Seinem Wiedergänger gelang es unter dem Applaus der Einwohner seiner Stadt, einen gut etablierten Jugendklub zu schließen - da war August Hermann Francke, zu dessen Wirkungsgeschichte das Vertreiben und Verjagen aller, die anders lebten, dachten und glaubten stets gehörte, schon 230 Jahre tot und so gut wie vergessen. Doch dann gelang der Pietistenprediger, der 1698 am Rande der Stadt Halle ein Waisenhaus gegründet hatte, ein sensationelles Comeback: Aus dem verknöcherten Strenggläubigen, der zu Lebzeiten den Aufklärer Christian Wolff so lange als angeblichen Atheisten gemobbt hatte, bis er die Saalestadt verlassen musste, wurde ein Samariter, Wundertäter und Kinderfreund, dem zum 250. Todestag Kränze gewunden und Hymnen gesungen werden.
Francke gilt der ehemaligen Wirtschaftsmetropole als Standortfaktor, seine „Franckeschen Stiftungen zu Halle“ sollen über kurz oder lang einen Unesco-Welterbetitel an das Hallorenhemd der von Abwanderung und überbordenden Schulden geplagten Stadt heften helfen. Francke, außerhalb der HFC-Fankurve (Foto oben) nahezu unbekannt, erfährt deshalb seit Jahren eine "Verherrlichung" (Knut Germar), "die sich die historische Wahrheit auf eine Weise zurechtbiegt, dass dieser als Wegbereiter eines sozialen und weltoffenen Halles gelten kann". Francke steht in der Wahrnehmung der Gegenwart für fortschrittliche Erziehung, Engagement für die Armen und Schwachen und „Einsatz für die arme und Not leidende Bevölkerung“. Seine Sorge habe "vor allem den verwaisten und verwahrlosten Kindern“ gegolten, sein pietistischer Glaube habe „gegen versteinerte kirchliche Riten, gegen barocke Scheingelehrsamkeit“ sowie „gegen die in Dogmen erstarrte lutherische Orthodoxie“ Front gemacht und „umfassende Gesellschaftsreformen mit sozialer Tatkraft und moderner Pädagogik“ gefordert.
Ein Bild, dem der Historiker Germar schon vor Jahren widersprochen hat. "Der Pfarrer war jedoch weder Kinderfreund, noch war die Geistesrichtung, zu deren Anführer er avancierte, eine fortschrittliche", urteilt er. Zentral am Pietismus, dem Francke anhing, sei eine "radikale Weltfeindlichkeit" gewesen, "die überall Sünde, Verderbnis und den Teufel am Werk sah". Francke scheint aus heutiger Sicht nicht wie ein Reformer, sondern wie ein christlicher Taliban: materieller Gewinn, Mode, Theater, Spielen, Tanzen und Trinken, all das ist ihm verpönt. "In diesen Dingen sah der Tugendwächter Francke das gefährlichste Hindernis eines gottgefälligen Lebens, weshalb er sie Zeit seines Lebens mit fanatischem Eifer bekämpfte", schreibt Germar.
Franckes „soziales Engagement“ sei "alles andere als ein wohltätiges und menschliches" gewesen. Die Erziehungs- und Arbeitsanstalt, die er gründete, diente vor allem der Vermeidung jeglichen Müßiggangs und einer damit verbundenen Hinwendung zu weltlichen Freuden, die der verführende und lockende Teufel überall bereithielt. Die Insassen durften die Anstalt kaum – und wenn, dann nur unter strengster Bewachung – verlassen, die Schüler waren zugleich Gefangene. Auch der Historiker Carl Hinrichs betont, dass das Hauptziel der franckeschen Erziehung im Herbeiführen eines religiösen Erweckungserlebnisses bestand: „Franckes Pädagogik erstrebt […] eine Wiederholung des eigenen Heilserlebnisses durch geistige Disziplin und weltfeindlichen Drill.“
