Da staunt der Fachmann und der Wunde leiert sich: Was vor 20 Jahren in einem inzwischen friedlich vergangenen zehntgrößten Industrieland der Welt als Aufruf der selbst ernannten Bürgerbewegung "Neues Forum" unter dem hochtrabenden Titel "Aufbruch 89" erste, noch unsichtbare Risse in die Mauer bohrhämmerte, ist der aktuellen Situation im fortexistierenden Land des immerwährenden Exportweltmeisters wie auf den Leib geschrieben. Die Kommunikation zwischen oben und unten gestört? Weitverbreitete Verdrossenheit? Rückzug in die private Nische? Gestörte Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft? Gelähmte schöpferische Potenzen und übelgelaunte Passivität? Nur mangelhaft funktionierender Interessenausgleich zwischen den Gruppen und Schichten? Schöner kann die einzig wahre deutsche Demokratie nicht beschrieben werden als in den bedeutungshubernden historischen Zeilen aus der "Erika"-Schreibmachine von Bärbel Bohley. Im Original (Foto unten) las sich das so:
In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört. Belege dafür sind die weitverbreitete Verdrossenheit bis hin zum Rückzug in die private Nische und zur massenhaften Auswanderung. Fluchtbewegungen diesen Ausmaßes sind anderswo durch Not, Hunger und Gewalt verursacht. Davon kann bei uns keine Rede sein.
Die gestörte Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft lähmt die schöpferischen Potenzen unserer Gesellschaft und behindert die Lösung der anstehenden lokalen und globalen Aufgaben. Wir verzetteln uns in übelgelaunter Passivität und hätten doch Wichtigeres zu tun für unser Leben, unser Land und die Menschheit.
In Staat und Wirtschaft funktioniert der Interessenausgleich zwischen den Gruppen und Schichten nur mangelhaft. Auch die Kommunikation über die Situation und die Interessenlage ist gehemmt. Im privaten Kreis sagt jeder leichthin, wie seine Diagnose lautet und nennt die ihm wichtigsten Maßnahmen. Aber die Wünsche und Bestrebungen sind sehr verschieden und werden nicht rational gegeneinander gewichtet und auf Durchführbarkeit untersucht. Auf der einen Seite wünschen wir uns eine Erweiterung des Warenangebots und besserer Versorgung, andrerseits sehen wir deren soziale und ökologische Kosten und plädieren für die Abkehr von ungehemmtem Wachstum. Wir wollen Spielraum für wirtschaftliche Initiative, aber keine Entartung in eine Ellenbogengesellschaft. Wir wollen das Bewährte erhalten und doch Platz für eine Erneuerung schaffen, um sparsamer und weniger naturfeindlich zu leben. Wir wollen geordnete Verhältnisse aber keine Bevormundung. Wir wollen freie selbstbewußte Menschen, die doch gemeinschaftsbewußt handeln. Wir wollen vor Gewalt geschützt sein und dabei nicht einen Staat von Bütteln und Spitzeln ertragen müssen. Faulpelze und Maulhelden sollen aus ihren Druckposten vertrieben werden, aber wir wollen dabei keine Nachteile für sozial Schwache und Wehrlose. Wir wollen ein wirksames Gesundheitswesen für jeden; aber niemand soll auf Kosten anderer krank feiern. Wir wollen an Export und Welthandel teilhaben, aber weder zum Schuldner und Diener der führenden Industriestaaten noch zum Ausbeuter und Gläubiger der wirtschaftlich schwachen Länder werden.
Der Rest steht hier.
Ja, wir wollen den Sozialismus,nur mit Reisefreiheit, vollen Regalen und einem ewig guten Gewissen.
AntwortenLöschenund das wird sich nie niemals ändern, soviel ist sicher
AntwortenLöschen@karleduardskanal:
AntwortenLöschenJa, wir HABEN den Sozialismus - oder nenn es Soft-Kapitalismus - mit Reisefreiheit, vollen Regalen und einem ewig guten Gewissen.
Noch.
das gewissen ist nicht gut, wo käm sonst die meckerei her. "auf kosten weit entfernter gut genährt und schlecht gelaunt" oder so. aber die parallelen sind frappierend: 20 jahre und ein system weiter ist alles geblieben, wie es war
AntwortenLöschen