Still ruht der See, wie eingefroren die zu Beginn so eifrige Pressearbeit der Sonderkommission "Lebkuchenmesser", die angetreten war, einen grünschlangig tätowierten NPD-Nazi als rechten Gewalttäter einer "neuen Qualität" zu überführen. Sieben Wochen nach der Tat verabschiedete sich der Fall mit einem tiefsinnigen Schlagzeilenwirbel in "Zeit" und "Frankfurter Rundschau", in denen alte Fakten zu neuen Sätzen kombiniert wurden: Von "Rätseln im Fall Mannichl" und "Sackgassen" ging die Rede, von Zweifel wurde düster dräuend geraunt und davon, dass der Täter "womöglich nie gefaßt werden wird" (dpa).
Das scheint sehr sicher, denn derzeit ist die Polizei bundesweit einem Verbrecher ganz anderen Kalibers auf den Spuren. Kurz vor Weihnachten, so vermeldet die "Berliner Morgenpost", warnte ein "Polizeidirektor Adalbert Spahn" die Dienststellen im ganzen Land vor geplanten Übergriffen einer "Vereinigung zur Rettung arischen Blutes in Deutschland", die ein "ein verbal-symbolisches Kopfgeld auf Polizisten und deren Ehefrauen ausgesetzt" habe.
Spahn zitierte aus einem vermeintlichen Drohschreiben der Bewegung, in der angeführt werde, es sei die "Ehre eines jeden Rechten und Nationalisten, einen 'Bullen' oder dessen Ehefrau zu plätten." Der Messerangriff auf den Passauer Polizeichef Mannichl und "sechs ähnliche Attacken im Bundesgebiet" seien nur der Anfang. Bei Skinheads sei nach einem Messerangriff auf Polizisten in Trier bereits "eine Adressenliste von zwanzig Streifenpolizisten und zehn Kriminalbeamten" gefunden worden.
Große Aufregung bei der Polizei im ganzen Land, die sich darin bestätigt sah, dass Polizisten jetzt im "Visier der Rechten" seien. Adalbert Spahn zitierte warnend das das Bundeskriminalamt: "Seit Jahresbeginn ist es die neue Strategie, direkt gegen Polizisten vorzugehen." Das stand zur selben zeit auch in der Zeitung, musste also wahr sein.
Innerhalb nur kurzer Zeit verbreitete sich die alarmierende Rundmail vor Weihnachten bei den Polizeibehörden der Länder - als "Informationsaustausch in Staatsschutzsachen". Über den offiziellen Behördenweg ging das Schreiben an die E-Mail-Postfächer zahlloser Beamter. Landeskriminalämter schickten sich die Mail als sogenanntes "Fernschreiben" gegenseitig zu, Kollegen sandten sich die Mail privat.
Sieben Wochen Angst, sieben Wochen Furcht vor rechten Massenmorden an schuldlosen Polizisten. Erst als Berliner Beamte den Namen des "Polizeidirektors Adalbert Spahn" dann mal googelten, stellte sich heraus, dass es weder einen Beamten "Adalbert Spahn" noch die von seinem Erfinder ausgedachte "Aktion zur Rettung arischen Blutes" noch gehäufte Messerübergriffe auf Polizeibeamte noch geheimnisvolle Todeslisten mit Polizisten-Adressen gibt.
Die Berliner Polizei hat inzwischen offiziell auf die Rundmail reagiert: "Die geschilderten Sachverhalte entbehren definitiv jeglicher Grundlage", schreibt ein Staatsschützer laut Morgenpost an alle Kollegen. "Von einer weiteren Verbreitung wird daher abgeraten." Ob Adalbert Spahn direkte Beziehungen zum Mannichl-Attentäter unterhält, konnte bislang noch nicht geklärt werden. Die Sonderkommission ist sicher dran.
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