Mittwoch, 4. März 2009

Sozialdemokraten sind Spezialdemokraten - Wie ein Pressesprecher einen Minister abserviert

Angeblich liegt der Volksstimme das Schreiben von Franz Stänner vor. Die veröffentlichten Ausschnitte lassen einem nur die Augen reiben. Was läuft da? Man hält es im Kopf nicht aus: Der eigene Pressesprecher torpediert mit einem Brandbrief seinen sicher nicht sonderlich sympathischen Minister. Und hernach landet dieses "interne Schreiben an den SPD-Landesvorstand" ausgerechnet bei der hochinvestigativen Magdeburger Volksstimme. Eine Frage: Sind die Stänners, Bullerjahns, Hövelmanns und Co. wirklich so schreiend komisch??? Oder liegt es an mir? Denen ist nicht mehr zu helfen. Und mir auch nicht: vor haltlosem Lachen. 

"Der Bonus, den wir in zwei Jahren erwirtschaftet haben, ist futsch"

Hier die wichtigsten Passagen des Schreibens Franz Stänners. Die Fettungen folgen dem Original:

Das Thema

Die SPD-Sachsen-Anhalt hat beschlossen, ohne Koalitionsaussage in die kommenden Wahlen zu gehen. Sie hat nach meinem Wissen noch nicht beschlossen, ohne Wähler in die kommenden Wahlen zu gehen.

Der Zustand

Wir haben uns in den beiden vergangenen Jahren zu Recht viel darauf zugute gehalten, " der Motor der Koalition " zu sein ...

Die Öffentlichkeit (Mitglieder, Medien) ist dieser berechtigten Selbsteinschätzung gefolgt. Zwei Wochen haben gereicht, diesen Vorsprung zu verlieren.

Die Spektakel

Da war die Vorgeschichte des Parteitages ... Die Debatte um die Landesliste erhöhte die Erwartung auf zünftige Diskussionen auf dem Parteitag ... Doch durch die nachfolgenden Ereignisse kam einiges zusammen und so war die Kommentar-Frage " Was ist los in der SPD?" berechtigt.

... da war der über die Öffentlichkeit ausgetragene Streit zwischen Holger und Jens über die Pauschalierung ... Es war Holgers Fehler, diesen Punkt zuvor nicht intern angesprochen zu haben; der von Jens bestand in der nachfolgenden Bullterrier-Attacke. Wie ein weltbekannter Staatssekretär sagte: " Der eine schweigt, der andere brüllt. " Ein interessantes Kommunikationsmuster, das im wirklichen Leben gern zu Scheidungen führt. Es führt selten zur Spitzenkandidatur ... Beschädigt wurden beide, wie es auch prompt nachzulesen war ...

... schließlich war da der Missbilligungsantrag gegen Holger ...

Die Abweisung des Antrags ist natürlich kein Sieg. Die Botschaft dahinter: In der Regel nimmt eine Opposition dieses Instrument nur in die Hand, wenn sie glaubt, ein Minister sei schon angeschlagen ... Hätte sie etwas Ernsthaftes in der Hand, würde sie auf Abwahl plädieren. Aber steter Tropfen höhlt den Stein ...

... und dann war da noch die Sache mit dem Rücktritt ... Die brüske Art der Abwendung hat Verletzungen hinterlassen, vor allem beim Minister selbst. Darüber muss man an anderer Stelle reden. Worüber man jedoch an dieser Stelle reden muss, ist, was zutage gefördert wurde und in allen Zeitungen stand. Über das (parteiübergreifend) ungläubige Erstaunen bei allen, die Minister und Staatssekretär aus der täglichen Arbeit kannten ... Die allgemeine Erregung war echt, und ihr Resultat waren ein heftiger Rückschlag für das Ministerium, äußerst freundliche Nachrufe für Christian und ein schwerer Image-Schaden für den Minister.

Die öffentliche Scheidung machte publik, was bislang wenige wussten. Doch Minister zu sein heißt unabdingbar, im Lichte der Öffentlichkeit zu stehen ... Die unausgesprochene, aber allgemein gestellte Frage war: Wie kann ein Minister, der seinen Führungsanspruch nicht verbirgt, eine Situation entstehen lassen, in der ihm sein wichtigster Mitarbeiter auf diese Weise die Schuhe vor die Türe stellt?

Die Antwort liegt nur zum Teil in Art und Intensität der Belastung, an dem enormen Zeitbudget für Amt und Minister. Auch die fröhliche Aussicht auf weiteren Arbeitsaufwand durch das Durchsteuern des Konjunkturpakets schuf sicher zusätzlichen Druck. Da läuft irgendwann der Speicher über ...

Die Frage entsteht: Warum wurde das nicht rechtzeitig erkannt? Die Antwort liegt zum anderen in der Situation im Hause. Darauf hat sich die regierungsinterne und Medienöffentlichkeit mit Hingabe gestürzt. Der eine brüllt, der andere schweigt — bis er nicht mehr kann. Unser Jens sendet im täglichen Verhalten verwirrende Doppelbotschaften aus. Einerseits gibt er den netten Kumpel aus Ziegelrode (der er zweifelfrei ist), andererseits greift er bei der Durchsetzung seiner Interessen zu Verhaltensweisen, die in der politischen Ideengeschichte hinreichend beschrieben sind: Tyrannis. (Eine gemäßigte Form: es gibt keine Toten, nur Kündigungen, äußere und innere).

Diese Doppelbotschaft irritiert alle Gesprächspartner — insbesondere jedoch die, die abhängig beschäftigt sind. Ein wertschätzender Umgang auf Augenhöhe würde die Schaffensfreude und Kreativität aller Beteiligten befördern. Die Entscheidungen danach bleiben einem Minister ohnehin vorbehalten.

