Die Krise immer tiefer, der Hunger immer größer und zivilisatorische Fortschritte nur noch im Rtlprosiebensat1-Abendprogramm, wo Casting-Kandiodaten nicht mehr geschlagen, sondern nur noch mit lebenden Riesenschlangen umwickelt werden dürfen.
Man muss weit zurückrecherchieren in der deutschen Geschichte, um die wunderwarme Wohlfühlwelt der Jetztzeit wie ein weichgespültes Badetuch genießen zu können. 1979 etwa, auf den Tag genau 30 Jahre zuurück im Nebel der Zeit, befand das Oberste Landgericht Bayerns, dass die Prügelstrafe an den bayrischen Schulen kein Thema für ein Gerichtsurteil sei. Es berief sich dabei auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes von 1957, wonach die körperliche Züchtigung an Schulen zum "Gewohnheitsrecht" gehöre - damit sei die 1973 in Kraft getretene bayrische Schulordnung, die jegliches Schlagen verbietet, nur noch eine "Rechtsordnung ohne Gesetzeskraft".
Wie gut haben es unsere Kinder dagegen heute? Im Örtchen Kleinkühnau bei Dessau klebte eine Grundschullehrerin ihren fortgesetzt in den Unterricht schwatzenden Schützlingen vor einiger Zeit kurzentschlossen Tesa-Film über den Mund. Eine Lektion, die nach Ansicht des kindlichen Gefühlen gegenüber desensibilisierten Teils der Bevölkerung gehalten sein kann, Wirkung zu zeigen und in der Folge ganz normalen Unterricht zu ermöglichen. Generationen von jungen Menschen ertrugen die Pflasterqual ebenso mannhaft wie das Eckenstehen und das "aus-dem-Klassenraum-geworfen-werden". Angeblich unversehrt - doch die psychischen Spätschaden zeigen sich erst heute.
Das Pflasterkleben in Kleinkühnau nämlich ist den Pflasterklebeopfern der dunklen, brutalen deutschen Schulvergangenheit jetzt Anlaß für harte Gegenmaßnahmen. Die für die Abu-Ghraib-artige Foltermaßnahme verantwortliche Lehrerin wurde umgehend nach Bekanntwerden des klebrigen Tesa-Vorfalls vom Dienst suspendiert. Ihr droht der Verlust ihrer Arbeitsstelle. Dazu ermittelt inzwischen auch die Staatsanwaltschaft, wegen des Verdachts auf Körperverletzung und Nötigung.
Vor vier Jahren ahndete das Arbeitsgericht in Halle das Zukleben von vier Kindermündern durch eine Erzieherin, indem es die darauf folgende außerordentliche und fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber abnickte. Erziehungsmaßnahmen seien "in gewissen Grenzen zulässig".
Hierzu gehöre jedoch nicht körperliche Bestrafung. "Klebt eine Erzieherin einem Kind ein Stück Klebeband auf den Mund, wirkt sie körperlich auf das Kind ein", urteilte das Gericht, "ergreift sie eine solche Maßnahme um ein Kind zur Ruhe zu bringen, dann hat sie die Grenzen zulässiger Erziehungsmethoden überschritten." Solche Erziehungsmaßnahmen seien völlig unangemessen und daher unakzeptabel. "Als Erzieherin ist sie verpflichtet, Personen, die sich in ihrer Obhut befinden, vor Schäden zu bewahren. Klebt sie dagegen den ihr anvertrauten Kindern Klebeband auf den Mund, so fügt sie den Kindern eher einen Schaden zu als dass sie sie davon bewahrt."
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