Mittwoch, 4. November 2015

Politische Quantenmechanik: Staatsversagen ohne Schuldige

Wo es Dissenz gibt, gibt es als Lösung nur den Kompromiss. Wo aber der Kompromiss nur eines von zwei Extremen sein kann, fällt eine Einigung naturgemäß schwer: Wer einlenkt, hat verloren. Eine Mittelposition etwa zwischen tot und lebendig kann es nicht geben, denn so wie Schrödinger Katze entweder tot ist oder noch lebt, kann Deutschland seine Grenzen entweder schließen oder sie geöffnet lassen.

Eine Kalamität, die die Hilflosigkeit der Bundespolitik in der sogenannten Flüchtlingskrise hervorragend erklärt. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen, auch wenn der ungarische Grenzzaun allen Zweifeln aus Deutschland widersprechend so wirksam ist, dass seit seiner Errichtung sämtliche Flüchtlinge über Slowenien nach Norden ziehen. Doch niemand kann einen Zustand dauerhaft dulden, der die Auflösung staatlicher Souveränität mit einem kernigen Muntermach-Satz wie "wir schaffen das" bemäntelt.

Was also tun? Der Flüchtlingsschalter, den es Merkel zufolge kürzlich noch nicht gab, während sie später einräumte, man könne ihn nicht auf einmal drücken, kennt nur die Zustände Ein oder Aus. Alles andere würde verlangen, irgendwo an irgendeiner Grenze zu irgendwem grausam sein zu müssen, wie Markus Somm, Chef der Basler Zeitung, in einem bemerkenswerten Beitrag auf achgut.com erklärt. Wer sage, wir können nicht alle aufnehmen, so Somm, der müsse eigentlich auch sagen, dass eine Grenze eine Grenze sei, weil sie eine Grenze habe.

Doch was stattedessen kommt, aus den Regierungsbauten, die Pläne, Konzepte und Orientierung schaffen müssten, sind Rufe nach mehr Koordination, nach mehr Zusammenarbeit, nach internationalen Absprachen, nach Grenzschutz in der Türkei und weniger Waffenlieferungen der USA. Die EU soll es richten, die Uno, die Nato, Frontex. Ein Abkürzungsgemetzel.

Das keinem anderen Zweck dient als der Verschleierung der Tatsache, dass die im Märchenbuch wunderbar klingende Idee, die deutschen Außengrenzen nur noch von vier schlechtbezahlten mazedonischen Zöllnern und einem serbischen Schaffner bewachen zu lassen, in einem Desaster enden musste.

Für das die Verantwortlichen von Merkel über Juncker und Schulz bis zu Gabriel und anderen Subalternen allerdings keine Verantwortung übernehmen wollen. Sie, die das Problem schufen, indem sie die nationalstaatliche Souveränität über die eigenen Grenzen per Vertrag auf Vertragspartner verschoben, die nie vorhatten, stellvertretend für den deutschen Grenzschutz tätig zu werden, wissen, dass eine Lösung wie die Rückkehr zum eigenstaatlichen Grenzregime ihre Verantwortung für das Staatsversagen bezeugen würde.

Also gibt es statt praktischer Maßnahmen, um zum verfassungsgemäßen Zustand zurückzukehren, allsonntägliche "Krisengipfel", "Gipfeltreffen" und "Koordinationsgespräche". Je mehr gesprochen und je größer der Kreis ist, desto weniger ist klar, wer es zu vertreten hat, dass in Wirklichkeit nichts passiert. Stolz etwa nuschelte der Talkshoweuropäer Elmar Brok vor einer Woche, "binnen 24 Stunden wird überall geholfen, das ist so beschlossen". Nichts geschah. Und Brok war weg. Wohl zum nächsten Spitzentreffen.

"Dass in der Flüchtlingskrise so viele Politiker fast instinktiv nach internationaler Koordination rufen, macht misstrauisch", schreibt auch Markus Somm. Aber klar: "Wenn «koordiniert» wird, heißt das immer, dass sehr viele mitentscheiden – oder auch nicht –, jedenfalls so viele, dass kaum mehr erkennbar ist, wer was entschieden hat. Oder anders gesagt: wer wofür verantwortlich ist."

