Manche Dinge bleiben keine Stunde gleich, andere ändern sich irgendwie nie. Vor einem Vierteljahrhundert etwa erfand die Jugend der Stadt Halle beiläufig den schönen Brauch, sich nach Abschluß diverser vollsozialistischer Volksfeste noch ein wenig auf der Freizeitinsel Peißnitz niederzulassen. Die großen Bands, die "Puhdys" oder "City" hießen und von Nachmittag an dröhnend zu Dessauer Dünnbier aufspielten, hatten zusammengeräumt, nun wurden Wandergitarren ausgepackt und Flaschen voller Schnaps aus dem Gebüsch geholt. Bob Dylan, Neil Young und andere alte Männer wurden nun vergewaltigt an dieser Stelle, die von Eingeweihten "der grüne Hut" genannt wurde, seit ein Volkspolizei-Rollkommando zu ersten Mal gekommen war, die illegale Veranstaltung abzuräumen. Und ein trunkener Sänger den Genossen immer wieder stotternd erklärt hatte, er gehe ja gern und er gehe auch sofort. Wenn man ihm denn Gelegenheit gebe, seinen eben verlorenen grünen Hut schnell noch zu suchen.
Protest war ein lustiges Fest. Inmitten der verblüfften Hundertschaft, die morgens um halb zwei 200 ruhestörende Jugendliche aus dem menschenleeren Stadtpark eskortierte, klangen sozialismusverherrlichende Sprechchöre wie "geh, geh, zur Armee!" oder "Für den Frieden länger dienen". Konnte der Genosse Hauptmann wenig gegen sagen.
Die Zeit vergeht, die Sitten bleiben. Noch immer ist der nämliche Park des nachts menschenleer, noch immer gelingt es Jugendlichen alljährlich zum letzten Schultag der Abiturklassen, die nunmehr nicht mehr Volkspolizei zu Großeinsätzen zu zwingen. Mehr als 1000 Schulabgänger versammelten sich in diesem Jahr, sie standen herum, schwatzten, telefonierten und das lauteste Geräusch über dem Areal war das Klirren der mitgebrachten Flaschen. Keiner hatte eine Gitarre dabei, nicht einmal Neil Young und Bob Dylan wurden vergewaltigt.
Aber die Uhren in den Polizeihauptquartieren ticken zuverlässig, wie sie schon damals in der alten Arbeiterdiktatur die Stunde schlugen: Um ein Uhr nachts bildeten die Einsatzkräfte eine Kette, und völlig gewaltfrei wurde die unruhevolle Jugend hinausgetrieben aus dem Freizeitparadies rund um den grünen Hut. In eine erwachsene Welt, die aus der Perspektive eines hypothetischen 18-Jährigen, der 1984 auch schon 18 war, noch genauso wäre wie 1984. Abzüglich freilich der sozialismusverherrlichenden Sprechchöre: Die Jugend heute geht leise, nur begleitet vom Flachenklirren und Handypiepen.
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