Mehr Europa, ruft es von rechts, mehr Europa ruft es aus der Mitte, mehr Europa aber ruft es vor allem von links. Sigmar Gabriel, Peer Steinbrück und Walter Steinmeier möchten nach Brüssel abgeben, was immer an Aufgaben in Deutschland nicht europagerecht erledigt werden kann. Schließlich sitzen in Europa heute schon mehr als 2500 Beamte, die mehr verdienen als Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und die deshalb auch ungleich mehr Kompetenz haben, das Leben der Europäer in deren Sinn zu regeln.
"Mehr Europa" ist das Mantra, das die deutsche EU-Einheitspartei seit Ausbruch der großen Krise im Chor singt, ohne je genau zu sagen, was damit gemeint ist. Die Christdemokraten entdecken hier die "Alternativlosigkeit", die Liberalen ihre Verantwortung jenseits des eigenen Klientels - die Sozialdemokratie aber kehrt zu den Wurzeln des Internationalismus zurück, aus dem sie einst sproß. Nicht das deutsche Volk, nein die Völker aus der "Internationale" sollen die historische Mission vollenden, "reinen Tisch mit dem Bedränger" zu machen, der natürlich ein Kapitalist ist.
Nun allerdings widerspricht mit Klaus von Dohnanyi ausgerechnet ein Sozialdemokrat. zwar einer vom rechten Flügel, der spätestens seit der kollektiven Hatz auf Thilo Sarrazin unter dem Verdacht der Kollaboration mit sozialdemokratiefeindlichem Gedankengut steht. Doch dafür ist das, was der 84-Jährige ehemalige Hamburger Bürgermeister zu sagen hat, so vernünftig, dass die SPD wohl nicht um ein Parteiausschlußverfahren herumkäme. Wären nicht Partei und überparteiliche Presse stillschweigend übereingekommen, die Ausführungen des ehemaligen Leipzigers mit einem dröhnenden Schweigen zu übergehen.
Warum, wird jedem klar, der sich von Dohnanyi Thesen anschaut. Denn seine Bilanz der letzten EU-Jahre und der Euro-Zeit fällt verheerend aus. Europa sei Wettbewerbsfähigkeit verloren gegangen, wo es welche hatte gewinnen sollen; "Staatsverschuldungen stiegen dramatisch; das Vertrauen in das Projekt Europa schwindet zusehends". Und doch: "Wir führen keine ehrliche Debatte über die Gründe".
Statt nach eigener Verantwortung zu suchen, werde von Staatenlenkern und Medien bis heute alles auf die Folgen der in den USA entstandenen großen Wirtschafts- und Finanzkrise geschoben und Banken und Finanzwirtschaft für den miserablen Zustand Europas verantwortlich gemacht. Dabei sei es nachweislich falsch, die hohen Staatsschulden in der Euro-Zone in erster Linie auf die Finanzkrise zurückzuführen.
von Dohnanyi führt Zahlen zum Verhältnis Schuldenquote/Bruttoinlandsprodukt an: Deutschland hatte 1980 eine Quote von 30 Prozent Staatsschulden am BIP, 2005, also vor der Krise, schon 69 Prozent; mehr, als "Maastricht" erlaubt. Griechenland 1980 etwa 22,5 Prozent, 2005 dann 101; Frankreich 1980 nur 20,7 Prozent, 2005 aber dann 61; Italien 1980 rund 57 Prozent, dann 2005 schon 105.
Die Finanzkrise habe die Probleme zwar verschärft, aber nirgendwo verursacht. "Auch ohne sie wäre der staatliche Schuldenstand in Europa wahrscheinlich von Konjunkturzyklus zu Konjunkturzyklus weiter angestiegen, und auch die Immobilienblasen in Spanien und Irland wären irgendwann geplatzt."