Der vergangene Donnerstag war, wie die letzten Tage insgesamt, für Jens sicher nicht einfach. Es spricht für ihn, dass er sich ihnen gestellt hat. Und der öffentliche Dank an Christian zeigte, dass der Minister auch zur Größe fähig ist, wenn der Druck entsprechend groß ist.

Das Resultat

Wir alle haben in den vergangenen Wochen öffentlich Fehler gemacht oder zugelassen ... Jetzt tragen wir die Folgen. Wichtig: Die Fehler sind hausgemacht, nicht durch die Presse oder andere Parteien ... Aber der Bonus, den wir in den beiden ersten Jahren erwirtschaftet haben, ist futsch. Wir sind jetzt ganz normale Wurschtl wie die anderen auch. - Das gibt Anlass zur Hoffnung.

Die Ursachen der Fehler sind zum Teil sachlicher Natur, zum Teil liegen sie im Charakter der handelnden Personen (aber auch derer, die schweigen!) ...

Die nächsten Schritte

1. Kritik ist in Ordnung, aber sie muss in einer Form kommen, die zu verarbeiten ist. Allerdings muss auch mal hingehört werden. Öffentliches Getuschel war in der vergangenen Woche emotional leider unvermeidbar, nützt aber niemandem und sollte tunlichst allmählich eingestellt werden ...

2. Von den Frontfrauen und -männern muss jetzt ein Signal " Wir haben verstanden " kommen ... Das Publikum erwartet nach den beiden letzten Wochen Bußfertigkeit und konstruktive Arbeit ...

3. Die öffentlichen Hakeleien zwischen Holger und Jens müssen sofort aufhören. Der Landesvorstand ist gefordert. Er muss ein Verfahren festlegen und verkünden, auf welche Weise die Auswahl des Spitzenkandidaten stattfnden sollte. Diese Frage ist das Einfallstor für ständige Spekulationen und ein lustvoller Anlass zur Berichtserstattung. Im Notfall: elder statesman beauftragen.

4. Die Stimmung in der Partei ist schlecht ... Landesvorstand, Fraktionsvorstand und Ministerriege müssen verstärkt kommunizieren, und zwar inhaltlich und nicht nur durch Abarbeiten von Tagesordnungen. Uninformiertheit und Feigheit vor dem Freunde sind ständige Quellen von Gerüchten und Unterstellungen.

5. In der Öffentlichkeit kommt es auf die Ministerinnen und Minister an. Das öffentliche Produkt " Minister " ist nur zu einem ( allerdings wesentlichen ) Teil eine Einzelperson mit ihren inhaltlichen und persönlichen Stärken und Schwächen. Das Produkt " Minister " ist auch das Ergebnis der Anstrengungen und des Vertrauens zumindest des persönlichen Umfeldes. Der eine schweigt - der andere tobt. Das geht nicht gut. Holger muss lernen zu reden, um sich beraten zu lassen; Jens muss lernen zu schweigen, um sich beraten zu lassen. In einer Atmosphäre der Unduldsamkeit und des Durchsetzungswillens schweigen die einen aus Angst, die anderen, weil sie die Hoffnung aufgegeben haben. So produziert man Hofschranzen und keine selbstbewussten Leistungsträger. Am Ende ist ein Minister dann allein zu Haus.

6. Wir haben eine dramatisch dünne Personaldecke ... Weitere Abgänge sind daher unbedingt zu vermeiden.

7. Nehmt Eure Verantwortung für Euch und Eure Mitarbeiter wahr und organisiert die Arbeit (und) Ressourcen schonend. Gerade die Engagierten sind gefährdet, die anderen haben sich ohnehin schon ins Archiv verdrückt. Das Bespielen überdrehter Vorgesetzter zu nachtschlafender Zeit ist z.B. eine freiwillige Leistung selbst dann, wenn sie als Arbeitsbesprechung getarnt wird. Sie kann nicht über den Arbeitsvertrag eingefordert werden. Nächtliche Anrufe sollten Fällen vorbehalten werden, in denen es um Krieg und Frieden geht. Wenn etwas wichtig ist, ist es auch noch am kommenden Morgen wichtig. Besprechungen sollten nur abgehalten werden, wenn es etwas zu besprechen gibt usw.

8. Achtet auf Eure körperliche und seelische Gesundheit und die Eurer Mitarbeiter. " Im Dienst verschlissen " ... — heute wirkt es nur noch dumm.

Im Übrigen habe ich keine Lust, zum nächsten Wahlkampf " mit einem Lazarett ausgebrannter Zombies " anzutreten, die darüber hinaus untereinander noch spinnefeind sind. Das schlägt auf die Prozente ...

4 Kommentare:

  1. Lazarett ausgebrannter zombies also. kam mir auch immer so vor. regiert dann jetzt da der pressesprecher? wie lange schon

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  2. Genau, Kritik muss immer konstruktiv sein und davor hat gefälligst die Selbstkritik zu stehen.

    Selbstkritik, das Zaubermittel, für den Mann im Arbeitskittel.

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  3. ein schöner spruch! poetologisch ist der brief große literatur. ein barmen und betteln, unter erwachsenen, die sich wie kleine jungs um ihre backförmchen streiten. von solchen typen möchte ich regiert werden. tyrannis saurus für sachsen-anhalt!

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  4. allein das sie in erwägung ziehen einen ehemaligen offiziersschüler der nva, polit- spare ich da noch, zum sozialdemokratischen ministerpräsidentenkandidaten machen zu wollen, für mich unfassbar

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