Sonntag, 25. Juli 2010

Love as a Battlefield: Ein Nachruf

So endet der Technotraum von Love, Peace und Happiness - auf dem Weg zu einem vertrümmerten Güterbahnhof, auf dem ein McFitnessunternehmer den letzten amtlich beurkundeten Aufstand einer Jugendkultur als Atzenparty wiederaufführt. Techno war immer Gegenkultur für Kulturlose, ein kollektives Stampfen, wo Generationen davor noch individuelle Ideale hatten. Keine andere Jugendmusik ließ sich so bereitwillig aus- und aufsaugen, keine andere beruhte so sehr auf Regression und Industrialisierung. Keine andere wählte sich mit mehr Stolz dürftigere Idole als das ostdeutsche Augenbrauen-Model Marusha und den Heimelektroniker Westbam.

Mit wenig mehr Substanz als ein elektrifiziertes Erntedankfest hat es die sogenannte Loveparade bis zur Volljährigkeit geschafft. Aus dem Aufstand der Aussteiger war schon längst der Ausverkauf der Traumtänzer geworden. 2010 ist die aus Berlin in die Provinz von Duisburg vertriebene Parade ein Revival zwischen Mallorca-Party und Apres-Ski-Saufen. Ein Karneval für Adoleszente, der der gastgebenden Kommune als "Standortfaktor" gilt, der aber eigentlich schon lange nur noch Luft tritt, weil der Abgrund schon weit hinter ihm liegt.

Das offizielle Ende hätte ein leises fade away sein können, wie es Neil Young besang und Kurt Cobain fürchtete. Doch zum wilden Leben der "Loveparade", erfunden von einem Rhythmiker, der sich "Dr. Motte" nannte, passt, dass sie lange nach ihren großen Tagen, in denen sie noch tanzend Systemkritik und Party vereinte, noch immer Millionen anzieht. Die Party allerdings ist sich seit Jahren selbst genug. Das Dröhnen verbreitet keine Botschaft mehr, sondern temporären Spaß wie Ballermann und Parkplatz-Sex.

Das hätte ewig so weitergehen können. Nun aber ist die Loveparade, einer der letzten wenigstens als Zombie überlebenden Dinosaurier der Musikkultur der 90er, mit einem lauten Knall von der Bühne abgetreten. Mit mehr Toten als damals in Altamont, mit mehr Verletzten als bei einem Busunglück in Bangladesh. Eine innenpolitische Krise dämmert von fern herauf, weil das Volk es längst gewöhnt ist, Schuldige präsentiert und Verantwortliche vorgeführt zu bekommen, ganz egal, worum es geht.

Heute noch macht Angela Merkel, die einer Pressemitteilung zufolge "bestürzt" über die Nachrichten aus Duisburg war, noch ungerührt den Wagner-Festspielen ihre Aufwartung. Spätestens morgen aber muss der Ruf nach "klaren Regeln für Großveranstaltungen", Weiterbildungslehrgängen für Veranstalter und neuen Gesetzen zur Regulierung von Massen-Events erschallen. Jetzt schon fantasieren Staatsanwälte wie in allen Fällen von öffentlichem Interesse den schwerstmöglichen Verfolgungstatbestand herbei: "Fahrlässige Tötung" – obwohl bereits jetzt absehbar ist, dass es ohne die Sorgfaltsverletzung von Bekifften und Zugedröhnten, die in Duisburg über die Absperrungen kletterten und die Panik auslösten, selbst angesichts aller Organisationsmängel von Veranstaltern und StadtO kaum zum Massensterben am Technotunnel hätte kommen können.

Doch Verantwortung muss vom Einzelnen weg und medial neu verteilt werden, auch der Technoparty-Gast, der sich von hinten klatschend und johlend in einen sichtlich völlig überfüllten Zugangstunnel drängt wie ein Schaulustiger in ein brennendes Haus, statt auf dem Fuße kehrtzumachen, hat ein Recht, nicht zuständig gewesen zu sein, keine eigene Verantwortung gehabt zu haben, eine höhere Macht in Haftung nehmen zu dürfen, die ihm die Last abnimmt, "Seven Nations Army" jodelnd seinen eigenen kleinen Beitrag zur Tragödie geleistet zu haben.

Das wird erwartet, das füllt Sendezeit und Druckspalten, das gibt allen das beruhigende Gefühl, alles sei verhinderbar, wenn nur alle wollen. Der Loveparade kann das nicht mehr helfen, denn sie ist tot wie die Musik, deren tanzender Arm sie einst war. Die Generation Techno marschierte vor 21 Jahren mit einem Traum im Kopf durch Berlin. Sie endet im Trauma von Duisburg.