Der Altpolitiker sieht die Ursache für die tiefe Krise, die Europa statt steigendem Wohlstand steigende Arbeitslosigkeit und statt einer vertieften Integration Tendenzen der Rückbesinnung auf nationale Werte beschert hat, in der "Unfähigkeit der Politik, sich den Folgen der Globalisierung zu stellen". Und das heißt: Die Wurzeln der Krise waren nicht Banken, sondern ein Euro, der eine leichtfertige Vernachlässigung der historischen und mentalen nationalen Unterschiede im Prozess der europäischen Integration mit sich brachte.
Denn es sei diese Missachtung der großen Unterschiede gewesen, die dazu führte, dass einige Mitgliedsstaaten nach der Euro-Einführung nicht die politische Kraft hatten, durch Reformen mit den Anforderungen der Globalisierung Schritt zu halten. "Stattdessen erlagen sie der süßen Verlockung niedriger Zinsen im Euro-Raum, verloren Wettbewerbsfähigkeit und häuften Schulden über Schulden." Die Quittung erhalten sie jetzt: Denn der durch die höheren Verschuldung verstärkte Reformdruck dränge heute die südlichen Mitgliedsstaaten zu den dort so heftig umstrittenen Reformen. "Es ist eben kein "deutsches Diktat", wenn Europa sparen und seine Gesellschaften flexibler organisieren muss, sondern es sind globaler Wettbewerb und Globalisierungserfahrungen."
Die EU sei nie ein kulturelles Projekt gewesen, das durch viele Gemeinsamkeiten verbunden ist, sondern ein politisches, das erheblich Unterschiede in Geschichte, Mentalität und Strukturen durch eine politische Idee unter einen Hut zu zwingen versuche. Heraus kommt etwas Großes, Behäbiges, eine Macht auf tönernen Füßen.
"Schon die pauschale Blickweise auf vereinheitlichte "Größe" war in dieser Allgemeinheit vermutlich rückwärtsgewandt", folgert von Dohnanyi. Globalisierung sei ein evolutionärer Prozess und der habe "die Bedeutung der Größe eines Staates relativiert und durch die Fähigkeit zur Flexibilität ersetzt". Wie so oft in der Evolution, denken wir nur an die Dinosaurier, sei Größe offenbar sogar hinderlich: "Das Tempo der wissenschaftlichen und weltwirtschaftlichen Veränderungen erlaubt gegenwärtig ganz offenbar kleineren Einheiten eher eine erfolgreichere Entwicklung."
Die Hitliste der Wettbewerbsfähigkeit verschiedener Industriestaaten bringe es an den Tag. Schweiz, Singapur, Finnland, Schweden und die Niederlande, dann erst folgt Deutschland und darauf dann die USA.
"Die Frage ist also: Größe für welche Aufgabe, Dezentralität für welche anderen Aufgaben?", schreibt von Dohnanyi, um anschließend für eine EU aus kleineren Einheiten zu plädieren. Denn je mehr Verantwortung diese tragen, desto flexibler und demokratischer bleibt das ganze "System Europa".
Der Zustand derzeit bereitet dem früheren Minister im Kabinett Brandt Sorge. "In der EU scheint bis heute das undefinierte und niemals konkretisierte Stichwort "Subsidiarität" zu genügen. Wer, zum Beispiel, die Zuständigkeitskataloge der Europäischen Union (Artikel 2, 3 und 4 des Vertrages über die Arbeitsweise) und dann das "Protokoll (Nr. 2) zur Anwendung" liest, kann das Buch nur verwirrt schließen. Alle können für alles zuständig sein. Vermutlich sieht die Kommission in ihrem Selbstverständnis deswegen auch alles als ihre Zuständigkeit an."
"Einheitlichkeit" sei das Ideal von Kommission und Parlament, obwohl das nicht nur dem Konzept des Föderalismus und der vertraglich vereinbarten "Subsidiarität" widerspreche, sondern die EU auch unflexibel mache. "Wenn aber diese Analyse stimmt, nämlich dass in der sich evolutionär entfaltenden Globalisierung Flexibilität eine zentrale Voraussetzung für das soziale Überleben sein wird und dass Flexibilität ohne ständige demokratische Rückkoppelung wiederum nicht denkbar ist, dann müssen wir auch den institutionellen Aufbau und die Integration der EU in erster Linie aus dieser Sicht entwickeln."
