Heimatlosigkeit droht der emsigsten Untergrundkünstlergruppe Sachsen-Anhalts. Bislang hatten sich die für ihre großformatigen Meisterwerke bekannten "Ultras" ein Geheim-Atelier in einer alten Brauereiruine eingerichtet - hier entstanden auf mehr als tausend Quadratmetern schlecht beleuchteter Pinselfläche epochale Klassiker der Action-Malerei wie "Werdet Helden" oder "KWS", die von Kritikern staunend bewundert und teilweise sogar in den elektronischen Medien beachtet wurde.
Doch damit ist demnächst Schluss. Die Malereifabrik, eingerichtet in einem Anbau der ehemaligen Meisterbräu-Brauerei und seit 1993 dem Verfall preisgegeben, steht zur Versteigerung. Damit steht aber nicht nur Ostdeutschlands größtes gemeinschaftliches Atelier vor dem Aus, es endet auch eine beinahe hundertjährige Industriegeschichte. Seit den 20er Jahren war in der Engelhardt-Brauerei Bier gebraut worden, 1993 wurde die Produktion dort eingestellt und das 1869 gebaute Werk stillgelegt.
Es übernahmen Zerfall und Zusammenbruch, notdürftig kaschiert vom neuerrichteten Zweckbau eines Supermarktes. Besucher finden hinter der imposanten Backstein-Fassade des hochaufragenden Hauptgebäudes direkt am wildüberwucherten Saalestrand heute nur noch ausgeschlachtete Reste der ehemaligen Fabrikationsanlagen, Schrottsammler haben an Kupfer und Stahl herausgeschnitten, was beweglich war, ein halbherzig unternommener Abrissversuch von Ende der 90er Jahre hinterließ einen Schuttberg, auf dem noch ein einsamer Bauhelm von den vergeblichen Mühen der längst wieder abgezogenen Baubrigade kündet. Erfolgslos versuchen die Eigentümer seit Jahren, die Immobilie loszuwerden. Geworben wird mit: "Die Gebäude befinden sich in einem stark sanierungsbedürftigen beziehungsweise abrisswürdigen Zustand. Aufsteigende Feuchtigkeit an allen Gebäuden" und "undichte Dächer, Nässe in allen Etagen, Putzschäden außen und innen, keine Heizung- und Sanitärausstattung."
Im früheren Umkleideraum des Werkes, das mal Actienbrauerei Feldschlösschen, mal Hallesche Aktien-Bierbrauerei und mal Engelhardt-Braurei hieß, ist die Zeit stehengeblieben. Schmieriger Staub hat sich wie ein Schleier über die offenstehende Brigadekasse und den von der Wand gefallenen Sanikasten gelegt. 1947 war die Berliner Bier-Dynastie Engelhardt enteignet worden, in der DDR wurde da sWerk dann mit der Freyberger Brauerei ein Stück Saale abwärts zum VEB Getränkekombinat Halle zusammengelegt. Nach dem Mauerfall übernahm Kulmbacher, stellte die Produktion aber bald ein.
Ein paar ausgetrocknete Bierflaschen künden von der früheren Aufgabe der Fabrik, an der Wand legen Hinweisschilder fest, wo Leergut aus dem Bruderland CSSR und wo eigene Flaschen abzuladen waren. Einzig belebter Teil der ausgezehrten Backstein-Brache ist das Ultra-Atelier, geprägt von kreativer Unaufgeräumtheit und hingebungsvoll an die Wände gezeichneten Stammessymbolen. Für ein Mindestgebot von 49.000 Euro hätte die junge Künstlergruppe gestern bei der Versteigerung in Leipzig um das rund 10.300 Quadratmeter große Fabrikgrundstück mitbieten können. Hat sie aber nicht. Deshalb wird aus der historischen Brauerei nun eine "exklusive Wohnanlage" (Halle-Forum).
Mehr mitteldeutsche Abrissexkursionen hier, und noch mehr hier, hier, hier und hier.
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