Je tiefer die Hürde, desto schwerer drunter durchlaufen, ohne sich den Kopf anzuschlagen. Im Pokalwettbewerb des Landes Sachsen-Anhalt, seit Jahren eine reine Fußball-Simulation mit einem zwischen den greisen Fußballfunktionären der Region vorher vereinbarten Endspiel zwischen dem Halleschen FC und seinem Dauerrivalen aus Magdeburg, ist in dieser Saison alles durcheinander gekommen. Außerplanmäßig ist der Klub aus Magdeburg, wegen lange zurückliegender internationaler Erfolge von seinen Fans beharrlich gefeiert als der "größte der Welt" bereits im Halbfinale ausgeschieden. Damit steht drei Wochen vor dem Endspiel weder fest, wer im Endspiel antritt noch wo gespielt wird. Als finaler Spielort wird nämlich normalerweise das Magdeburger Heimstadion gebucht, das aber wird bei erwarteten Zuschauerzahlen von nur 200 oder 3000 selbst dem traditionell verschwenderischen Fußballverband zu teuer. So könnten sich also diesmal Orte wie Sangerhausen, Wolfen, Dessau oder die Landgemeinde Braunsbedra auf ein rauschendes Finalfest freuen. Nur nicht Halle, denn der HFC ist noch im Wettbewerb und ausnahmsweise wäre es nun natürlich unfair, einer Mannschaft Heimvorteil zu geben, wenn es um alles geht.
Dabei könnte der Klub aus der Saalestadt, seit annähernd drei Jahren beständig und auffällig stabil an seiner oberen Leistungsgrenze kickend, dergleichen Hilfe derzeit gut gebrauchen. Seit der Mannschaft von Trainer Sven Köhler im Meisterschaftsspiel beim FC Magdeburg ein überzeugender 1:0-Sieg gelang, der mit einer eigenen 0:1-Heimniederlage gegen die Reservemannschaft des HSV veredelt wurde, geht nichts mehr bei den Mannen von Trainer Sven Köhler. Die Meisterschaft und der Aufstieg sind futsch, die Beine sind schwer, die Köpfe hängen tief, es hagelt gelbe und rote Karten. In Plauen gab es zuletzt eine deftige Niederlage - in den 29 Meisterschaftsspielen zuvor hatte der HFC 16 Tore kassiert, im Vogtland reichten 90 Minuten für vier weitere.
Nun also um einen Pokal spielen, den man nach der Papierform schon in der Tasche hat. Gegen einen Gegner, der zwei Ligen tiefer kickt, aber mit einem halben Dutzend früherer HFC-Akteure aufläuft, die alle zeigen wollen, dass sie eigentlich in der falschen Mannschaft spielen. Danach dann womöglich auch noch gleich kommenden Mittwoch zum Halbfinale nach Stendal, denn das Finale ist ja schon Mitte Mai, muss sein, denn gleich danach fährt die Nationalmannschaft ins Trainingslager. Jogi braucht jeden, da darf kein Ball mehr rollen im Land.
Es kommt wie gemalt auf dem winzigen Ammendorfer Sportplätzchen, von dem der Stadionsprecher verkündet, es sei einst von 13.000 Menschen gleichzeitig besucht worden. heute ist es mit 1.800 richtig voll, damals waren die Menschen aber ja auch noch kleiner. Damals hat Ammendorf, die Elf des großen Waggonbau-Werkes nebenan, das vor ein paar Jahren vom damaligen Kanzlerdarsteller Gerhard Schröder eigenhändig gerettet und gleich nach Abzug aller Kamerateams geschlossen wurde, 3:1 gewonnen. Damit ist hier heute nicht zu rechnen, das ist nach fünf Minuten klar. Doch auch nach einem Sieg des Favoriten sieht es nicht aus. Siehe: Die Beine sind schwer, die Köpfe hängen, die Bälle springen, der HFC ist offensichtlich auf dem Zahnfleisch an den halleschen Stadtrand gekommen. Nach vorn geht nichts und hinten hilft auch nur Adli Lachheb, der große Tunesier, der seine Abschiedsrunde durch die vierte Liga dreht.