Alles andere führe in den Untergang. "Wer nämlich versuchen würde, schwedische mit italienischer Sozialpolitik oder deutsche mit französischer Industriepolitik zu fusionieren, der müsste auf jede absehbare Zeit scheitern und würde im Scheitern schließlich Europa zerstören."
Die Krise habe es deutlich gezeigt, sie habe an eine "bedeutsame Wegscheide" geführt, an der sich entscheide: "Soll die Zukunft mehr Zentralität erbringen, wirklich sozialpolitisch, wirtschaftlich und haushaltspolitisch "Vereinigte Staaten" schaffen, dann auch mit weitreichender, gemeinsamer Haftung für die Schulden aller Staaten in europäischer Solidarität? Oder brauche ein leistungsfähiges, demokratisches Europa die Nationalstaaten als Basis politisch akzeptierter, also demokratisch legitimierter Verantwortung unter einem föderativen Dach?
Klar sei, dass der "Euro in dieser Form zum damaligen Zeitpunkt mit dieser Mitgliedschaft" ein schwerwiegender Fehler gewesen sei. Ihn heute aufzugeben, glaubt von Dohnanyi "wäre es allerdings auch".
von Dohnanyi will, dass die Handelnden in der EU, die sich ein Herrschaftssystem eingerichtet haben, in dem sie einen Volkswillen erst simulieren, um danach nach ihm zu handeln, aus den bitteren Erfahrungen der Euro-Zone lernen, statt "wie kürzlich zum Beispiel Jürgen Habermas oder die Europa-Abgeordneten Cohn-Bendit und Verhofstadt" – ein ungetrübtes "Weiter so und nun erst recht" zu postulieren. Im Gegensatz zu diesen "Freunden Europas" sehe er "die zentrifugalen Kräfte, die heute sogar zu einem neuen Separatismus innerhalb der Nationalstaaten führen".
Der ihn nicht verwundert. "Da stellte das Allensbacher Institut im Oktober 2012 die Frage, wo der deutsche Bürger meint, keinerlei Einfluss zu haben: Bei lokalem Geschehen sind es nur 14 Prozent, bei Entscheidungen auf europäischer Ebene aber 75 Prozent!"
Kann der Schluss daraus lauten, "immer mehr Zuständigkeiten an Kommission und EU-Parlament übertragen und so dem Einfluss der Bürger entziehen?" Könne und solle man in der EU die Einzelheiten der Sozialpolitik, der Lohnpolitik, der Forschungspolitik, der Technologiepolitik oder gar die Steuerung der nationalen und regionalen Konjunkturen vergemeinschaften und damit das nationale Beharren und die Produktivität dieses Beharrens ignorieren? Wo wären dann Mehrheitsentscheidungen eines aus 27 Staaten zusammengesetzten Parlaments eine befriedigende Antwort für deutsche Bürger? In welchen Aufgabenbereichen könne es sie geben?
von Dohnanyi fällt keine Antwort ein. "Wo die Völker einerseits für ihre Budgetpolitik auf nationaler Souveränität beharren und andererseits eine zentralisierte Haftungsgemeinschaft für fremde Staatsschulden fordern, kann es keinen Fortschritt geben."
Europa sei wie eine Flotte im Verbund, schreibt der Herzenshanseat, aus Staatsschiffen sehr verschiedener Größe und unterschiedlicher Bauart. Im Sturm der Globalisierung müssten diese Schiffe "ihre Segel unterschiedlich setzen, um im großen Verband sicher in derselben Richtung fahren zu können".
Ein schönes Bild - für einen im Moment aus 27 Leichtern und Frachtern, Schaluppen, Kreuzern und Beibooten, Yachten und Ruderkähnen zusammengenageltes Floß, auf dessen Brücke ein Trupp aus zwei Dutzend selbsternannten Kapitänen steht, die sich nicht einmal auf die Himmelsrichtungen einigen können.
