Jüngere Deutsche kennen es gar nicht mehr anders, ältere haben sich längst daran gewöhnt. Kein atemloses Staunen mehr also, wenn die Süddeutsche Zeitung verlässlich an Tag fünf der großen Steuersünder-CD-Empörung meldet, der "Skandal weitet sich aus".
Das ist Routine, denn die mediale Wahrnehmung von Skandalen aller Art schreit danach, vom Ausgangspunkt auch fortlaufend "immer schlimmer" oder zumindest "schlimmer als bislang angenommen" zu werden. Seit der erste Skandal sich anno 1980 erfolgreich durch Ausweitung der Berichterstattung und Anschwellen der Tonart ausweiten ließ (siehe Google-Timeline), ist die "Ausweitung der Kampfzone" (Michel Houellebecq) durch die Erfindung neuer "Dimensionen" Skandal-Handwerk.
Was in der Nachbereitung von Katastrophen die dem dritten oder vierten Tag vorbehaltene Formulierung "hätte verhindert werden können", ist der Skandalberichterstattung die jeweils mehr oder weniger frei erfundene Fügung "weitet sich aus". Umso leichter lässt die sich aus dem Bingokästchen des Agentur-Blabla kramen, je weniger zuvor überhaupt von einer konkreten Dimension die Rede war. Im Fall der "Steuersünder-CD" war anfangs eine Stichprobe von fünf Datensätzen mal 300 hochgerechnet worden, um eine auffallend runde Schadenssumme von 100 Millionen in den Raum stellen zu können. Nirgendwo erwähnt wurde dabei, ob es sich bei den 100 Millionen um die hinterzogene Summe oder aber um die zu erwartende Mehreinnahme des Staates durch Nachversteuerung und Bußgelder handelt.
Von dieser wagen Datenbasis aus ist es natürlich ein Kinderspiel, den Skandal eine "neue Dimension" (SZ) erreichen zu lassen. Das tat die "SZ" anno 2008 im Zuge der Liechtenstein-CD-Affäre mit großem Erfolg - damals erfand das Qualitätsmedium den "größten Steuerskandal aller Zeiten", bei dem "tausende reicher Deutscher bis zu 3,4 Milliarden Euro am Fiskus vorbeigeschleust" haben sollten. Zwei Wochen später berichtete die Staatsanwaltschaft in einer ersten Zwischenbilanz von "200 Millionen Euro", die auf "Stiftungskonten" entdeckt worden waren, knapp 28 Millionen Euro Steuern hätten die Fahnder daraufhin bei Steuersündern kassieren können. Im Fall des Postchefs Klaus Zumwinkel schrumpfte die Schadensumme von anfangs mehr als zehn Millionen Euro auf zuletzt noch 900.000.
"Tatsächlich haben die Anleger offenbar weit mehr Steuern hinterzogen als zunächst geschätzt", fabuliert das Qualitätsblatt aus München, ohne sich festzulegen, ob "weit mehr" zehn Millionen mehr, 100 Millionen mehr oder 500 Millionen mehr bedeutet.
Genaueres deutet dann Hans Leyendecker, Anfang der 90er als fantasiebegabter Erfinder des Mörders des Terroristen Wolfgang Grams in Bad Kleinen Totengräber des Bundesinnenministers Rudolf Seiters, am Abend bei Frank Plasberg an. "200 Millionen" seien hinterzogen worden, sagt Leyendecker, dem der Unterschied zwischen hinterzogener Summe und zu erwartender Staatseinnahme genau so wenig wichtig ist wie die Rechtstreue des Gesetzgebers. Er erwähnt nicht, wovon er spricht. Aber das es "weit mehr als bisher gedacht" sei, das nagelt er zur Feier des Tages nochmal als Pudding an die Wand. Vor dem darf der Zuschauer nun mit Herzklopfen stehen: 200 Millionen! Das ist wirklich eine neue Dimension. Angesichts eines jährlichen Gesamtaufkommens bei der Einkommenssteuer von 170 Milliarden und 450 Milliarden Euro von Privatkunden auf Schweizer Banken aber ist noch Platz für weitere Ausdehnungen der Dimension. Die dann natürlich noch einmal "weit schlimmer" sein werden "als bislang erwartet" (dpa).
Inzwischen hat die SZ noch eine Schippe draufgelegt: Jetzt geht es um "400 Millionen Nachzahlung", schreibt das Blatt, selbstverständlich ohne irgendwelche Quellen oder Berechnungsformeln für diese Summe anzugeben.
