Alles ist in Bewegung, die ganze Welt ändert sich. Kontinente rücken zusammen, aus Männern werden Frauen, aus Frauen Kanzler. China ist längst ein Nachbar Europas, die SPD manchmal eine Arbeiterpartei und manchmal wieder nicht und der Fußballverein Bayern München trägt seine Heimspiele mittlerweile nach Ansicht seiner Fans zwar in einem "Friedhof" aus, steht aber Mitte November trotzdem noch gar nicht wie gewohnt als kommender Meister fest.
Alles ist in Bewegung, alles ändert sich, nur der Fußballklub einer kleine Stadt im Osten strahlt noch die Ruhe und Zuverlässigkeit aus, die früher, vor Globalisierung und Turbokapitalismus, dem ganzen Land eigen war. Immer im Sommer verpflichtet die Führungsetage des Halleschen FC eine Kompanie neuer Spieler, die am Ball alles können, menschlich hervorragend zusammenpassen und taktisch in höheren Ligen ausgiebig geschult wurden. Wenn das Laub fällt, hat sich die jeweilige Kicker-Bruderschaft unter Leitung des jeweiligen neu dazugeholten Trainers, der als menschlich fein und fachlich prima in höchsten Tönen gelobt wird, dann jeweils bis in die Tabellenregionen hochgearbeitet, in denen die Prämientrauben hängen.
Danach aber kommt es alle Jahre wieder, wie es der überaus duldsame Anhang nicht anders erwartet, seit der heutige Co-Trainer Dieter Strozniak damals Ende der 70er gegen Dynamo Dresden in der Nachspielzeit den Elfmeter zum Ausgleich erst ins Netz setzte und dann in der Wiederholung doch vergab: Der Klub, in seinen wenigen besten Tagen Dritter der DDR-Oberliga, holt Unentschieden, wo Siege eingeplant waren, und er verliert Spiele, die auf dem Papier schon gewonnen schienen.
Die 42. Saison seit der Vereinsgründung macht da keinen Unterschied. Nach einem kurzen Abklatschen mit Platz 2 im vo Hoffnung berstenden goldenen Oktober begann die diesmal wieder aus ehemaligen Profis rekrutierte Mannschaft, die Konkurrenz mit freigiebig verschenkten Punkten zu verwöhnen. Die Reservevertretung des einstigen Oberliga-Konkurrenten Jena, mit dem man vor zwei Jahren noch auf Augenhöhe gestanden hatte, bekam einen überreicht. Danach freuten sich auch die Fußballprovinzhochburgen Meuselwitz, Auerbach und Halberstadt über Punktpräsente aus Halle.
So viel gelebte Solidarität ist selten in einer Welt, in der Konkurrenzkampf oft keine Grenzen kennt, und sie strahlt wohltuende Wärme aus, wo sonst nur die bittere Kälte des grimmigen Gegeneinander herrscht. Natürlich, auch der augenblicklich gerade verantwortliche HFC-Trainer Sven Köhler kündigt vor jedem Spiel in markigen Worten an, nunmehr werde seine Truppe sich "zerreißen", die "Schmach vom letzten Auswärtsspiel vergessen lassen" und "die notwendigen Punkte einfahren, um oben dranzubleiben." Köhler zitiert diese Sätze, da sind sich Insider sicher, aus der geheimen Trainerbibel, die beim HFC seit dem furiosen Oberliga-Abstieg Mitte der 80er Jahre von einem Übungsleiter zum nächsten weitergegeben wird - und in der auch klare Handlungsanweisungen zu Mannschaftsaufstellung und Spieltaktik stehen.
Eiserne Regel zum Beispiel ist es, auf ein Mittelfeldspiel generell zu verzichten. Mittelfeld klingt wie mittelmäßig, mittelmäßig aber will hier niemand sein. Nein, dann lieber gleich schlecht! Und so schlagen Mitte November, kurz nach dem ersten Schnee, auch gegen die zumindest numerisch nur gleichstark besetzte Gastmannschaft aus der Fußballprovinzhochburg Makranstedt zwei kantige Defensivrecken lange Bälle in die feuchte Luft. Ein Konterstürmer, der seinerzeit in der 2. Liga aktiv war und sich seitdem für einen Führungsspieler hält, rackert unverdrossen auf der Außenbahn, muss aber stets Meilen vor der Torauslinie erkennen, dass ihm trotz seiner großen Erfahrung in höheren Spielklassen gegnerische Akteure entgegentreten. Darob erschrickt er, stolpert und holt einen Einwurf in Höhe der Mittellinie heraus. Der Mann ist heute einer der besten, denn viele andere, die auf dem Platz zu stehen scheinen, sind eigentlich gar nicht da.
Dadurch steht es schnell und traditionell 1:0 für die Gastmannschaft aus der Landwirtschaftsmetropole Makranstedt, die das Spiel damit auch schon gewonnen hat. Das wissen auch die Kicker des Gastgebers, die nun nur noch blind anrennen, auch damit aber kaum einmal bis in die Nähe des gegenerischen Strafraumes gelangen. Wie immer schrumpft der das Debakel mit großerer innerer Bewegung und ebenso großer äußerer Ruhe beobachtende HFC-Trainer deshalb die bis dahin eigentlich arbeitslose Viererkette zur Dreierkette. Wie immer wechselt er auch aus und wie immer ändert das rein gar nichts.
Eintausend Unentwegte durchleiden deshalb trotzig wie immer die diesmal letzten 70 Minuten zwischen dem entscheidenden einzigen Tor und dem Abpfiff mit ihren Helden in Halbschuhen. Und erfreuen sich in aller Stille daran, dass wenigstens etwas auf dieser in Wanken geratenen Welt aus Ungewißheit bleibt, wie es immer war: Hoffnung trügt. Liebe wird enttäuscht. Und die Tabellenspitze ist spätestens zu Weihnachten so weit weg wie der Himalaya.
kopf hoch. immerhin nicht 0:2 verloren. ist doch auch etwas - in halle.
AntwortenLöschenso kann nur ein echter fan leiden ...
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