"Mehr Europa" ist das Mantra, das die deutsche EU-Einheitspartei seit Ausbruch der großen Krise im Chor singt, ohne je genau zu sagen, was damit gemeint ist. Die Christdemokraten entdecken hier die "Alternativlosigkeit", die Liberalen ihre Verantwortung jenseits des eigenen Klientels - die Sozialdemokratie aber kehrt zu den Wurzeln des Internationalismus zurück, aus dem sie einst sproß. Nicht das deutsche Volk, nein die Völker aus der "Internationale" sollen die historische Mission vollenden, "reinen Tisch mit dem Bedränger" zu machen, der natürlich ein Kapitalist ist.
Nun allerdings widerspricht mit Klaus von Dohnanyi ausgerechnet ein Sozialdemokrat. zwar einer vom rechten Flügel, der spätestens seit der kollektiven Hatz auf Thilo Sarrazin unter dem Verdacht der Kollaboration mit sozialdemokratiefeindlichem Gedankengut steht. Doch dafür ist das, was der 84-Jährige ehemalige Hamburger Bürgermeister zu sagen hat, so vernünftig, dass die SPD wohl nicht um ein Parteiausschlußverfahren herumkäme. Wären nicht Partei und überparteiliche Presse stillschweigend übereingekommen, die Ausführungen des ehemaligen Leipzigers mit einem dröhnenden Schweigen zu übergehen.
Warum, wird jedem klar, der sich von Dohnanyi Thesen anschaut. Denn seine Bilanz der letzten EU-Jahre und der Euro-Zeit fällt verheerend aus. Europa sei Wettbewerbsfähigkeit verloren gegangen, wo es welche hatte gewinnen sollen; "Staatsverschuldungen stiegen dramatisch; das Vertrauen in das Projekt Europa schwindet zusehends". Und doch: "Wir führen keine ehrliche Debatte über die Gründe".
Statt nach eigener Verantwortung zu suchen, werde von Staatenlenkern und Medien bis heute alles auf die Folgen der in den USA entstandenen großen Wirtschafts- und Finanzkrise geschoben und Banken und Finanzwirtschaft für den miserablen Zustand Europas verantwortlich gemacht. Dabei sei es nachweislich falsch, die hohen Staatsschulden in der Euro-Zone in erster Linie auf die Finanzkrise zurückzuführen.
von Dohnanyi führt Zahlen zum Verhältnis Schuldenquote/Bruttoinlandsprodukt an: Deutschland hatte 1980 eine Quote von 30 Prozent Staatsschulden am BIP, 2005, also vor der Krise, schon 69 Prozent; mehr, als "Maastricht" erlaubt. Griechenland 1980 etwa 22,5 Prozent, 2005 dann 101; Frankreich 1980 nur 20,7 Prozent, 2005 aber dann 61; Italien 1980 rund 57 Prozent, dann 2005 schon 105.
Die Finanzkrise habe die Probleme zwar verschärft, aber nirgendwo verursacht. "Auch ohne sie wäre der staatliche Schuldenstand in Europa wahrscheinlich von Konjunkturzyklus zu Konjunkturzyklus weiter angestiegen, und auch die Immobilienblasen in Spanien und Irland wären irgendwann geplatzt."
Der Altpolitiker sieht die Ursache für die tiefe Krise, die Europa statt steigendem Wohlstand steigende Arbeitslosigkeit und statt einer vertieften Integration Tendenzen der Rückbesinnung auf nationale Werte beschert hat, in der "Unfähigkeit der Politik, sich den Folgen der Globalisierung zu stellen". Und das heißt: Die Wurzeln der Krise waren nicht Banken, sondern ein Euro, der eine leichtfertige Vernachlässigung der historischen und mentalen nationalen Unterschiede im Prozess der europäischen Integration mit sich brachte.