Das ist Routine, denn die mediale Wahrnehmung von Skandalen aller Art schreit danach, vom Ausgangspunkt auch fortlaufend "immer schlimmer" oder zumindest "schlimmer als bislang angenommen" zu werden. Seit der erste Skandal sich anno 1980 erfolgreich durch Ausweitung der Berichterstattung und Anschwellen der Tonart ausweiten ließ (siehe Google-Timeline), ist die "Ausweitung der Kampfzone" (Michel Houellebecq) durch die Erfindung neuer "Dimensionen" Skandal-Handwerk.
Was in der Nachbereitung von Katastrophen die dem dritten oder vierten Tag vorbehaltene Formulierung "hätte verhindert werden können", ist der Skandalberichterstattung die jeweils mehr oder weniger frei erfundene Fügung "weitet sich aus". Umso leichter lässt die sich aus dem Bingokästchen des Agentur-Blabla kramen, je weniger zuvor überhaupt von einer konkreten Dimension die Rede war. Im Fall der "Steuersünder-CD" war anfangs eine Stichprobe von fünf Datensätzen mal 300 hochgerechnet worden, um eine auffallend runde Schadenssumme von 100 Millionen in den Raum stellen zu können. Nirgendwo erwähnt wurde dabei, ob es sich bei den 100 Millionen um die hinterzogene Summe oder aber um die zu erwartende Mehreinnahme des Staates durch Nachversteuerung und Bußgelder handelt.
Von dieser wagen Datenbasis aus ist es natürlich ein Kinderspiel, den Skandal eine "neue Dimension" (SZ) erreichen zu lassen. Das tat die "SZ" anno 2008 im Zuge der Liechtenstein-CD-Affäre mit großem Erfolg - damals erfand das Qualitätsmedium den "größten Steuerskandal aller Zeiten", bei dem "tausende reicher Deutscher bis zu 3,4 Milliarden Euro am Fiskus vorbeigeschleust" haben sollten. Zwei Wochen später berichtete die Staatsanwaltschaft in einer ersten Zwischenbilanz von "200 Millionen Euro", die auf "Stiftungskonten" entdeckt worden waren, knapp 28 Millionen Euro Steuern hätten die Fahnder daraufhin bei Steuersündern kassieren können. Im Fall des Postchefs Klaus Zumwinkel schrumpfte die Schadensumme von anfangs mehr als zehn Millionen Euro auf zuletzt noch 900.000.
"Tatsächlich haben die Anleger offenbar weit mehr Steuern hinterzogen als zunächst geschätzt", fabuliert das Qualitätsblatt aus München, ohne sich festzulegen, ob "weit mehr" zehn Millionen mehr, 100 Millionen mehr oder 500 Millionen mehr bedeutet.
Genaueres deutet dann Hans Leyendecker, Anfang der 90er als fantasiebegabter Erfinder des Mörders des Terroristen Wolfgang Grams in Bad Kleinen Totengräber des Bundesinnenministers Rudolf Seiters, am Abend bei Frank Plasberg an. "200 Millionen" seien hinterzogen worden, sagt Leyendecker, dem der Unterschied zwischen hinterzogener Summe und zu erwartender Staatseinnahme genau so wenig wichtig ist wie die Rechtstreue des Gesetzgebers. Er erwähnt nicht, wovon er spricht. Aber das es "weit mehr als bisher gedacht" sei, das nagelt er zur Feier des Tages nochmal als Pudding an die Wand. Vor dem darf der Zuschauer nun mit Herzklopfen stehen: 200 Millionen! Das ist wirklich eine neue Dimension. Angesichts eines jährlichen Gesamtaufkommens bei der Einkommenssteuer von 170 Milliarden und 450 Milliarden Euro von Privatkunden auf Schweizer Banken aber ist noch Platz für weitere Ausdehnungen der Dimension. Die dann natürlich noch einmal "weit schlimmer" sein werden "als bislang erwartet" (dpa).
Inzwischen hat die SZ noch eine Schippe draufgelegt: Jetzt geht es um "400 Millionen Nachzahlung", schreibt das Blatt, selbstverständlich ohne irgendwelche Quellen oder Berechnungsformeln für diese Summe anzugeben.
2 Kommentare:
Nicht ohne Grund gab sich die 1994 gegründete Haus-Band des Halleschen Boulevardblattes Mitteldeutscher EXPRESS den Namen "Immer Schlimmer"
Zweihundertmillionen? Mann oh Mann, die Steuerbetrüger betrügen ja gewaltig.
Da sollte der Staat hart durchgreifen! Wenn zusätzlich 200.000.000€ eingenommen werden, dann sind ja nur noch 90.000.000€ für den Ausgleich eines kleinen Defizits nötig.
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