Freitag, 27. Januar 2017

Die Mächtigen der EU: "Zumindest indirekt gewählt"

Junckers bunte Truppe, alle sind irgendwie zumindest indirekt gewählt.

Kurz vor der Entdeckung einer amerikanischen Verschwörung, die den Trumpismus in konkludentem Zusammenspiel mit russischen Bemühungen, Europa zu spalten, in die EU tragen soll, hat die renommierte "Zeit" ihren Redakteur Lenz Jacobsen eine Analyse schreiben lassen, wonach es im Grunde genommen verboten ist, sich wider die Europäische Union zu äußern oder Bestrebungen zu unterstützen, die Europäische Union zu verlassen.


"Die Mächtigen der EU sind, zumindest indirekt, demokratisch gewählt und kontrollierbar", schreibt Jacobsen in einer länglichen Argumentation gegen die Behauptung, die EU sei eine Art Diktatur. Sein Einschub "zumindest indirekt" lässt schon erkennen, dass es dem studierten Volkswirtschaftler und Politikwissenschaftler ein wenig an innerer Überzeugung fehlt: "Zumindest indirekt" war Hitler auch gewählt, sogar Stalin, erst recht Erich Honecker und Wladimir Putin ist es sogar noch.

Wie aber sieht es mit der Liste der "zumindest indirekt" gewählten EU-Kommissare aus? Die stammen aus den 28 Mitgliedstaaten, einschließlich des Präsidenten, der zuletzt tatsächlich indirekt gewählt wurde. Die Vizepräsidenten allerdings werden direkt gewählt - und zwar vom Kommissionspräsidenten, der zuvor vom Europäischen Rat ernannt wird, einem Gremium, in dem die  Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten sitzen, die zuvor zumeist von den nationalen Parlamenten ihrer Länder gewählt wurden.

Die "indirekte Wahl" erreicht hier Stufe 4: Bürger wählen Abgeordnete, Abgeordnete wählen Regierungen, Regierungen entsenden Kommissare und schließlich bestätigen sich alle Regierungen zusammen die eigenen Entsendungen. Man könnte es direkt indirektes indirektes Wählen nennen.

Im Kommissariat


Die Kommissare hingegen, von denen einer aus jedem EU-Land kommt, so dass 83 Millionen deutsche genausoviele Kommisare stellen wie 570.000 Luxemburger, werden von niemandem gewählt, nicht einmal indirekt oder indirekt indirekt. Sie erhalten ihre Posten auf Vorschlag ihrer nationalen Regierungen. Die komplette Liste aller Vorschläge muss anschließend nur noch vom Rat der Europäischen Union und dem künftigen Komissionspräsidenten mehrheitlich abgenickt werden, damit die Kommissare   ihrer fünfjährigen Amtszeit die politische Führung Europas antreten können.

Unter Präsident Jean-Claude Juncker dient zur Zeit der frühere niederländische Außenminister
Frans Timmermans als Erster Vizepräsident. Timmermans ist zugleich nicht nur für Recht, sondern, sondern für "Bessere Rechtsetzung", für "interinstitutionelle Beziehungen, Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechtecharta" zuständig.

Die frühere italienische Außenministerin Federica Mogherini hat nicht ganz so viele Titel, darf sich dafür aber mit dem der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik schmücken. Die frühere Kommunistin konvertierte zuerst zur Sozialdemokratie, später wurde sie dann Demokratin und die linksdemokratische Regierung Renzi schickte sie schließlich nach Brüssel.

Der Este Andrus Ansip war früher mal estnischer Premier, scheiterte dann aber an seiner Sparpolitik. Nach seinem Rückzug nach Europa wurde er von seinem Nachfolger, einem Parteikollegen, als Kommissar für den Digitalen Binnenmarkt vorgeschlagen und wunschgemäß ernannt.

Der Slowake Maroš Šefčovič, zuständig für die "Energieunion" war früher mal Botschafter der Slowakei bei der EU, dann wurde er Mitglied der EU-Kommission Barroso, damals noch mit Spezialgebiet Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.