Denn es sei diese Missachtung der großen Unterschiede gewesen, die dazu führte, dass einige Mitgliedsstaaten nach der Euro-Einführung nicht die politische Kraft hatten, durch Reformen mit den Anforderungen der Globalisierung Schritt zu halten. "Stattdessen erlagen sie der süßen Verlockung niedriger Zinsen im Euro-Raum, verloren Wettbewerbsfähigkeit und häuften Schulden über Schulden." Die Quittung erhalten sie jetzt: Denn der durch die höheren Verschuldung verstärkte Reformdruck dränge heute die südlichen Mitgliedsstaaten zu den dort so heftig umstrittenen Reformen. "Es ist eben kein "deutsches Diktat", wenn Europa sparen und seine Gesellschaften flexibler organisieren muss, sondern es sind globaler Wettbewerb und Globalisierungserfahrungen."
Die EU sei nie ein kulturelles Projekt gewesen, das durch viele Gemeinsamkeiten verbunden ist, sondern ein politisches, das erheblich Unterschiede in Geschichte, Mentalität und Strukturen durch eine politische Idee unter einen Hut zu zwingen versuche. Heraus kommt etwas Großes, Behäbiges, eine Macht auf tönernen Füßen.
"Schon die pauschale Blickweise auf vereinheitlichte "Größe" war in dieser Allgemeinheit vermutlich rückwärtsgewandt", folgert von Dohnanyi. Globalisierung sei ein evolutionärer Prozess und der habe "die Bedeutung der Größe eines Staates relativiert und durch die Fähigkeit zur Flexibilität ersetzt". Wie so oft in der Evolution, denken wir nur an die Dinosaurier, sei Größe offenbar sogar hinderlich: "Das Tempo der wissenschaftlichen und weltwirtschaftlichen Veränderungen erlaubt gegenwärtig ganz offenbar kleineren Einheiten eher eine erfolgreichere Entwicklung."
Die Hitliste der Wettbewerbsfähigkeit verschiedener Industriestaaten bringe es an den Tag. Schweiz, Singapur, Finnland, Schweden und die Niederlande, dann erst folgt Deutschland und darauf dann die USA.
"Die Frage ist also: Größe für welche Aufgabe, Dezentralität für welche anderen Aufgaben?", schreibt von Dohnanyi, um anschließend für eine EU aus kleineren Einheiten zu plädieren. Denn je mehr Verantwortung diese tragen, desto flexibler und demokratischer bleibt das ganze "System Europa".
Der Zustand derzeit bereitet dem früheren Minister im Kabinett Brandt Sorge. "In der EU scheint bis heute das undefinierte und niemals konkretisierte Stichwort "Subsidiarität" zu genügen. Wer, zum Beispiel, die Zuständigkeitskataloge der Europäischen Union (Artikel 2, 3 und 4 des Vertrages über die Arbeitsweise) und dann das "Protokoll (Nr. 2) zur Anwendung" liest, kann das Buch nur verwirrt schließen. Alle können für alles zuständig sein. Vermutlich sieht die Kommission in ihrem Selbstverständnis deswegen auch alles als ihre Zuständigkeit an."
"Einheitlichkeit" sei das Ideal von Kommission und Parlament, obwohl das nicht nur dem Konzept des Föderalismus und der vertraglich vereinbarten "Subsidiarität" widerspreche, sondern die EU auch unflexibel mache. "Wenn aber diese Analyse stimmt, nämlich dass in der sich evolutionär entfaltenden Globalisierung Flexibilität eine zentrale Voraussetzung für das soziale Überleben sein wird und dass Flexibilität ohne ständige demokratische Rückkoppelung wiederum nicht denkbar ist, dann müssen wir auch den institutionellen Aufbau und die Integration der EU in erster Linie aus dieser Sicht entwickeln."
Alles andere führe in den Untergang. "Wer nämlich versuchen würde, schwedische mit italienischer Sozialpolitik oder deutsche mit französischer Industriepolitik zu fusionieren, der müsste auf jede absehbare Zeit scheitern und würde im Scheitern schließlich Europa zerstören."
