Montag, 11. Februar 2013

NSU: Liebes Terrortagebuch

Es lag verborgen unter dem Brandschutt im Hauptquartier der Terrortruppe NSU, halb verbrannt, aber gut erhalten. Das Tagebuch eines jungen Mädchens, einer jungen Frau, 1933 Seiten voller Träume, voller Angst, voller Einsamkeit, aber auch voller Gewaltpläne, voller sexueller Fantasien und freimütigen Geständisse zu Affären, Anschlägen und der alltäglichen Hausarbeiten.

Beate Zschäpe, die letzte Überlebende der inzwischen von einem Münchner Gericht aufgelösen NSU, hat über viele Jahre im Untergrund Tagebuch geführt, meist offenbar dann, wenn ihre beiden Terrorkollegen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos unterwegs waren, um "Döner-Morde" (Der Spiegel) zu begehen. Ermittler fanden die in blaues Plastik gebundenen Aufzeichnungen nach dem Abriß des Hauses in der Zwickauer Frühlingsstraße, sorgfältig unter einem Berg benutzter Zellstofftaschentücher versteckt. Beate Zschäpe, bisher als "Terrorbraut" bekannt, präsentiert sich hier als terrormüde, einem gelegentlichen sexuellen Abenteuer nicht abgeneigte Katzenliebhaberin. Ihre Ansichten geben einen tiefen Einblick in das Innenleben des Rechtsterror, sie zeigen erschütternde Details und erinnern daran, dass der Schoß fruchtbar noch ist. PPQ dokumentiert Auszüge aus dem Terrortagebuch, das der Redaktion vorliegt.


4.4. Jetzt habe ich soviel Abstand, dass ich zumindest wieder schreiben kann und will mal versuchen, zu notieren, was mir in den letzten Wochen passiert ist. Da war zuerst diese Unruhe im Haus. Uwe und Uwe waren nicht mehr zufrieden damit, wie wir lebten, was wir taten, wohin unser Weg führte. Ich sagte, Jungs, lasst uns Urlaub machen wie früher. Aber statt Begeisterung erntete ich Skepsis.

6.8. Natürlich, niemand suchte mehr nach uns, selbst der Haftbefehl gegen meinen großen Uwe ist ja längst aufgehoben. Aber die Untätigkeit hier im Untergrund, die machte uns allen zu schaffen. ich hatte ja wenigstens noch die Hausarbeit und meine große Aufgabe, eine bürgerliche Fassade aufrecht zu erhalten. Aber mein beiden Männer? Außer Waffenputzen und der Arbeit an unserem Bekennervideo, das seit fünf Jahren nicht fertig wird, bleibt ihnen doch kaum etwas.

9.9. Wir haben keine Freunde, wir pflegen kaum noch Kontakt zu den alten Kumpels. Unsere Familien haben wir seit Jahren nicht gesehen.

Neulich Abend, als wir uns einen ARD-Film aus dem Werbemilieu anschauten, sagte der kleine Uwe auf einmal: Der nationale Aufstand ist eigentlich so ein einsames Geschäft. Ich wusste sofort, was er meint.

1.1. Ich habe oft das Gefühl, ein Loch in mir zu haben. Während mein Wohlfühlpunkt, mein innerer Kern, irgendwo im Bereich des Solar Plexus liegt, liegt darunter ein Loch, vor allem dann, wenn die beiden Jungs unterwegs sind. Dunkel und schwer, irgendwo im Bereich des Magens. In diesem Loch ist nichts, es ist nur einfach bodenlose Schwärze und Leere. Zwischen dem Loch und dem Kern tobt ein permanenter Kampf. Je größer und stärker der Kern ist, desto besser kann er das Loch niederhalten.

Ich mache dann Übungen, in denen es darum geht, zu spüren, was in dem Loch ist. Habe im Internet ein Buch dazu bestellt. Ich bin erst überhaupt nicht an das Loch rangekommen. Ich habe vielmehr wahnsinnig gegen das Loch gedrückt und gepresst. Dann habe ich im Unterleib und Darm endlich krampfartige Schmerzen gespürt. Und dann fehlt mir ein Stück.