20 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

jaja.. die doofen drogenjunkies wieder.. streng nach fahrplan hier, was? im grunde schade wie es ausklingt, da der rest soweit ganz stimmig ist und auch von einem liebhaber elektronischer musik trotz polemischer tiefen durchaus bejaht werden kann.. wobei mir dieser ganze weichspülkrempel auf der loveparade ohnehin nie so zugesagt hat.. wenigstens geht die fuckparade weiter.. vermutlich aber nur noch mit polizei,notarzt und sozialarbeiterbegleitung für jeden einzelnen mann..

ppq hat gesagt…

achwo, nicht die doofen drogenjunkies, schon gar nicht wieder.

eher so: wer zu so einem event strömt, auch dann noch, wenn er weiß, was vor ihm liegt...

beileid

Anonym hat gesagt…

das schon eher..
aber es ist halt auch so, man will das feindbild sehen, keiner ist dagegen gefeit.. schon gar nich ich.. nix für ungut

Anonym hat gesagt…

man solche sch.. posts habe ich lange nicht gelesen
hier hat jemand eine veranstaltung
in den sand gesetzt und MESCHENLEBEN VERNICHTET WIE DIE NAZIS

Willi Schwabe hat gesagt…

naja, die eigentliche kultur gedeiht immer im untergrund. da werden die wesentlichen schritte getan. vorallem marschiert man auch nur im kleinen trupp, eher individuell und in luftigen abständen.

so sieht das aus:
http://www.youtube.com/watch?v=9Hw_fdMxW6A

Anonym hat gesagt…

selten so ein rotz gelesen!

man mag geteilter meinung über dieses "event" sein. man mag unterschiedlicher auffassung sein, wann die loveparade noch die kultige parade war, die sie zu beginn der 90er jahre war ..
nun aber allen teilnehmern drogenkonsum vorzuwerfen und zu behaupten, dass bei selbiger masse und selben standort, bei jedem anderen fest zu keinem unfall dieser art gekommen wäre, ist schon ziemlich bei den haaren herbei gezogen und zeugt von wenig respekt gegenüber den verletzten und verstorbenen.

Anonym hat gesagt…

Wenn diese Stampede wenigstenms noch den Sinn gehabt hätte, sich vor Sturmflut oder Feuersbrunst zu retten oder wildgewordenen Stieren. Nein, es war ein reiner Jux. Auf jeden Fall für die, die hinten geschoben haben und für die, die vorne bremsten.

Wird man morgen die Plakate lesen "Techno tötet?"

Die Anmerkung hat gesagt…

Ich dreh mal den Spieß um und gehe von 1,5 Mio aus.

Die haben sich prächtig bis in den Abend hinein amüsiert. Erst um 20:30 wurde der stream abrupt abgeschaltet. Bis dahin war fröhliches Gefeiere auf allen streams zu sehen. Die Panik fand nur am Rande statt. Eine Kamera hat ab und zu zum Tunnel gezoomt, um schnell wieder in die Totale zu gehen.

Der Kreis der Schuldigen ist auch schnell eingegrenzt. Es handelt sich definitiv um Verantwortliche der Stadt, des Veranstalters und einen Kreis von Personen, die mittlerweile tot oder verletzt sein dürften. Nebst etlichen, die mit einem psychischen Trauma davon gekommen sind.

Warten wir ab, was die gerichtsmedizinischen Untersuchungen zutage fördern. Es dauert halt, ein Ereignis dieser Dimension staatsanwaltlich aufzuarbeiten.

Was gar nicht ging und geht, ist das Handling der Angelegenheit. 27 streams im Internet hätten spätestens um 17:30 abgeschaltet werden können und müssen, denn die waren für's Gelände unmaßgeblich und überflüssig. Daß die Party weiter ging, ist ebenso selbstverständlich. Doch bis 23 Uhr? Das mußte auch nicht sein.

Daß die Figuren der Stadt und des Veranstalters auf der heutigen PK vollkommen neben der Spur waren, ist einerseits verständlich, andererseits wiederum nicht, denn sie haben die Verantwortung gehabt und müssen sich nun selbiger stellen. Machen sie aber nicht, denn der OB hat jede Schuld von sich gewiesen.

Daß die Medien schon wieder Müll schreiben und ebenfalls auf der falschen Fährte lang krauchen, das wiederum wundert mich überhaupt nicht. Es gehört nicht zu deren Aufgaben, eine solches Ereignis aufzuklären oder aufzuarbeiten, sondern mit dem Ereignis Schlagzeilen zu machen und Geld zu verdienen. Sie wären auch intellektuell mit der Aufklärung überfordert.

Jede Wette, daß die Angelegenheit im Sande verläuft und Leute aus er dritten Reihe dafür gehängt werden.

Sicher ist es ein trauriges Ereignis. Auf der anderen Seite bin ich Zyniker genug, um es dem Gorny zu gönnen. Da muß er jetzt durch.

VolkerStramm hat gesagt…

MESCHENLEBEN VERNICHTET WIE DIE NAZIS

Schon ganz gut.
Jetzt musst Du nur noch irgendwie Auschwitz reinkriegen.

vakna hat gesagt…

"...weil das Volk es längst gewöhnt ist, Schuldige präsentiert und Verantwortliche vorgeführt zu bekommen, ganz egal, worum es geht."

Vollste Zustimmung!
Die Leichen waren noch nicht kalt, da ging schon die Frage um, wer denn verantwortlich für den Vorfall sei.

Keine Ahnung, was genau passiert ist, keine Analyse, ob das vorhersehbar war und ob es vermeidbar war.
Einfach nur die Suche nach einem Schuldigen zum hängen.