Niemand für gar nichts. "Es ist der heutigen ­Generation von Politikern meisterhaft gelungen, Verantwortlichkeiten zu verwischen: Deshalb ­entziehen sie sich so gerne den Entscheidungs­prozessen des Nationalstaates, wo sie als Regierende klar zu verorten sind, und flüchten sich in die höheren Sphären des Supranationalen, wo alle und keiner zuständig ist. Wer hat entschieden? Wer ist schuld? Niemand weiß es. Ist es die EU? Die Kommission, der Ministerrat, die UNO oder die OECD oder die G-8? Oder doch das Parlament?"

Kernsätze, die das Wesen der wirklichen Krise hinter dem, was mit den Flüchtlingen gespielt wird, beschreiben.

Der Traum von Europa, wie ihn Merkel, Juncker, Brok und Schulz träumen, ist der der organisierten Verantwortungslosigkeit. "Wenn niemand verantwortlich ist, kann man auch ­niemanden zur Rechenschaft ziehen", heißt es bei Somm. Grenzen bestimmten ein Territorium, sie zeigten aber auch an, wer wo zuständig ist. "Deshalb sind Grenzen bei manchen Politikern wenig beliebt. In der EU machte man aus der Aussicht, keine Grenzen mehr zu kennen, unter dem Stichwort Schengen geradezu eine Raison d’Etre. Umso schwerer fällt es nun, diese Grenzen zu verteidigen, selbst die Schengen-Aussengrenzen, die man ja auf dem Papier nie aufgehoben hatte."




15 Kommentare:

wolpertinger hat gesagt…

Mensch Leute,ihr tut Mutti aber wirklich unrecht.Sie sagte nicht wir schaffen
das,sondern wir lassen das.Wenn jetzt einer behaupten sollte ,ich hätte mich möglicherweise verhört,dann werde ich aber bächtig möse.
Herr Anonym, mein Angebot zur Auffrischung ihrer semantischen Sprachkenntnisse steht.30% Rabatt, bis Ende November ist doch ein faires Angebot,oder?Rabatt siehe Duden oder auch Google.Ich liebe Semantiker,schon bemerkt A....leuchter?

Carl Gustaf hat gesagt…

Die heutige deutsche Zeit-Epoche wird sinnbildlich ja immer wieder mit dem Schlagwort "Generation Golf" umrissen. Und genauso wie beim namens- und maßstabsgebenden Vorbild, sind auch die gesellschaftlichen Zustände mehr ein Konstrukt der Wirklichkeit, als dass es tatsächlich auch funktioniert. Sei es der Korruptionsskandal in den "Nuller-Jahren" oder heuer der Abgas-Skandal, wo im Ruhezustand alles Normal erscheint, das System in der Bewegung aber total versagt und nur durch allerlei Tricks und Kniffe am Laufen gehalten werden kann. Solange nur keiner hinter die Fassade blickt, fällt es auch nicht auf.
Jahrelang ist es VW durch geschickte Werbung und gelungene Gauneeien gelungen, den Leuten glaubhaft zu machen, dass ihnen ein Wunderwerk der Technik zur Verfügung steht. Ein Wunderwerk, das noch dazu, fast einem perpetuum mobile gleich, allein durch Luft, Wasser, Sonne und Liebe angetrieben wird. Die Leute haben es geglaubt, weil sie es glauben wollten. Der Slogan "Vorsprung durch Technik" war prägend für die Vorstellung der Deutschen über sich selbst und für das Bild der Deutschen im Ausland. Auf die "Generation Golf" übertragen, müsste der Slogan wohl "Vorsprung durch Rhetorik" lauten.

Bezeichnend für die Generation ist letztlich auch das Bild einer verzerrten Wirklichkeit. In derser Wirklichkeit hat man eine Rolle nicht mehr inne, sondern man spielt nur noch eine Rolle. Nur so funktioniert die selbst ausgedachte Wirklichkeit, wie sie funktionieren soll und nicht wie sie es tatsächlich tut.

In diesem Sinne: auch Merkel spielt nur eine Rolle, die Rolle der Kaiserin aus dem Märchen, in dem der Kaiser keine Kleider an hat.

Anonym hat gesagt…

Ich wache jeden morgen auf und schäme mich ein Nazi zu sein. Bitte dies zu entschuldigen.