Als ich wach wurde, war ich ganz locker. Ich machte die Wäsche, putzte ein bisschen und habe dann bei chefkoch.de nach neuen Rezepten gesucht. Ich koche gern, wenn die beiden da sind. wenn ich alleine bin, vergesse ich das Essen manchmal ganz.

20.4. Sie fehlen mir sehr. Ich wünschte, sie wären immer bei mir. Auch wenn wir am Telefon reden, ist es nicht dasselbe. Ich höre zwar ihre lieben Stimmen und in diesem Moment geht es mir auch gut, aber ich sehe sie nicht (was auch besser ist - wäre schmerzhafter). Ich kann sie nicht berühren, mit ihnen planen, blödeln, kuscheln... ach, ich wünschte, der Tag wäre da und wir wäre endlich wieder zusammen.

13.6. Heute ist Samstagabend. Ich sitze zu Hause. Die beiden Uwes sind weg. Ich hab mir grade den Flachfilm 'Girls Club' angesehn um mich von dummen Gedanken abzuhalten.. doch sie kommen wieder. Mir gehts nicht nur physisch nicht sonderlich (ziemliche Halsschmerzen, Ohrenschmerzen usw.), sondern psychisch ziemlich beschissen.


2.1. Heute ist ja mein Geburtstag und ich dachte, wir leisten uns mal eine kleine Feier in der Kneipe unten, bei dem netten Griechen. Aber der kleine Uwe hat das vom Tisch gewischt. Als Begründung sagte er 'ich esse nicht gern griechisch.“


Und da stand ich dann. Ich kann natürlich nicht sagen, dass ich von Anfang an wusste, dass es mit uns nicht gut gehen würde, aber mir bleibt nicht mal eine Chance es zu versuchen. Uwe will mich nun mal nicht. Und damit muss ich leben. Und es tut höllisch weh.

Genau wie die Tatsache, dass ich mich furchtbar einsam fühle. Die beiden sind zu oft unterwegs, ich sitze hier mit den Katzen. Die nationale Bewegung kennt keine Gleichberechtigung. Klar sind da Leute die mich ganz gern haben, gute Bekannte halt, die ich teilweise sogar schon fast als Freunde bezeichnen würde, aber auch die sind nicht immer für mich, da wenn ich sie brauche. Vor allem wissen die meisten nicht, wer ich wirklich bin. Und ich darf es nicht sagen!

27.5. Sie kennen nur die eine Seite von mir - das 'normale' Mädchen, dass immer für einen Spaß und Party zu haben ist. Meine andere Seite, die des depressiven, selbstzerstörerischen, einsamen Mädchens, das mit zwei Terroristen zusammenlebt, weil es selbst eine Terroristin ist, kennt niemand. Weil ich niemanden kenne, dem ich die komplette Wahrheit über mich anvertrauen könnte, ohne ihm dabei nie wieder in die Augen sehen zu können.

13.8. Bin ich stolz auf unsere Sache? Heute nicht. Sie fesselt mich an meine Entscheidung, unterzutauchen. Meine Bekannten sind heute alle weg, der eine Kreis bei einem Mädel, mit dem ich nix zu tun haben will, weil sie mich von früher kennt, und der andere Kreis mit Uwe bei einem, den ich zwar kenne, aber niemand hat mich gefragt, ob ich Lust hätte mitzukommen.. und selbst wenn, ich komme mir oft genug total überflüssig vor.

Dazu hatte ich heut noch Stress mit einem guten Freund vom anderen Uwe. Ich hab ihn im ICQ angeschrieben und er meinte, ich solle bitte aufhören ihm zu schreiben weil wir keine Freunde sein könnten. Er weiß was und hat Angst, denke ich.

Na gut, ich hätts mir denken können. Wobei ich noch immer ein schlechtes Gewissen habe.. ich tue soviel aus Berechnung. Von daher habe ich soviel Schlechtes, das mir widerfährt, wohl auch verdient. Die Waschmaschine kaputt, der Schlüssel zur Waffenkammer abgebrochen. Ich habe eine von Uwe geschmiert gekriegt. Er ist manchmal unausstehlich.