Genau so unerträglich ist das Geblahe der Berufsbesserwisser, warum die Veranstaltung nicht sofort beendet worden sei.

Mit etwas Nachdenken kommt man drauf: Damit nicht hunderttausende auf dem Rückweg den Tunnel verstopfen, denn stundenlang abhotten geht, eine halbe oder ganze Stunde warten, damit sich alles etwas verläuft geht nicht.

Es fällt auf, daß der "Faktor Mensch" immer wieder nicht beachtet wird. Man hofft einfach, daß alles gut geht und wenn nicht, ist das Geschrei groß...

ppq hat gesagt…

fazit eben im ZDF:

"die veranstalter haben inzwischen bekanntgegeben, dass es niemals wieder eine loveparade geben wird. und das ist auch die einzige richtige konsequenz aus den ereignissen von duisburg".


überetzen wir das in einen andere zeit:

"die veranstalter haben inzwischen bekanntgegeben, dass es niemals wieder ein openairkonzert geben wird. und das ist auch die einzige richtige konsequenz aus den ereignissen von altamont".

PS: youtube hatte den film weltweit gesperrt, wegen der musik "love is a battlefield". die hatte ich vorher runtergeladen. von, ja, genau, youtube.

Anonym hat gesagt…

Love is a battle field

noch bei

http://www.youtube.com/watch?v=Mq67_nPA46U

http://www.youtube.com/watch?v=vxr1qYJ5eKk

http://www.youtube.com/watch?v=YCObLaaifGM

http://www.youtube.com/watch?v=j7n05rtual4

Anonym hat gesagt…

Fast flehentlich und glücklich über die Möglichkeit einer öffentlichen Meinungsäußerung hatte übrigens unser Neu-Bundespräsident als erster die "rückhaltlose" Aufklärung der Umstände der Tragödie gefordert...so schnell, dass man glauben konnte, er saß während des Events live vor der Glotze...er war schneller als Merkel...

Anonym hat gesagt…

re Volker : das stimmt . Auschwitz fehlt hier irgendwie .

Ohne Auschwitz Bezug geht ja heute gar nix mehr in der brd .

ppq hat gesagt…

aber die merkel war dafür direkt vor dem auftritt auf dem roten teppich "schockiert" und "entsetzt", dann war sie kurz begeistert, dann hat sie "umfassende aufklärung" gefordert.

da konnten die verantwortlichen gar nicht mehr anders: "Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) kündigte eine lückenlose Aufklärung der Unglücksursache an."

Gustav Fröhlich hat gesagt…

Die Anmerkung hat gesagt: "Ich dreh mal den Spieß um und gehe von 1,5 Mio aus.

Die haben sich prächtig bis in den Abend hinein amüsiert..."

"Wir amüsieren uns zu Tode"..von Neil Postman..hatte ich letzte woche am strand

Die Anmerkung hat gesagt…

@ Gustav Fröhlich

Ich kenn nur "Amused to death" von Roger Waters, auf Postman fußend. Die Platte ziehe ich mir mehrmals im Jahr via MP3-Dröhnung rein und habe damit sehr viel Spaß. Immer noch eine der wichtigsten und besten Rockplatten seit 50 Jahren.

Anonym hat gesagt…

Kritik kommt allerdings auch vom CDU-Innenexperten Wolfgang Bosbach. Eine Absage sei zwar nie populär, "aber sie zeugt von Verantwortungsbewusstsein", sagte Bosbach bei n-tv. In Duisburg sei man aber der Auffassung gewesen, man könne eine solche Verantwortung mit einer Minimierung von Risiken gefahrlos organisieren. Er könnte zudem nicht nachvollziehen, dass das Konzept richtig sei, aber nicht funktioniert habe. "Das ist eine Logik, die sich mir nicht erschließt."

So isses, schreibt aber http://www.politplatschquatsch.com/
auch son Scheiss, wenn es einem Trottel erlaubt würde, eine HIPHOP Party mit Tausenden Leuten auf einer einer Rheinbrücke zu veranstalten?
Nö, laut den Quatschmachern ist anscheinend das OPFER immer schuld.

ppq hat gesagt…

vermutlich muss man das nicht verstehen, sonst hättest du es ja so geschrieben, dass es einen sinn ergibt.

das ganze hat mit einer schuldzuweisung an die opfer gar nichts zu tun, weil es um mediale phänomene geht, nicht um ursachenforschung. und medial kommen die opfer auch in diesem fall ausschließlich aus subjekte vor, nicht als handelnde und mitverantwortliche personen.

das ist schon alles. muss man aber natürlich auch nicht verstehen

Anonym hat gesagt…

fakt ist viel zu wenig platz und viel zu viele menschen das hätte man aber locker vorauss sehen können aber wie man ja sagt alles dem gelde wegen es tut mir sehr leid für die angehörigen deren die ihr leben lassen mussten es hätte genauso ein selbst treffen können nur aus einem dummen zufall ist man nicht dort hingefahren und dann hört man das.. dann aber noch weiter zu feiern ist das respektloseste was ich jemans gehört habe!! schande...