Ein Kandidat für den Titel bei Deutschland sucht den Menschenschinder: Zum Drill gehörten nicht nur Zwangsarbeit und die Abschottung der Anstaltsinsassen von der Außenwelt, sondern ein strenges nach Innen gerichtetes Regime, das selbst noch die Gedanken der Zöglinge beherrschen wollte. "Neben unzähligen Bibelstunden, Andachten und Predigten sowie der permanenten Überwachung durch die mit den Schülern zusammenlebenden Aufseher und Lehrer forderte Francke von den Kindern täglich schriftliche Rechenschaft über den Zustand ihres Glaubens in Form von Tagebucheinträgen und Briefen", schreibt Knut Germar. Wer nicht spurte, wurde körperlich gezüchtigt, bald war die Stiftung als Prügelanstalt verschrieen. Francke selbst beklagte das, weil es den Ruf der Anstalt zu schädigen schien: „Es ist auch wohl geschehen, dass wenn Kinder mit dem Stocke geschlagen sind, 12, 15 Schläge nacheinander, nicht einmal geschlagen, sondern wieder über die Kinder hergefahren, dadurch denn ein solch jämmerlich Geschrei unter denen Kindern entstanden ist, dass Leute sind auf der Straßen gegangen, stille gegangen, haben das mit angehört, und sind denn in solche Worte ausgebrochen, es müssen ja rechte Schinder-Knechte in der Schule sein.“
Nachhaltig aber war der Imageschaden nicht. Obwohl Francke als Erziehungsziel ausgab "die Herrschaft des eigenen Willens" niederzulegen und so gefügige Untertanen heranzuziehen, die Gehorsam und Fleiß auszeichnet, ist der "Schinder von Glaucha" heute hochangesehen. Zur Festveranstaltung zu seinen Ehren kommen heute auch Bundespräsident Joachim Gauck und Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), kein Wort wird in Europas größtem erhaltenen Fachwerkhaus über Franckes Vorarbeit für die Schaffung einer deutschen Volksgemeinschaft, wie sie die die NSDAP nach Germars Ansicht bei dem Glauchaer Pfarrer entlieh. Und nicht erwähnt werden wird auch, wie Francke den lebensnahen Aufklärer Christian Wolff („Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen zu Beförderung der Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts“) mobbte, dass der Konkurrent die Stadt schließlich verlassen musste.
Francke blieb, seine Stiftungen avancierten zur Vorzeigeanstalt und wurden nach dem fortschreitenden Verfall zu DDR-Zeiten nach dem Mauerfall mit Millionenaufwand saniert. Frisch geschminkt steht es nun zum Jubiläum da, das "Schandmal schwarzer Pädagogik", wie es Germar nennt.
Francke gilt der ehemaligen Wirtschaftsmetropole als Standortfaktor, seine „Franckeschen Stiftungen zu Halle“ sollen über kurz oder lang einen Unesco-Welterbetitel an das Hallorenhemd der von Abwanderung und überbordenden Schulden geplagten Stadt heften helfen. Francke, außerhalb der HFC-Fankurve (Foto oben) nahezu unbekannt, erfährt deshalb seit Jahren eine "Verherrlichung" (Knut Germar), "die sich die historische Wahrheit auf eine Weise zurechtbiegt, dass dieser als Wegbereiter eines sozialen und weltoffenen Halles gelten kann". Francke steht in der Wahrnehmung der Gegenwart für fortschrittliche Erziehung, Engagement für die Armen und Schwachen und „Einsatz für die arme und Not leidende Bevölkerung“. Seine Sorge habe "vor allem den verwaisten und verwahrlosten Kindern“ gegolten, sein pietistischer Glaube habe „gegen versteinerte kirchliche Riten, gegen barocke Scheingelehrsamkeit“ sowie „gegen die in Dogmen erstarrte lutherische Orthodoxie“ Front gemacht und „umfassende Gesellschaftsreformen mit sozialer Tatkraft und moderner Pädagogik“ gefordert.
Ein Bild, dem der Historiker Germar schon vor Jahren widersprochen hat. "Der Pfarrer war jedoch weder Kinderfreund, noch war die Geistesrichtung, zu deren Anführer er avancierte, eine fortschrittliche", urteilt er. Zentral am Pietismus, dem Francke anhing, sei eine "radikale Weltfeindlichkeit" gewesen, "die überall Sünde, Verderbnis und den Teufel am Werk sah". Francke scheint aus heutiger Sicht nicht wie ein Reformer, sondern wie ein christlicher Taliban: materieller Gewinn, Mode, Theater, Spielen, Tanzen und Trinken, all das ist ihm verpönt. "In diesen Dingen sah der Tugendwächter Francke das gefährlichste Hindernis eines gottgefälligen Lebens, weshalb er sie Zeit seines Lebens mit fanatischem Eifer bekämpfte", schreibt Germar.