Frolleinwunder hat gesagt…

@Carl Gustav:
sehr treffend formuliert.
Nur wie kommen wir aus dem Analysestadium in die Umsetzung des Notwendigen? Es sollte ja klar sein, in welche Richtung es gehen müsste...

Carl Gustaf hat gesagt…

"Nur wie kommen wir aus dem Analysestadium in die Umsetzung des Notwendigen? Es sollte ja klar sein, in welche Richtung es gehen müsste... "

Ich hoffe ja immer noch sehr stark auf die menschliche Einsicht und setze auf die Wiederkehr liberaler Grundwerte. Jedoch verhält sich mit einem Staatengebilde wie der EU oder auch dem Nationalstaat Deutschland wie mit einem schweren Tanker: einmal richtig in Fahrt gekommen, lässt er sich auf hoher See nicht so ohne weiteres stoppen oder wenden. Deswegen beschleicht mich manchmal auch der Gedanke, einfach über Bord zu gehen, sobald Land in Sicht ist (bevor es die Crew auf der Brücke macht). Andere Länder haben durchaus auch ihre Reize und unsere Möglichkeiten sind im Vergleich zu denen der Flüchtlinge deutlich größer.

Anonym hat gesagt…

Ich darf in diesem Zusammenhang noch an die todsicher friedensstiftende Wirkung der Vielvölkerstaaten wie UdSSR oder Jugoslawien erinnern. Man konnte an den Rändern der Imperien als Politclown eine Katastrophe nach der anderen verursachen und immer auf die entfernte Zentrale als Schuldigen verweisen. Das Funktionärsparadies auf Erden...Es scheint mir nur rational, wenn die Funktionärsikone Merkel völlig unbeleckt von den Errungenschaften der Zivilisation ihre Bestimmung darin sieht den Vielvölkerstaat Europa bei Vernichtung jeder nationalen staatlichen und kulturellen Identität (abgesehen von ein wenig Folklore) zu inszenieren. Für sie ist in Wirklichkeit nicht die Apanage für das Schwellenland Griechenland alternativlos sondern der Vielvölkerstaat aus dem es kein Entrinnen und in dem es keine Verantwortung gibt. Übrigens fällt einem bei der Gelegenheit auf, das die zeitgenössischen Faschisten (vulgo Bäumeumarmer)nach 21 Uhr gerne die "Weltregierung" als Endziel der Menschheit phantasieren. Der totale Vielvölkerstaat sozusagen. Ein feuchter Traum von Goebbels, Fahimi, Käßmann, Trittin usw. Ach ja und Nils Minkmar. Der Juso in Reihen der FAZ (Feuilleton)schlug 2012 vor in Brüssel nur noch vier Sprachen als EU-Amtssprache zuzulassen. Der Rest sind dann regionale Idiotendialeklte. Das nenne ich modernes Kulturverständnis.

wolpertinger hat gesagt…

@carl Gustav
Sehr guter Kommentar.Als Haar in der Suppe wäre Ihre eventuelle Affinität zum Liberalismus zu betrachten.Trotzdem: sehr schlüssig und plausibel formuliert.
@Anonym
Ihr tägliches Aufwachen ist hiermit entschuldigt,Kraft meines Amtes erteile ich
hiermit Absolution.

Anonym hat gesagt…

"Versagen"? Ich kann es nicht mehr lesen oder hören. Die ziehen ihr Ding durch, die "versagen" nicht.
Und der VW-Skandal ist keiner. Mit Umschmutzverwelkung kenne ich mich für den Hausgebrauch aus, habe meine gelahrte Abhandlung am Hygieneinstitut verzapft: Es ist schlicht Schmutzkonkurrenz 2.0. - Meine Spießgesellen, die Giftmischer en gros, mußten solches auch schon erfahren(Lipobay-Skandal, war auch keiner), und erfahren es weiterhin. --- Nebenbei ist es noch der Morgenthau-Plan von hinten durch die kalte Küche.
-- Halbgott in Weiß --

Carl Gustaf hat gesagt…

"Und der VW-Skandal ist keiner."

Doch, das ist er schon. Aber nicht in der Form, wie man ihn vermutet. Vielmehr besteht er darin, dass man den Leute quasi-religiös verklickert hat, ein deutsches Auto braucht nur noch Luft, Wasser und Licht zum fahren. Genausogut könnte sich Robert Geiss hinstellen und der Carmen erklären, dass je mehr Auto sie fährt, umso mehr die Umwelt geschont wird, solange das Auto ein VW (gewesen) ist.

