Geschwindigkeit ist alles, der Nachrichtenstrom muss fließen, die Welt verlangt nach Antworten. Jedes Häppchen geht sofort raus aufs kalte Buffett, über den Sender in die guten Stuben, wo Mutti und Vati sich wohlig gruselnd vorstellen wie das ist, wenn ein Amoklauf im Internet angekündigt wird, und niemand etwas tut.
Tag drei nach der Katastrophe ist immer der Tag, an dem die Sache Richtung "hätte verhindert werden können" kippt. Die Spurensuche ist erledigt, ein Ölgemälde des Täters gemalt, mit soviel Farben, dass er jetzt alles ist: verhaltensgestört und ganz normal, auffällig unaufällig und krankhafter Computerspieler, Tischtennismeister, Armdrück-Champion, guter Sohn und Lehrling, verliebt und frisch getrennt, ein Mann mit Pornos auf dem Computer, wie sie 30 Millionen Deutsche auf dem Computer haben, ein Mann mit einem Counterstrike-Spiel im Schrank, wo es bei sechs Millionen anderen auch steht.
Natürlich war die Tatankündigung falsch. Und natürlich passte sie so wunderbar, dass von "Spiegel" bis "Suhler Schnellpost" sofort alle Welt daranging, weitreichende Erklärungstheorien zu stricken. Geschwindigkeit ist alles, der Nachrichtenstrom muss fließen, die Welt verlangt nach Fragen, damit unentwegt und ohne Pause geantwortet werden kann. Wie hatte man in den Redaktionsstuben auf so etwas gewartet! Und natürlich ist es deshalb egal, ob der Amokschütze sie selbst geschrieben hat oder nicht. Er hätte sie geschrieben haben können, der Tim Kretschmer, den die Medien nach einer stillen Verabredung "Tim K." nennen. Während sie Robert Steinhäuser stets Robert Steinhäuser und nie Robert S. nannten.
Geheimnisvolles Presserecht, geheimnisvolle Politreflexe. Sie interviewen hilflose Kinder, die dann sagen, sie hätten sich wie Film gefühlt. Wie im Film! Müssen Filme verboten werden? Oder doch Schützenvereine verbieten, Computerspiele überwachen, die neuerdings von "gewaltverherrlichende" auf "gewalttätige" umgetauft wurden, als täten sie selbst jemandem Gewalt an, sbald die Verpackung geöffnet wird. Der unsägliche Kriminalpsychologe Christian Pfeiffer, nie näher als 50 Kilometer am Tatort, liefert Tatsachenberichte aus dem Täterkopf. Bei Steinhäuser lag der Mordgrund auf der Hand. Dessen Eltern waren in der DDR mit ihren Altersgenossen gemeinsam getopft worden - Kollektivkacken im Kindergarten. Bei Kretschmer, der sich am Ende erschossen haben soll, hier aber augenscheinlich umfällt, ohne selbst zu schießen, scheint es nur schwieriger. Der Amoklauf, mutmaßt der fantasiebegabte Pfeiffer, war " möglicherweise auch ein Rachefeldzug des Täters gegen seinen eigenen Vater." Möglicherweise auch gegen die Mutter. Gegen die Schule. Gegen Deutschland. Möglicherweise hatte er das letzte Taliban-Drohvideo gesehen und beschlossen, sich dem Heiligen Krieg anzuschließen. Oder er wollte Dr. Pfeiffer, der Schwatzmaschine unter den deutschen Fernermittlern, Gelegenheit geben, wieder mal in Fernsehen zu kommen.
Was tun, fragte schon Lenin? Pfeiffer verhaften, Schützenvereine überwachen, Computerspiele verbieten? Oder umgekehrt? Die Fernsehsender abschalten? Keine Werbung mehr dafür machen, dass es nur 100 Schuß und keinen toten John Lennon braucht, um eine Woche der berühmteste Mensch der Welt zu werden? Nein, lieber Metalldetektoren für die Schulen, und wenn es dann sirenenschrillt, weil der nächste Tim-Robert zur Tür hereinkommt, bepackt mit schwerem Gerät, wird der Wachmann, ein ehemaliger Polizist, dem damals, 2009, beim Amoklauf in Winnenden ins Knie geschossen worden ist, dem jungen Mann zurufen: "So kommse hier aber nicht rein, mit den ganzen Waffen". Christian Pfeiffer wird später messerscharf analysieren, das der Wachmann "mutig" gehandelt habe. "Aber er hatte wirklich keine Chance." So wenig wie die Medien, die hier beiläufig mit Photoshop erschossen werden.
"...die dann sagen, sie hätten sich wie Film gefühlt."
AntwortenLöschenJa, schöne virtuelle Welt. Der Komaläufer hat sich gewiß auch wie im Film gefühlt. Ey, ganz großer Film.
Das, es hätte ja sein können und deshalb ist dagegen anzugehen, bekommt in der heutigen Zeit immer mehr Gewicht gegenüber dem es war und es ist bewiesen.
AntwortenLöschenDie Journalisten sollten sich alle beim "KLITTERER" bewerben. Da passen sie prima hin.