Franckes „soziales Engagement“ sei "alles andere als ein wohltätiges und menschliches" gewesen. Die Erziehungs- und Arbeitsanstalt, die er gründete, diente vor allem der Vermeidung jeglichen Müßiggangs und einer damit verbundenen Hinwendung zu weltlichen Freuden, die der verführende und lockende Teufel überall bereithielt. Die Insassen durften die Anstalt kaum – und wenn, dann nur unter strengster Bewachung – verlassen, die Schüler waren zugleich Gefangene. Auch der Historiker Carl Hinrichs betont, dass das Hauptziel der franckeschen Erziehung im Herbeiführen eines religiösen Erweckungserlebnisses bestand: „Franckes Pädagogik erstrebt […] eine Wiederholung des eigenen Heilserlebnisses durch geistige Disziplin und weltfeindlichen Drill.“
Ein Kandidat für den Titel bei Deutschland sucht den Menschenschinder: Zum Drill gehörten nicht nur Zwangsarbeit und die Abschottung der Anstaltsinsassen von der Außenwelt, sondern ein strenges nach Innen gerichtetes Regime, das selbst noch die Gedanken der Zöglinge beherrschen wollte. "Neben unzähligen Bibelstunden, Andachten und Predigten sowie der permanenten Überwachung durch die mit den Schülern zusammenlebenden Aufseher und Lehrer forderte Francke von den Kindern täglich schriftliche Rechenschaft über den Zustand ihres Glaubens in Form von Tagebucheinträgen und Briefen", schreibt Knut Germar. Wer nicht spurte, wurde körperlich gezüchtigt, bald war die Stiftung als Prügelanstalt verschrieen. Francke selbst beklagte das, weil es den Ruf der Anstalt zu schädigen schien: „Es ist auch wohl geschehen, dass wenn Kinder mit dem Stocke geschlagen sind, 12, 15 Schläge nacheinander, nicht einmal geschlagen, sondern wieder über die Kinder hergefahren, dadurch denn ein solch jämmerlich Geschrei unter denen Kindern entstanden ist, dass Leute sind auf der Straßen gegangen, stille gegangen, haben das mit angehört, und sind denn in solche Worte ausgebrochen, es müssen ja rechte Schinder-Knechte in der Schule sein.“
Nachhaltig aber war der Imageschaden nicht. Obwohl Francke als Erziehungsziel ausgab "die Herrschaft des eigenen Willens" niederzulegen und so gefügige Untertanen heranzuziehen, die Gehorsam und Fleiß auszeichnet, ist der "Schinder von Glaucha" heute hochangesehen. Zur Festveranstaltung zu seinen Ehren kommen heute auch Bundespräsident Joachim Gauck und Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), kein Wort wird in Europas größtem erhaltenen Fachwerkhaus über Franckes Vorarbeit für die Schaffung einer deutschen Volksgemeinschaft, wie sie die die NSDAP nach Germars Ansicht bei dem Glauchaer Pfarrer entlieh. Und nicht erwähnt werden wird auch, wie Francke den lebensnahen Aufklärer Christian Wolff („Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen zu Beförderung der Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts“) mobbte, dass der Konkurrent die Stadt schließlich verlassen musste.
Francke blieb, seine Stiftungen avancierten zur Vorzeigeanstalt und wurden nach dem fortschreitenden Verfall zu DDR-Zeiten nach dem Mauerfall mit Millionenaufwand saniert. Frisch geschminkt steht es nun zum Jubiläum da, das "Schandmal schwarzer Pädagogik", wie es Germar nennt.
2 Kommentare:
"radikale Weltfeindlichkeit" gewesen, "die überall Sünde, Verderbnis und den Teufel am Werk sah"
Ja. Und was stimmt daran nicht? So ist doch das richtige Leben auch, nicht nur das weltfremde.
Es waren andere Zeiten.
Damals waren die Franckeschen Anstalten bestimmt nicht schlimmer als anderes.
Immerhin hat Francke auch armen Kindern Aufstiegschancen geboten. Kaderschmiede, deren „Absolventen“ durchaus zu Preußens Aufstieg beigetragen haben.
Man sollte auch fragen, was aus vielen den Kindern geworden wäre, wenn Francke sie nicht aufgenommen hätte. Drill und Bigotterie war für viele das kleinere Übel.
Das ändert natürlich nichts an der wie gewohnt verlogenen offiziellen Geschichtsrezeption.
Frauen durften zur Francke-Zeit nicht Auto fahren. Furchtbare Menschenrechtsverletzung, die nur nur geheilt werden kann durch Diskriminierung.
Jedoch laufen Prügelpädagogik und gefängnisartiges Regime unter „fortschrittliche Erziehung“.
Double standards at it´s best.
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