Tradinedum, der Kommissar geht um

Auch der Lette Valdis Dombrovskis ist ein altes Schlachtroß der Europa-Politik. Einst war er lettischer Ministerpräsident, nach dem Einsturz eines Supermarktes in der Hauptstadt Riga musste er zurücktreten und seine Nachfolgerin, eine Parteikollegin, ebnete ihm den Weg in den europäischen Ruhestand. Aus dem heraus kümmert sich Dombrovskis um den Euro und den sozialen Dialog sowie um Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und die Kapitalmarktunion

Auch der Finne Jyrki Katainen war mal Ministerpräsident, trat zurück und ging nach Brüssel, wo er für "Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit" zuständig ist. Der Deutsche Günther Oettinger, eine Betriebsnudel des Politbetriebes im größten Mitgliedsland, verdarb es sich beim Projekt Stuttgart 21 mit der öffentlichen Meinung. CDU-Mann Oettinger ließ sich von Angela Merkel die Kommissarsnominierung versprechen und trat als Ministerpräsident zurück. In seinem siebten Jahr als Kommissar ist Oettinger nicht mehr wie zuvor für Digitale Gesellschaft und Wirtschaft oder Energie zuständig, sondern für Haushalt und Personal.

Kann alles. Geht alles.Johannes Hahn aus Österreich hat sein Jura-Studium nicht beendet, war aber mal Justizminister. In Brüssel macht er Europäische Nachbarschaftspolitik und  Erweiterungsverhandlungen. Cecilia Malmström wollte als EU-Kommissarin für Innenpolitik mal weitgehende Internetsperren einführen. In ihrer zweitem Amtszeit in ihrer zweiten Kommission ist sie nun für Handel zuständig.

Die Schicksale sind alle ähnlich, die Biografien wie mit der Plätzchenform ausgestochen. Die "indirekt gewählten" Mächtigen der EU heißen Neven Mimica (Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung), Miguel Arias Cañete (Klimapolitik und Energie - nicht zu verwechseln mit Maroš Šefčovič Amtsbereich "Energieunion"!) oder Karmenu Vella (Umwelt, Meerespolitik und Fischerei), sie haben wie Vytenis Andriukaitis und Dimitris Avramopoulos Jahrzehnte Zeit gehabt, Stallgeruch anzunehmen, um sich nun um "Migration, Inneres und Bürgerschaft" oder "Gesundheit und Lebensmittelsicherheit" kümmern zu können.

Ihre Namen sind Legion, ihre Taten bleiben meist ungenannt. Marianne Thyssen Bereich etwa sind "Beschäftigung, Soziales, Qualifikationen und Arbeitskräftemobilität", Pierre Moscovici hat nicht nur "Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten" (nicht verwechseln mit Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit!), sondern auch "Steuern und Zoll" unter sich. Christos Stylianides dagegen plagt sich mit "Humanitäre Hilfe und Krisenmanagement", Violeta Bulc mit "Verkehr" und Elżbieta Bieńkowska mit "Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU" (nicht verwechseln mit "Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung - das macht Neven Mimica!).

Europas Beste sind den 400 Millionen Menschen, für die sie arbeiten, so unbekannt wie Vĕra Jourová(Justiz, Verbraucher und Gleichstellung), Tibor Navracsics (Bildung, Kultur, Jugend und Sport), Corina Creţu (Regionalpolitik), Margrethe Vestager (Wettbewerb - nicht verwechseln mit Wettbewerbsfähigkeit, das macht Jyrki Katainen), Carlos Moedas (Forschung, Wissenschaft und Innovation) und Julian King (Sicherheitsunion). Aber sie sind im Grunde genommen fast indirekt gewählt, oder sie wären es doch beinahe so gut wie, wenn es denn nötig wäre.

Gut, dass das nicht notwendig ist, weil es auch so geht.



2 Kommentare:

Carl Gustaf hat gesagt…

Wie schrieb Hannah Arendt so schön: "Alle politischen Institutionen sind Manifestationen und Materialisationen der Macht; sie erstarren und verfallen, sobald die lebendige Macht des Volkes nicht mehr hinter ihnen steht und sie stützt."

Da Arendt aber mit dem Nazi Heidegger befreundet war, ist diese Aussage leider nichts wert.

Sauer hat gesagt…

Wie viele Kommissare sind es? 28? Ich war zu faul zum Nachzählen, die schiere Zahl von Kommissaren auf dem Foto allein hat schon einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Alle sehen so fesch und proper aus, bereit, die Geschicke Europas in ihre geübten Hände zu nehmen. Daß diese Hände zupacken können, darf man ruhig voraussetzen, wurden sie doch durch Wahlen nach höchsten Standards ausgesucht. Jetzt braucht Quantität nur noch in Qualität umschlagen, dann werden wir hier das Paradies auf Erden bekommen. Und die Engländer werden blöd von ihrer Insel zum Kontinent herüberglotzen.