre wird warten müssen. Heißt er vollständig "Wir in Europa sind sowieso alle blöd?" Heißt er "Wir in Europa wissen es nicht besser?" Oder gar "Wir in Europa haben es nicht anders verdient?"
Mitarbeiter von Herrn Niemand beim SPD-Geheimdienst ist übrigens, die Meldung kommt gerade rein, ein Herr Keiner. Parteichef Müntefering habe die beiden Männer persönlich ausgesucht und eingestellt, schreibt der "Spiegel" in seiner allmontäglichen Enthüllung. Vertrauten habe Münte das damit begründet, dass er auf Nachfragen, wer beim SPD-Geheimdienst arbeite, immer "Niemand" antworten könne. Und falls jemand wissen wolle, ob da noch jemand sei, wolle er ganz ehrlich wie immer "nur Keiner" sagen.
"Starke Kommunen - starkes Land" ohne Punkt dahinter, das stimmt schon. Hinter Schlagzeilen muß/soll man keine Punkte setzen. Die Jesuiten unter den Zeichensetzern verzichten sogar auf den Punkt hinter dem letzten Satz eines Textes.
AntwortenLöschenWeiß allerdings nicht, wie es die Zeichensetzer unter den Jesuiten handhaben.
wo steht denn das? stimmte es, wären dann allerdings alle die falsch, die ein Satzzeichen setzen.
AntwortenLöschenman kanns eben Niemand recht machen
AntwortenLöschenHab eben mal nachgeschaut:
AntwortenLöschen"Der Punkt steht nicht nach Sätzen, Satzstücken und einzelnen Wörtern, die im Druck- oder Schriftbild in besonderen Zeilen deutlich herausgehoben werden und inhaltlich selbständig sind."
Duden 9, Richtiges und gutes Deutsch, Seite 745
Wenn Herr Niemand für die SPD arbeitet, dann könnte die Partei auch plakatieren: "Niemand würde SPD wählen".
AntwortenLöschenAnsonsten würde der Werbefachmann sagen, daß kurze, griffige Parolen am werbewirksamsten sind. Schließlich werden die Stimmen gezählt und nicht gewogen, und was sind 1 % wahlplakatpikierte Lyrikfreunde gegen 50 % aufgeputschter "Geiz-ist-geil"-Masse?
dem ist nichts hinzuzufügen. aber geiz ist geil ist eben auch ein claim. wir in europa ist plunder, genauso wie stark vor ort und voller einsatz für blabla.
AntwortenLöschenwarum plakatieren die nicht gleich wir halten euch alle für doof