Anonym hat gesagt…

Liebe Leute (sacht man so?),

als im Märzen der Bauer die Felder bestellte, schrieb ich meinen persönlichen Abgeordneten von der SPD an. Der macht was mit Klima, Umwelt und Menschenrechte. Besucht als ehemaliger ungelernter Fremdenführer die Welt und hat seine Negerin mit ein paar Kindern gefunden. Ich bewunderte ihn für sein Engagement in aller Welt, lobte dass er noch im Wahlkreis beschlagnahmte Turnhallen besuchen konnte.

Im März des Märchensommers 2015

Drei Tage später kam die Antwort. Was er tun kann, müssen wir alle, Menschlichkeit.
Dann ließ ich mir bis Mitte Juni Zeit, um den Fachmann auf die Tatsachen und gesetzlichen Gegebenheiten aufmerksam zu machen. Ohne Antwort bis heute. Habe ich auch nicht mit gerechnet.

Weder er, noch der damalige und jetzige Bürgermeister scheinen auf meinen Link „Heerlager der Heiligen“ lesend reagiert zu haben.

Das war mir dann doch zu ignorant und ich bestellte beim Seehofer Schutzsuchende. Es dauerte keine 10 Tage. Aus den angeblich 450 wurden in der Berichterstattung schnell 1000 schon hier seiende in der Veröffentlichung. Nun werden warme Zelte für die nächsten 1000 gebaut. Noch im November.

Mir reicht das nicht. Ich werde noch einmal den Seehofer kontaktieren. 5000 weitere gehen bestimmt noch. Ein Bahnhof ist ja vorhanden.

Ich habe da was in der Erinnerung. Macht kaputt was euch kaputt macht. Wenn ich nur wüsste von wem das war, und bestelle 10.000.

Beste Grüße vom Preußen

Reichsflüchtlingsverteiler, Ortsgruppe Ruhrgebiet und angeschlossene Gaue

Anonym hat gesagt…

re Reichsflüchtlingsverteiler :

bitte Herrn Orban anrufen ; Sonderverwaltungsmaßnahme III erörtern ; die Geflüchteten bitte umgehend in geeignete Unterbringungszentralen (UZ) überführen .

UZ -Leiter Karl - Heinz Streckmann hat geeignete Beschäftigungsmaßnahmen für die Geflüchteten geplant ; bitte auch die Firma Zopf und Dröhne / Erfurt benachrichtigen -

-geheim- nur für den Dienstgebrauch

Anonym hat gesagt…

Dann mach mal. Bin noch diesen Monat im Raum Dresden/Grenze. Falls deine Mappe nach Füllung schreit. Vielleicht trinken wir auch ein Bier oder so.

Anonym hat gesagt…

Hier braut sich eine solche schlimme Nazi-Suppe zusammen, dass das ppq-Herz stocken muss. Da hilft kein Herzkatheter und kein Bypass mehr.

Man k a n n sich in diesem Land (oder sollen wir besser formulieren: "in dieser "grenzenlosen" Gegend) noch äußern, aber auf eigene Gefahr - und das ist gut so.

Und nachdem wir uns so schön versammelt haben:

"Wir vermasseln das."

Viele Grüße, Mutti!

wolpertinger hat gesagt…

Mensch Mutti,lass uns doch bööttte,böötte nicht im Stich.
Wolpertinger
Gauleiter aus sag ich nöööcht wohööör.Austria liegt gar nicht so weit weg,för die Rätselfreunde unter uns.Es löööbe der Verfassungssschmutz,gell ihr Pullacher Arschgeigen?
Bin kein Zigarettenautomat,Herr Gurgel,bitte speichern.

wolpertinger hat gesagt…

@ Anonym
„macht kaputt“ war von Ton,Steine,Scherben,sprich Rio Reiser.War nicht blöd der Mann,hat den linken Zeitgeist musikalisch bedient und ordentlich Kohle damit gemacht.Die rothsche grelle Christbaumkugel,heute Buntentag Vizeschmarotzerin war bei der Band mal als Groupie und Matraze tätig.Sie nannte das später „Managerin“,kicher,kicher.