Ein Mann allein wackelt über den Provinzfußballplatz, auf dem für gewöhnlich der viertklassige Hallesche FC fabelhafte Siege einfährt. Massimo Furlan ist Schweizer Schauspieler, seine Spezialität sind nachgestellte Spiele aus der Fußball-Historie: Der Mann aus Lausanne pflegt allein auf den Platz zu sein, und dort exakt die Laufwege zu gehen, die irgendein sehr viel berühmterer Fußballspieler viele Jahre zuvor gegangen ist.
In Halle, das als Gastgeber des Festivals "Theater der Welt" prädestiniert ist für große Schauspielkunst im EM-Sommer, ist Furlan Jürgen Sparwasser, Schütze des einzigen Tores, das die untergegangene Arbeiter- und Bauernrepublik DDR jemals geschossen hat gegen die auf Weltmeistertitel abonnierte Mannschaft der damaligen Bundesrepublik Deutschland.
Rund 2000 Menschen sind gekommen, der einleitenden DDR-Nationalhymne zuzuhören und dem einsamen Läufer zuzuschauen, der ohne Ball und Sinn über den von harten Oberliga-Schlachten gegen Pößneck und Jena II ausgezehrten Rasen des im Dritten Reich als "Mitteldeutsche Kampfbahn" errichteten Stadions wieselt. "Wir haben einen Riesenandrang, damit hat niemand gerechnet", sagt die Frau am Eingang, "wir müssen erstmal noch neue Karten drucken". Die sehen gar nicht so aus wie die Originale aus 1974 und Hamburger Volksparkstadion, auch für aureichend Radios, mit deren Hilfe das Publikum die Original-Reportagen von Ost- und Westradio parallel zu Furlans furiosen Flügelläufen hören können sollen, langt die Finanzspritze der Bundeszentrale für Politische Bildung, die das deutsch-deutsche Gemeinschaftserlebnis finanziert, nicht.
Aber auch ohne Ton ist das Spiel absurdes Theater der Sonderklasse. Es regnet und unten klagt Sparwasser-Furlan über ein böses Foul. Ein Regenbogen erscheint über der Gegentribüne, der im Original nicht da war, und Sparwasser-Furlan verpasst eine imaginäre scharfe Eingabe von links, die dreieinhalb Jahrzehnte früher wirklich hereinflatterte. Immer mal wieder flackert da auf der fussballfanfreien Theater-Tribüne Begeisterung auf, allein sie entlädt sich mangels Fußball nicht.
Denn Fußball mit Furlan ist wie "Warten auf Godot": Das Stadion sehnt die 78. Minute herbei, in der Jürgen Sparwasser die Mannschaft der Bundesrepublik 34 Jahre früher quasi zum WM-Sieg schoß. Das Spiel des einen Mannes ohne Ball aber plätschert ereignislos dahin wie wenig später des Treffen zwischen Italien und Spanien.
Das wird Massimo Furlan im kommenden Jahr auf dem Petersplatz in Rom zum Vortrage bringen. Bei Score For The Red Cross können vorher schon Tore für Italien nachgekauft werden, Massimo Furlan hat versprochen, von der Realität abweichende Ergebnisse für den guten Zweck in seiner Kicker-Karaoke zu berücksichtigen.
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