28.10. Wenn ich ehrlich zu mir bin, hab ich mich anfangs nur mit ihm angefreundet, um besser an den anderen Uwe ranzukommen und um mehr Leute zu haben, mehr Spaß. Spaß war damals, wo die nationale Bewegung war. Daraus ist dann aber mehr geworden.
Doch etwas Berechnung muss ich mir noch eingestehen. Ich kanns nicht ändern und ich schäme mich dafür.

Dabei könnte ich ja eigentlich mit dem Scheiß aufhören. Aber ich kann nicht. Ich hab wirklich eine zu große Begabung, Leute zu verletzen und mich selbst verletzen zu lassen. Ich bin eindeutig ein schlechter Mensch. Aber wer sagt uns eigentlich, was richtig ist und was falsch? ich habe nie Jura studiert, ich selbst scheine es nicht zu können, denn ich scheine das Falsche magisch anzuziehen.

11.11. Ich grüble oft, wieso manche Menschen eigentlich nur Glück habe? Ich kenne ja so eine seit 12 Jahren und sie hat noch nie etwas Unschönes erleben müssen wie ich. Flucht, Vertreibung, falscher Name. Ich stecke mir eine Zigarette an, mir wird davon schwindlig werden. Ich mache eine Tüte Chips auf und fresse, bis mir übel wird. Vielleicht nehme ich nachher die Klinge nehme und schneide mich. Gestern hab ich mich ausversehen zweimal in den Finger geschnitten, hat geblutet wie Sau.

Vor etwa 2 Stunden war ich wieder am Heulen. Ich will raus hier, aber es geht nicht.. vor mir liegt nur eine unglaubliche Leere die sich auch weiterhin halten wird. ich bin am dahinsiechen, ich weiß nicht, wer ich bin und wer ich war. Ein Fremder vor mir selbst und neu für mich und alt, wenn ich im Spiegel sehe.

Ich glaubte, dass ich überall zu Hause sei und war schon heimatlos, bevor ich schon ganz dort war. Uwe sagt, ich bin durchaus sehr zart, ich fürchte mich trotzdem eigentlich vor nichts und dabei fürchte ich oft alles. Ich will nicht einsam sein und sehne mich nach Einsamkeit, sobald ich nicht alleine bin.


6.12. Ich will ja lernen, lernen und ich hasse meinen Schlaf, weil er die Zeit stiehlt. Bin ich wach, bin ich voll Traurigkeit. Ich will leben und ich will sterben und ich tue beides oft. Ich war so gierig auf ein Glück und sieh! Ich hasse das Gefühl des Glücks. Ich liebe meine Sonne und ich hasse sie, weil ich begreife, dass ich ihr nicht entkommen kann. Ich liebe Huren, Diebe und vielleicht auch Mörder, weil ich ihr Schicksal liebe, wenn sie eines haben. Und auch die Verrückten, wie sie die Menschen nennen; sie sind wie Blinde, die schon lange sehen. Auch ... alle Huren stehen über uns, weil sie soviel zu leiden haben.

Ich suche mich, wie mich alle suchen, und wenn ich mich gefunden habe, dann bin ich mein größter Feind. Mir brennt die eigne Haut wie Feuer und mein Blut ist wie ein unberechenbares Tier. Ich flieh vor mir und meinem Leben und ich hasse mich, der mich vernichten will. Es ist schwer, Tag für Tag halb herum zu laufen. Sind die beiden unterwegs, fehlt die Hälfte von mir. Ohne sie bin ich nicht ganz.

4.2. Schmerzhaft ist es jeden Tag aufs neue, nach dem Einkaufen in die leere Wohnung zu kommen. Sie sind nicht da und wenn sie da sind, sind sie in Gedanken wo ganz anders. Sie sie wo ganz anders, kann ich sie nicht mal kurz anrufen, zB was macht ihr gerade... gar nichts... wir reden immer erst am Abend miteinander, wenn sie zurück sind, und sie erzählen mir manchmal nicht alles.

Muss mir gerade mal wieder das Weinen verkneifen, denn damit mache ich es auch nicht besser.


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1 Kommentar:

Kurt hat gesagt…

Ja, Lochgeruch macht einsam!