Immer noch schwappen die Wogen der Empörung über den "ungeheuerlichen Ausfall" des Verteidigungsministers und selbsternannten Terrorretters Franz Jungs durchs Land. Dabei hatte der frühere Aufsichtsrat der Frankfurter Fußball-Eintracht sich nur in die Rolle eines Feuerwehrmannes fantasiert, der sich in einem brennenden Haus entscheiden muss, ob er die malade Seniorin aus dem brennenden Gebälk schleppt, oder lieber die zwei nebenan greinenden vierjährigen zwillinge vor den Flammen rettet.
Jung war, selten für einen Politiker, ehrlich. Er würde die Kinder schnappen, wenn nur für eine Rettung Zeit bliebe. Und das Flugzeug abschießen lassen, ehe es ins Olympiastadion oder das AKW einschlägt.
Ein klarer Verfassungsbruch, tönt es nun von allen verlogenen Seiten, und selbst Leute, die das Urteil des Bundesverfassungsgericht zum Luftsicherheitsgesetz nicht gelesen haben, können es ganz genau erklären. Das Bundesverfassungsgericht habe es verboten, Flugzeuge voller unschuldiger Zivilisten abzuschießen, heißt es, und das überrascht doch viele, die bisher dachten, dergleichen sei hierzulande natürlich traditionell erlaubt. Auch habe der Erste Senat klar gemacht, dass es eine Abwägung Leben gegen Leben nicht geben dürfe.
Das Dumme ist nur, das eben diese Abwägung täglich stattfindet, etwa durch den oben beschriebenen Feuerwehrmann, aber auch durch den Rettungssanitäter beim Autobahnunfall oder den Arzt, der Herzen und Nieren zuteilt. Auf See, wohin der Blick aus dem Hohen Haus in Berlin, das heute gewohnt selbstgewiss zum Thema debattierte, nicht reicht, hat die Abwägung lange, ehrwürdige Tradition: Frauen und Kinder zuerst, heißt es da - eine Abwägung des Wertes von Leben, die inzwischen schon als institutionalisiert gelten darf und noch von keinem politichen Spreebootkapitän infrage gestellt wurde.
Da macht sich auch die Nato nicht weiter ins Hemd, deren Mitglied Deutschland noch immer ist. Für den Kriegs- und Katastrophenfall verfügt das Bündnis über eine wissenschaftlich äußerst ausgeklügelte Methode, den Restwert sozusagen beschädigter Leben abzuwiegen: "Triage" nennt sich das Verfahren, dass dem Sterbenden mit abgerissenem Unterleib selbstverständlich die Infusion verweigert, die dafür der nach Ansicht der behandelnden Ärzte eher zu rettende Nachbar mit dem aufgerissenen Oberschenkel bekommt. Das heißt ganz schick "Simple Triage and Rapid Treatment" und noch kein politischer Herzfehlerkandidat ist auf die Idee gekommen, es trompetenlaut verfassungswidrig zu finden, nur weil - wie im von Jung entworfenen Szenario - Dritte über Leben und Tod völlig unschuldiger Opfer befinden.
Kriegsfall, Krisenfall? Gilt da die Verfassung überhaupt? Nun, auf jeden Fall gilt sie im Katastrophenfall, in dem auch DRK und Katastrophenschutz nach dem Einteilungsverfahren arbeiten. Wer über Jung redet, müsste auch über die reden. Oder, um mit Dieter Nuhr zu sprechen, einfach mal die Fresse halten.
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