Die Krise habe es deutlich gezeigt, sie habe an eine "bedeutsame Wegscheide" geführt, an der sich entscheide: "Soll die Zukunft mehr Zentralität erbringen, wirklich sozialpolitisch, wirtschaftlich und haushaltspolitisch "Vereinigte Staaten" schaffen, dann auch mit weitreichender, gemeinsamer Haftung für die Schulden aller Staaten in europäischer Solidarität? Oder brauche ein leistungsfähiges, demokratisches Europa die Nationalstaaten als Basis politisch akzeptierter, also demokratisch legitimierter Verantwortung unter einem föderativen Dach?
Klar sei, dass der "Euro in dieser Form zum damaligen Zeitpunkt mit dieser Mitgliedschaft" ein schwerwiegender Fehler gewesen sei. Ihn heute aufzugeben, glaubt von Dohnanyi "wäre es allerdings auch".
von Dohnanyi will, dass die Handelnden in der EU, die sich ein Herrschaftssystem eingerichtet haben, in dem sie einen Volkswillen erst simulieren, um danach nach ihm zu handeln, aus den bitteren Erfahrungen der Euro-Zone lernen, statt "wie kürzlich zum Beispiel Jürgen Habermas oder die Europa-Abgeordneten Cohn-Bendit und Verhofstadt" – ein ungetrübtes "Weiter so und nun erst recht" zu postulieren. Im Gegensatz zu diesen "Freunden Europas" sehe er "die zentrifugalen Kräfte, die heute sogar zu einem neuen Separatismus innerhalb der Nationalstaaten führen".
Der ihn nicht verwundert. "Da stellte das Allensbacher Institut im Oktober 2012 die Frage, wo der deutsche Bürger meint, keinerlei Einfluss zu haben: Bei lokalem Geschehen sind es nur 14 Prozent, bei Entscheidungen auf europäischer Ebene aber 75 Prozent!"
Kann der Schluss daraus lauten, "immer mehr Zuständigkeiten an Kommission und EU-Parlament übertragen und so dem Einfluss der Bürger entziehen?" Könne und solle man in der EU die Einzelheiten der Sozialpolitik, der Lohnpolitik, der Forschungspolitik, der Technologiepolitik oder gar die Steuerung der nationalen und regionalen Konjunkturen vergemeinschaften und damit das nationale Beharren und die Produktivität dieses Beharrens ignorieren? Wo wären dann Mehrheitsentscheidungen eines aus 27 Staaten zusammengesetzten Parlaments eine befriedigende Antwort für deutsche Bürger? In welchen Aufgabenbereichen könne es sie geben?
von Dohnanyi fällt keine Antwort ein. "Wo die Völker einerseits für ihre Budgetpolitik auf nationaler Souveränität beharren und andererseits eine zentralisierte Haftungsgemeinschaft für fremde Staatsschulden fordern, kann es keinen Fortschritt geben."
Europa sei wie eine Flotte im Verbund, schreibt der Herzenshanseat, aus Staatsschiffen sehr verschiedener Größe und unterschiedlicher Bauart. Im Sturm der Globalisierung müssten diese Schiffe "ihre Segel unterschiedlich setzen, um im großen Verband sicher in derselben Richtung fahren zu können".
Ein schönes Bild - für einen im Moment aus 27 Leichtern und Frachtern, Schaluppen, Kreuzern und Beibooten, Yachten und Ruderkähnen zusammengenageltes Floß, auf dessen Brücke ein Trupp aus zwei Dutzend selbsternannten Kapitänen steht, die sich nicht einmal auf die Himmelsrichtungen einigen können.
2 Kommentare:
"Exzellenter Artikel" würde jetzt drunterstehen, wenn das auf Wikipedia zu lesen wäre!
Daß derlei nie auf Wikipedia zu lesen sein wird, ist aber nicht PPQs Schuld, sondern der Wikianer ...
Ich erlaube mir jedenalls, diesen Artikel zu verlinken.
Wahrscheinlich kommt bald eine Vorschrift, daß man einen solchen Artikel oder etwas das Lambsdorff-Papier von 86 nur in einem speziell gesicherten Schrank aufbewahren darf, damit nicht irgendjemand damit Amok läuft und es etwa an einer Schule verliest!
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