Eine schöne Tradition in Deutschland ist engagierte Aufregung, wo sie garantiert niemandem nützt. Als Thema gern genommen, vor allem sobald alle Jahre wieder Anfang Mai der sogenannte "Suchtbericht" der Bundesregierung vorgelegt wird, ist das Thema "Komasaufen von Jugendlichen". Kannte Opa noch nicht, denn Opa war nie betrunken, nicht mal im Schützengraben, kann auch Vati nichts von erzählen, denn in der DDR war das Bier so dünn, dass man es nicht schnell genug trinken konnte, um tatsächlich betrunken zu werden.
Erst die entwickelte kapitalistische Gesellschaft konnte das Phänomen erfinden, allerdings auch erst, als den hauptberuflich tätigen Drogenbeauftragten aller Gebietskörperschaften mit dem Wegbrechen der offenen Heroinszene das geschäftmodell abhanden zu gehen drohte. Alle Jahre wieder verklappen die Zuständigen, die Caspers-Merk" oder "Bätzing" heißen, also pünktlich zur längeren Sonnenscheindauer Sätze wie: "Immer mehr Jugendliche verabschieden sich regelmäßig für die Dauer eines Rauschs vom Alltag. Bier, Schnaps, Mixgetränke - das «Komasaufen» oder «Binge Drinking» geht durch alle Schichten", über dem wehrlosen Volk.
Im Original wurde dieser Satz 2007 ausgesprochen, er könnte aber auch aus dem Jahr 1998 stammen, als erstmals erkannt wurde, dass der Alkoholkonsum von Jugendlichen nicht nur für dicke Köpfe gut sein kann, sondern auch für schöne Schlagzeilen. Gerade entdeckt, war das "das gezielte Rauschtrinken unter Jugendlichen" laut "Stern" im Jahr 2003 dann schon "zu einem gefährlichen Trend geworden". Die wackere Drogenbeauftragte der Bundesregierung, damals eine käsige Dame namens Marion Caspers-Merk, hatte herausfinden lassen, dass die "Zahl der unter 16-Jährigen, die mit akuter Alkoholvergiftung in Kliniken eingeliefert werden, sich gegenüber dem Vorjahr verdreifacht" (dpa) hat.
Es musste gehandelt werden, und die Bundesregierung, in ihrem Selbstverständnis eine Art Kindergärtnerin des gesamten Volkes, handelte. Nachdem der notorisch über Insiderkenntnisse verfügende "Spiegel" 2004 berichtet hatte, "in manchen Cliquen gehört Komasaufen zum regelmäßigen Wochenendspaß", wurden Alcopops mit einer Strafsteuer belegt und Flatrate-Partys verboten.
Mit durchschlagendem Erfolg. Schon 2007 fasste der "Spiegel" nach: "Der Trend zu exzessivem Alkoholkonsum bei Jugendlichen nimmt weiter zu", hatten die geübten Rechercheure in der Jahres-Pressekonferenz zur Vorstellung des Suchtberichtes herausgefunden. Die Folgen seien "fatal", habe die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, nunmehr eine wuschelköpfige Dame namens Sabine Bätzing, herausgefunden: Nach dem Verbot von Alcopops und Flatrate-Partys sei "die Zahl der Alkoholvergiftungen bei Teenagern um 50 Prozent gestiegen". Waren es 2000, vor der Alcopops-Sondersteuer, noch 12.035 Fälle im Alter von 15 bis 19 Jahren, stieg diese Zahl 2004, nach dem Verbot, auf 17.931.
Ein erster schöner Erfolg der Verbotspolitik der Bundesregierung. Aber da geht noch was, das wurde im Mai 2008 klar gemacht. Eine "wachsende Bereitschaft junger Leute zum Komasaufen" wurde nun angeprangert. Zwar sei der gelegentliche Konsum von Alkohol unter Minderjährigen seit 2003 leicht zurückgegangen, was offenbar erst 2008 aufgefallen war. Dafür steige die Zahl der Jugendlichen, die mindestens einmal im Monat "fünf oder mehr alkoholische Getränke hintereinander zu sich genommen" habe. 2005 hätten das nur 20 Prozent ausgesagt, 2007waren es schon 26 Prozent.
Steigerungsraten, die vermuten lassen, dass spätestens der Suchtbericht 2014 die Nachricht bringen muss, alle Jugendlichen seien jeden Tag 24 Stunden lang volltrunken. Da sich das schwer nachweisen lassen wird, steuert die Techniker-Krankenkasse jetzt schon um: Nicht mehr immer mehr Jugendliche trinken immer mehr Alkohol, nein, nun werden die "Komasäufer immer jünger" (dpa). Gibt auch eine schöne Schlagzeile - Anfang Mai wieder in diesem Kino, wenn die Bundessuchtbeauftragte den neuen Bundessuchtbericht vorstellt.
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