Der Rest ist Gewürge, Gerenne, Gefummle ohne Zweck und sichtbares Ziel. Wer hier aus der 4. Liga und wer aus der 6. kommt, ist nur an der Spielkleidung erkennbar: Ammendorf im HFC-Stamm-Rot-Weiß, der HFC in Trauerschwarz, der derzeitigen Stimmung im Verein geschmackvoll angepaßt. Einmal, die Begegnung wabert gedankenverloren Richtung Hlabzeitpause, fasst sich Kapitän Nico Kanitz ein Herz, zieht auf Linksaußen entschlossen nach innen, beschleunigt kurz und zieht ab. 1:0, Tor, Satz und Sieg, dankeschön.
Doch es geht ja noch weiter, und zwar ganz ohne, dass irgendwo noch irgendwelche Knoten platzen. Die Ammendorfer Stadtrandelf, vom ehemaligen HFC-Urgestein Marcel Geidel als klassischem Libero geführt, möchte gern, sie kann aber nicht. Beim HFC ist die Sachlage nicht so eindeutig: Toni Lindenhahn hat schöne violette Schuhe an, Ronny Hebestreit ist bereit, jeden Einwurf auszuführen oder anzunehmen, Torwart Horvat harrt geduldig auf der Linie und ist da, wenn man ihn braucht, während der künftige Drittligaprofi Lachheb meist dafür sorgt, dass es gar nicht soweit kommt.
Aber Fußball ist das nicht. Vier Wochen nach dem Triumph von Magdeburg wankt der Torso einer großen Elf über den kleinen Platz, ein Abziehbild nur noch der einstigen Tugenden: Keine Gegentreffer kassieren kann sie, weil der Gegner es zulässt, keine Tore schießen sowieso, selbst heute. Die standardmäßig im Eintrittspreis enthaltene Rote Karte bekommt das Publikum wenigstens noch zu sehen, diesmal ist es Ronny Hebestreit, der gar nicht verstehen kann, weshalb er gehen muss. Enrico Kricke, als "Rico" einst eines der Verbandsliga-Idole des HFC-Fanblocks, geht gleich mit, obwohl der Schiedsrichter bei all der Aufregung nur die Gelbe Karte gezeigt hat. Ammendorf wacht da erst auf und ein paar Minuten lang droht das Allerschlimmste, eine todlangweilige torlose Verlängerung und das HFC-Weiterkommen erst im Elfmeterschießen, dank Horvat-Torwart. Doch der Underdog hat ein Einsehen und lässt es gut sein mit dem kopflosen Anrennen, damit alle pünktlich zum Essen kommen. Kommende Woche dann Halbfinale im Stendaler Stadion am Hölzchen. Dieser HFC scheidet dort aus. Das gibt dann ein Finale wie ein Bravo-Starschnitt von Sachsen-Anhalt: Halberstadt gegen Stendal auf dem Sportplatz von Braunsbedra.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
7 Kommentare:
Weck´ den Italiener in Dir ...
Enrico Krico hört sich zwar nach Asti Spumante an aber er kommt nicht aus dem Piemont und auch nicht aus Kalabrien und heißt Kricke. *klugscheiß*
Noch´ was:
Ammendorf wurde bombardiert !
Der Ligenunterschied beträgt lediglich zwei Ligen (oder zählt der Autor RL UND VL mit?). Ein "Harvot-Torwart" ist mir auch noch nicht untergekommen!?
Die Quelle für die Endspielorte würde mich mal interessieren, Dessau soll wohl schon abgelehnt haben und lediglich SGH geistert durch die Runde.
am schönsten finde ich den kanarienvogel.. (im video)
wird berichtigt. war spät
Herr @ppq, es tut mir leid. Ich konnte einfach nicht widerstehen !
Enrico Krico hört sich einfach nach ItaloDisco an, nach einer 80iger-Jahre-Namensschöpfung für einen Supermarktprosecco. Wie Gino Ginelli.
weil er inzwischen auch aussieht wie ein eisverkäufer muss das freudsche durchgerutscht sein. es schrieb und ich merkte es nicht. danke für den hinweis
Ich wollte mir schon immer mal den Geiseltalsee angucken. Also auf nach Braunsbedra.
Kommentar veröffentlichen